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Erschienen in: ProCare 8/2023

01.10.2023 | PFLEGE & WISSENSCHAFT

Cochrane Pflege Forum

Wirksamkeit verschiedener Hautpflegemaßnahmen bei inkontinenzassoziierter Dermatitis

verfasst von: Camilla Neubauer, BSc, MA, Gernot Harald Heschl, Gernot Julia Daniela Pfose

Erschienen in: ProCare | Ausgabe 8/2023

Einleitung

Die inkontinenzassoziierte Dermatitis (IAD) beschreibt eine Entzündung der Haut, die durch den Kontakt mit Urin und/oder Stuhl verursacht wird. Besonders die Dauer der Exposition ist wichtig. Neben Harn- und/ oder Stuhlinkontinenz zählen auch Adipositas, Immobilität sowie ein höherer Grad an Pflegebedürftigkeit zu den Risikofaktoren, die eine Entstehung einer IAD begünstigen (1, 2). Die Inzidenzrate der IAD im Krankenhausumfeld wird je nach Messinstrument auf zwischen 17,8 und 45,7 Prozent geschätzt (3). Maßnahmen zur Prävention und Behandlung umfassen saugfähige Einlagen und Hautpflegeprodukte. Pflegeprodukte stärken die Hautbarriere, während Hautschutzprodukte vor IAD schützen können, indem sie den Kontakt mit Körperflüssigkeiten verringern (3).

Fragestellung & Methode

Die beschleunigt erstellte Evidenzsynthese (Rapid Review) (4), welche die Grundlage für den vorliegenden Beitrag bildet, setzte sich mit der Frage auseinander, ob es Evidenz zur Wirksamkeit nicht-pharmakologischer Hautpflegeprodukte zur Prävention oder Behandlung einer IAD bei Harn- und/oder Stuhlinkontinenz gibt.

Auswahl der Studien

Es erfolgte eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken Ovid MEDLINE®, CINAHL EBSCO, JBI EBP Database und Cochrane Library bis zum 12. Juli 2022. Berücksichtigt wurden relevante randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) und systematische Übersichtsarbeiten in Deutsch oder Englisch. Eingeschlossen waren hospitalisierte Patientinnen und Patienten ab zwölf Jahren mit bestehender Harn- und/oder Stuhlinkontinenz, bei welchen nicht-pharmakologische Hautpflegemaßnahmen angewendet wurden.

Erfasste Endpunkte

Neuauftreten einer IAD, Abheilung der IAD und das Ausmaß/die Veränderung der IAD.

Überblick über die Studien

Für die Beantwortung der Fragestellung wurden insgesamt sechs RCTs herangezogen. Zwischen 36 und 142 Personen mit einem Durchschnittsalter von 59 bis 81 Jahren nahmen an den Untersuchungen teil. Drei Studien umfassten Patientinnen und Patienten mit Harn- und/oder Stuhlinkontinenz und eine Studie schloss Personen ein, die von einer Urin- und Stuhlinkontinenz betroffen waren. Bei zwei Studien wurde die Ausprägung der Inkontinenz nicht spezifiziert. Die angewendeten Hautpflegeprodukte variierten, und die Interventionsdauer betrug in drei Untersuchungen sechs bis 14 Tage. Zum Endpunkt Abheilung der IAD berichteten die einbezogenen Publikationen einen Zeitraum von sieben Tagen.

Ergebnisse

Neuauftreten einer IAD: Zu diesem Studienendpunkt wurden in drei Studien Daten erhoben. Eine Publikation mit 64 Personen (5) zeigte hierzu bei der Anwendung eines reinigenden, feuchtigkeitsspendenden und filmbildenden Hautpflegeprodukts im Vergleich mit dem Einsatz eines reinigenden, feuchtigkeitsspendenden und hautschützenden Produkts in der Kontrollgruppe keinen statistisch signifikanten Unterschied. In der Gruppe, die mit dem filmbildenden Produkt behandelt wurde, entwickelten 22,6 Prozent der Patientinnen und Patienten eine IAD und in der Kontrollgruppe lag der Anteil der von IAD-Betroffenen bei 27,3 Prozent.
Der Vergleich zum Einsatz zweier Präparate mit unterschiedlichen Zinkoxid-Anteilen (15,25% versus 32% Zinkoxid) zeigte in einer weiteren Studie mit 67 Teilnehmenden (6) ebenso keinen relevanten Vorteil für eine der Anwendungen. Während sich bei 18,8 Prozent der Personen mit der 15,25%igen Zink-Creme nach 14 Tagen eine IAD bildete, lag dieser Anteil in der Vergleichsgruppe bei 18,2 Prozent.
In einer Untersuchung mit 36 Personen (7) wurde in der Interventionsgruppe zusätzlich ein Hautschutzpflaster appliziert, in der Kontrollgruppe fand hingegen lediglich eine Hautreinigung statt. Es waren 11,1 Prozent der Personen in der Interventionsgruppe versus 16,7 Prozent der Personen in der Kontrollgruppe von einer neu aufgetretenen IAD betroffen.
Abheilung der IAD: Zwei Studien berichteten Ergebnisse zu diesem Endpunkt. Eine Studie mit 142 Personen (8) untersuchte die Wirksamkeit einer 20%igen Zink-Salbe im Vergleich zu einer 40%igen Zink-Paste hinsichtlich der IAD-Abheilung. Nach sieben Tagen heilte die IAD bei 21,7 Prozent der mit 20%iger Zink-Salbe behandelten Personen vollständig ab, verglichen mit 9,6 Prozent in der Vergleichsgruppe.
Eine Publikation mit 84 Teilnehmenden (9) verglich drei Interventionen. Dazu zählten zwei verschiedene Hautreinigungs- und Schutzprodukte — Cavilon (Cavilon No-Rinse Skin Cleanser, Cavilon Advanced Skin, Protectant) oder Conveen (Conveen EasiCleanse und Conveen Critic Barrier oder Secura) — oder die Versorgung nach nicht näher spezifiziertem hauseigenen Standard. Nach sieben Tagen betrug die IAD-Abheilungsrate bei Personen der Gruppe, bei denen Cavilon Produkte angewendet wurden, 34,8 Prozent und bei den mit Conveen Produkten behandelten Personen 32,4 Prozent.
Veränderung/Ausmaß der IAD: Ergebnisse zu diesem Endpunkt konnten aus vier der sechs Studien extrahiert werden. In der bereits erwähnten Studie zu den Zinkanwendungen mit 142 Teilnehmenden (8) wurde ein durchschnittlicher mittlerer Größenunterschied von 81,60 cm2 der IAD bei Anwendung der 20%igen im Vergleich zur 40%igen Zink-Salbe beobachtet.
Bei der anderen Studie (6) zu zinkoxidhaltigen Cremes konnte durch die Creme mit 15,25% Zinkoxid eine Rötung bei über 90 Prozent der Personen nach sieben Tagen gelindert werden, bei 84,6 Prozent nach 14 Tagen. Im Vergleich dazu besserte sich die Rötung über dieselben Zeitabstände in der Gruppe, die eine Creme mit 32% Zinkoxid erhielt bei über einem Drittel beziehungsweise der Hälfte der Personen.
Die Studie (9) die zwei Hautreinigungsmittel und den hauseigenen Standard verglich, untersuchte eine Verschlechterung (Rötung, Hauterosion, Mazeration) der IAD. Nach einem Tag zeigte sich eine solche in der Cavilon-Gruppe bei 4,3 Prozent der Personen und in der Conveen-Gruppe bei 10,8 Prozent der Patientinnen und Patienten.
In einem weiteren RCT mit 99 Teilnehmenden (10) wurden verschiedene Hautpflegeintervalle (sechs versus zwölf Stunden) verglichen. Aufgrund unzureichender Angaben war keine präzise Analyse der Daten möglich und eine Unterscheidung zwischen Prävention und Behandlung konnte nicht getroffen werden.

Fazit

In der Studie, welche die Wirksamkeit eines zusätzlichen Hautschutzpflasters untersuchte, war das Risiko für Verzerrungen unklar, während es in den anderen aufgrund fehlender Verblindung als hoch eingeschätzt wurde. Die Ergebnisse bei Anwendung einer 20%igen Zinksalbe deuteten darauf hin, dass die IAD etwas häufiger abheilte im Vergleich zu Ergebnissen bei der Verwendung einer 40%igen Zinksalbe. Die vorliegende Evidenz für nicht-pharmakologische Prävention oder Behandlung von IAD wird aufgrund begrenzter Anzahl an teilnehmenden Personen und geringen Ereignisraten als niedrig bis überwiegend unzureichend bewertet.
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COCHRANE PFLEGE FORUM: WISSEN WAS WIRKT

Das „Cochrane Pflege Forum“ ist eine Serie in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Cochrane Zentrum und dem Cochrane Zentrum Österreich. Es zeigt in regelmäßigen Abständen den aktuellen Stand der Forschung in Form von Zusammenfassungen von Cochrane Reviews auf. Dabei werden unterschiedliche pflegerische Themen aufgegriffen. Ziel der Serie ist es, den Pflegekräften Forschungsergebnisse schneller und direkter zur Verfügung zu stellen.

EXPERTEN- UND EXPERTINNENKOMMENTAR

Gernot Harald Heschl, BSc, Wohnbereichsleitung Seniorenpension Eisenstadt, Hilfswerk Burgenland Betriebs GesmbH; Julia Daniela Pfoser, BScN, DGKP (Kinder und Jugendliche)
Inkontinenz ist bei Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen mit unterschiedlicher Ätiologie omnipräsent. Die Entwicklung einer IAD ist ein in unterschiedlichen Versorgungs- und Fachbereichen vorkommendes Problem. In der Behandlung stehen Pflegemaßnahmen, wie zum Beispiel die Anwendung von nichtpharmakologischen Hautpflegeprodukten und -verfahren, im Fokus.
Bezüglich der Wirksamkeit von Maßnahmen sowohl zur Prävention als auch Behandlung existiert wenig Evidenz, von sehr niedrig bis moderater Qualität (11). Auch aus persönlicher Erfahrung findet im pflegerischen Alltag, sei es nun in der Langzeitpflege oder im akut stationären Bereich im Krankenhaus, die Versorgung einer IAD anhand bewährter Anwendungen, durch Erfahrungen, ohne Evidenz hohen Anklang. Ernsthaftigkeit und die Vulnerabilität dieser Thematik rücken dabei immer wieder in den Hintergrund, obwohl die Folgen einer IAD weitreichend sind. Evidenz zur Wirksamkeit der angewendeten Methoden kann hierbei eine Unterstützung zur Entscheidungsfindung sein.
Eine IAD geht mit Schmerzen und einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens einher, was mitunter zu einem erhöhten Pflegeaufwand und in weiterer Folge zu einer Kostensteigerung führt (12). Den notwendigen Überblick und eine korrekte Versorgung sowie Dokumentation zu gewährleisten, ist hier ein wahrer Drahtseilakt. Denn eine adäquate Therapie einer IAD beginnt bereits bei der Auswahl des entsprechenden Inkontinenzprodukts. Umso größer ist der Bedarf an Studien hoher Qualität, welche standardisierte und vergleichbare Präventions- und Behandlungsmaßnahmen in den unterschiedlichen Regionen und Settings beleuchten (11). Der oben dargestellte RR zeigt, mit niedrigem bis unzureichendem Vertrauen in die derzeitige Evidenzlage, keinen eindeutigen Vorteil für die Anwendung von Hautschutzpflastern, feuchtigkeitsspendenden Waschlappen, filmbildenden Hautpflegeprodukten oder Zinkpräparaten hinsichtlich der Prävention oder Abheilung einer IAD.

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Literatur
2.
Zurück zum Zitat Beeckman D, Van Damme N, Schoonhoven L, Van Lancker A, Kottner J, Beele H, et al. Interventions for preventing and treating incontinence-associated dermatitis in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2016;:CD011627. Beeckman D, Van Damme N, Schoonhoven L, Van Lancker A, Kottner J, Beele H, et al. Interventions for preventing and treating incontinence-associated dermatitis in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2016;:CD011627.
3.
Zurück zum Zitat Dissemond J et al. (2021) Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft. 19(6):815–25.PubMed Dissemond J et al. (2021) Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft. 19(6):815–25.PubMed
8.
Zurück zum Zitat Ramirez Razor B et al. (2014) World council of enterostomal therapists journal. 34(4):13:23. Ramirez Razor B et al. (2014) World council of enterostomal therapists journal. 34(4):13:23.
11.
Metadaten
Titel
Cochrane Pflege Forum
Wirksamkeit verschiedener Hautpflegemaßnahmen bei inkontinenzassoziierter Dermatitis
verfasst von
Camilla Neubauer, BSc, MA
Gernot Harald Heschl
Gernot Julia Daniela Pfose
Publikationsdatum
01.10.2023
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
ProCare / Ausgabe 8/2023
Print ISSN: 0949-7323
Elektronische ISSN: 1613-7574
DOI
https://doi.org/10.1007/s00735-023-1746-5

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