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Ärzte Woche

04.12.2023

Jagdsaison

verfasst von: Katja Uccusic-Indra

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Die Schau Paparazzi! spannt einen Bogen von den 1950er-Jahren bis in die späten 2000er-Jahre. Einen Schwerpunkt bilden die 1960er- und 1970er-Jahre, als Fotografen wie Ron Galella, Tazio Secchiaroli, Elio Sorci und Marcello Geppetti das Metier zwischen Rom und den USA, Cinecitta und Hollywood definierten.

Paparazzi gehören zu den schillerndsten Figuren der Fotogeschichte. Die mit findigen, oft ruchlosen Mitteln erjagten Bilder werden von Millionen Menschen gesehen. Die Namen der Fotografen sind kaum bekannt, ihre öffentliche Reputation ist gering. Der Begriff Paparazzi geht auf den gleichnamigen Fotografen in Fellinis Filmklassiker „La Dolce Vita“ zurück und galt lange als Schimpfwort. Erst in jüngerer Zeit hat sich die Geschichte des Genres gewandelt. Heute werden die Fotos von Galella oder Geppetti als authentische Porträts und Zeugnisse einer Ära gewürdigt.

Der New Yorker Fotograf Ron Galella, geboren 1931 und vergangenes Jahr verstorben, war wahrscheinlich der bekannteste Paparazzo aller Zeiten. Seit 1965 jagte, verfolgte und fotografierte er die großen Persönlichkeiten seiner Zeit und schaffte es, sie in ihrem außergewöhnlichen Alltag einzufangen, wobei er fast immer überraschend, ohne ihr Wissen und oft gegen ihren Willen, handelte. Marlon Brando hatte die Verfolgung durch ihn satt, brach Galella das Kiefer und schlug ihm einige Zähne aus, nachdem dieser um ein Foto ohne Sonnenbrille gebeten hatte. Daraufhin „bewaffnete“ sich der Fotograf mit einem Football-Helm mit Sternen und seinem Namen auf der Vorderseite. Paul Schmulbach schoss das legendäre Foto, auf dem Galella mit Helm und Kamera hinter Brando steht, aufgenommen bei einem Charityball für amerikanische Ureinwohner 1974 im Waldorf Astoria in New York.

Zu den Stars, die der „Paparazzo Extraordinaire“, wie er auch genannt wurde, vor seiner Linse hatte, zählten Elvis Presley, Elizabeth Taylor, Greta Garbo, Al Pacino, Robert De Niro, die Beatles und David Bowie. Sein Archiv mit mehr als drei Millionen Aufnahmen ist voll Kisten mit Fotos, meist in Schwarz-Weiß, von Schauspielern, Musikern und Berühmtheiten aller Art.

Agents provocateurs

Paparazzi rücken oft zu zweit oder mehr aus, um Prominente zu provozieren. Schließlich ist das Bild eines verärgerten Stars besser zu verkaufen als das eines zufrieden lächelnden. In der Ausstellung ist eine legendäre Fotostrecke aus dem Jahr 1960 von Marcello Geppetti zu sehen, auf der Anita Ekberg mit Pfeil und Bogen auf die sie verfolgenden Fotografen losgeht. Die schwedische Schauspielerin verwendet dafür allerdings eine Film-Requisite. Und Galella gelang wieder einmal ein genialer Schnappschuss, als er Sean Penn beim Verprügeln seines Neffen, des Fotografen Anthony Savignano, vor Penns New Yorker Wohnhaus im Jahr 1986 knipste. Der Schauspieler war damals mit Madonna verheiratet und das Paar wurde auf Schritt und Tritt von der Presse verfolgt. Zahlreiche Prominente streckten Galella ihren Mittelfinger entgegen, darunter Mick Jagger neben seiner breit lächelnden Frau Jerry Hall.

Von Jackie Kennedy Onassis war Galella besessen. Sie war in den 1960er- und 1970er-Jahren die meist fotografierte Frau der Welt. Er verfolgte sie unerbittlich und knipste sie in allen Lebenslagen: Beim Joggen, beim Einkaufen, am Strand oder am Muttertag. Dabei gelang ihm aus einem Taxi heraus die Aufnahme „Windblown Jackie“, die die ehemalige First Lady der USA mit zerzaustem Haar 1971 an der Ecke Madison Avenue und 91. Straße in New York zeigt. Der Paparazzo bezeichnete dieses Bild als seine „Mona Lisa“.

Galella machte auch vor Jackies Kindern nicht halt. Kennedy Onassis erwirkte schließlich eine Unterlassungsklage vor Gericht. Auf ein erstes Urteil, das Galella untersagte, sich Jackie und ihrer Familie auf weniger als 25 Fuß zu nähern, folgte ein umfassendes Verbot, die Familie in jeglicher Form zu fotografieren. Aufgrund ihrer ausgewöhnlichen Qualität schafften es Galellas Bilder freilich in die bedeutendsten Museen der Welt, darunter das MOMA in New York oder die Tate Modern in London.

Die Britin Alison Jackson, Jahrgang 1970, arbeitet mit Doubles und Täuschung: Ihre Bilder zeigen die Queen mit ihren Corgis vor dem Bankomaten oder einem Wettbüro, eine den Mittelfinger zeigende Prinzessin Diana oder Marilyn Monroe, die sich vor John F. Kennedy entkleidet. „Meine Fotografie beschäftigt sich mit dem Voyeurismus der Öffentlichkeit, mit der verführerischen Macht von Bildern und unserem Wunsch, ihnen Glauben zu schenken. Ich arbeite mit Lookalikes und Schauspielern, die so zurechtgemacht sind, dass man sie für echt hält, – und versetze sie dann in Szenen, die wir uns alle schon einmal vorgestellt, aber noch nie gesehen haben“, erläutert die Künstlerin. Wenn sie Diana den Mittelfinger zeigen lässt, imaginiert sie eine Prinzessin, die aus dem engen Korsett der Vorschriften des Königshauses ausbricht und der Presse, den Fotografen und dem sensationshungrigen Publikum zeigt, was sie von ihnen hält. Genial sind auch ihre Fotos eines Trump-Lookalikes zwischen Mitgliedern des Ku-Klux-Klans oder eines vermeintlichen George Bush Jr. mit einem Rubik’s Cube in Händen. Zurzeit sucht Jackson auf ihrem Instagram-Account ein Double für den britischen Premierminister Rishi Sunak.

Im ersten Stock der Ausstellung sind Bilder der Grazer Künstlergruppe G.R.A.M. zu sehen. 1996, ein Jahr, bevor der Unfalltod von Prinzessin Diana und ihres Partners Dodi Al-Fayed die öffentliche Debatte über die Paparazzi-Fotografie anheizte, rief die Grazer Künstlergruppe die Serie „Paparazzi“ ins Leben. Im Rahmen eines Stipendiums reiste das Kollektiv nach Los Angeles, um sich mit dem Phänomen künstlerisch auseinanderzusetzen. Bis 2008 entstanden Bilder, aufgenommen in Österreich und an den Hotspots des Starkults wie Hollywood, Monte Carlo, Cannes und Venedig. Dabei tauchten die G.R.A.M.-Künstler Martin Behr und Günther Holler-Schuster tief in die Paparazzi-Kultur ein. Ihre Bilder reproduzieren die klassische Paparazzi-Ästhetik mit Bewegungsunschärfen, langen Brennweiten und Ausschnittvergrößerungen. Fotos von Celebrities wie Kate Moss, David Beckham oder Fürst Albert von Monaco werden unvermittelt neben Bilder unbekannter Leute gestellt. G.R.A.M.s Spiel mit den medialen Codes und den Erwartungen des Betrachters führt auf falsche Fährten und konfrontiert einen mit dem eigenen Voyeurismus.

Schmerzensgeld für Paparazzo

Neben dem Kunstprojekt der Österreicher sind Fotos der von den Paparazzi gehetzten Britney Spears zu sehen. Die Bilder zeigen die amerikanische Sängerin, die mit psychischen Problemen zu kämpfen hat, im Jahr 2008, wie sie mit dunkler Sonnenbrille und ohne Slip aus einem Auto steigt und den Blick auf ihre Vagina freigibt. Ein Jahr zuvor fuhr Spears dem Paparazzo Phil Ramey mit ihrem Mercedes über den Fuß. Er verklagte sie und erhielt mehr als 200.000 Euro Schmerzensgeld. Außerdem versteigerte er das Corpus Delicti, den Socken, den er damals trug, auf Ebay. Dort landeten auch Britneys Haare, als sie sich eine Glatze scheren ließ, verkauft von ihrem Frisör. In ihrem Hit „Peace of me“ verarbeitete sie 2007 ihre Erlebnisse mit Paparazzi.

Ein Teil der Schau widmet sich der von den Fotografen verfolgten Lady Diana Spencer. Wohl kaum eine andere Familie steht so im Fokus wie das britische Königshaus. Seit Dianas Heirat mit Prinz Charles wurde ihr Leben vom britischen Boulevard begleitet. „They haunted and hunted me“, sagte die Prinzessin. Eines ihrer letzten Fotos zeigt ihren nach hinten gewandten Kopf mit den blonden Haaren auf dem Rücksitz des Mercedes, davor ihren Leibwächter Trevor Rees-Jones und den betrunkenen Fahrer Henri Paul am 31. August 1997 kurz vor ihrem Unfalltod im Pariser Tunnel. Die Tragödie verursachte einen Aufschrei und löste eine Debatte über die Methoden des Boulevards aus. In einem Gerichtsprozess zehn Jahre nach dem Unglück sprach eine Jury den Fotografen und dem Fahrer die Schuld an dem Unfall zu.

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Metadaten
Titel
Jagdsaison
Publikationsdatum
04.12.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 50-52/2023

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