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Ärzte Woche

21.02.2022 | HNO

Tod bei Mandelentzündung

verfasst von: Olaf Michel

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Infektionen der Gaumenmandel werden allgemein als harmlose Gesundheitsstörung angesehen. Der plötzliche Tod eines jungen Menschen wirkt unverständlich. Nur über den Staatsanwalt kann bei einem so tragischen Ereignis der im Raum stehende Verdacht auf einen Behandlungsfehler ausgeräumt werden.

Der Fall: Ein 19-jähriger Mann klagte samstags über zunehmende Halsschmerzen, sodass die Eltern nachts einen Notarzt riefen. Dieser verschrieb Penicillin, welches aber keine Besserung bewirkte. Am Montag wurde ein HNO-Arzt aufgesucht. Dieser setzte das Penicillin ab und verschrieb Clindamycin. Am Dienstag wurde eine HNO-Ärztin konsultiert, die zusätzlich Schmerzmittel in Form von Novalgin (4 × 40 Tropfen) und Ibudolor akut anordnete. Am Mittwoch wurde eine Homöopathin eingeschaltet, die mehrere homöopathische Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel verordnete. Am Mittwoch lag auch das Ergebnis eines vom HNO-Arzt am Montag abgenommenen Bluttests vor, der die Diagnose einer Mononukleose – Pfeiffer’sches Drüsenfieber – nahelegte. Ein befreundeter Virologe, der telefonisch konsultiert wurde, empfahl eine Aufnahme in eine HNO-Klinik. Diese erfolgte am Nachmittag desselben Tages, in einer namhaften Uni-HNO-Klinik.

Im Bereich der Mundhöhle zeigten sich beidseits massiv geschwollene Tonsillen mit weißlich flächigen Belägen. Explizit wurde vermerkt, dass kein Abszess vorhanden gewesen wäre. Gleichzeitig fand eine Endoskopie des Kehlkopfes mit der 70°-Optik statt. Hier ergab der Befund reizlose Schleimhäute mit seitengleichen beweglichen Stimmlippen. Beidseits war der Sinus piriformis frei. Die Glottis war weit. Es lag nach diesen Befunden zu diesem Zeitpunkt kein Hindernis der Atemwege vor. Im Hals fanden sich „massive Lymphknotenpakete“.

Aufnahmediagnose lautete: „Infektiöse Mononukleose“


Als Therapie wurde eine „ausreichende Schmerzstillung“ empfohlen. Die antibiotische Behandlung wurde auf Cefuroxim (3 × 1,5 g intravenös) umgesetzt. Weiterhin wurden Flüssigkeitszufuhr, Schmerzstillung mit einer halben Ampulle Dipidolor und Novalgin (4 × 40 Tropfen) vorgesehen. Ebenfalls abgenommen wurden ein Routinelabor, die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), eine EBV(Ebstein-Barr-Virus)-Serologie und ein Differenzialblutbild. Die Blutwerte wurden um 18:48 Uhr ausgedruckt. Auffällig waren gestiegene Leberwerte (AST/GGT), ein erhöhtes C-reaktives Protein (CRP) auf 54,6 mg/l (Norm: unter 5 mg/l), eine erhöhte Anzahl von Leukozyten auf 16,1 (normal bis 11,3 Giga/l) und eine erniedrigte Anzahl von Thrombozyten auf 142 (Normwert 150-450 Giga/l). Zusätzlich fanden sich eine gestiegene Monozytenanzahl und Antikörper gegen EBV (EBV-IgM-EIA und IgG-EA-D). Zugefügt war der Vermerk, dass der Nachweis von EBV-IgM und EA-Antikörper für eine frische Mononukleose sprechen würde. Der Paul-Bunnell-Test war negativ.

Die Eltern blieben am Mittwoch bis 18:00 Uhr in der Klinik, fuhren dann nach Hause, um Sachen zu holen, gegen 19:00 Uhr waren sie wieder da. Zum Abendessen habe Ihr Sohn vier Toastbrote mit Butter, einen Tee und einen Frischkäse bekommen, die aber nicht zum Schlucken geeignet waren. Speichel sei aus seinem Mund gelaufen. Am nächsten Tag gegen Mittag (12:30 Uhr) wurde der junge Mann erneut von den Eltern aufgesucht. Er war zu diesem Zeitpunkt noch an Infusionen angeschlossen; ihm ging es aber besser. Um 20:30 Uhr riefen sie ihren Sohn an und er meinte nochmals, es sei eine Besserung eingetreten. Um 21:00 Uhr riefen sie wieder ihren Sohn an. In diesem Moment war er unter der Dusche und die Freundin nahm das Gespräch an. Um 21:10 Uhr ging die Freundin nach Hause und erhielt um 21:21 Uhr noch eine SMS. Der Bettnachbar gab später zu Protokoll, dass er selber zu diesem Zeitpunkt geschlafen habe. Im Pflegeprotokoll wurde um 24:00 Uhr eingetragen „Patient geschlafen“. Um 3:00 Uhr wurde vermeldet „Patient scheint zu schlafen“, um 5:00 wurde vermeldet: „Patient tot im Bett aufgefunden“.

Der Bettnachbar hatte von dem Sterben des jungen Mannes nichts mitbekommen. Der Staatsanwalt stellte das gegen verantwortliche Ärzte der HNO-Klinik eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung nach Vernehmung der Beteiligten und nach Einholung eines pathologischen und Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Gutachtens ein und schloss die Akte. Nach den Ergebnissen der rechtsmedizinischen Obduktion war eine pathologisch-anatomisch fassbare Todesursache nicht anzugeben. Auffällig waren zwar die vergrößerten Lymphknoten im Bereich des Halses, die vergrößerten Gaumenmandeln beidseits, eine Rötung der Atemwege, eine Vergrößerung der Milz sowie eine geringe diffuse Verfestigung des Lungengewebes mit einem akuten Überblähungszustand; diese Befunde waren aber nicht als Todesursache anzunehmen.

Die Sektionshistologie ergab ein flächenhaftes hämorrhagisches Ödem sowie Lymphoblasteninfiltrate in der Lunge. Im Herz hätten sich eine kleinherdige lymphoide Myokarditis sowie ein interstitielles Ödem ergeben. Weiterhin hätte eine leichte Myokardhypertrophie bestanden. In den Lymphknoten, in den Speicheldrüsen und in der Zungentonsille wurden ebenfalls lymphoide Infiltrationen gefunden. Es habe sich insgesamt ein extranodaler Befall von Herz, Lunge, Leber, Milz, Nebennierenmark und den Hoden ergeben. Der Tod sei als Folge eines hämorrhagischen Lungenödems bei ausgedehntem pulmonalen Befall durch das Pfeiffer’sche Drüsenfieber sowie mäßiggradigen Befall im Herzmuskel eingetreten.

Bei Berücksichtigung der Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung, der chemisch-toxikologischen Analysen, nach gründlicher Durchsicht aller gegebenen Aktenunterlagen und unter Hinzuziehung der aktuellen Literatur sowie geltenden ärztlichen Standards zur Diagnostik und Behandlung einer infektiösen Mononukleose wurden in beiden Gutachten keine Hinweis auf einen Behandlungsfehler festgestellt. Insbesondere wurde in den Gutachten der Frage nachgegangen, ob durch eine engmaschigere Überwachung oder durch weitere Untersuchungen der Tod hätte vermieden werden können. Besonderes Augenmerk wurde auf die Tatsache gerichtet, dass bei der Aufnahme keine EKG-Untersuchung durchgeführt worden war. Auch in dieser Hinsicht wurden von den Gutachtern Fehler verneint.

Kommentar des Autors: „plötzlicher Herztod“


Als eine Komplikation der infektiösen Mononukleose wird in der Literatur – wegen ihrer Seltenheit – der plötzliche Herztod in Einzelfalldarstellungen beschrieben. Eine solche Störung im Bereich des elektrischen Reizleitungssystems mit Kammerflimmern/-flattern und Herztod erschien im vorliegenden Fall angesichts der bei der Obduktion erhobenen pathologischen Befunde im Bereich des Herzens mit einer feststellbaren leichten Myokard-Hypertrophie, der kleinherdigen lymphoiden Myokarditis und dem interstitiellen Ödem, welches zu einem hämorrhagischen Lungenödem und ebenfalls Herzmuskelbefall durch Epstein-Barr-Virus geführt hat, sehr wahrscheinlich, wie auch im gerichtsmedizinischen Gutachten ausgeführt wurde.

Der ungekürzte Originalartikel  ist erschienen in „HNO Nachrichten“ 51 (2021)“, © Springer Verlag, https://doi.org/10.1007/s00060-021-7646-z

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Metadaten
Titel
Tod bei Mandelentzündung
Publikationsdatum
21.02.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 8/2022

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