Skip to main content
Ärzte Woche

21.02.2023 | Ärztekammer

Babyboomer forever

verfasst von: Michael Krassnitzer

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Selbst der rührigste Landarzt wird einmal des Ordinierens müde. Möchte man meinen. Doch diese Berufsgruppe ist anders. Viele wollen auch mit 70 den Kittel nicht an den Nagel hängen. Dürfen sie das?

Die Altersgrenze für Kassenplanstellen abschaffen, um den Ärztemangel zu dämpfen: Mit diesem Vorschlag löste Ingrid Korosec, Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes, eine Kontroverse unter Ärztevertretern aus. Die Österreichische Ärztekammer plädiert nämlich ebenfalls dafür, dass Kassenärzte über die derzeitige gesetzliche Altersgrenze von 70 Jahren hinaus arbeiten können sollen. „Es gibt eine Versorgungsproblematik. Wir überlegen, die Altersgrenze aufzuheben. Und zwar rasch“, sagt der Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte, Dr. Edgar Wutscher: „Warum sollen sie mit 70 aufhören, wenn sie weitermachen können und wollen?“

Die Wiener Ärztekammer hingegen spricht sich für die Beibehaltung der aktuellen Regelung aus. „Ich halte die derzeitige Gesetzeslage für vernünftig“, sagt Dr. Erik Randall Huber, Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte in der Bundeshauptstadt. „Ältere Kollegen sollten ihre Pension genießen. Umgekehrt ist es wichtig, dass wir den jungen Ärzten eine Chance geben, eine Kassenstelle zu erhalten.“ In Mangelfächern oder bei schwierigen Nachbesetzungen auf dem Land gebe es die Möglichkeit, über das Alter von 70 Jahren hinaus zu arbeiten. Huber: „Wir haben eine gute Regelung mit der ÖGK. Dabei sollte es bleiben.“ Auch in der Sozialversicherung stößt die Idee auf Ablehnung. Der Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Bernhard Wurzer verweist darauf, dass es bereits jetzt die Möglichkeit für Vertragsärzte gebe, über das Alter von 70 Jahren hinaus zu arbeiten: „Aber das ist aus unserer Sicht eine Akutmaßnahme: Wir wollen langfristige Lösungen, um junge Mediziner für die Niederlassung zu gewinnen.“ Der Vorsitzende in der Konferenz der Sozialversicherungsträger Peter Lehner argumentiert ähnlich.

Diskriminierende Altersgrenze abschaffen

„Warum muss ein 70-jähriger Kassenarzt in Pension gehen? Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: Es gibt keinen vernünftigen Grund! Mich erreichen fast täglich Beschwerden über Altersdiskriminierung in verschiedensten Bereichen. Jede Benachteiligung oder Ausgrenzung älterer Menschen darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Diskriminierung ist für mich inakzeptabel. Im letzten Jahr habe ich mich gegen die Diskriminierung älterer Menschen bei Bankkrediten eingesetzt. Kreditwürdigkeit muss von Sicherheiten abhängen und nicht vom Alter! Diese Diskriminierung wurde jetzt mit einer Gesetzesänderung abgeschafft, die im April 2023 in Kraft tritt. Jetzt setze ich mich dafür ein, dass die diskriminierende Altersgrenze von 70 Jahren für Kassenärzte abgeschafft wird. Diese Altersgrenze wurde 2009 per Gesetz eingezogen und zwingt engagierte Kassenärzte, ihre Stelle aufzugeben, auch wenn sie weiter tätig sein wollen. Warum wurde diese Altersgrenze eingezogen? Es war eine Art Anlassgesetzgebung, weil es vor nun fast 15 Jahren einen Überschuss an Jungärzten gab und man diesen Kassenstellen geben wollte. Das mag arbeitsmarktpolitisch sinnvoll gewesen sein und ich unterstütze jede Aktion, die jungen Menschen hilft, sich beruflich verwirklichen zu können – aber diskriminierend war und ist diese Gesetzesänderung trotzdem. Heute kommt hinzu, dass wir einen (Jung-)Ärztemangel haben und in Österreich aktuell 300 Kassenstellen unbesetzt sind. Es wäre daher auch aus gesundheitspolitischer Sicht sinnvoll, diese Altersgrenze wieder aufzuheben. Nicht nur im Ausnahmefall, sondern als Regelfall. Denn ein engagierter erfahrener Arzt hat Wertschätzung verdient und sollte nicht zum Bittsteller degradiert werden. Den Vorwurf, man nähme jungen Ärzten die Chance auf einen Kassenplatz, lasse ich nicht gelten, denn es gibt sie nicht. Und sollten die Initiativen der Bundesregierung, junge Ärzte für den ländlichen Raum oder als Kassenärzte zu gewinnen, greifen, kann Altersdiskriminierung keine Lösung sein. In den vergangenen zehn Jahren hat die Bevölkerung um mehr als 600.000 Personen zugenommen, während die Kassenstellen um 370 abgenommen haben! Die Lösung wäre eine Erhöhung der Kassenstellen und der Ausbau der Primärversorgungseinrichtungen, die bis 2023 bei 76 liegen sollte. Derzeit sind es nur 39.“

Ingrid Korosec, Präsidentin Österreichischer Seniorenbund; älteste Abgeordnete im Wiener Landtag und Gemeinderat, ÖVP

Forderung soll von politischer Untätigkeit ablenken


„Kollegen und Kolleginnen, die knapp vor der Pensionierung stehen, zurück ans Ruder zu rufen, ist eine liebe Idee – macht aber das zugrunde liegende Problem nicht kleiner: nämlich den Ärztemangel im Kassenbereich. Dass Kollegen auch über die geltende Altersgrenze von 70 Jahren hinaus eine Kassenplanstelle führen, ist ja auch jetzt schon möglich. Wenn eine Kassenplanstelle nicht besetzt werden kann, besteht die Möglichkeit einer entsprechenden Sondervereinbarung, die so lange gilt, bis sich ein Bewerber für diese Stelle findet. Aber grundsätzlich die Möglichkeit einer Verlängerung des Kassenvertrages zu schaffen, sehe ich sehr kritisch. Denn damit nimmt man den jungen Kollegen die Chance, in einen Kassenvertrag einzusteigen. Es ist ohnehin schon schwer genug, die Jungen zu motivieren, sich im Kassenbereich niederzulassen. Außerdem besteht nicht in allen Fachgruppen ein Ärztemangel. In der Orthopädie zum Beispiel ist es kein Problem, eine Kassenplanstelle nachzubesetzen.

Forderungen wie die Anhebung der Altersgrenze sollen von der Untätigkeit der politisch Verantwortlichen ablenken. Vielmehr bräuchten wir einen umfassenden Plan, um den Kassenbereich wieder für den medizinischen Nachwuchs attraktiv zu machen und um Wahlärzte zurück in den Kassenbereich zu bringen. Dieser Plan müsste als erstes eine gesündere Work-Life-Balance für Ärzte beinhalten. Ich weiß, dass die Politiker das nicht mehr hören wollen: Aber die jungen Leute haben heutzutage einfach ein anderes Verständnis der Arbeitswelt. Sie wollen weniger Zeit in ihrem Arbeitsfeld verbringen als vorhergehende Generationen. Das ist nicht nur in der Ärzteschaft so, sondern auch in der Pflege und vielen anderen Berufen. Außerdem muss mehr Geld ins Gesundheitssystem fließen. Die gute Medizin, die wir heute in Österreich bieten, verlangt nun einmal größere finanzielle Mittel.

Schlussendlich ist es auch eine Wunschvorstellung, dass sich massenhaft Kollegen um eine Verlängerung ihres Kassenvertrages über das gesetzliche Pensionsalter hinaus bemühen würden. Die meisten wollen nach einem anstrengenden Berufsleben ihren wohlverdienten Ruhestand genießen. Im Gegenteil: Wir sollten über Altersteilzeitmodelle für Kollegen ab 50 oder 55 nachdenken. Auch das wäre Teil eines umfassenden Plans, um das Berufsbild des Kassenarztes zu attraktivieren und die ärztliche Versorgung in Österreich langfristig abzusichern.“

Dr. Martina Hasenhündl, Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für Niederösterreich

Dennoch rasche Aufhebung der Altersgrenze gefordert

„Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es großes Interesse unter den Kolleginnen und Kollegen gibt, auch über die Altersgrenze von 70 Jahren hinaus kassenärztlich tätig zu sein. Warum sollte man dies ablehnen, wenn sich jemand freiwillig bereit erklärt, noch weiterzuarbeiten und mitzuhelfen, die Versorgung in seinem unmittelbaren Umfeld abzusichern, und zwar gerade in Gebieten in welchen kein Nachfolger bzw. Bewerber zu finden ist? Ich bin daher für eine rasche Aufhebung der Altersgrenze, wobei für mich die Freiwilligkeit im Vordergrund steht. Selbstverständlich wollen wir niemanden davon abhalten, seinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen. Mir geht es nur darum, die Möglichkeit zu schaffen, damit man weiterarbeiten kann. Eine Aufhebung der Altersbeschränkung brächte darüber hinaus Vorteile für alle Beteiligten: Wir verlieren mit jeder Pensionierung einen riesigen Erfahrungsschatz. Wenn dieser noch länger den Patienten sowie – in Form einer Gruppenpraxis – den jungen Ärzten zur Verfügung stünde, könnten wir alle davon profitieren. Diese Erfahrungen beschränken sich aber nicht nur auf den medizinischen Bereich, sondern umfassen zum Beispiel auch das Know-how rund um das wirtschaftliche Führen einer Ordination. Auch hier sind junge Ärzte oft dankbar für Hilfestellung.

Festzuhalten ist aber, dass das Arbeiten über 70 hinaus keine nachhaltige Lösung der aktuellen Probleme ist. In Einzelfällen und angesichts der angespannten Situation im Kassenbereich mit österreichweit 300 offenen Stellen und zunehmenden Nachbesetzungsproblemen ist das sicher sinnvoll, aber es braucht große Anstrengungen, um die wunderschöne Tätigkeit als Kassenarzt für junge Menschen attraktiv zu halten. Wir brauchen hier deutliche Nachbesserungen bei der Flexibilisierung von Arbeitsmodellen, wir müssen es ermöglichen, dass sich Ärzte wieder Zeit für ihre Patienten nehmen können, und wir brauchen eine Vereinheitlichung der Leistungen. Es ist unglaublich frustrierend, wenn Limitierungen verhindern, dass Patienten erforderliche Untersuchungen bekommen. Mit dem von der Bundeskurie entwickelten einheitlichen Leistungskatalog haben wir der Kasse schon eine riesige Arbeit abgenommen. Jetzt müssen wir endlich in die Umsetzung kommen.“

Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte

Metadaten
Titel
Babyboomer forever
Schlagwort
Ärztekammer
Publikationsdatum
21.02.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 08/2023

Weitere Artikel der Ausgabe 08/2023