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Ärzte Woche

10.06.2023 | Ärztekammer

Eine Tür geht auf

verfasst von: Michael Krassnitzer

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Heuer noch will Bundeskanzler Karl Nehammer 100 zusätzliche Kassenarztstellen schaffen. In den nächsten Jahren soll diese Zahl auf 500 Stellen steigen, bis 2030 schließlich auf 800. Das Geld dafür stehe bereit.

Ziel sei es, Verbesserungen für die Patienten zu erreichen – speziell für jene, die sich einen Wahlarzt nicht leisten könnten oder wollten, erklärte Nehammer. Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) reagierte mit abwartendem Optimismus auf die Ankündigungen des Bundeskanzlers zur Stärkung des niedergelassenen Bereichs. „Wir freuen uns über das Bekenntnis zur Tatsache, dass wir mehr Geld im Gesundheitssystem brauchen“, lautet der Kommentar von Dr. Harald Schlögel, geschäftsführender ÖÄK-Vizepräsident. Allerdings sollte es erst einmal darum gehen, die aktuell 300 offenen Kassenstellen zu besetzen, bevor neue geschaffen werden, ergänzt Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte.

Sollte es im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen ein Commitment für zusätzliche Kassenstellen und eine echte Attraktivierung des Kassenarztberufes geben, so würde endlich das Problem an der Wurzel gepackt: Mit diesen Worten kommentierte Dr. Erik Randall Huber, Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, des Bundeskanzlers Ankündigungen.

Wenige Tage zuvor freilich hatte Huber noch die Frage in den Raum gestellt: „Was bringen Hunderte Stellen mehr, wenn gleichzeitig in Wien allein in der Allgemeinmedizin 48 Kassenstellen offen sind? Was wir brauchen, sind attraktivere Rahmenbedingungen und Anreize, damit die Kolleginnen und Kollegen in das System einsteigen.“

Wir haben bei den Gesundheitssprechern der im Parlament vertretenen Parteien nachgefragt. Die Reaktionen reichen sinngemäß von jetzt oder nie bis schau ma mal.

Signifikante Startförderung für die ersten neuen Stellen

„Das heurige Jahr ist ein window of opportunity. Es laufen die Neuverhandlungen zum Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Kommunen unter Berücksichtigung der Sozialversicherung. Gleichzeitig ist die Notwendigkeit für Veränderungen bei allen Stakeholdern überdeutlich zu spüren. Für viele gesundheitliche Anliegen ist die beste Anlaufstelle die Primärversorgung – dazu zählen die Primärversorgungszentren im gesetzlichen Sinn, ebenso aber auch die allgemeinmedizinischen Einzelordinationen und im fachärztlichen Bereich vor allem die Pädiatrie. Versorgungsengpässe drängen die Patienten in die Wahlarztordinationen und in die Spitalsambulanzen. Somit benötigt ein solidarisches, niederschwelliges Gesundheitssystem eine starke Grundversorgung im sozialversicherungsrechtlichen Sachleistungsbereich.

Dies bedeutet ein Mehr an Kassenvertragsstellen und einen Ausbau der Primärversorgungseinheiten. Eine Ausweitung der Kassenvertragsstellen und vor allem deren Besetzung verlangt aber, dass die hoch versorgungswirksame kassenärztliche Tätigkeit attraktiver sein muss als die selektive, privat honorierte Wahlarztfunktion.

Somit sind die ambitionierten Ziele betreffend Kassenstellen – 100 zusätzlich im heurigen Jahr, 800 bis 2030 – und der Ausbau der Primärversorgungseinheiten von derzeit zirka 40 auf mehr als 120 im Jahr 2025 sinnvoll und notwendig. Primärversorgungszentren werden gesetzlich vereinfacht und mit 100 Millionen Euro aus dem Aufbau- und Resilienzfonds der EU gefördert.

Für die ersten 100 neuen Kassenstellen wiederum soll es als kurzfristiges Incentive heuer eine signifikante Startförderung geben, wobei der Schwerpunkt auf die Kinderheilkunde gelegt wird. Mittelfristig soll die kassenärztliche Tätigkeit durch einen österreichweit einheitlichen, zeitgemäßen und attraktiven Gesamthonorarvertrag aufgewertet werden. Dies bedeutet eine gerechte Bezahlung jener Leistungen, die im niedergelassenen Bereich bestens erbracht werden können und sollen. Ärztliches Gespräch und Einbindung von Patienten mit chronischen Erkrankungen in Disease-Management-Programme sind dafür zwei Beispiele.

Heuer wird es gelingen, im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen die notwendigen qualitativen Weichen zu stellen, diese durch 15 a-Vereinbarung rechtlich zu verankern und sie in den kommenden Jahren auch finanziell umzusetzen.“

Prof. Dr. Josef Smolle, Bereichssprecher für Gesundheit der ÖVP

Wir müssen an mehr als an einer Schraube drehen

„Lange waren wir stolz auf unser Gesundheitssystem. ,Das beste der Welt’ hieß es oft. Zurecht. Mittlerweile muss man aussprechen, was die Allermeisten längst schon spüren und am eigenen Leib erfahren: Unsere Gesundheitsversorgung wird schlechter. An immer mehr Ecken und Enden beginnt es zu krachen. Wartezeiten werden immer länger, außer man zahlt privat. Längst haben wir es mit einer Mehrklassenmedizin zu tun. Viel zu wenige Kassenärzte auf der einen, immer mehr Privatärzte auf der anderen Seite. Ein sich verschärfender Mangel an Pflegerinnen und Pflegern. Die gute Nachricht: Es gibt Lösungen. Die schlechte: Es fehlt der politische Wille der Regierung.

Am 30. Juni verlassen uns die letzten noch übrig gebliebenen Corona-Maßnahmen. Man könnte fast sagen: Die Pandemie geht, die Baustellen im Gesundheitssystem bleiben. Die berühmten Lehren aus der Pandemie – zum Großteil handelt es sich um Erkenntnisse, für die es keine pandemischen Zustände gebraucht hätte – wurden immer noch nicht gezogen. Wenn der Bundeskanzler Österreichs nunmehr die Alarmsignale zu hören beginnt und dabei gleich langjährige Forderungen der Sozialdemokratie und der Gesundheitskassen in Ansätzen übernimmt, ist das zunächst gut so. Die Frage, wieso so viele Verbesserungsideen im Gesundheitssystem bis dato so oft an der ÖVP scheitern, bleibt unbeantwortet. So verhält es sich auch mit dem dringend nötigen Ausbau der kassenärztlichen Infrastruktur. Gut, dass der Bundeskanzler nach jahrelanger Blockade seiner Partei nunmehr erkennt, dass mehr Kassenstellen dazu führen, dass man endlich wieder mehr Zeit für die Patienten aufbringen kann.

Man darf gespannt sein, ob sich diese Weisheit auch bis zu seinem Finanzminister durchgesprochen hat. An dem wird es nämlich liegen, dafür auch die nötigen Mittel freizugeben. Nehammers 800 zusätzliche Kassenstellen kosten im Endausbau jährlich nämlich rund 320 Millionen Euro. Die Pandemie hat uns auch gezeigt, wie sehr wir auf ein starkes öffentliches Gesundheitssystem angewiesen sind. Dafür braucht es neben einem Gesundheitsschwerpunkt im Finanzausgleich auch mutige Reformen und moderne Rahmenbedingungen für alle Gesundheitsberufe. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie wir uns die Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems vorstellen. Wer unser Gesundheitssystem wieder zum weltbesten machen will, wird an mehr als einer einzigen Schraube drehen müssen.“

Philip Kucher, Gesundheitssprecher der SPÖ

Im niedergelassenen Bereich über 100 Stellen unbesetzt


„Unser öffentliches Gesundheitssystem erodiert seit vielen Jahren, die Corona-Pandemie und das Missmanagement in dieser Zeit haben diesen Prozess nur beschleunigt. Hohe persönliche Belastung, ungeplante Zusatzdienste, nicht erhaltene Prämien und nicht ausgezahlte Überstunden, dazu überzogene Hygieneauflagen und Impfzwang haben viele Beschäftigte aus den öffentlichen Spitälern vertrieben. Inzwischen ist vor allem der Personalmangel so groß, dass ganze Abteilungen geschlossen werden müssen und die Wartelisten auf Operationen oder Untersuchungstermine teilweise absurd lange werden. Auch im niedergelassenen Bereich sind österreichweit mehr als 100 Kassenstellen unbesetzt, während die Zahl der Wahlärzte und deren Versorgungsanteil im Gesundheitssystem steigt. Als Hauptgründe werden hier häufig ,mehr Zeit für die Patienten’, ,freie Einteilung der Arbeitszeit’, ,weniger Bürokratie’ und ,keine Vorgaben oder Einschränkungen durch die Krankenkassen bei der ärztlichen Tätigkeit’ angeführt. Eine klare Absage an die Drei-Minuten-Medizin. Die jüngsten Forderungen von Kanzler und Gesundheitsminister nach 100, 500 oder gar 800 zusätzlichen Stellen für Kassenärzte wirken da wie blanker Hohn. Abgesehen davon, dass die konkrete Anzahl der Kassenstellen auf Länder- und Sozialversicherungsebene im Regionalen Strukturplan Gesundheit und nicht durch die Bundesregierung festzulegen ist: Was soll denn eine Erhöhung der Planstellen bewirken, wenn schon für die bisherigen Stellen keine Nachfolger gefunden werden?

Die FPÖ hat mit dem 6-Punkte-Plan, den ich am 26. April 2023 vorgestellt habe, ein ganz klares Konzept zur Bekämpfung des Personalmangels im öffentlichen Gesundheitsbereich präsentiert. Dieses wird von der Ärztekammer voll unterstützt.

- Evaluierung des Personalbedarfs auf allen Ebenen des Gesundheitswesens

- Finanzielle Fairness gegenüber allen Mitarbeitern im Gesundheitswesen

- Entbürokratisierung und Kompetenzerweiterung in den Berufsbildern des Gesundheitswesens

- Weiterbeschäftigung älterer Ärzte und Erweiterung der Ausbildung

- Bundesweit einheitliches Stipendiensystem bei der beruflichen Ausbildung

- Einbindung der Wahlärzte in das Kassensystem und Aufhebung des Doppelbeschäftigungsverbots.

Es wird sich zeigen, welche Parteien diese konkreten Forderungen unterstützen und welche nicht!“

Mag. Gerhard Kaniak, Bundesgesundheitssprecher der FPÖ

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Metadaten
Titel
Eine Tür geht auf
Schlagwort
Ärztekammer
Publikationsdatum
10.06.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 24/2023

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