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Ärzte Woche

10.01.2022 | Gesundheitspolitik

Impfstoffe: Eine bedingte Zulassung ist kein Malheur

verfasst von: Raphaela Mayerhofer

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Zwei weitere COVID-19-Impfungen scharren in den Startlöchern. Zweifel an der Integrität der Zulassungsverfahren sind ein häufiges Argument gegen eine COVID-19-Immunisierung. Ein Blick hinter die Kulissen der Bürokratie hilft, Zweifel zu zerstreuen.

Mitten in der vierten Welle und überschattet von den Nachrichten der Omikron-Variante befinden sich zwei weitere COVID-19-Impfstoffe vor der Markteinführung: ein Totimpfstoff von Valneva und ein Protein-Impfstoff von Novavax. Die bevorstehende Zulassung für diese Impfstoffe heizt die Debatte über die Integrität der Zulassungsverfahren an. Um also für die Fragen und Ängste rund um die Marktzulassung gerüstet zu sein, hier ein kleines Resümee der Zulassungsverfahren.

Eines gleich vorweg: Die COVID-19-Impfstoffe werden fälschlich oft als neu und daher unerprobt bezeichnet. Fakt ist aber, dass die Technologien, auf denen die Impfungen basieren nicht erst in den vergangenen zwei Jahren entwickelt wurden. Hinter den COVID-19-Impfstoffen stecken Jahrzehnte wissenschaftlicher Entwicklung, die Technologien sind bewährt und etabliert. Die oft zitierten 10 bis 15 Jahre Entwicklungszeit wurden nicht etwa übersprungen, sie bildeten die Basis, die eine rasche und sichere Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 möglich machte. Da die Verfahren zur Herstellung von Impfungen auf etablierten Technologien basieren, lassen sich etwa auch saisonale Grippeimpfstoffe, sobald das neue Virus isoliert ist, binnen kurzer Zeit entwickeln.

Bewährtes in neuem Glanz


Als Anfang 2020 klar wurde, welche Gefahr COVID-19 darstellt, schlossen sich Wissenschaftler aus aller Welt zusammen, um schnellstmöglich die Achillesferse des Virus zu identifizieren, das Spike-Protein. Mit der entschlüsselten Sequenz des Spike-Proteins in der Hand konnte die Entwicklung einer Impfung sofort beginnen. Es wurde demnach nicht das Rad neu erfunden, sondern das Spike-Protein wurde wie ein Puzzleteil in bestehende Prozesse integriert. Salopp gesagt, ein plug-and-play approach . Die COVID-19-Impfungen sind also nicht „jung und unerfahren“, sondern ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig nachhaltige Wissenschaft und Kollaboration sind.

Obwohl die Technologien, auf denen die COVID-19-Impfungen basieren, bewährt und etabliert sind, bleiben immer noch die Zulassungsverfahren, die Unverständnis und Misstrauen auslösen. Ein Faktor, der viele Menschen verunsichert, ist die umgangssprachlich als Schnellzulassungen bezeichneten Verfahren, die eine rasche Marktzulassung der COVID-19-Impfstoffe möglich machen. Diesen privilegierten Zulassungen wird nachgesagt, sie seien unvollständig, also keine echten, integeren Zulassungen. Dieses Missverständnis rührt möglicherweise daher, dass die Schnellzulassung fachsprachlich als bedingte Zulassung ( Conditional Marketing Authorisation ) bezeichnet wird.

Bei der bedingten Zulassung werden keine Abstriche gemacht. Es müssen dieselben Kriterien erfüllt und dieselben Prozesse durchlaufen werden wie es die Regeln vorgeben. Der Unterschied liegt an einer höheren Investition von Ressourcen und der flexibleren Gestaltung der Abläufe. So wird die bedingte Zulassung auch nur für ein Jahr erteilt anstatt wie sonst für fünf Jahre.

Um als Hersteller eine Marktzulassung für eine Impfung zu erlangen, muss die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit der Impfung nachgewiesen, um und ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis sicherzustellen.

In der Praxis bedeutet das, dass Hersteller eine Reihe von Anforderungen erfüllen müssen. So muss etwa nachgewiesen werden, dass der Impfstoff in großen Mengen und in hoher Qualität produziert werden kann. Auch Pläne für die Überwachung der Sicherheit des Impfstoffes nach der Markteinführung müssen vorgelegt werden (die berühmten Langzeitstudien). Und vor allem müssen klinische Studien durchgeführt werden.

Klinische Studien, also die Erprobung des Impfstoffes an Freiwilligen, laufen in drei sequenziellen Phasen ab, sprich eine Phase nach der anderen. Nach jeder Phase evaluieren die Hersteller, ob notwendige Kriterien zu Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit erfüllt wurden. Ist dies nicht der Fall, muss der Hersteller die Entwicklung des Impfstoffes abbrechen und überarbeiten. Wurden die Kriterien erfüllt, wird die nächste Phase in Angriff genommen.

Nach Abschluss der klinischen Studien reichen die Hersteller die Daten zur Begutachtung bei den Behörden ein. In der Europäischen Union wird die Zulassung von Impfstoffen von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) mit Sitz in Amsterdam koordiniert. Die Begutachtung kann Monate oder Jahre in Anspruch nehmen. Das liegt unter anderem daran, dass die Behörden die Möglichkeit haben, von den Herstellern zusätzliche Studien zu verlangen und so die Bewertung zu pausieren. Die Begutachtung läuft erst dann weiter, wenn die zusätzlichen Studien abgeschlossen wurden und die Daten den Behörden vorliegen. Die Hersteller wiederum haben die Möglichkeit zu prüfen, ob weiterhin ein Bedarf und Markt für die Impfung besteht und ob sich Investitionen in zusätzliche Studien überhaupt lohnen würden.

Erfüllt ein Hersteller die notwendigen Kriterien zu Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit, erteilt die EMA eine Zulassungsempfehlung an die Europäische Kommission, welche die Zulassung erteilt.

Die klassische Marktzulassung kostet so viel Zeit, weil sie viel Geld kostet. Nach jeder klinischen Phase und nach jedem Meilenstein im Zulassungsverfahren wägen die Hersteller eines Impfstoffes ab, ob sich weitere Investitionen lohnen. Im Gegenzug dazu können während der Pausen im Zulassungsverfahren die Ressourcen der Behörden für andere Herausforderungen eingesetzt werden.

Zulassung im Zeitraffer


Bei der bedingten Zulassung, wie sie für die COVID-19-Impfungen angewendet wird, spielen die Finanzen vorerst keine Rolle. Die Hersteller müssen dieselben Anforderungen zu Qualitätssicherung in der Produktion erfüllen und Pläne für Langzeitstudien vorlegen. Die klinischen Studien müssen dieselben Kriterien zu Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit erfüllen wie sonst auch. Um Zeit zu sparen, finden die Phasen der klinischen Studien allerdings parallel, also zeitgleich statt. Das birgt vor allem ein pekuniäres Risiko. Sollte sich nämlich am Ende der drei Phasen herausstellen, dass ein Impfstoff nicht sicher, verträglich und wirksam ist, bekommt er keine Zulassung. Dann wurde vergeblich Geld in alle drei Phasen der klinischen Entwicklung investiert, anstatt wie sonst üblich die Entwicklung nach einer erfolglosen Phase I oder II abzubrechen.

Um zusätzlich Zeit zu gewinnen, erhalten Hersteller besondere Unterstützung. Die EMA bietet rasche, wissenschaftliche Beratung sowie ein Rolling Review, in dem die laufende Bewertung neuer Daten, ohne langwierige Fristen oder Pausen, stattfindet. Anstatt warten zu müssen bis alle Ergebnisse einer klinischen Studie vorliegen, können Hersteller laufend mit den Behörden kommunizieren und Rückmeldungen können in Echtzeit berücksichtigt werden.

Internationale Organisationen bieten außerdem Unterstützung bei der Verteilung von Ressourcen und der Vernetzung Forschender. ACT-Accelerator, COVAX und HERA Incubator sind bahnbrechende Initiativen, um die Entwicklung, Produktion und Verteilung der COVID-19-Impfungen durch Kollaboration voranzutreiben. Das beschleunigt die Bürokratie, ohne die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit der Impfungen negativ zu beeinflussen.

Die bedingte Zulassung der COVID-19-Impfungen ist keine Zulassung im Minimalformat. Die sicheren, verträglichen und wirksamen COVID-19-Impfungen sind ein außergewöhnlicher Erfolg internationaler Zusammenarbeit und wegweisend für die Zukunft der Wissenschaft.

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Metadaten
Titel
Impfstoffe: Eine bedingte Zulassung ist kein Malheur
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
10.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 1-2/2022

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