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Ärzte Woche

19.04.2022

Baumfische und Damen mit Hut

verfasst von: Katharina Weinberger

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Das Künstlerpaar Alexandra Uccusic und Andreas J. Hirsch lebt am Wiener Stadtrand. Die Inspiration, welche die Malerin in der Tierwelt sucht und findet, holt sich der Fotograf von den Menschen, die er porträtiert.

Am taubengrau gestrichenen Gartenzaun prangt die „Natur im Garten“-Plakette. Zwischen den penibel getrimmten Rasenflächen der anderen Häuser auf dem Wiener Wolfersberg sticht der Naturgarten des Künstlerpaars Alexandra Uccusic und Andreas J. Hirsch ins Auge. Totholz, Sandhügel und Steinhaufen bieten einer ansehnlichen Zauneidechsenpopulation einen paradiesischen Lebensraum. Die Malerin und der Fotograf, Autor und Kurator leben seit 15 Jahren am Stadtrand von Wien. Im Dachgeschoss des renovierten und vergrößerten Siedlungshauses befindet sich das Atelier mit Blick auf den Lainzer Tiergarten und die Stadt.

Die beiden teilen sich den Raum. Hirsch arbeitet auf einem großen Schreibtisch, während Uccusic hauptsächlich auf dem Boden kreativ ist. Ihre Malecke ist mit gelben Pölstern bestückt. Tusche, Bunt- und Bleistifte, Fineliner und Marker sind penibel geordnet in Teedosen untergebracht. Bei fast allen ihren Bildern verwendet sie eine aufwändige Schichttechnik, bei der ihre diversen Stifte zum Einsatz kommen. Ob Vögel, Fische, Damen mit Frisuren aus Kringeln, Spiralen oder gestrickten Mustern – das Ornament spielt eine große Rolle in den Arbeiten der ausgebildeten Architektin, die auch bei Michelangelo Pistoletto an der Akademie der bildenden Künste Bildhauerei studiert hat. Aus den Skulpturen wurden Bilder, Zeichnen und Malen rückten ins Zentrum ihrer künstlerischen Tätigkeit. Uccusics Tiere blicken den Betrachter mit großen, neugierigen Augen an und offenbaren einen Einblick in ihren seltsamen, mysteriösen Kosmos. Orange Katzen, tiefblaue Riesenaugen und unfreundliche, gepunktete Fische blicken einem zwischen den geometrisch gemusterten Blättern ihrer Dschungelbilder entgegen. Augenmerk legt die 1969 geborene Wienerin auf die Titel: Poetische Wort-Spielereien ergänzen die geheimnisvollen Bilderwelten perfekt. Kleines Beispiel gefällig? Auffällige Strickmützendame mit viel Rot oder aufmerksame blaue Planeten-Blätterkatze – dem Ideenreichtum der Künstlerin sind keine Grenzen gesetzt.

Zahlreiche Einzelausstellungen folgten, darunter „Glockenreiher“ im Haus Wittgenstein, „Von Steppennixen, Feuergeistern und tönenden Bergen“ im Museum für Völkerkunde oder „Strange Birds“ in der Galleria Cult in Alghero auf Sardinien. Auch das Bundesministerium für Unterricht und Kunst kaufte eine ihrer Arbeiten an.

Uccusics Leidenschaft für Pflanzen und Tiere zeigt sich eben nicht nur in ihrem Garten, sondern auch in ihrem Werk. „Die Natur ist eine indirekte Inspiration für mich, bei mir kommt dann aber immer ein seltsames Element dazu“, erklärt die Künstlerin. Da kann es schon passieren, dass eine Dame einen Vogel am Kopf trägt oder Fische in Bäumen hängen. Surreal muten auch die Zeichnungen in dem von ihr illustrierten Kinderbuch „Florian Federleicht und die Suche nach der Zauberperle“ an: Dort gibt es einen Vulkan, der fliegende blaue Schafe spuckt, Regenbogenberge mit bunten Gesichtern und einen Kastanienfluss, in dem Gnus mit Blätterfell baden. Das Buch ist ein echtes Teamwork des Paares, die beiden Künstler schrieben den Text gemeinsam und brachten es 2015 in Hirschs Verlag, der Edition Kastanienfluss, heraus. Der farbenprächtige Band war ein voller Erfolg, ist aber zurzeit vergriffen.

Konzentrierte Emotionen

Was für Uccusic die Tiere sind, bedeuten Partner Hirsch die Menschen: Starke Emotionen und hohe Konzentration stehen bei den von ihm Porträtierten im Vordergrund. Bei seiner Schwarzweiß-Serie „Love Over Hate – The Art of Peace“ zeigt er künstlerisch tätige Menschen aus verschiedenen Ländern, die einen Gegenstand in der Hand halten, der eine besondere Bedeutung für sie hat. Musiker Rupert Huber hat seine Gitarre und ein Messer in den Händen, der kurdische Maler und Galerist Faek Rasul zeigt seine Wasserwaage, während die ugandische Künstlerin Agnes Achola eine kleine Tonfigur aus ihrer Heimat hält. Sängerin Lil Maxine brachte zum Fotoshooting im Cafe Drechsler einen schweren Spiegel mit. „Diese Serie habe ich kurz nach dem Einsetzen der Flüchtlingskrise 2015 begonnen. Leute wie Trump sind hochgekommen und haben nur Hass und Zwietracht in der Gesellschaft gesät. Dem wollte ich künstlerisch etwas entgegensetzen“, sagt der Fotograf. Das Projekt wurde mehrmals ausgestellt, es ist ein „work in progress“, das weitergeht. Bekannte Persönlichkeiten wie der Tenor Jonas Kaufmann, die Fotografen Elliot Erwitt und Olivero Toscani oder Regisseur Philipp Stölzl fanden sich bereits vor Hirschs Kamera.

Im Fokus des Wiener Fotografen stehen auch Städte. Als Flaneur streift er scheinbar ziellos durch die Straßen. So entstand die Serie „The Nocturnes of Day“: Dafür begab er sich auf die Spuren seines Fotografie-begeisterten Vaters durch den Alsergrund, wo dieser als Junggeselle lebte. Es entstanden eindrucksvolle Stadtansichten in Schwarzweiß. 2019 und 2020 waren zwei seiner Fotos im Finale des Markenwettbewerbs der Presse und der Österreichischen Post. Seine Arbeiten waren unter anderem im Traklhaus an der Festung in Salzburg und bei der Lomography Embassy in Wien zu sehen.

50 Jahre danach

Beim Projekt „Wien, Ringstraße“ war Hirsch mit seiner Mutter Elfi unterwegs. „Wir haben den Spaziergang, den sie im Jahr 1971 mit mir gemacht hat, damit ich alle wichtigen Gebäude sehe, wiederholt. Sie wollte, dass ich mich nicht blamiere, wenn ich ins Gymnasium komme“, sagt Hirsch. Während er seine Mutter vor den Prachtbauten mit seiner Digitalkamera in Farbe ablichtete, machte sie dasselbe mit ihm mit ihrer Sofortbildkamera in Schwarzweiß. Hinter den Protagonisten spielt sich zufälligerweise Spannendes ab: Vor dem MAK liegt hinter der freundlichen Dame mit Hut sogar ein Mann auf dem Boden, der seinen Autoschlüssel sucht.

Hirsch hat Jus studiert, sich aber schon immer für Kunst interessiert. Als Kurator holte er international bekannte Fotografen wie Tina Modotti, Rene Burri und Linda McCartney ans Wiener Kunsthaus. HR Gigers Werk präsentierte er im Linzer Museum Lentos. Eine umfassende Biografie aus der Feder Hirschs über den Oscar-prämierten Schweizer Schöpfer des Alien erschien im Herbst 2021 im Taschen Verlag. Außerdem gibt es von ihm Bücher über Beethoven, Hundertwasser, Picasso, Wien und die Ars Electronica.



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Metadaten
Titel
Baumfische und Damen mit Hut
Publikationsdatum
19.04.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 16/2022

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