toeytoey2530/iStock × Bei Herzinfarkt-Patienten mit Anämie liefert die randomisierte REALITY-Studie Argumente dafür, beim Griff zum Blutbeutel zumindest nicht zu forsch zu sein. Die Corona-Krise hat einmal mehr gezeigt, dass Blut eine knappe therapeutische Ressource ist. Mittlerweile hat sich die Versorgungslage bei den Blutbanken zwar entspannt. Aber trotzdem sollten Ärzte immer wieder kritisch hinterfragen, welche Transfusionen wirklich nötig sind – und welche nicht. Bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt gab es dazu bisher kaum gute Daten. Bis zu zehn Prozent der Infarktpatienten seien anämisch, erinnerte Prof. Philippe Gabriel Steg vom Hôpital Bichat der Universität Paris bei der virtuellen ESC-Tagung in Amsterdam. Was genau eine sinnvolle Transfusionsstrategie bei diesen Patienten ist, sei unklar. In der beim virtuellen ESC-Kongress 2020 von Steg vorgestellten REALITY-Studie haben Forscher sich der Sache angenommen. Insgesamt 630 Patienten mit akutem Myokardinfarkt aus Frankreich und Spanien nahmen teil. Alle hatten zu irgendeinem Zeitpunkt während ihres stationären Aufenthalts Hb-Werte zwischen 7 und 10 g/dl. Nach Zufallszuteilung wurden die Patienten zwei Studienarmen zugeordnet: Im „freizügigen“ Arm wurde bei Hb-Werten ≤ 10 g/dl transfundiert mit dem Ziel, den Hb-Wert auf > 11 g/dl anzuheben. Im „restriktiven“ Arm wurde erst bei Hb-Werten ≤ 8 g/dl transfundiert, und das Ziel war mit einem Hb-Wert zwischen 8 und 10 g/dl auch eher moderat. Die jeweilige Transfusionsstrategie wurde aufrechterhalten bis zur Entlassung oder, bei längerem stationärem Aufenthalt, bis zum Zeitpunkt 30 Tage nach Diagnose der Anämie. Was die Hb-Verläufe anging, starteten die Gruppen bei Aufnahme mit ähnlichen Hb-Werten, waren also gut randomisiert. Erwartungsgemäß war der tiefste Hb-Wert bei restriktiver Strategie mit im Mittel 8,3 g/dl niedriger als bei freizügiger Gabe von Blutkonserven (8,8 g/dl). Auch bei Entlassung war der Hb-Wert bei restriktiver Strategie niedriger. Drei Konzentrate pro Patient Insgesamt erhielten 36 Prozent der Teilnehmer im „restriktiven“ Studienarm und 87 Prozent im „freizügigen“ Studienarm zumindest ein Erythrozytenkonzentrat. Im Mittel benötigten die Ärzte in beiden Gruppen knapp drei Erythrozytenkonzentrate pro Patient mit tatsächlich vorgenommener Transfusion. In Summe seien das dann im restriktiven Arm über 400 Blutkonserven weniger gewesen als im freizügigen Arm, sagt Steg. Einen signifikanten Unterschied beim primären Endpunkt – Tod, erneuter Myokardinfarkt, Schlaganfall oder (erneute) ischämiebedingte Revaskularisation – gab es nicht. Bei elf Prozent der restriktiv und 14 Prozent der freizügig mit Blutkonserven versorgten Patienten war es zu einem Endpunktereignis gekommen. Damit war, wie beabsichtigt, die Nichtunterlegenheit demonstriert. Auch bei der Sicherheit gab es wenig signifikante Unterschiede. Die Ausnahmen waren schwere Infektionen (0,0 % vs. 1,5 % zugunsten der restriktiven Strategie, p = 0,03) und akutes Lungenversagen (0,3 % vs. 2,2 %; p = 0,03). Die REALITY-Studie spreche demnach stark für eine eher restriktive Strategie bei Transfusionen im Kontext akuter Myokardinfarkte, sagt Steg. Klar sei aber, dass im klinischen Alltag die Entscheidung für oder gegen eine Transfusion nicht allein am Hb-Wert festgemacht werden könne. Die Frage, ob eine restriktive Strategie nicht sogar überlegen sein könnte, kann die REALITY-Studie nicht abschließend beantworten. Dafür war sie zu klein. Es läuft eine größere Studie in den USA, die MINT-Studie, an der über 3.000 Patienten teilnehmen sollen. Kommentiert wurde REALITY in der Hotline-Sitzung von Prof. Marco Roffi vom Universitätsklinikum Genf. Er schloss sich der Schlussfolgerung Stegs an und regte an, das Thema auch in den europäischen Leitlinien zu berücksichtigen. Literatur: Steg PG. REALITY – A Trial of Transfusion Strategies for Myocardial Infarction and Anemie; vorgestellt bei der HOTLINE IV-Session am 01.09.2020 beim ESC Congress 2020 - The Digital Experience