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Ärzte Woche

30.03.2023 | Gesundheitspolitik

Sitz machen und auf Impfgegner hören?

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Spitzenpolitiker blicken treuherzig in die Kameras und bekennen, dass sie doch nur auf „die Experten“ gehört hätten, die Impfpflicht ein Fehler gewesen wäre usw. Den Wissenschaftlern reicht es mittlerweile.

Während der Pandemie benötigte die Politik wissenschaftliche Expertise wie einen Bissen Brot. Galt es doch die Corona-Maßnahmen und harten Einschränkungen der Bevölkerung nicht nur zu verkaufen, sondern vor allem wissenschaftlich zu begründen. Dazu bediente man sich etwa der Elite der heimischen Medizin. Nun, da die Pandemie zur Endemie geworden ist, bemüht sich die Regierung darum, verprellte Wähler zurückzuholen und rückt merklich von ihren eigenen Entscheidungen ab. Die Verantwortung weist man den Experten und wissenschaftlichen Beratern zu. Seit der Zukunftsrede von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), in der er sagte, man wäre in der Pandemie „zu expertenhörig“ gewesen (die Ärzte Woche berichtet in Ausgabe 10/2023), ist das Verhältnis zerrüttet. Die GECKO ( Anm.: Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination ) wurde kurz darauf aufgelöst; sie hätte bis Juni bestehen sollen. Im künftig schwarz-blau regierten Niederösterreich reibt sich die Ärzteschaft dieser Tage die Augen, was alles möglich ist im Land unter der Enns. Im Arbeitsübereinkommen von Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Udo Landbauer (FPÖ) ist von einer „schonungslosen Aufarbeitung der Corona-Politik“ und von „Wiedergutmachung“ die Rede. Es sollen keine Werbemittel mehr für Impfungen verwendet werden. Die Vizepräsidentin der NÖ Apothekerkammer, Elisabeth Biermeier, rückte – nach einer Schrecksekunde – die Verhältnisse zurecht: „Infektionskrankheiten stellten in der Vergangenheit die häufigste Todesursache dar. Noch um 1900 verstarben jährlich 65.000 Kinder allein an Keuchhusten, Diphtherie und Scharlach. Heute sind solche Todesfälle die große Ausnahme. Dazu beigetragen haben – nicht ausschließlich, aber vor allem – die Schutzimpfungen.“

Die Verantwortlichen sind den Ärzten gefolgt

„Es ist der FPÖ wichtig, offen und transparent die Corona-Zeiten aufzuarbeiten. Dazu bin ich gerne bereit. Ich sage aber gleich dazu: Aufrichtigkeit ist keine Einbahnstraße. Im Nachhinein mit heutigem Wissen war die Entscheidung für eine Impfpflicht natürlich ein Fehler. Im Nachhinein ist man immer klüger. Das ist eine Binsenweisheit. Diejenigen, die Verantwortung getragen haben, sind dem Rat derjeniger gefolgt, denen jeder mit Hausverstand folgt, wenn es um Leben und Tod geht, den Ärzten. Die österreichischen Ärztekammern haben im November 2021 geschlossen die Impfpflicht gefordert. Das haben sie nach damaligem besten Wissen und Gewissen getan. Es gibt keinen Grund, ihnen etwas anderes zu unterstellen.

Ich lasse uns nicht nachsagen, wir würden uns wegen einer einfachen Entschuldigung dafür, dass wir als Verantwortungsträger dem ärztlichen Rat gefolgt sind, eine Zusammenarbeit fürs Land verunmöglichen. Ich halte aber schon ganz klar fest: Vom Ende weg gedacht, lässt sich alles leicht beurteilen und bewerten, wenn man selber nicht in Verantwortung war. Und wenn man Aufrichtigkeit einfordert, dann sollte die FPÖ auch so aufrichtig sein und dazu stehen, dass sie zu Beginn der Pandemie die allerersten waren, die einen Lockdown eingefordert haben – ebenso aus damals bestem Wissen und Gewissen. Auf dieser Grundlage lässt sich sicher ein ehrlicher Prozess der Aufarbeitung einleiten. Wenn diese Pandemie eines gezeigt hat, dann, dass niemand zu 100 Prozent perfekt ist und immer richtig gelegen ist. Kein Experte, kein Befürworter von strengen Maßnahmen, kein Gegner von strengen Maßnahmen, keine der Parteien und ihre Politiker und eben auch nicht die FPÖ.

Gräben schließen kann nicht heißen, dass alle auf die Seite der FPÖ wechseln müssen. Gräben schließen heißt, aufeinander zuzugehen und miteinander reden. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die sich an die Regeln gehalten haben, aus Sorge über die vielen Todesfälle jetzt die Dummen sind. Da wollen wir aufeinander zugehen. Da wird es Kompromisse geben müssen – von beiden Seiten. Insofern kann eine Zusammenarbeit eine Chance sein, die Spaltung zu überwinden und die Gräben in unserer Gesellschaft und in unseren Familien zu schließen. Wenn auch die FPÖ zu Kompromissen bereit ist, dann werden wir zueinander finden.“

Mag. Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau für NÖ (ÖVP)

Impfschutz ist die beste Möglichkeit der Prävention

„Bei den präsentierten Details zur Zusammenarbeit der künftigen Regierungspartner in Niederösterreich ging es auch um das Thema Impfen. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde monatelang darüber zum Teil losgelöst von jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen diskutiert und bis heute äußern sich Politiker, die keine medizinische oder sonstige entsprechende wissenschaftliche Ausbildung haben, dazu in der Öffentlichkeit.

Als Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich stelle ich in diesem Zusammenhang klar, dass Impfen seit vielen Jahren eine extrem einfache, kostengünstige und vor allem hochwirksame Präventionsmaßnahme darstellt, um sich gegen entsprechende Infektionskrankheiten zu schützen und deren oft fatale Auswirkungen zu verhindern. Aus rein politischen Gründen Impfungen nun generell infrage zu stellen und dadurch die Bevölkerung zu verunsichern, ist fahrlässig, ja sogar gefährlich. Denn jeder Erkrankungsfall, der durch eine Impfung hätte verhindert werden können, ist einer zu viel und ein aufrechter Impfschutz die beste Möglichkeit zur Prävention.

Liegt die Durchimpfungsrate hoch, sind auch Menschen geschützt, die sich nicht impfen lassen können – Babys, kleine Kinder oder immungeschwächte Personen. Diese Fehleinschätzung, dass Menschen gerade mit der Absicht, ihre persönliche Abwehrkraft zu steigern, Impfungen ablehnen, hält sich leider hartnäckig. Mangelndes Wissen über Impfungen führt häufig zu Irrtümern, die oftmals Impfskeptiker:innen zu Impfgegner:innen machen. Eine der Hauptursachen dafür ist die Verbreitung verdrehter Fakten, nicht korrekt interpretierter Studien und gezielter Falschinformationen über das Internet.

Es ist daher eine unserer wichtigsten Aufgaben, das Impfbewusstsein in der Bevölkerung durch individuelle Aufklärungsarbeit zu stärken, um jeden Einzelnen, aber ganz besonders geschwächte Menschen zu schützen.“

Dr. Harald Schlögel, Präsident Ärztekammer für NÖ

Impfzögerliche sprechen auf interaktive Simulationen besser an

„Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig Impfungen für die Verhütung lebensbedrohlicher Krankheiten und die Überlastung des Gesundheitssystems sind. Dennoch ist die Akzeptanz der COVID-19-Impfung – und mehr noch die der Auffrischungsimpfungen (Booster) – in vielen Ländern nach wie vor unzureichend. Vor diesem Hintergrund kommt der Gruppe der Impfzögerlichen eine besondere Bedeutung zu. Lassen sich diese mithilfe von neuen Formaten der Risikokommunikation besser erreichen? Wir haben eine Gruppe von 1.255 ungeimpften und impfzögerlichen Erwachsenen danach untersucht, wie sich eine interaktive Simulation zum Nutzen und potenziellen Schaden der COVID-19-Impfung im Vergleich zu einem herkömmlichen textbasierten Informationsformat auf die Impfabsicht sowie die Nutzen-Schaden-Bewertung einer solchen Impfung auswirkt. Im Gegensatz zu Impfgegnern sind Impfzögerliche in ihrer Entscheidung oft noch offen und haben ein hohes Informationsbedürfnis zum Nutzen und potenziellen Schaden. Wird beides gut nachvollziehbar vermittelt, besteht durchaus die Chance, dass sie sich für eine Impfung entscheiden. Erkenntnisse aus der Kognitionswissenschaft legen dabei nahe, dass dies interaktiven Simulationen besser gelingt als konventionellen Textformaten. Und tatsächlich sprachen die Impfzögerlichen besser auf die interaktive Simulation an. Teilnehmende, die ihre Informationen interaktiv aus der Simulation bezogen, veränderten signifikant häufiger positiv ihre Impfabsicht und Nutzen-Schaden-Bewertung als Teilnehmende, die die Informationen dem Textformat entnahmen. Der Nettovorteil der interaktiven Simulation gegenüber dem textbasierten Format betrug 5,3 Prozentpunkte bei der Impfabsicht (9,8 % gegenüber 4,5 %) und 18,3 Prozentpunkte bei der Nutzen-Schaden-Bewertung (25,3 % gegenüber 7,0 %).“

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Odette Wegwarth, Heisenberg-Professorin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin & Senior Researcherin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

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Metadaten
Titel
Sitz machen und auf Impfgegner hören?
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
30.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 13/2023

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