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19.03.2024

„Der Elektrische Traum“: Ein erhellender Rückblick in die Zeit der Elektrifizierung

verfasst von: Von Josef Broukal

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Alexander Bartl komponiert aus Biografien und Dokumenten dichte Literatur. Sein neuestes Buch widmet sich der ersten Energiewende.

Ich stelle mir das vor wie das Spinnen von Zuckerwatte: Kleine Zuckerstückchen werden so lange erhitzt und gedreht, bis aus ihnen ein enges Geflecht von Fäden wird. Bartl ist ein Meister dieser Kunst. Das hat er schon mit seinem Erstling bewiesen: „Walzer in Zeiten der Cholera“, einer Story um die gewaltigen Ereignisse im Wien des Jahres 1873: Die jämmerlich gescheiterte Weltausstellung; der letzte große Ausbruch einer durch übles Wasser verbreiteten Pandemie; die Eröffnung der I.Hochquellwasserleitung, die den Bewohnern der Habsburgermonarchie endlich reines Trinkwasser brachte. Sein neues Buch, „Der Elektrische Traum“, setzt dort fort, wo das erste Buch endet.

Auch wenn, nicht nur im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, gewaltige Leitungsnetze sauberes Wasser in die Städte bringen – es bleibt trotzdem eine gefährliche Zeit: Giftiges Leuchtgas durchströmt die großen Städte, beleuchtet Gassen, Häuser und Theater – tödlich, wenn man es längere Zeit einatmet. Menschen sterben im Schlaf, weil ein Rohr oder ein Ventil undicht geworden ist. Ganze Häuser explodieren. Theater in aller Welt gehen in Flammen auf, weil die Bühnenbeleuchtung den Kulissen zu nahe gekommen ist. Am schrecklichsten ist wohl der Brand des Ringtheaters in Wien, als man der Hofburg meldet: „Alles gerettet“, während aus dem zum Teil zerstörten Haus Hunderte Leichen geschleppt werden. Und selbst dort, wo die bläulich zuckenden Gasflammen ruhig vor sich hin brennen, machen ihre Abgase das Atmen schwer.

Licht ohne Gefahren

Kein Wunder also, dass alle Welt darauf wartet, dass das ein Ende nehmen würde. Wie? Indem man dem elektrischen Strom Licht abtrotzt. Licht ohne die Gefahren des Gaslichts. Licht aus Material, das durch Strom zum Glühen gebracht wird. Bartl erzählt, wie viele gescheiterte Versuche es brauchte, bis endlich eine Glühlampe nicht schon nach wenigen Sekunden, Minuten oder Stunden verglühte. Er stellt uns den Mann vor, der schließlich, brauchbares elektrisches Licht hervorbrachte: Thomas Alva Edison. 1878 begann er mit seinen ersten Experimenten. 1880 hatte er in verkohltem Bambus einigermaßen dauerhaftes Glühmaterial gefunden. Aber nicht nur ihn, den großen Erfinder, bringt uns Bartl näher, auch die Mitarbeiter, die seine Vision in die Tat umsetzten. Nicht alle wurden vom Meister anerkannt. Aus ihren Memoiren schöpft Bartl auch mitleidheischende Trübnis. Das Buch berichtet auch über die erste große Weltausstellung im Jahr 1881 in Paris. Und wie dort aus großen Hoffnungen große Enttäuschung wurden. Und wie dann doch, Jahre später, das elektrische Licht seinen Siegeszug antrat. Das alles breitet AlBartl in einem schwindelerregenden Tanz von immer neuen Details vor uns aus. Die Leser und Leserinnen fragen sich, wo die Fakten aufhören und die Fiktion beginnt. Diese „Ausschmückereien“, dieser selbstverständliche Umgang mit dem, was wirklich war, und dem, was hätte sein können, macht die große Lesbarkeit dieses Buches aus.

Ein Manko bleibt jedoch nicht verborgen: Dem Mann, der im Jahr 1898 Glühdrähte herstellte, die Edisons Bambus übertrafen, widmet Bartl nur ein paar Zeilen: Carl Auer von Welsbach. Der von ihm entwickelte Metallfaden aus Osmium und Wolfram machte die Glühbirnen billiger und haltbarer. Die von Auer von Welsbach gegründete Firma OSRAM gibt es noch heute. Fazit: Eine spannende Lektüre für einen verregneten Nachmittag im Schein einer Glühlampe, pardon LED-Lampe.

Alexander Bartl: Der Elektrische Traum. Fortschrittsjahre oder eine Gesellschaft unter Strom. Harper Collins, 320 S., Hardcover 24,50 Euro ISBN 978-3-36500458-6.

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Metadaten
Titel
„Der Elektrische Traum“: Ein erhellender Rückblick in die Zeit der Elektrifizierung
Publikationsdatum
19.03.2024

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