Moderne Antikoagulation und Lipidmanagement

Im Rahmen eines DFP-Webcasts referierten Prim. Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas Gremmel, Leiter der Abteilung für Innere Medizin I am Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf, Priv.-Doz. Dr. Christoph Brenner, stellvertretender Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Medizinischen Universität Innsbruck, sowie Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz, der auch die Moderation übernahm. Orale Antikoagulation mit NOAKs im Jahr 2022 Bei „nicht-valvulärem“ Vorhofflimmern und erhöhtem Thromboembolierisiko nach dem CHA2DS2-VASc-Score werden von den Guidelines Nicht Vitamin K Antagonist orale Antikoagulantien (NOAKs) empfohlen. Die NOAK-Dosierung ist abhängig von der Nierenfunktion. Bei einer Kreatinin-Clearance von 15–50 ml/min (Rivaroxaban, Edoxaban) bzw. unter 30 ml/min (Apixaban) müssen Dosisanpassungen erfolgen, das stärker nierengängige Dabigatran ist unterhalb einer GFR von 30 ml/min kontraindiziert. Bei Apixaban muss bei einem Serumkreatinin ≥ 1,5 mg/dl und einem weiteren Dosisanpassungsgrund wie Alter ≥ 80 Jahre oder Körpergewicht ≤ 60kg die Dosis reduziert werden.1 Auch bei venöser Thromboembolie (VTE) sind NOAKs Therapiestandard, so Prim. Univ.-Prof. PD Dr. Thomas Gremmel, Abt. für Innere Medizin I, Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf. Bei Vorliegen einer akuten tiefen Beinvenenthrombose wird im Falle von Rivaroxaban und Apixaban eine erhöhte Dosierung verabreicht, bei Edoxaban und Dabigatran wird mit einem fünftägigen Heparin Lead In gestartet. Für die Sekundärprävention bei Patienten mit idiopathischer VTE (proximale tiefe Venenthrombose oder Pulmonalembolie) ohne transiente Risikofaktoren wird eine längerfristige Antikoagulation über 3 Monate hinaus empfohlen.2 Auch bei Auftreten einer VTE unter moderaten Risikofaktoren kann eine verlängerte Antikoagulation in Betracht gezogen werden. Für Dabigatran und Edoxaban gilt in der Sekundärprävention die gleiche Dosierung wie in der Akuttherapie, für Apixaban wird aufgrund der geringeren Blutungsrate eine niedrigere Dosierung empfohlen.3 Nicht oder nur sehr vorsichtig kombiniert werden sollten NOAKs mit systemischen Antimykotika oder HIV-Protease-Hemmern, weil es durch eine Hemmung des P-Glykoproteins zu Plasmaspiegelerhöhungen kommen kann.4 Bei Kombination von NOAKs und Plättchenhemmern ist wegen der erhöhten Blutungsgefahr Vorsicht geboten, weshalb die Empfehlungen nach PCI aus dem EHRA Guide 2021 und den ESC 2020 Guidelines lauten: Tripletherapie aus NOAK+Clopidogrel+Acetylsalicylsäure nur bis zu einer Woche (EHRA Empfehlung) bzw. bis zu einem Monat (ESC) (nach akutem Koronarsyndrom 1 Monat), danach eine Dualtherapie aus NOAK+Clopidogrel über 6 Monate (nach ACS bis zu einem Jahr) und in der Folge eine NOAK-Monotherapie.4,5 Im perioperativen Management sollte bei Eingriffen mit geringem Blutungsrisiko die Antikoagulation einen Tag, bei Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko zwei Tage lang ausgesetzt werden. In Abhängigkeit von der Nierenfunktion verlängert sich diese Zeit bei allen NOAKs und besonders bei Dabigatran. Ein Bridging mit Heparin vor der Operation ist nicht indiziert. Spezielle Aspekte sind bei Patienten mit gastrointestinalen Malignomen zu beachten. Hier sollte aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos anstelle von NOAKs niedermolekulares Heparin erwogen werden.4 Bei malignom-assoziierter VTE oder PE ist Edoxaban im kombinierten Endpunkt schwerer Blutungen und wiederkehrende VTE den niedermolekularen Heparinpräparaten nicht unterlegen.6 Bei Übergewicht von > 120 kg wird eine Plasmaspiegelmessung und > 140 kg die Gabe von VKA im EHRA Practical Guide empfohlen. Im unteren Körpergewichtsbereich von < 60 kg sollten Plasmaspiegelkontrollen (bei Dabigatran/ Rivaroxaban) bzw. eine Dosisreduktion (bei Edoxaban/Apixaban in Kombination mit einem weiteren Dosisanpassungsgrund) erfolgen. Patienten mit mittlerer Leberfunktionseinschränkung Child B sollten kein Rivaroxaban erhalten, im Stadium Child C sind NOAKs generell nicht mehr empfohlen.4 Bei größeren, aber nicht lebensbedrohlichen Blutungen unter NOAK-Therapie ist neben blutstillenden Maßnahmen die Gabe von Erythrozyten- und/oder Thrombozytenkonzentraten zu erwägen. Bei lebensbedrohlichen Blutungen werden antagonisierende Substanzen (Idarucizumab bei Dabigatran, Andexanet alpha bei Apixaban/Rivaroxaban) eingesetzt.4 Prothrombinkomplexkonzentrate sollten bei lebensbedrohlichen Blutungen unter NOAKs in Erwägung gezogen werden, sofern kein spezifisches Antidot verfügbar ist. Der VHF-Patient im Praxisalltag Anhand zweier Fallbeispiele legte PD Dr. Christoph Brenner, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Innsbruck, die Schwerpunkte Antikoagulation und bessere Symptomkontrolle dar. 77-jähriger Patient mit KHK, Niereninsuffizienz (GFR 36 ml/min), Hypertonie, Hyperlipidämie und Sinusrhythmus nach Kardioversion bei Vorhofflimmern. CHA2DS2-VASc-Score von 5. Im Vergleich zu einer ASS-Monotherapie senken NOAKs das Risiko für Schlaganfall und systemische Embolien deutlich, ohne das Blutungsrisiko relevant zu erhöhen.6,7 Bei VHF und KHK wird deshalb von den Leitlinien eine NOAK-Monotherapie empfohlen.5 Dabigatran ist laut PD Brenner vor allem bei erhöhter Blutungs- oder Sturzgefahr sehr geeignet, da auch ein spezifisches Antidot zur Verfügung steht. Apixaban zeigt in der Standarddosis ein positives Nutzen-Risikoverhältnis. Rivaroxaban hat wegen der einmal täglichen Gabe Vorteile für die Adhärenz. Das trifft auch auf Edoxaban zu, das aufgrund der signifikant geringeren schweren Blutungsrate im Vergleich zu VKA und wegen seines guten Nutzen-Risikoverhältnisses auch im reduzierten Dosisbereich das bevorzugte Präparat bei indizierter Dosisreduktion darstellt. Bezüglich Rhythmuskontrolle oder Frequenzkontrolle stellte PD Brenner einen Patienten mit der Erstdiagnose VHF bei bestehender ischämischer Kardiomyopathie und Vorhofdilatation vor. Zwar steht Laut ESC-Leitlinie in diesem Fall die Frequenzkontrolle im Vordergrund, wobei als Erstlinientherapie Betablocker und bei ungenügendem Ansprechen die zusätzliche Gabe von Digoxin/Digitoxin oder Amiodaron empfohlen werden.5 Dennoch sollte aus Sicht von PD Brenner aufgrund des signifikanten Einflusses auf die Mortalität insbesondere in der Frühphase einer Herzerkrankung der Rhythmuskontrolle durch Ablationstherapie der Vorzug gegeben werden.8 Vor allem in der Frühphase der Erkrankung bringt eine Rhythmuskontrolle einen deutlichen prognostischen Gewinn.9 Modernes Lipidmanagement 2022 Für atherosklerotische Erkrankungen, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Abteilung für Innere Medizin, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz, gibt es eine Vielzahl modifizierbarer Risikofaktoren, wie z. B. Rauchen, Diabetes, psychosoziale Probleme, Adipositas oder Hypertonie. An erster Stelle stehen jedoch erhöhte Lipidwerte.10 Auch Lipoprotein (a) sollte zumindest einmal im Leben gemessen werden.11 Trotz einer Risikoreduktion um 40 %12 bzw. einer Risikoreduktion um 22 % pro 40 mg/dl reduziertem LDL-C13 durch Statintherapie bleibt ein kardiovaskuläres Restrisiko. Eine intensive Statintherapie14, aber auch die Kombination mit Ezetimib15 oder PCSK9 Hemmern16,17, senken das LDL-C und damit das Risiko für Myokardinfarkt, kardiovaskulären Tod und Schlaganfall im Vergleich zur Standard-Statintherapie deutlich. Aus diesem Grund wurden die LDL-Zielwerte in den aktuellen Guidelines weiter gesenkt (siehe Tabelle). Statine entfalten ihre Wirkung bereits innerhalb des ersten Jahres und zeigen die volle Wirkung nach etwa 2-3 Jahren.19 Die effektivsten Statine sind Rosuvastatin und Atorvastatin. Von den ca. 850.000 wegen Hyperlipidämie behandelten Patienten in Österreich erhalten 600.000 eine Statintherapie (67 % davon Hochdosis-Statine), 6.000 PCSK9-Hemmer.20 Im Falle einer Statin-Unverträglichkeit oder unzureichender Lipidsenkung steht als neue Option die Bempedoinsäure (NILEMDO®), auch in fixer Kombination mit Ezetimib (NUSTENDI®), zur Verfügung. Deren Wirkmechanismus läuft über die Acetyl-CoA-Synthetase in Leberzellen und ist nicht in den Muskelzellen aktiv, wodurch das Risiko von Muskelschmerzen im Vergleich zu Placebo nicht erhöht wird. Mit Bempedoinsäure lässt sich bei Statin-intoleranten Patienten eine LDLC-Senkung um 28 % erreichen21, zusätzlich zu Statinen gegeben um weitere 18 %.22,23 Die Kombination Bempedoinsäure+Ezetimib ermöglicht eine LDL-C-Senkung um 38 %.24 Referenten: PRIM. UNIV.-PROF. DR. MARTIN CLODI Abteilung für Innere Medizin, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz An erster Stelle der Risikofaktoren für atherosklerotische Gefäßerkrankungen stehen erhöhte Lipidwerte. UNIV.-PROF. PD DR. THOMAS GREMMEL Abteilung für Innere Medizin I, Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf Bei Patienten mit sehr hohem Rezidivrisiko für eine VTE sollte auch zur Langzeit- Sekundärprävention ein NOAK in voller Dosis in Erwägung gezogen werden. PD DR. CHRISTOPH BRENNER Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Innsbruck Vor allem in der Frühphase einer VHFErkrankung bringt eine Rhythmuskontrolle einen deutlichen prognostischen Gewinn für die Patienten. Der DFP-Webcast wurde vom Springer Verlag mit Unterstützung von Daiichi Sankyo veranstaltet. Literatur 1. Gremmel T et al, Wien Klin Wochenschr 2018;130:722–34 2. Konstantinides SV et al, European Heart J 2020;41:543–603 3. Agnelli G et al, NEJM 2013;368:699-708 4. Steffel J et al, 2021 EHRA Practical Guide. 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