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Ärzte Woche

15.06.2020 | Gesundheitspolitik

Babyblues in Kiew

verfasst von: Stefan Schocher

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70 Neugeborene liegen in einem Hotel und warten auf die Vereinigung mit ihren Bestelleltern, die das Kind von einer Leihmutter haben austragen lassen. Die Leihmütter verdienen 20.000 Euro pro Baby – genug für eine Wohnung in einer Kleinstadt.

Baby reiht sich an Baby. Sie liegen in Krippen, schreiend, ihre Gliedmaßen unkoordiniert in die Luft streckend. Sie heißen Kays, Sofia, David, Antonie-Rosmarie, Manuel. Ihre Eltern kommen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien, Finnland, China, Brasilien, den USA, Kanada, oder Argentinien. Geboren wurden sie in Kyiv (Kiew) Und da sind sie nun. Alleine. Ohne leibliche Eltern. Denn der Uterus in dem sie herangewachsen sind und aus dem sie geboren wurden, der war nur gemietet.

Es ist ein äußerst sensibles Geschäftsfeld, auf das die Corona-Krise mit all ihren administrativen Folgen hier ein Licht geworfen hat: Das Geschäft mit dem Wunsch nach einem leiblichen Kind von Paaren, denen das auf natürlichem Weg verwehrt ist; das Geschäft mit der Leihmutterschaft – ein Geschäftsfeld, dessen Umfang mit den Grenzschließungen Namen hat: 70 Neugeborene, die derzeit ihre ersten Lebenstage und Wochen in einem Hotel in einem Randbezirk Kyivs verleben. Babys, die von Leihmüttern zur Welt gebracht wurden, die von ihren Eltern wegen Reisebeschränkungen aber nicht oder nur mit Verzögerung abgeholt werden konnten.

In einem Video, das viral gegangen ist, sind Babys zu sehen, die über das Unternehmen BioTexCom zur Welt kamen. Diese Klinik ist aber nur eine von vielen Unternehmen in diesem Feld. Der Markt ist groß. Mehr als 1.000 Säuglinge könnten bis Ende Juni zusammenkommen.

Maria Holumbowska arbeitet für Firma BioTexCom . Das Unternehmen mit dem Beinamen „Zentrum für menschliche Reproduktion“ hat seinen Sitz in Kyiv. Das erwähnte Hotel gehört dem Unternehmen. Unter normalen Umständen handle es sich um eine Art Gästehaus, in dem die Eltern nach Geburt wohnen können, bis alle Formalitäten um die Eintragung der jungen Menschen und die Ausstellung von Reisedokumenten erledigt sind, sagt Maria Holumbowska. Das dauerte „unter normalen Bedingungen“, sprich: vor Corona, rund ein Monat. Maria Holumbowska sagt: „Vermutlich gibt es viele Kinder auch in Wohnungen mit Babysitterinnen.“

Die Reproduktionsmedizin ist ein umkämpfter Markt, auf dem sich private medizinische Einrichtungen, Agenturen und Leihmütter tummeln. Ein Markt, auf dem der Wert einer Leihmutterschaft nach den Lebensgewohnheiten der Frau, ihrem Gesundheitszustand, ihrem Alter und an der Aussicht auf Erfolg berechnet wird, den ihr Uterus zu bieten hat. Über den Daumen gepeilt erhält eine Leihmutter für ihre Dienste 20.000 Euro. Es ist ein Markt, auf dem von „Garantiepaketen“ die Rede ist. Und ganz viel davon, dass man vor allem eines wolle: helfen.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine sehen so aus: Eine Leihmutter darf genetisch nichts mit dem Baby das sie austrägt gemein haben. Auf diesen Umstand legt Maria Holumbowska großen Wert. Denn: Wäre dem nicht der Fall, würde das den Tatbestand des Kinderhandels erfüllen. Sie sagt: „Die Leihmutter ist nur eine Person, die eine Dienstleitung anbietet.“

Die Eizellen können von der leiblichen Mutter oder einer Spenderin stammen, die Samenzellen müssen allerdings vom Vater kommen. Maria Holumbowska: „Bei dysfunktionalen Spermien können wir nicht helfen.“ Und: der Kinderwunsch muss der eines verheirateten heterosexuellen Paares sein. Homosexuelle Paare haben laut ukrainischem Recht keinen Zugang zu diesen Diensten – exklusiv für ein betuchtes Klientel.

BioTexCom bietet Pakete ab 39.900 Euro, welche die medizinischen Leistungen und das ganze Drumherum abdecken: Befruchtung, Reisekosten, Kosten für die Leihmutter und deren Verpflegung während der Schwangerschaft.

Galina Strelko von der medizinischen Einrichtung IVMED , einem weiteren Anbieter, rechnet mit einer Summe von 50.000 bis 60.000, die ein Paar letztlich springen lassen müsse. Sowohl BioTexCom als auch IVMED betonen, mit der Rekrutierung der Leihmütter nichts zu tun zu haben und allein die medizinische Komponente abzuwickeln.

Hier kommen die Agenturen ins Spiel: Vittoriavita ist ein davon. Natalia ist Managerin in der Agentur. Sie schnürt das Baby-Package: Flüge, Transport vom Flughafen, Unterbringung in Kyiv, der Einkauf und die Verpflegung während der derzeit verpflichtenden zweiwöchigen Quarantäne für jene Eltern, die es in die Ukraine geschafft haben. Im Paket inbegriffen ist die Rekrutierung der Leihmütter.

Im Internet wirbt die Agentur um Frauen. Gesund müssen sie sein, psychisch fit und unbescholten, sie müssen bereits ein gesundes Kind komplikationsfrei zur Welt gebracht haben und einen gesunden Lebensstil pflegen.

Natalia erklärt die Prozedur: Die Frauen werden befragt, medizinisch durchgecheckt, besonders auf Infektionskrankheiten. Daraufhin folgt ein gynäkologischer Check und dann wird die Frau mit den Eltern des Kindes, das sie austragen soll, in Kontakt gebracht – so das gewünscht ist „Für die Leihmütter ist es eine Chance, Geld zu verdienen“, erklärt Natalia.

Ein Kind verändert das Leben

In der Ukraine liegt das Durchschnittsgehalt bei rund 350 Euro. Um 20.000 Euro aber kann man eine kleine Wohnung in einer Kleinstadt oder ein Häuschen in einem Dorf kaufen. Kurzum: 20.000 Euro sind ein Haufen Geld – in der ukrainischen Provinz. In Städten jedoch liegt das Preisniveau knapp unter dem Westeuropas.

Natalia betont, dass man mit Frauen aus der ganzen Ukraine zusammenarbeite: Aus Städten, vom Land, aus dem Westen, aus der Zentralukraine, aus dem Osten. Nur eine Ausnahme gibt es: Frauen, die in den okkupierten Gebieten in der Ostukraine leben, jenen Regionen, die nicht unter Kontrolle ukrainischer Behörden stehen. Sie kommen nicht in Frage. Das hat legale Gründe aber auch ganz praktische, wie Natalia sagt: Dort lebende Frauen könnten die Vertragsbedingungen kaum verlässlich einhalten – und dazu zählt, dass sie sich Untersuchungen unterziehen. Natalia sagt, meistens würden die Frauen auch für die Zeit der Schwangerschaft in die Umgebung einer Klinik ziehen – finanziert von den Eltern des Babys.

Vittoriavita beschäftigt 50 Mitarbeiter Vollzeit. Managerin Natalia sagt: die Konkurrenz auf dem Markt ist groß. Sie spricht von Hunderten Agenturen. Was die in Kiew gestrandeten Babys angeht, so sieht Maria Holumbowska eine leichte Entspannung.

Mit Staaten wie Österreich, Deutschland oder auch Irland klappe die Kooperation bei der Beschaffung von Einreisepapieren für die Eltern gut, sagt sie. Anders bei Frankreich oder Spanien. Und ganz kompliziert wird es, wenn Distanzen ins Spiel kommen, die auf dem Landweg nicht zu bewältigen sind – weil es derzeit kaum Flüge gebe.

Rabattaktion in Kiew

BioTexCom hat indes den Preis für die Beherbergung der Babys halbiert: Von 50 auf 25 Euro pro Tag. Maria Holumbowska betont, dass man versuche, über Videotelefonie Kontakt zu den Eltern herzustellen.

Ein Ersatz kann das aber keinesfalls sein, warnt die von der Ärzte Woche befragte Psychotherapeutin Dr. Barbara Haid: „Es hat eindeutig sehr schwerwiegende Folgen für Kinder, wenn sie in den ersten Lebenswochen und vielleicht sogar Monaten ohne primäre, direkte Bezugspersonen leben.“ Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre eine baldige Vereingigung mit den Eltern wünschenswert.

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Metadaten
Titel
Babyblues in Kiew
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
15.06.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 25/2020

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