Einleitung
Die therapieresistente Depression (TRD) betrifft circa 20–30 % der von einer unipolaren Depression betroffenen Patient:innen. Sie ist definiert als eine schwere depressive Episode, die auf zwei verschiedene Antidepressiva, welche in ausreichender Dosis und Dauer und in angemessener Therapietreue verabreicht wurden, nicht anspricht. Die Gabe von Esketamin wird bei der Diagnose einer TRD als Add-on-Therapie empfohlen und ist durch die Applikationsform als Nasenspray eine gut durchführbare Behandlung im stationären, teilstationären und ambulanten psychiatrischen Setting.
Wir berichten über den Fall einer Patientin, die im Rahmen einer tagesklinischen Behandlung eine Vollremission der zuvor therapieresistenten depressiven Symptomatik erreichen konnte.
Fallbericht
Zur tagesklinischen Aufnahme gelangte eine 26-jährige Patientin durch Zuweisung der ambulanten Psychiaterin. Sie befand sich bereits seit 2,5 Jahren ebendort in fachärztlich psychiatrischer Betreuung. Psychopathologisch imponierte eine schwer depressive Patientin. Vorrangig bestand eine ausgeprägte formalgedankliche Verlangsamung bis hin zur Sperrung, die Konzentration war herabgesetzt, inhaltlich zeigten sich ausgeprägte Schuldideen bei deutlich reduziertem Selbstwert. Zudem wurden Beobachtungsideen beschrieben. Die Affizierbarkeit war im positiven Skalenbereich nicht gegeben, die Stimmung war ängstlich und dysthym. In den Monaten vor der Aufnahme war es zu einem zunehmenden Leistungsknick an der Universität gekommen, weiters war es der Patientin bedingt durch Ängste und Antriebslosigkeit kaum mehr möglich, die Wohnung zu verlassen. Die Aktivitäten des täglichen Lebens wie beispielsweise das Einkaufen wurden teilweise von ihrem Mitbewohner übernommen bzw. waren nur unter großer Anstrengung für die Patientin zu bewerkstelligen. Psychometrisch zeigte sich bei Aufnahme mit der Montgomery Asberg Depression Scale (MADRS) ein Summenwert von 34 Punkten, was einer schweren depressiven Episode entspricht. Weitere psychometrische Skalen bei Aufnahme waren ein Patient Health Questionnaire 9 (PHQ-9) mit einem Summenscore von 12 sowie eine Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS) mit einer Gesamtsumme von 53 Punkten, wobei die Patientin bei den Subskalen Angst/Depression mit einem Summenscore von 23 und einem Mittelwert von 5,75 die meisten Punkte erreichte. Die Stimmungslage, quantifiziert mittels visueller Analogskala (VAS), ergab 3 von 10 Punkten.
Psychometrie erleichtert die Diagnosefindung der therapieresistenten Depression
Die Medikation bei Aufnahme bestand aus Escitalopram 20 mg/d, Bupropion 150 mg/d und Aripiprazol 15 mg/d. Seit Beginn der fachärztlichen Betreuung habe sie Behandlungsversuche mit Escitalopram, Trazodon und Bupropion gehabt. Die Medikamentenadhärenz war stets gut.
Wir stellten die Diagnose einer schweren depressiven Episode bei unipolarer Depression sowie eine Sozialphobie. Dies wurde testpsychologisch untermauert.
Die Kriterien für eine therapieresistente Depression waren erfüllt, sodass wir nach Ausschluss einer Pseudoresistenz mittels entsprechender Plasmaspiegelbestimmung die Behandlung mit Escitalopram und Aripiprazol fortsetzten, jene mit Bupropion stoppten und mit einer Add-on-Behandlung mit Esketamin begannen. Die Patientin erhielt im Rahmen der Induktionsphase zweimal wöchentlich 54 mg Esketamin-Nasenspray und danach wurde auf ein wöchentliches Intervall reduziert. Bereits nach der dritten Anwendung kam es zu einer deutlichen klinischen Verbesserung, welche ebenso in den routinemäßig vor der Verabreichung von Esketamin durchgeführten Skalen des PHQ‑9 und der VAS-Stimmungsskala abgebildet werden konnte.
Veränderungen im PHQ‑9 und in der VAS-Stimmung können die Wirksamkeit von Esketamin objektivieren
Nach der Induktionsphase erreichte die Patientin im MADRS einen Wert von 11 Punkten, was einer leichten depressiven Episode entspricht. Vor der Entlassung aus dem akut-tagesklinischen Setting lag nur noch ein Wert von 5 Punkten vor, einer Vollremission entsprechend.
Anamnese
Die Patientin habe eine unauffällige Kindheit und Jugend gehabt und stets gute Schulnoten erreichen können. Sie sei eher ein introvertierter und einzelgängerischer Mensch gewesen, dies habe jedoch nie einen Leidensdruck verursacht. Mit 18 habe sie ihr Studium begonnen. Die depressive Symptomatik habe sich im Alter von 22 schleichend entwickelt, es habe mit Beobachtungsideen und sozialphobischen Ängsten begonnen, im Verlauf habe sie dann ihre Körperhygiene immer mehr vernachlässigt und stark ausgeprägte Gefühle der Lust- und Freudlosigkeit verspürt. Auf Fremdmotivation der Familie hin habe sie 2019 eine kurze psychotherapeutische Betreuung wahrgenommen, dabei sei es ihr nicht möglich gewesen, eine therapeutische Beziehung aufzubauen. Familienanamnestisch würde eine ihrer Schwestern ebenso an Depressionen leiden.
Im Herbst 2020 nahm die Patientin erstmalig fachärztlich-psychiatrische Betreuung in Anspruch, welche bis zur Aufnahme in die Tagesklinik bestand und danach wieder aufgenommen wurde. In sozialer Hinsicht zeigte sich im Längsschnitt ein zunehmender Misserfolg der universitären Leistungen. Der Patientin war es im Rahmen der schweren depressiven Symptomatik und damit einhergehenden nihilistisch-wahnhaften Ideen, an allem zu scheitern und nichts mehr wert zu sein, nicht möglich, die bereits fertig geschriebene Bachelorarbeit zur Korrektur an ihren Professor zu schicken. Zuletzt scheiterte sie zweimal an einer größeren Prüfung, welche zum Abschluss des Studiums notwendig ist, sodass sie letztendlich gar nicht mehr an die Universität ging. Aufgrund von Angst und der schweren Antriebshemmung konnte sie Bewerbungsschreiben für Praktikumsstellen nicht versenden, sodass zuletzt eine vollständige monetäre Abhängigkeit zur Ursprungsfamilie vorlag. Das Einhalten einer Tagesstruktur war ebenso wenig möglich wie das Pflegen von sozialen Kontakten.
Aufgrund der Schwere der depressiven Symptomatik wurde der Patientin eine stationäre Aufnahme dringend angeraten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ihre Wohnung und die dort etablierte Routine ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle befriedigten und daher als Ressource anzusehen war, wurde der Patientin eine akut-tagesklinische Aufnahme angeboten. Diese erfüllt den Zweck, eine vollstationäre Aufnahme zu ersetzen. Hierfür konnte die Patientin motiviert werden. Zu Beginn der tagesklinischen Behandlung nahm die Patientin, an ihre gegenwärtigen Bedürfnisse und Kompetenzen angepasst, nur vereinzelt an Gruppentherapien teil und der Fokus wurde auf Einzeltherapien mit dem Ziel der Ressourcenaktivierung und Stabilisierung gelegt. Parallel dazu erfolgte die medikamentöse Optimierung im Sinne der Add-on-Esketamin-Behandlung. Das Therapieangebot wurde zunehmend erweitert und die Patientin erlebte korrektive Beziehungserfahrungen im Rahmen des Gruppensettings. Dadurch wurden ihre sozialen Kompetenzen gefördert und es fand eine regelmäßige Exposition mit für sie angstauslösenden Situationen wie dem Sprechen vor mehreren Menschen statt.
Die Patientin erreichte ein ausgezeichnetes psychosoziales Funktionsniveau, was unter anderem durch den positiven Verlauf eines Bewerbungsgespräches und die Zusage für eine Praktikumsstelle untermauert werden konnte. In biologischer Hinsicht wurde die notwendige 14-tägige Erhaltungstherapie mit Esketamin nasal bei der niedergelassenen Psychiaterin organisiert und bewilligt.
Setting
Das Konzept der akuten Tagesklinik ist bereits in vielen Ländern gängige Praxis, allen voran im angloamerikanischen Sprachraum, aber auch in Deutschland und der Schweiz. Hierbei werden Patient:innen in einer akuten Krise zeitnah tagesklinisch aufgenommen, welche ansonsten eines stationären Aufenthalts bedürfen. Ausschlusskriterien sind akute Suizidalität sowie Fremdgefährdung.
Dabei liegt der Fokus auf der medikamentösen Einstellung und Stabilisierung durch Integration in das multidisziplinäre Therapieprogramm. Die Therapien werden an die gegenwärtigen Möglichkeiten der Patient:innen entsprechend ihrer Psychopathologie angepasst. Dadurch kann entweder die Dauer der Betreuung pro Tag variieren, das Setting der Therapieangebote mit zunächst Fokus auf Einzeltherapien angepasst sein und auch die Anzahl der Einheiten pro Tag richten sich nach dem gegenwärtigen Funktionsniveau. Die Variabilität der Therapien unterscheidet sich also ebenfalls vom klassischen tagesklinischen Konzept der Patient:innen-Betreuung.
Akut-Tagesklinik ersetzt den vollstationären Aufenthalt
Studien haben gezeigt, dass die Behandlung in einer akuten Tagesklinik der Effektivität mit jener einer vollstationären Betreuung gleichzusetzen ist. Weiters gibt es Hinweise, dass die soziale Funktion sich verglichen mit der stationären Betreuung verbessert. Die direkten Kosten der Behandlung in einer akuten Tagesklinik sind geringer als jene der vollstationären Therapie. Zu erwähnen ist, dass die Therapiemotivation der Patient:innen ein wichtiger prognostischer Faktor im Ansprechen auf die Behandlung ist.
Zusammenfassend zeigt unser Fallbeispiel, wie ein schweres depressives Zustandsbild in einem teilstationären Behandlungskonzept zur Remission gebracht werden konnte. Zudem untermauert es die Möglichkeit, auch akut kranke Patient:innen in einer psychiatrischen Tagesklinik suffizient therapieren zu können, was einen vollstationären Aufenthalt verhindern kann.
Fazit für die Praxis
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Bei fehlendem Ansprechen auf zumindest zwei verschiedene Antidepressiva, in ausreichender Dauer und Dosis verabreicht, soll die Diagnose einer therapieresistenten Depression (TRD) gestellt werden
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Die Add-on-Therapie mit Esketamin ist eine leitliniengerechte Behandlung der TRD
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Akut kranke Patient:innen ohne Suizidalität oder Fremdgefährdung können im Setting einer akuten Tagesklinik genauso effektiv behandelt werden wie im Rahmen einer vollstationären Betreuung
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Wirksame Depressionsbehandlung kann durch einen multidisziplinären Ansatz mit Fokus auf Ressourcenaktivierung, Psychoedukation und Erlernen von Bewältigungsstrategien erreicht werden
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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