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Ärzte Woche

24.09.2020

Ronny Tekal

Entbehrliche Werte

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist , Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

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In Krisenzeiten zeigt sich, was wichtig scheint: Die Kunst ist es nicht!

In einer der abertausenden deutschen TV-Diskussion über das Pro und Contra der Pandemie waren ein paar Virologen, Lokalpolitiker und Gesundheitsexperten zu Gast – das Virus selbst ist diesmal ferngeblieben, da es zurzeit auf Welt-Tournee ist und höchstens zur besten Sendezeit bei Markus Lanz vorbeischaut.

Grundtenor der Debatte war: Sicherheit geht vor und wenn schon Unsicherheit riskieren, dann in den gesellschaftserhaltenden wichtigen Sparten Gesundheitssystem, Wirtschaft und vor allem Schulen. Verständlich, denn die verzweifelten Eltern schaffen die 24-Stunden-Betreuung des Nachwuchses auf Dauer nicht, ohne am Zahnfleisch zu gehen. Und das sollte man tunlichst vermeiden, da die WHO kürzlich empfohlen hat, aufschiebbare Behandlungen beim Zahnarzt zu vermeiden.

Erst ganz zum Schluss, wenn die Gefahr gebannt ist, könne man sich – so die Conclusio der Expertenrunde – den schönen, aber doch ziemlich unnötigen Dingen widmen wie Kunst und Kultur. Auch das ist nachvollziehbar, denn wenn vor den Triagezelten das Blut spritzt, ist ein Bänkelsänger, der das Ganze musikalisch untermalt, wohl das Letzte, was man braucht. Da greift man dann doch eher auf die in Kurvendiskussion ausgebildeten Schüler zurück. Akute Gefahr und künstlerische Mußestunde schließen einander scheinbar aus.

Da die Krise mittlerweile langsam von einem akuten in einen chronisch rezidivierenden Zustand übergeht, stellt sich die Frage, ob man auch auf Dauer auf Bänkelsänger verzichten mag. Denn ist dieser nicht zufällig auch als Arzt, Wirtschaftsmogul, Lehrer oder Schüler tätig, so wird er langsam sein Singen an den Nagel hängen und beim Arbeitsmarktservice auf die Fertigung von Bänkel umlernen.

Wenn dann nach beendeter Krise wieder die Lust nach mehr Muße in den Stunden erwacht, wird man den Bänkelsänger um eine künstlerische Aufarbeitung der Krise bitten – er hatte schließlich jede Menge Zeit, sich Gedanken dazu zu machen. Möglicherweise wird der Sänger dann das tun, was er mittlerweile am besten kann und ein Bänkel bauen. Zum Unmut des Publikums, da eine Bank nicht unterhaltsam ist – sieht man mal von den verhaltensoriginellen Geschäften der Hypo ab. Die Kehrseite der Freiheit der Kunst ist nun mal oft auch die Freiheit vom Einkommen. Ein selbst gewähltes Schicksal, in dem der Applaus das Brot des Künstlers bedeutet. Doch selbst der ist nicht exklusiv, seit die Menschen in der Krise dem Krankenhauspersonal und den Supermarktangestellten applaudiert haben.

Es ist nichts Neues, dass in Krisen die Hard-Facts den Soft-Skills in der Wertigkeit vorgezogen werden. Auch in der Medizin geht es zuerst ums Fressen, dann um die Moral, erst ums Überleben, dann ums Nettsein. So gewinnt in schwierigen Zeiten die Heilkunde ( Scientia medica ) gegenüber der Heilkunst ( Ars medica ) die Oberhand. Dabei braucht es gerade dann ein paar kreative Köpfe, die Bänke nicht nur zusammenschrauben, sondern auch auf ihnen spielen können.

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Metadaten
Titel
Ronny Tekal
Entbehrliche Werte
Publikationsdatum
24.09.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 40/2020

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