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Ärzte Woche

27.06.2023

„Die Leute würden sich wundern, wie lustig Krimiautorinnen sind“

verfasst von: Raoul Mazhar

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Nur wenige wissen, dass die heimische Erfolgsautorin Ursula Poznanski ihre ersten Texte als Medizinjournalistin für Fachmagazine verfasste. Ein Buch, an dem sie fünf Jahre schrieb und das bis heute unveröffentlicht ist, brachte letztlich den Einstieg in ein neues Leben. Chefredakteur Raoul Mazhar interviewte die ehemalige Kollegin.

Ärzte Woche: Vor welcher Frage fürchtet man sich als Autorin bei einem Interview?

Ursula Poznanski: Das wäre wohl: ‚Woher nehmen Sie Ihre Ideen?‘ Obwohl ich mich nicht wirklich fürchte, es ist eher so, dass mir diese Frage Dutzende Male gestellt wurde. Bei jeder Lesung und jedem Interview. Ich verstehe jedoch, dass dieser Punkt die Menschen interessiert, selbst mich als Leserin anderer Autorinnen und Autoren. Diese scheinbar banale Frage kann aber nur unzureichend beantwortet werden, da der Inspirationsprozess bei jedem Buch unterschiedlich verläuft. Oft weiß ich gar nicht, woher der Einfall kommt; in der Regel ist er einfach nur da.

Ärzte Woche: Drehen wir es um: Welche Frage würdest du deinen Lieblingsautorinnen stellen?

Poznanski: Eine meiner Favoritinnen ist Hilary Mantel, die vor einem Jahr verstorben ist. In ihrer Wölfe-Trilogie beschreibt sie den Aufstieg Thomas Cromwells am Hofe Heinrichs VIII. Mich faszinieren die Romane, weil es ihr gelingt, sich in die Gedankenwelt von Menschen einzufühlen, die in einer völlig anderen Zeit aufgewachsen sind. Sie kleidet nicht nur modernes Denken in historische Gewänder, sondern verwebt Fiktion und Geschichte auf spektakuläre Weise. Die Fähigkeit, ihre Leserschaft ins 16. Jahrhundert zu transportieren, ist einzigartig. Ich hätte Hilary Mantel gerne gefragt, wie sie das geschafft hat.

Ärzte Woche: Du schreibst sowohl Jugendbücher als auch Krimis. Was inspiriert dich zu diesen unterschiedlichen Genres? Gibt es einen Rhythmus?

Poznanski: Ich finde die Genres gar nicht so unterschiedlich, da beide von Spannung geprägt sind. Ich schreibe keine kitschigen Liebesromane für Junge und Krimis für Volljährige, sondern bewege mich in beiden Gattungen im Bereich der Spannungsliteratur. Das Zielpublikum mag zwar andersartig sein, aber es gibt durchaus große Überschneidungen. Viele Erwachsene mögen es nicht zu blutig und greifen daher gerne zu Jugendbüchern, andererseits gibt es Jugendliche, die anspruchsvolle Literatur lesen. Beim Schreiben empfinde ich da wenig Gegensatz. Aber ja, die Erzählstimme muss angepasst werden und in Jugendbüchern kann ich keine Ausdrücke verwenden, die für junge Menschen unverständlich sind. Etwa so etwas Banales, dass einer „wie eine hängen gebliebene Schallplatte redet“.

Was den Rhythmus betrifft, schreibe ich normalerweise zuerst ein Jugendbuch, danach einen Krimi. Das Schema habe ich erst kürzlich ausnahmsweise unterbrochen und zwei aufeinanderfolgende Krimis für Erwachsene geschrieben. Böses Licht wurde unlängst veröffentlicht und im August kommt das nächste Jugendbuch. Der Grund ist trivial, nämlich Verträge, die bis zu vier Jahre im Voraus abgeschlossen wurden. Die Verlage achten sehr darauf, dass nicht zwei Bücher desselben Autors gleichzeitig erscheinen, die in Konkurrenz miteinander stehen.

Ärzte Woche: Wie gehst du mit diesem Druck um? Wie verträgt sich dieser mit dem kreativen Teil des Jobs?

Poznanski: Als mir das Geschäft noch unbekannt war, dachte ich: ‚Wow, die geben mir einen Vertrag, obwohl die keine Ahnung haben, was ich in den nächsten Monaten verzapfen werde. Nicht einmal ich weiß das.‘ Dennoch steht der Abgabetermin bereits fest. Es dauert eine Weile, sich daran zu gewöhnen. Aber es gibt mir als Person die finanzielle Sicherheit, die ich brauche, um angstfrei zu arbeiten. Heute weiß ich, dass sich das Autorensein nicht nur um Kunst und Inspiration dreht; es ist vor allem ein knallharter Job.

Ärzte Woche: Umso übler, wenn Autorinnen eine Schreibblockade befällt?

Poznanski: Ich kenne das glücklicherweise nicht. Ich bin nicht der Typus gequälter Künstler. Kreativität ist für Schriftsteller zwar wichtig, aber ich habe gelernt, Durststrecken mit dem einen oder anderen Trick zu überwinden. Was das Schreiben betrifft, bin ich innerlich ziemlich gefestigt und kann mir kaum vorstellen, dass mich eine Sinnkrise ohne äußeren Auslöser überwältigt.

Ärzte Woche: Du stecktest mitten in einer Karriere als Medizinjournalistin, als du dich entschieden hast, ein Buch zu schreiben. Du hast einen Traum verwirklicht, den viele Zeitungsschreiber haben.

Poznanski: Ich wollte ja klein anfangen und fing mit einem Kinderbuch an. Bald merkte ich, dass dies keine leichte Aufgabe ist. Im Gegenteil, man muss hier speziell glaubwürdig sein und sollte bloß nicht belehrend rüberkommen. Ich kann mich erinnern, wie glücklich ich war, als das funktionierte. Der nächste logische Schritt war der Einstieg in Jugendbücher. Ich habe als Journalistin fünf Jahre in einen Fantasyroman investiert, natürlich in meiner Freizeit.

Ärzte Woche: Fünf Jahre?

Poznanski: Ja, und für dieses Skript habe ich einen Agenten gesucht. Das war schwierig, weil die erfolgsorientiert arbeiten und ihre Mandanten sorgfältig auswählen. Einer nahm mich als Klientin. Ich freute mich wahnsinnig, bis ich erfuhr, dass er das Buch, an dem ich fünf Jahre gearbeitet hatte, nicht vermitteln wollte. Der Stoff sei nicht gefragt. Das war hart. Dann erzählte ich ihm von meinen anderen Ideen, darunter die für Erebos . Darauf sprang er sofort auf und wir beschlossen, daran zu arbeiten. Mit Erebos kam der Erfolg.

Ärzte Woche: Was ist aus dem Fantasyroman geworden, an dem du fünf Jahre gearbeitet hast?

Poznanski: Das Manuskript liegt weiterhin auf der Festplatte. Mein Agent hat mich damals überzeugt, dass wir es später angehen, aber dazu ist es nie gekommen. Nach Erebos hätte ein Wechsel zu diesem Buch einen harten Bruch dargestellt, und wir wollten keinen Genrewechsel riskieren.

Ärzte Woche: Hat dich die Karriere als Medizinjournalistin geprägt?

Poznanski: Auf jeden Fall! Ich weiß beispielsweise, wie man Obduktionsberichte interpretiert, selbst wenn ich nie bei einer dabei war. Wer meine Werke kennt, weiß, dass Ärztinnen und Ärzte sowie medizinische Themen regelmäßig auftauchen. Nehmen wir etwa Thalamus , in dem es um Nanobots geht. Die Medizin hat mich nie losgelassen.

Ärzte Woche: Wie wichtig ist dir die Vermittlung von Werten? Oder steht die Unterhaltung des Publikums an vorderer Stelle?

Poznanski: Als ich noch Jugendbücher las, waren viele von ihnen voller moralischer Lehren. Ich selbst versuche bewusst, keine expliziten Botschaften zu vermitteln. Ich stelle mich nicht hin und behaupte, alles besser zu wissen. Dennoch denke ich, dass es schwer ist, seine Haltung zu verbergen. Man muss meine Texte nicht genau lesen, um zu erkennen, wie ich zu den Dingen stehe. Nehmen wir Erebos als Beispiel, zu dem viele gesagt haben, es sei ein Statement gegen das Spielen von Computerspielen. ( Anm.: Das Buch thematisiert u. a. die Sucht und den Kontrollverlust im Zusammenhang mit PC-Games. ) Das stimmt nicht. Ich wollte insbesondere zeigen, wie Manipulation funktioniert, nicht, dass Spielkonsolen per se böse sind.

Ärzte Woche: Wenn wir über Moral sprechen: Was hältst du von der Diskussion, ältere Jugendbücher neu zu bewerten und teilweise umzuschreiben? Zum Beispiel Pippi Langstrumpf.

Poznanski: Im Grunde genommen wird Astrid Lindgrens Werk nicht wirklich neu bewertet. Ich kann es nur befürworten, wenn bestimmte Worte, die heute als problematisch gelten, ausgetauscht werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Autorin entwertet wird. Ich hätte kein Problem damit, wenn man nach meinem Tod diverse Formulierungen in meinen Büchern auswechselt, falls man sie neu einordnet und das Gefühl hat, ich hätte sie nicht böswillig platziert.

Ärzte Woche: Eine deiner Lieblingsermittlerinnen ist Fina Plank, die sich deutlich von den Beauty-Queens aus Hollywood unterscheidet. Sie ist rundlich, jung und wirkt mitunter unsicher.

Poznanski: Ich mag es, über nahbare Menschen zu schreiben. Typen, mit denen ich mir vorstellen kann, ungezwungen in einem Kaffeehaus zu plaudern. Im Film sind alle makellos, durchtrainiert, charismatisch und clever, was fern jeglicher Realität liegt. Zumindest in meinen Büchern kann ich das zurechtrücken und folge bewusst keinen Klischees.

Ärzte Woche: Apropos Klischees. Die gibt es auch über das Leben von Schriftstellerinnen. Wie sieht dein Alltag aus? Wo und wann schreibst du? Welche Atmosphäre brauchst du?

Poznanski: Mein Job ist in vielen Hinsichten anders. Nehmen wir exemplarisch die freie Zeiteinteilung, die sowohl Fluch als auch Segen ist. Man arbeitet alleine und muss sich ständig selbst motivieren. Natürlich könnte ich bis zehn Uhr schlafen, ausgiebig frühstücken und sogar ein Mittagsschläfchen machen, aber so würde kein Buch fertig werden. Ich habe Disziplin und eine Routine entwickelt, um meine Verträge einzuhalten. Ich schreibe jeden Tag zwischen 1.000 und 1.300 Wörter und versuche, mein Tagesziel möglichst am Nachmittag zu erreichen. Was den Ort betrifft, so bin ich anspruchslos und kann überall schreiben, sogar im Zug. Als Autorin legt man mehr Kilometer zurück, als die meisten denken, vor allem bei Lesereisen. Ansonsten arbeite ich zuhause gerne bevorzugt auf dem Sofa. So gesehen bin ich eine Couch-Literatin.

Ärzte Woche: Wie gehst du beim Schreiben vor? Planst du deine Bücher im Voraus oder lässt du dich treiben, überraschst dich somit selbst?

Poznanski: Ich kenne jederzeit das Ende meiner Geschichte. Ich weiß, wie ich anfange und wie meine Helden zu guter Letzt aus der Klemme kommen. Dazwischen lasse ich mir aber genug Freiheiten, damit die Kreativität fließen kann. Manchmal ergibt sich aus einem beiläufigen Satz in einem Dialog eine frische Idee, die ich noch einbaue, aber diese darf niemals die endgültige Auflösung meiner Geschichte infrage stellen. Auch die Figuren kenne ich zu Beginn aus dem Effeff, mit ihnen unterhalte ich mich vorab, zumindest mit den Hauptdarstellern. Aber es kann passieren, dass sich plötzlich Leute in die Story einschleichen, weil sie sich zu charismatisch entpuppen, um sie nach einer Szene fallen zu lassen.

Ärzte Woche: Eine Art Qualitätssicherung bei Psychotherapeuten ist, dass sie in Supervision gehen, also ihre Arbeit von Kollegen überprüfen und sich darüber hinaus beraten lassen. Machen das Schriftstellerinnen ebenfalls?

Poznanski: Auf ähnliche Art gibt es das wirklich. Ich würde es allerdings nicht Supervision nennen, aber ich habe eine Runde von Krimiautoren, mit denen ich mich in diversen Wiener Bars treffe. Die Leute würden sich wundern, wie lustig Krimiautorinnen sind, während sie miteinander über ihre Herausforderungen sprechen. Dabei wird ebenso über die Attitüden von fiktiven Schurken diskutiert wie über echte Probleme in der Verlagslandschaft. Gerade in der heimischen Krimi-Ecke ist das Gemeinschaftsgefühl ausgeprägt. Es gibt keinen Neid oder das Gefühl, wir wären Konkurrenten. Im Gegenteil, wir inspirieren uns, verweisen auf die Bücher der anderen und geben uns gegenseitig Tipps. Es ist ja nicht so, dass man entweder das eine oder das andere Buch kauft, gute Literatur erweitert die Leserschaft.

Ärzte Woche: Du hast eine große Fangemeinde im gesamten deutschsprachigen Raum, die sich fragt, warum noch keines deiner Bücher verfilmt wurde. Worauf warten die Produzenten?

Poznanski: Wahrscheinlich – wie die meisten von uns – auf Geld. Bei solchen Dingen muss man geduldig sein, es dauert seine Zeit. Es sind einige Gespräche auf unterschiedlichen Stufen der Wahrscheinlichkeit zugange, aber letztendlich kann ich mich hauptsächlich konzentrieren, gute Bücher zu schreiben. Ob irgendwann ein Produzent anbeißt, darauf habe ich keinen Einfluss. Warum soll ich mir über Dinge, die ich nicht in der Hand habe, Gedanken machen? Meine Agentur kümmert sich um diese Sachen. Soweit ich weiß, sind die Filmrechte für meine Bücher größtenteils vergeben, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Projekte umgesetzt werden. Es spielt Glück und Zufall mit. Man darf gespannt sein!

Ärzte Woche: Wie viel Einfluss haben die Verlage auf ein Buchprojekt? Sagen sie beispielsweise „Derzeit sind schlechte Enden gefragt“ oder fordern einen Bösewicht mit einem Spielproblem?

Poznanski: Nein, zum Glück überhaupt nicht. Das wäre wie Malen nach Zahlen und würde den kreativen Prozess erdrücken. Die Lektoren haben eher Fragen als Anweisungen. Sie sagen nicht „Streich das bitte“, sondern erkundigen sich: ‚Warum nimmt der hier den Bus und nicht die Bahn?‘ oder ‚Warum spricht die Kommissarin so spät mit dem Zeugen?‘ Sie stellen diese Fragen geschickt, und man hinterfragt diese Passagen dann selbst. Wenn man keine schlüssige Antwort geben kann, überarbeitet man sie.

Ärzte Woche: Wie wichtig ist dir das Feedback von Publikum und Presse? In der Öffentlichkeit wird der Ton immer rauer. Wie gehst du damit um?

Poznanski: Stimmt, das ist in den vergangenen Jahren teilweise richtig bösartig geworden. Aber als Autorin muss man das einkalkulieren und lernen, damit umzugehen. Das ist wie in jedem anderen Job, der etwas mit Öffentlichkeit zu tun hat. Ich suche daher nicht aktiv nach Rezensionen, das habe ich mir schnell abgewöhnt. Wenn ich auf Kritik stoße, lese ich sie und gehe offen damit um. So bekomme ich einen Überblick darüber, wie die Bücher ankommen. Aber vieles ist Geschmackssache.

Ärzte Woche: Wenn du auf deine Anfänge zurückblickst, wie hast du dich weiterentwickelt?

Poznanski: Insbesondere hoffe ich, man möge meinen persönlichen Sprachstil erkennen. Was ich sicher behaupten kann, ist, dass ich in den vergangenen Jahren beim Schreiben disziplinierter wurde. Das ist etwas, mit dem ich vor allem als Anfängerin zu kämpfen hatte. Ich habe zudem gelernt, gute Stoffe zu erkennen, wenn ich sie sehe, und schnell abzuschätzen, ob sich daraus ein Roman stricken lässt. Zudem habe ich mein Gespür geschärft, das richtige Ende für die Geschichten zu finden.

Ärzte Woche: Du hast bisher eine wunderbare Karriere als Romanautorin hingelegt. Denkst du an neue Herausforderungen? Wie wäre es mit einem Drehbuch oder einem Bühnenstück aus deiner Feder?

Poznanski: Ich könnte mir gut ein Bühnenwerk vorstellen, das ist mit dem Roman verwandt. Über ein Drehbuch traue ich mich nicht drüber, obwohl ich meine Karriere mit einem Filmskript starten wollte. Das beruhte auf einem Irrtum meinerseits, da ich Dialoge liebe und es mir leicht fällt, sie zu schreiben. Allerdings ist ein Drehbuch weniger dialoglastig, als ich dachte. Im Gegenteil, es ist eine besondere Kunst, die Handlung nonverbal voranzutreiben, vor allem ohne innere Monologe. Es ist also ein anderes Medium, das ich komplett neu erlernen müsste, und das steht derzeit nicht auf meinem Plan. Hingegen könnte ich mir durchaus vorstellen, als Co-Autorin mitzuwirken.


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Titel
„Die Leute würden sich wundern, wie lustig Krimiautorinnen sind“
Publikationsdatum
27.06.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 27/2023

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