14.10.2022 | Der physiologische Moment
Die endotheliale Glycocalix
Erschienen in: Anästhesie Nachrichten | Ausgabe 4/2022
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Lange Zeit wurde das vaskuläre Endothel als passive, physikalische Barriere betrachtet, deren Aufgabe im bidirektionalen Transfer von Flüssigkeiten, Elektrolyten und organischen Molekülen aus dem Gefäßsystem in das interstitielle Gewebe bestand. Der Flüssigkeitstransfer über die endotheliale Barriere wurde von Starling durch den hydraulischen Druckgradienten, den entgegenwirkenden onkotischen Druckgradienten sowie die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Gefäßwände, die hydraulische Leitfähigkeit, erklärt. In den letzten Jahrzehnten konnte gezeigt werden, dass das vaskuläre Endothel von einer zirka 0,5–0,8 µm dicken „Gelatine“-artigen Molekülschicht, der endothelialen „Glycocalyx“, bedeckt ist, die zahlreiche lebenswichtige physiologische Funktionen steuert [1]. Das Gesamtvolumen der endothelialen Glycocalyx wurde im Menschen mit zirka 1700 ml berechnet [2]. Die endotheliale Glycocalyx reguliert unter anderem die Gefäßpermeabilität, die intravaskuläre Aktivität des Gerinnungssystems sowie die Interaktion zwischen Immunzellen, Thrombozyten und den vaskulären Endothelzellen [3, 4]. Durch Verankerungen von Proteoglycanen innerhalb der endothelialen Zellmembran und die Interaktion mit anderen wichtigen Molekülen funktioniert die Glycocalyx als Mechanosensor, der Scherkräfte durch fließendes Blut misst und durch Induktion oder Hemmung der Expression von Nitroxid-Synthetase die Stickoxidproduktion – und damit den Gefäßtonus – reguliert [5]. …Anzeige