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Ärzte Woche

12.10.2021

Welke Lorbeeren

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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© chokkicx

Droht die Begeisterung für die ärztliche Zunft zu kippen?

Auch wenn ein Teil der Bevölkerung der Medizin zurzeit kritisch gegenübersteht, weil sie sich erdreistet, auch im Privat- und Wirtshausleben mitzumischen, dürfen wir uns als Ärzte nach wie vor über hohe Beliebtheitswerte freuen. Tatsächlich hat der Arzt als archetypische weiße Lichtgestalt in der Pandemie, unterm Strich, kaum an Strahlkraft eingebüßt.

Dabei ist diese Begeisterung für Personen in Weiß keineswegs angeboren. Und auch wenn wir bereits sehr früh in das Leben von Personen treten – wobei Personen (lat. Persona non grata) für uns bereits ab der ersten Minute als Patienten zählen (lat. Patient non grata) – sind diese ersten Kontakte nicht gerade erfreuliche Begegnungen. So stellen wir im Kreißsaal, nach der routinierten Hebamme und dem kollabierten Vater, bereits die dritte Person dar, die ein Neugeborenes zu sehen bekommt, meist sogar noch vor der eigenen Mutter. Glücklicherweise ist die menschliche Spezies aber verhaltensbiologisch weit genug von der Graugans entfernt, sodass sie dem diensthabenden Gynäkologen nicht ein Leben lang nachwatschelt. Als sonderlich positiv wird die Erfahrung mit dem weißen Kittel vermutlich jedoch nicht abgespeichert werden, es sei denn, man hat besonderen Spaß an einer Absaugung und einem Fersenstich.

Das ändert sich auch nicht die kommenden Jahre. Denn bekanntlich wird man von den Eltern nicht zum Kinderarzt geschleppt, um ein Eis zu bekommen, sondern um die Spritze davor zu erhalten. Irritierenderweise halten wir längerfristig höhere Stücke auf den Doktor mit der Nadel und weitaus weniger Stücke auf jene Person, die im Eisgeschäft die Kugeln in die Waffeln drückt. Viele Vorschusslorbeeren also, die wir trotz des etwas misslungenem Beziehungsbeginns erhalten. Man verzeiht uns auch nachher viel, vermutlich auch, da man Ärzte bekanntlich nicht erzürnen soll, so wie man auch Rauchfangkehrer hofiert, Götter mit Opfergaben besänftigt oder Steuerprüfer mit selbst gebackenen Space-Cakes milde stimmen möchte.

Allzu sehr sollten wir es uns jedoch nicht auf diesen Lorbeeren bequem machen, denn Anwälte erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und Halbgötter genießen keine immerwährende Immunität. Daher gilt es auch, Vorsicht bei altbewährten Floskeln walten zu lassen: „Es geht ganz schnell“, „Es kann nicht wehtun“ und „Ich habe das schon oft gemacht!“ stellen bereits drei einklagbare Lügen im ersten Begrüßungsgespräch dar.

Um auch in Zeiten der Krise unseren Bonus nicht leichtfertig zu verspielen, sollten wir die gewohnte überhebliche Gewissheit wohl ein wenig runterschrauben. Und es steigert einfach die Glaubwürdigkeit, wenn man nicht stolz hinausposaunt, dass die Pandemie „ganz schnell“ weg geht, „nicht wehtun kann“ oder man das „schon ganz oft gemacht hat!“ Etwas Demut unterm Lorbeerkranz ist angezeigt („Bedenke, du bist nur ein Arzt“, kein Gott, kein Rauchfangkehrer, kein Virologe). Das sorgt dafür, dass die Blätter noch lange frisch bleiben.

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Metadaten
Titel
Welke Lorbeeren
Publikationsdatum
12.10.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 42/2021

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