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Ärzte Woche

04.06.2023 | Gesundheitspolitik

Wer sieht sich hier noch raus?

verfasst von: Markus Stegmayr

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Lifestyle, Notlösung beim Entzug oder doch nur eine neue Form der Sucht – Expertenansichten über das Herumgedampfe könnten kaum geteilter sein. Das zeigte sich zuletzt bei den Expertenbeiträgen auf den  Praevenire-Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten.

Was ist eine E-Zigarette? Wie viele soll man konsumieren, wenn es denn unbedingt sein muss? Von so manchem Hersteller werden E-Zigaretten als lässig-cooles Lifestyle-Produkt propagiert und auch eine eigene „Szene“ bildet sich. Es wird gedampft und verschiedene Geschmäcker probiert. Fakt ist: Der Konsum der E-Zigarette oder eines Tabak-Erhitzers ist deutlich weniger schädlich als der Konsum von „echten“ Zigaretten. Schließlich sei „der Teer und nicht das Nikotin“ für das Gros der Todesfälle verantwortlich, sagt einer der von der Ärzte Woche befragten Experten. Dass es dennoch das oberste Ziel ist, Leute vom Rauchen und vom Nikotin wegzubringen, scheint Konsens zu sein. Tabakrauchen – inklusive Passivrauchen – ist laut Schätzungen für 16 Prozent aller Todesfälle verantwortlich, heißt es seitens der Gesundheit Österreich GmbH anlässlich des Welt-Nichtrauchertags am 31. Mai. Und noch immer greifen rund 1,8 Millionen Österreicher täglich zur Zigarette.

Was aber, wenn jemand gar nicht „wegkommen will“ und sich diesen „Genuss“ nicht nehmen lassen möchte? Auch dann ist die E-Zigarette ein Produkt, das sinnvoll sein kann und das zumindest toleriert wird. Spannend wird es nämlich, wenn sich der Gebrauch von E-Zigaretten gegen die Intention der Hersteller wendet. Was, wenn sie sich wirklich hervorragend zur Entwöhnung eignet? Aus der Sicht der Entwöhnung gibt es durchaus Positives zu berichten. Ärzte, die mit diesem Thema betraut sind, erläutern, dass Patienten durchaus Schritt für Schritt mit dem Rauchen aufgehört hätten. Verantwortlich dafür sei, dass E-Zigaretten in der Anwendung nicht ganz so „intuitiv“ funktionierten wie Zigaretten. Der Griff dazu werde dadurch seltener, die Zeiten des „Rauchens“ kürzer und auch sonst könne die E-Zigarette dabei helfen, dem Nikotin demnächst ganz abzuschwören.

Denkbar, dass man Schritt für Schritt mit Rauchen aufhört

„Ich kenne die Thematik nur allzu gut: Wir hatten immer wieder Schwierigkeiten, Raucher auf ein Ersatzprodukt ,umzustellen’. Nikotinkaugummi ist ja eher ,uncool’ und auch sonst ist es nicht immer ganz einfach. Wir sind froh, wenn Menschen umsteigen und ihr Produkt finden. Es ist positiv, wenn Menschen von der Zigarette wegkommen. Wenn die E-Zigarette dazu beitragen kann, dann ist das grundsätzlich natürlich positiv.

Selbst bin ich aber nicht so sicher, ob die E-Zigarette wirklich ein Entwöhnungsmittel ist. Dazu bräuchte es noch weitere und tiefer gehende Studien. Nach wie vor ist jedenfalls absolute Entwöhnung das Beste, was möglich ist. Das gilt es anzustreben.

Zudem ist die E-Zigarette oder auch etwa Tabak-Verbrenner durchaus mit dem Thema Lifestyle verbunden. Letzteres Thema wird vor allem von den Herstellern forciert. Man muss klar unterscheiden zwischen dem, was die Hersteller wollen und propagieren und was die Leute dann damit machen. Es ist grundsätzlich nämlich schon denkbar, dass man auf die E-Zigarette umsteigt und dann Schritt für Schritt mit dem Rauchen aufhört.

Ich selbst vertrete die Position der „harm reduction“. Es gibt schließlich Raucher, die mit dem Rauchen nicht aufhören können und vor allem womöglich gar nicht wollen. Und letzteres ist auch absolut legitim in unserer Gesellschaft! Diesen Personen gilt es, etwas zur Verfügung zu stellen, das weniger gefährlich ist. Es macht definitiv Sinn, etwas parat zu haben, das das Risiko-Potenzial senkt.

Historisch gesehen haben Menschen jedenfalls schon immer Substanzen verwendet und konsumiert. Nikotin ist im Grunde in diesem Kontext vergleichsweise harmlos. Nikotinkonsumenten sind meist friedlich und auch die Leistungsbereitschaft wird nicht gemindert. Was spricht also dagegen, dass jemand eine E-Zigarette friedlich konsumiert. Auch Probleme wie Brandgefahr werden bei E-Zigaretten ausgeschaltet. Fakt ist jedenfalls: Alles, was im Vergleich zur herkömmlichen Zigarette die Gesundheit des Patienten verbessert, ist im Grund positiv und begrüßenswert. Man muss jedenfalls eines festhalten: Patienten sterben nicht am Nikotin, sondern am Teer.“

Dr. Ernest Gromann, wissenschaftlicher Leiter des Nikotin Instituts Wien

Sinnvoll wäre es, vor und nach einer OP nicht zu rauchen

„Was man vorausschicken muss: Raucher haben bei gewissen Operationen wie Fußoperationen oder Schulteroperationen das fünffach höhere Risiko. Es gibt bis zu 30 Prozent Komplikationen, sonst sind es 6 Prozent!

Jeder dritte Raucher hat eine Komplikation bei diesen Operationen. Bei den meisten anderen Operationen, etwa beim Knie, ist es noch immer das doppelte Risiko.

Das ist wirklich eine enorme Zahl und wir wissen, dass wir hier wahnsinnig stark eingreifen können, was das Ergebnis der Operationen beziehungsweise die Risikominimierung betrifft.

Klar ist: Wir haben es hier mit einem reversiblen Prozess zu tun. Innerhalb von sechs Wochen vor der Operation und nach der Operation lässt sich sehr viel machen und das Risiko von Rauchern auf einen Normalstand heben.

In dieser Phase sind aus meiner Sicht Nikotinersatzprodukte erlaubt. Wir wissen, dass komplette Nikotinfreiheit bei schweren Rauchern schwierig ist. Die haben schließlich eine Sucht und sind zudem in einer Phase vor der Operation aufgeregt. Die brauchen ihr Nikotin. Mein Zugang zum Thema ist, dass die Akzeptanz von E-Zigaretten bei Rauchern sehr hoch ist. Schließlich kommt der Konsum dem ,echten’ Rauchen sehr nahe.

Was ich betonen möchte: Nicht das Nikotin ist vor Operationen das Problem, sondern das Kohlenmonoxid. Wenn man diese Belastung reduziert, dann ist schon viel erreicht. Zudem gibt es Studien, dass viele Menschen nach dem Benutzen von E-Zigaretten sukzessive mit dem Rauchen aufgehört haben. Wichtig ist insgesamt die Bereitschaft der Patienten, mit dem Rauchen aufhören zu wollen! Diese Bereitschaft ist vor Operationen ohnehin groß. An eine absolut nikotinfreie Gesellschaft glaube ich nicht. Produkte, die Schadstoffe minimieren, wie es E-Zigaretten tun, sind grundsätzlich begrüßenswert und positiv zu bewerten. Zumal, wie bereits gesagt, zum Schluss dann das komplette Aufgeben des Rauchens stehen kann.

Wichtig wäre es da aus meiner Sicht, eine große Kampagne zu starten, in der klar gemacht wird, was es wirklich bringt, wenn man vor und nach Operationen nicht raucht. Schließlich sind die Zahlen ja eindrucksvoll: Wo sonst bekommt man 50 Prozent Verbesserung für Patienten.“

Dr. Nikolaus Böhler, Orthopädischer Chirurg, Linz

Raucher-Gewohnheiten sind tief verankert

„Ganz grundsätzlich gilt: Die Entwöhnung von Rauchern ist eine sehr wichtige Angelegenheit, nicht zuletzt auch in der hausärztlichen Praxis. Es gilt, neben der Entwöhnung zudem dazu beizutragen, dass junge Menschen erst gar nicht zur Zigarette greifen.

Das geht grundlegend mit verschiedenen Maßnahmen: Es können Schulungen sein oder Kurse. Wenn es sich um schwere Raucher handelt, dann ist auch ein Aufenthalt in einer Reha-Einrichtung ein Thema.

In meinem Fokus ist beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Rauchern, die von diesem Ritual des Rauchens nicht ganz wegkommen, die einfach nicht auf das Ritual ,Rauch in den Mund zu bekommen’ wegkönnen. Da hat man es dann nicht nur mit Abhängigkeit von Nikotin zu tun, sondern es geht wie gesagt um das Ritual. Es geht darum, dass man sich eine Zigarette anzündet, etwa um eine Pause zu machen. Diese Gewohnheiten sind tief verankert.

Für solche Raucher ist die E-Zigarette zweifellos eine Zwischenlösung. Sie kann eine Hilfe sein, um schließlich vom Nikotin wegzukommen. Menschen, die etwa damit oder auch mit Tabak-Erhitzern umgehen, machen das mit der Zeit immer weniger. Das hat den Grund darin, dass die Handhabung von Geräten etwas komplizierter ist als der unkomplizierte Griff zur Zigarette. Mit der Zeit denkt man immer weniger daran, man raucht nicht mehr so lange, man zieht vielleicht ein paarmal und gibt das Gerät dann auch schon wieder weg.

Das Ziel dabei ist jedenfalls, wenn solche Ersatzprodukte zur Anwendung kommen, ganz klar definiert: Es geht um das Wegkommen! Es ist eine Übergangslösung, keine Dauerlösung. Schon gar nicht soll es ein Dauerersatz sein.

Was es dazu noch braucht aus meiner Sicht: Es braucht Verhaltenstraining, bei dem man lernt, wie man alternative Handlungen zum Rauchen entwickelt. Diese sollten natürlich nicht Essen oder ähnliches sein. Vielmehr könnte es eine Handlung sein, die mit Entspannung zu tun hat, etwa lesen.

Alles in allem gilt es, die Situation aber individuell zu analysieren: Je nachdem, wie stark der Betroffene geraucht hat, muss betrachtet werden, welche Ersatzprodukte und welche Maßnahmen sich eignen, damit er ganz wegkommt.“.

Dr. Erwin Rebhandl, Hausarzt und Gemeindearzt in Haslach an der Mühl (OÖ)

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Metadaten
Titel
Wer sieht sich hier noch raus?
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
04.06.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 23/2023

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