Skip to main content

04.11.2024 | Praxis und Beruf | Standpunkte | Online-Artikel

Ein bisschen Social Media gibt es nicht

verfasst von: Irene Thierjung

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Als Arzt Kurzvideos über seine Arbeit zu produzieren und auf TikTok oder Instagram zu posten – das kann nicht jeder. Doch Medizinern und Apothekern, die auf Social Media Persönlichkeiten sind, wird gefolgt.

Den Begriff Influencer kennen Sie sicher, aber wissen Sie auch, was Medfluencer sind? Bei diesen handelt es sich um Menschen in medizinischen Berufen, die auf Social Media bekannt sind und eine hohe Followerzahl haben. Die Gründe, warum diese Ärzte, Apotheker oder Krankenpfleger auf TikTok, Instagram und Co. aktiv sind, sind dabei vielfältig: Während die einen soziale Medien als Marketingkanal betrachten, nutzen die anderen ihre Reichweite, um Menschen über Gesundheitsthemen aufzuklären. „Ich habe mein Wissen schon immer gerne geteilt und kenne durch meine Arbeit in der Apotheke die Gesundheitsfragen und Wissenslücken der Menschen“, sagt Frau Dr. Janine Grießer. Die Innsbrucker Pharmazeutin postet seit Februar 2024 täglich kurze, informative Videos auf TikTok und zählt mit dem Wiener Internisten, Herrn Dr. Marcus Franz, zu Österreichs bekanntesten Medfluencern auf der Plattform. TikTok habe zwar nach wie vor ein eher junges Publikum, das vor allem Spaßvideos schaue, sagt Franz. „Quer durch alle Altersgruppen finden sich aber auch Menschen, die sich für seriösen Medizin-Content interessieren, selbst 70- bis 75-Jährige.“ Sowohl Franz als auch Grießer betonen, dass soziale Medien für medizinische Fachkräfte großes Potenzial hätten und eine gute Möglichkeit seien, die eigene Praxis oder Apotheke ins Rampenlicht zu rücken. Man müsse sich aber bewusst sein, dass eine Präsenz auf Social Media nicht jedem Menschen liege und einiges an Zeit erfordere. Denn, führt Franz aus, „ein bisschen präsent sein funktioniert nicht“.

Auf Social Media gibt es leider nur sehr wenig fundiertes Wissen zur Gesundheit

„Ich bin seit Februar 2024 mit meiner ,täglichen Dosis Apothekenwissen’, das sind kurze Videoclips, und der ,Apotheken-Sprechstunde’ aktiv. Bei dieser streame ich eineinhalb Stunden live, während mir die Zuseher Fragen stellen. Social Media macht mir Spaß, ist eine schöne Ergänzung zum Apothekenalltag und ich erreiche damit viel mehr Menschen als an der Tara.

Mein Ziel ist es, echten Mehrwert zu bieten, statt wie viele Influencer Produkte zu verkaufen. Ich habe mein Wissen schon immer gerne geteilt und kenne durch die Arbeit in der Apotheke die Gesundheitsfragen und Wissenslücken der Menschen.

Auf Social Media gibt es sehr wenig fundiertes Wissen zur Gesundheit. Oft geben Influencer, zum Beispiel aus dem Gamingbereich, auch medizinische Ratschläge. Auf TikTok tummeln sich auch viele Quacksalber, die sich als Heilpraktiker bezeichnen und etwa dazu raten, hohe Dosen Vitamin D einzunehmen. Diese Entwicklung ist äußerst problematisch und gefährlich, weshalb mehr Fachleute wie Ärzte und Apotheker seriöse Inhalte erstellen sollten.

Ich behandle auf TikTok Fragen, die mir oft in der Apotheke oder online gestellt werden. Eines meiner beliebtesten Videos zu übermäßigem Schwitzen verzeichnet bis dato mehr als 1,5 Millionen Views. Ich mache auch lustige, aber informative Beiträge zu Themen wie Pupsen oder Schnarchen.

In der Apotheke berate ich vor allem ältere Leute, auf TikTok erreiche ich ganz junge Menschen unter 25 Jahren. Viele von ihnen kennen sich leider in Gesundheitsfragen kaum aus. Ihre Fragen, die ich vor allem über die Direktnachrichten-Funktion bekomme, drehen sich größtenteils um Haare, Schönheit oder die Figur.

Social Media ist sehr schnelllebig; jeder möchte einen schönen, gesunden Körper ohne Aufwand. Ich werde beispielsweise immer nach Ozempic gefragt. Das Präparat war Ende 2023 ein extremer und schockierender Trend auf TikTok, als viele Stars damit in kurzer Zeit viel Gewicht verloren haben.

Um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken, filme ich nicht nur in der Apotheke, sondern auch beim Laufen, und zeige, wie es mir vorher und nachher geht. Es ist extrem wichtig, dass die Menschen nicht nur am Handy hängen, sondern auch aktiv sind.

Die Reaktionen auf meinen Content sind großteils positiv. Bei Live-Streams werde ich immer wieder gefragt, wie man Apotheker oder Pharmazeutisch-kaufmännischer Assistent wird. Es kommen auch Leute aus anderen Ecken von Innsbruck extra in unsere Apotheke, weil sie mich von TikTok kennen und von mir beraten werden wollen.

Besonders bei Videos, die sehr oft geklickt werden, schlägt mir aber auch Hass gegen Apotheker und Ärzte entgegen. Man wirft mir vor, nur Geld machen zu wollen. Ich blende das aus, sonst könnte ich nicht weitermachen.

Grundsätzlich bietet ein Engagement auf TikTok, YouTube oder Instagram großes Potenzial für medizinische Fachkräfte, man muss es aber wirklich wollen. Die Zuseher merken, ob jemand Herzblut in den Content steckt oder ein Produkt bewerben will. Social Media funktioniert nur, wenn man mit positiver Energie reingeht.

Man muss nicht zwingend ein einschlägiges Studium haben, man kann sich das nötige technische und inhaltliche Wissen selbst aneignen – etwa über den richtigen Auftritt auf diversen Plattformen wie TikTok, Instagram oder YouTube.

Dr. Janine Grießer, Apothekerin in der Stadtapotheke Winkler in Innsbruck, 33.000 Follower auf TikTok.

Janine Grießer auf TikTok: @janine.griesser
auf Instagram: janine_apothekerin

auf YouTube: @janinegriesser
auf X: @janine.griesser
auf LinkedIn: dr-janine-griesser

Die meisten Patienten erwarten sich, dass Ärzte auf Social Media präsent sind

„Seit eineinhalb Jahren bin ich auf TikTok aktiv, auf Instagram schon länger. Meine Praxis ist seit über fünf Jahren auf Facebook präsent.

Ich halte TikTok derzeit für den besten Social Media-Kanal, weil er schnell und wendig ist – trotz aller Kritik, dass es ein womöglich intransparentes Medium sei. Viele Menschen nutzen TikTok wie eine Suchmaschine, das Publikum verändert sich. Es ist zwar nach wie vor eher jung und schaut Spaßvideos. Quer durch alle Altersgruppen finden sich aber auch Menschen, die sich für seriösen Medizin-Content interessieren, selbst 70- bis 75-Jährige. Jede Woche kommen zwei bis drei neue Patienten in meine Praxis, weil sie ein Video von mir gesehen haben.

Grundsätzlich gibt es eine Unzahl an Informationsquellen, etwa Google. Die Menschen wollen aber präzise Informationen, die Hand und Fuß haben. Die versuche ich auf TikTok zu liefern. Ich mache keine Raketenwissenschaft aus der Medizin, reduziere ein Thema auf drei bis fünf Kernaussagen. Zum Beispiel: Was bedeutet eine Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion?

Meist veröffentliche ich ein Video pro Tag. Die Inhalte basieren auf Patientenfragen zu Reizdarmsyndrom, Blähungen, Reflux, Sodbrennen oder Herzrhythmusstörungen. Auch Themen wie Sport, Training, Gewicht und Ernährung interessieren viele. Auf Instagram und TikTok gibt es in diesen Bereichen viele „Experten“, aber kaum echte Kenner, und es werden falsche Informationen verbreitet. Zur Auflockerung zeige ich auch nicht-medizinische Inhalte: ein schönes Essen oder einen Waldspaziergang. Als Arzt sollte man als Mensch wahrgenommen werden. Dadurch ist man authentisch – wichtig für Erfolg auf Social Media –, ohne zu privat zu werden.

Das Feedback auf meine Videos ist zu 97 Prozent positiv, ich erhalte jeden Tag Dankesnachrichten. Es kommt zwar schon vor, dass mir Leute vorwerfen, ich oder die Pharma-Lobby wollten nur Geld verdienen. Das ist aber die Ausnahme. Wirkliche Drohungen habe ich noch nicht erlebt.

Für meine Videos brauche ich mal fünf Minuten, mal eine Stunde, wenn ich Studien einbetten oder Bilder schneiden muss. Wichtig ist eine gute Ton- und Bildqualität: Verschwommene, verwackelte Videos mit genuschelten Inhalten interessieren niemanden. Wirklich entscheidend ist aber der Content. Er soll seriös sein, darf aber auch mal flapsig formuliert werden. In den ersten drei, vier Sekunden muss das Video Aufmerksamkeit gewinnen, sonst geht es unter. Essenziell ist ein Anreißer (Hook), der neugierig macht, etwa ,Das würde ich als Arzt niemals machen...’

Möglichst frei und authentisch in einfachen Worten zu sprechen, erfordert ein gewisses rhetorisches Talent, das kann nicht jeder. Ebenso ist es nicht jedermanns Sache, sich in Videos zu zeigen. Wer medienscheu ist, sollte besser schriftlich posten. Etwa auf Facebook, das viele ältere Nutzer hat.

Grundsätzlich wünschen sich die meisten Patienten, dass Ärzte auf Social Media präsent sind – oder erwarten es sogar. Soziale Medien sind ein gutes Mittel, um eine Ordination zu bewerben. Der Auftritt muss aber authentisch sein. Wenn Patienten wegen Facebook kommen und dann enttäuscht werden, schneidet man sich ins eigene Fleisch. Website, Social Media und der reale Auftritt müssen aus einem Guss sein. Dafür braucht es Zeit. Ein bisschen präsent sein funktioniert nicht. Wer das nicht möchte, sollte es lieber lassen. Und wenn die Ordination gut geht, muss man auch nicht auf Social Media sein.

Dr. Marcus Franz, Facharzt für Innere Medizin aus Wien, 45.000 Follower auf TikTok

Franz Marcus auf TikTok: @dr_marcus_franz
auf Instagram: dr.marcus.franz

​​​​​​​auf Facebook: Innere Medizin Hietzing



print
DRUCKEN

Weiterführende Themen