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Ärzte Woche

10.06.2023

Die Wissenschaft naht

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Das Land von Eis und Feuer ist die Schöpfung des belesenen George R. R. Martin. Die Reise in seine imaginäre Welt kann nicht jeder antreten.

Dieses Buch ist nichts für fantasielose Menschen. Wenn Sie Listen lieben, Algorithmen und Paragrafen – dann Finger weg! Aber wenn Ihnen Vorstellungskraft und Entdeckergeist zu eigen sind, sind Sie in der Welt von George R. R. Martin gut aufgehoben. Dann auf nach Westeros!

Sie sind gewarnt. Die Geschichte, die Geografie und Geologie oder auch das Klima dieser Fantasy-Welt weisen Ähnlichkeiten mit der unseren auf, sind aber eine Wissenschaft für sich und mitunter schwer zu erklären.

Martins Inspiration ist die turbulente englische Geschichte, insbesondere die Rosenkriege. Die Ursprünge von Westeros setzt er früher an, wenn auch nicht so früh wie sein reales Vorbild. Der Kontinent wurde erst vor 8.000 bis 12.000 Jahren von den ersten Menschen besiedelt, während Homo erectus vor mindestens 700.000 Jahren und Homo sapiens vor rund 40.000 Jahren England erreichten. Ihre Zivilisation entspricht der europäischen Bronzezeit in einer fortgeschrittenen Version. Sie besaßen Bronzeschwerter, die in der Realität erst um 1600 v. Chr. auftauchten.

Die Nachkommen dieser ersten Menschen fristen beim Einsetzen der Handlung, so sie nicht in der Bevölkerung aufgegangen oder zu Adelshäusern aufgestiegen sind, nördlich der großen Mauer ihr Leben. Sie nennen sich selbst Freie Menschen, die übrigen Bewohnern von Westeros bezeichnen sie als „Wildlinge“. Auf ähnliche Weise verspotteten die Schweden lange Zeit die Samen als „Lappen“ – „die in Lumpen“. Die 213 Meter hohe Mauer aus Stein und Eis – inspiriert vom Hadrianswall und der Chinesischen Mauer – schützt das Reich der Sieben Königslande vor Übergriffen aus dem Norden. Dem Reality Check hält die Mauer nicht stand, sie würde unter ihrem eigenen Gewicht schmelzen.

Der Winter naht. Ein großer Teil der Erzählung dreht sich um die gravierende Änderung des Klimas. Der Klimaforscher Dan Lunt (University of Bristol) legt ein Modell vor, mit dem sich erklären lässt, wie eine Jahreszeit mehrere Jahre andauern kann. Können die Drachen im Lied von Eis und Feuer das Klima mehr oder weniger stark beeinflussen? Die Antwort ist Ja, sagt Lunt, wirklich exakt zu beziffern ist diese Variable aber nicht. Drachen zu kontrollieren ist unmöglich – es sei denn, man ist Targaryen.

Würzen mit einer Prise Zaubersalz ist aus wissenschaftlicher Sicht zwar unfair, in der Welt von Westeros ist damit aber immer zu rechnen. Paläontologe Jean-Sébastien Steyer schreibt im Vorwort von „Die Wissenschaft von Game of Thrones“: „Möge dieses Zauberbuch ... den Winter so lange wie möglich hinauszögern, der unweigerlich kommen wird … den Winter der Vernunft, denn er ist wirklich.“

Persönliche Anmerkung: Die Handlung von Game of Thrones gleitet nicht fort und fort wie die Oststraße in J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“-Trilogie. Martins Helden zerhacken einander in blutige Fetzen. Die Charaktere – komplex und skrupellos – intrigieren, vergewaltigen und morden. Sie versuchen in einer gnadenlos-chaotischen Welt zu überleben. Eine Trennung in Gut und Böse, wie sie im „Lord of the rings“ noch möglich war, gibt es beim „Tolkien américain“ (Time, 2005) nicht mehr.

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Metadaten
Titel
Die Wissenschaft naht
Publikationsdatum
10.06.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 24/2023

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