Chemoinduzierte Neuropathie – welche Substanzen wirken?

Dosisreduktion oder Therapiewechsel? Duloxetin oder Cannabis? Wesentliche Empfehlungen zur Therapie von Chemotherapie-induzierten Neuropathien wurden in einer ASCO-Leitlinie gesammelt. Von vielen Therapien wird darin eher abgeraten. Leitlinien sind zwar sehr wichtig, doch wohl nur die wenigsten Ärzte lesen sich die oft mehrere hundert Seiten dicken Werke gründlich durch und sind daher dankbar für kurze Zusammenfassungen. Eine solche Synopse haben nun Onkologen um Dr. Benjamin Derman von der Universität in Chicago erarbeitet, und zwar zur aktuellen Leitlinie der US-Onkologengesellschaft ASCO zu Prävention und Management von Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathien (CIPN). Chemotherapie-induzierte Neuropathien treten häufig nach Therapien mit Taxanen, Platinverbindungen und Vinca-Alkaloiden auf, aber auch unter Proteasomenhemmern wie Bortezomib oder Immunmodulatoren wie Thalidomid. Ausmaß und Präsentation der Neuropathien hängen dabei stark von den einzelnen Therapeutika ab. So beginnen die Symptome oft schon wenige Tage nach einer Therapie mit Taxanen, wohingegen eine CIPN auch noch Monate nach einer Behandlung mit Bortezomib auftreten kann, berichten die Onkologen um Derman. Neben sensorischen Störungen wie Hypersensitivität auf Reize, Kribbeln, Brennen und verändertem Temperaturempfinden werden auch Muskelkrämpfe, Tremor, Verstopfung, Blasenfunktionsstörungen, fokale Muskelschwächen sowie Balancestörungen beobachtet. In manchen Fällen verschlimmern sich die Symptome nach Absetzen der Therapien weiter. Viele unterschiedliche Faktoren können eine CIPN begünstigen, etwa Rauchen, Vitaminmangel, Diabetes, Nierenerkrankungen, Hypothyreose oder vorbestehende Neuropathien. „Da die CIPN nach dem Ende der Chemotherapie oft nicht verschwindet, kann das die Lebensqualität der Patienten erheblich beeinträchtigen. Sie könnten daher von Ansätzen zur Prävention oder von einer CIPN-Behandlung erheblich profitieren“, geben die Ärzte um Derman zu bedenken. Leider gibt es bisher praktisch keine pharmakologischen Therapien zum Schutz vor einer CIPN. In Studien kam es mit Acetyl-L-Carnitin sogar zu einer Verschlechterung der Symptomatik im Vergleich zu Placebo, sodass die ASCO-Leitlinie eine starke Empfehlung gegen eine präventive Therapie mit dieser Substanz ausspricht. Gute Evidenz nur für Duloxetin Auch andere Präventionsversuche führten zu keinerlei Vorteilen. Die Ärzte um Derman verweisen etwa auf Studien mit Cannabinoiden, Vitamin B, Vitamin E, Gabapentin, Pregabalin und Venlafaxin. Damit ließen sich keine taxan- und platinbedingten CIPN verhindern, im Vergleich zu Placebo gab es bei der CIPN-Inzidenz praktisch keine Unterschiede. Die Leitlinie vergibt daher eine moderate Empfehlung gegen die Prävention mit diesen Arzneien. Bei anderen Verfahren wie Akupunktur, Kryotherapie oder Kompressionsbehandlungen ist mangels Studien keine Beurteilung möglich. Etwas besser sieht es bei der Therapie aus. Derman und Mitarbeiter verweisen auf eine dreiarmige Studie unter Patienten mit schmerzhafter CIPN. Mit Placebo hatten nach vier Wochen noch 32% Schmerzen im Einzugsbereich der Hirnnerven, mit Venlafaxin waren es 22% und unter Duloxetin nur 12%. Motorische und sensorische Schmerzen waren unter Duloxetin fast komplett verschwunden, in den anderen Therapiearmen aber noch bei bis zu einem Drittel der Patienten vorhanden. In einer weiteren Studie schnitt Duloxetin besser als Vitamin B12 ab, in einer anderen ähnlich gut wie Pregabalin. Die Leitlinie spricht aufgrund solcher Studien eine moderate Empfehlung zur Duloxetintherapie bei schmerzhafter CIPN aus – neben einer ebenfalls moderaten Empfehlung, neurotoxische Chemotherapien bei Patienten mit CIPN in der Dosis zu reduzieren, zu pausieren oder ganz abzusetzen. In kleineren Studien sind zudem viele weiteren Optionen gegen CIPN geprüft worden, etwa Gymnastik, Akupunktur, Elektrostimulation, Trizyklika, Cannabinoide oder topische Therapien, hier hat die Evidenz jedoch nicht für eine positive oder negative Empfehlung ausgereicht. Die Leitlinie habe primär die bescheidene Evidenz der meisten Maßnahmen gegen CIPN herausgestellt. Ihre Bedeutung liege vor allem darin, Ärzte von Therapien ohne nachgewiesen Nutzen, aber mit einem möglichen Schaden abzuhalten, schreiben die Onkologen um Derman. Da die Leitlinie als einzige pharmakologische Intervention Duloxetin empfehle, dürfte diese Arznei nun vermehrt zur CIPN-Therapie eingesetzt werden. Ärzte sollten dabei auch Nebenwirkungen wie Gewichtsverlust, Anorexie, Übelkeit und Fatigue im Blick haben, heißt es in der Synopse. Referenz: Derman BA et al.: Recommendations for Prevention and Management of Chemotherapy-Induced Peripheral Neuropathy. JAMA 2021;326(11):1058-1059; https://doi.org/10.1001/jama.2021.7458 Quelle: www.springermedizin.de

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