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Ärzte Woche

01.11.2021 | Dermatologische Therapieverfahren

Jugendliches Aussehen – mehr als glatte Haut

verfasst von: Martin Gründl

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Eine glatte, faltenfreie Haut ist wohl das wichtigste Kriterium für Jugendlichkeit und Attraktivität. Doch es gibt weitere Merkmale, die zwar weniger offensichtlich sind, aber dennoch gleichermaßen zu diesem Eindruck beitragen. Wie die Attraktivitätsforschung zeigt, gibt es speziell bei Frauengesichtern noch eine weitere Gesetzmäßigkeit für Schönheit – das Kindchenschema.

Fragt man ein vierjähriges Kind: „Wer sieht denn älter aus, die Mama oder die Oma?“, so wird es diese Frage mühelos beantworten können. Und auf die Anschlussfrage: „Und warum?“ wird man etwas hören wie: „Die Oma hat ganz viele Falten.“ Das ist natürlich völlig korrekt beobachtet – und der Zusammenhang zwischen Falten und altem Aussehen so trivial, dass er keiner weiteren Erläuterung bedarf. Fast ebenso trivial ist der ursächliche Zusammenhang zwischen zunehmenden Alterserscheinungen und schwindender Attraktivität; auch wenn von Seiten der Body-Positivity-Bewegung neuerdings gerne der bemühte Versuch unternommen wird, Attraktivität als reine Definitionssache anzusehen, die allein im Auge des Betrachters liege, also völlig subjektiv und beliebig sei. Dementsprechend könne angeblich auch ein altes Gesicht schön aussehen. Für die meisten Menschen ist jedoch klar: Falten machen alt – und alt macht unattraktiv. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Menschen mit zunehmendem Alter nach Maßnahmen suchen, gegen ihre Falten anzugehen. Dies gilt insbesondere für Frauen, auf denen ein größerer gesellschaftlicher Druck lastet jung und attraktiv auszusehen, verglichen mit Männern.

Erstaunlich ist vielmehr, dass auch viele Erwachsene häufig immer noch denken wie vierjährige Kinder, indem sie viele Falten mit Alter gleichsetzen. Denn so simpel ist die Sache nun auch wieder nicht. Falten sind zwar – ähnlich wie graue Haare – ein offensichtliches Alterskennzeichen, doch selbstverständlich gibt es noch zahlreiche weitere, subtilere Alterserscheinungen. Oder positiv formuliert: Jugendliches Aussehen ist zwar ein äußerst wichtiges globales Attraktivitätskriterium, aber eine faltenfreie Haut ist bei Weitem noch nicht alles, was zu einem jugendlichen Aussehen verhilft. Und natürlich ist faltenfreie Haut erst recht nicht hinreichend für Attraktivität, denn es gibt schließlich – trotz Faltenfreiheit – auch unattraktive Jugendliche.

Ich möchte daher anhand einiger aussagekräftiger Illustrationen aus meinen Arbeiten zur Attraktivitätsforschung die Aufmerksamkeit ein wenig auf andere, nicht ganz so offensichtliche Merkmale lenken, die dennoch – vor allem in der Gesamtheit ihrer Merkmale – einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass ein Gesicht als jugendlich und attraktiv wahrgenommen wird.

Abbildung 1 zeigt zwei Varianten eines Frauengesichts. Eine deutliche Mehrheit der befragten Versuchspersonen findet die rechte Variante attraktiver als die linke. Gleichzeitig wird die rechte Variante deutlich jünger eingeschätzt. An Falten kann es nicht liegen, denn beide Gesichter haben eine faltenfreie Haut. Überhaupt ist die gesamte Oberfläche beider Gesichter identisch, der Unterschied liegt allein in den Gesichtsproportionen. Der Grund: Das rechte Gesicht wurde mithilfe von Morphing-Software am Computer verändert. Dabei wurden die Gesichtsproportionen des erwachsenen Frauengesichts (links) an die Gesichtsproportionen eines berechneten Durchschnittsgesichts von Kindern im Kindergartenalter angenähert. Die Konturen dieses empirisch gewonnenen Kindergesichts, das hier als Kindchenschema bezeichnet wird, zeigt Abbildung 2 . Für die Berechnung des rechten, verkindlichten Gesichts in Abbildung 1 wurde das Kindchenschema mit 40 Prozent gewichtet.

Das Kindchenschema


Zahlreiche experimentelle Untersuchungen zeigen, dass Fotos von Frauengesichtern als attraktiver bewertet werden, wenn ihre Gesichtsproportionen in Richtung des Kindchenschemas verschoben werden – wenn ihre Gesichtszüge also tendenziell Merkmale aufweisen, die typisch für kleine Kinder sind. Die wichtigsten Merkmale des Kindchenschemas sind ein im Verhältnis zum Gesicht großer Hirnschädel, eine dominante, gewölbte Stirn sowie relativ weit unten liegende Gesichtsmerkmale (Augen, Nase, Mund). Dabei sind die Augen groß und rundlich, die Nase hingegen klein und kurz. Die Wangen sind rundlich, das Kinn klein und schmal, der Unterkiefer zierlich. Die Gesamtheit dieser Merkmale führt zu einer jüngeren Altersschätzung und einer höheren Attraktivitätsbewertung bei Frauengesichtern.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass alle diese Einzelmerkmale attraktivitätssteigernd wären. Zwei klare Ausnahmen sind hier zu nennen. Rundliche Wangen sind ein besonders hervorstechendes Merkmal des Kindchenschemas, machen ein Frauengesicht aber nicht attraktiv. Vielmehr gelten heutzutage – anders als noch bis ins 19. Jahrhundert – konkave, also nach innen gehende Wangen als schön. Dasselbe gilt für hohe, ausgeprägte Wangenknochen – ebenfalls ein Merkmal, das nicht Bestandteil des Kindchenschemas ist, ein Frauengesicht aber dennoch attraktiv macht. Beide Merkmale sind „Reifekennzeichen“; sie lassen ein Gesicht weniger jung wirken und machen es trotzdem attraktiv. Die Kombination aus tendenziell kindlichen Gesichtszügen und gleichzeitig deutlich ausgeprägten Wangenknochen mit konkaven Wangen ist selten. Bei Gesichtern von TopModels ist sie aber vergleichsweise häufig zu finden.

Visualisierungvon Attraktivitätskriterien


Dass hochattraktive Frauengesichter einen höheren Anteil kindlicher Gesichtszüge aufweisen, zeigt auch Abb. 3, Bei beiden Gesichtern handelt es sich um Durchschnittsgesichter, die mithilfe von Morphing-Software am Computer (Methode siehe https://doi.org/10.5283/ epub.27663) erzeugt wurden. Das linke Gesicht ist ein Durchschnittsgesicht, das aus Fotos von 64 „normalen“, jungen Frauen berechnet wurde. Das rechte Gesicht hingegen wurde aus den 22 Endrundenteilnehmerinnen der Miss-Germany-Wahl 2002 erzeugt.

Das Durchschnittsgesicht aus den „normalen“ Frauen wird von Befragten auf einer Skala von 1 (sehr unattraktiv) bis 7 (sehr attraktiv) mit 5,6 bewertet, die „virtuelle Miss Germany“ hingegen ein ganzes Stück attraktiver, nämlich mit 6,2. Gleichzeitig wirkt die „virtuelle Miss Germany“ jünger. Dies liegt an ihren kindlicheren Gesichtszügen – konkret am größeren Hirnschädel und an der deutlich zierlicheren Unterkieferpartie. Falten oder generell Unterschiede der Haut spielen bei diesem Direktvergleich keine Rolle, denn beide Computergesichter sind faltenfrei. Die Haut des linken Gesichts sieht sogar geradezu künstlich und puppenhaft glatt aus – dies ist ein unvermeidliches Artefakt der Morphing-Methode aufgrund der hohen Anzahl für die Berechnung verwendeter Gesichter.

Der Vergleich der beiden Durchschnittsgesichter zeigt zum einen deutlich, dass eine perfekt makellose, glatte Haut wie im linken Bild (s. Abb. 3) ein enorm wichtiger Faktor für Attraktivität ist, da die Gesichtsproportionen aufgrund der verwendeten Morphing-Technik ja nur durchschnittlich sind. Zum anderen zeigt das rechte Bild (s. Abb. 3) der „virtuellen Miss Germany“, dass jugendliches Aussehen und hohe Attraktivität auch noch von weiteren Merkmalen abhängen.

Typische Jugendmerkmale


Ein typisches Jugendmerkmal sind auch die volleren Lippen. Das wird nicht nur an der größeren Fläche des Lippenrots der Oberlippe deutlich, sondern auch an der am Lichteinfall erkennbaren größeren Fülle des perioralen Fettgewebes an der Oberlippe. Noch deutlicher erkennbar ist dies in Abb. 4, die prototypische, gemorphte Durchschnittsgesichter im Profil zeigt. Das mittlere Gesicht wurde aus 32 Frauenprofilen berechnet, das linke Gesicht aus den vier unattraktivsten und das rechte Gesicht aus den vier attraktivsten Profilen derselben Stichprobe. Die Gesichter links und rechts visualisieren demnach, was den unattraktivsten bzw. den attraktivsten Gesichtern dieser Studie gemein ist. Das mittlere Gesicht zeigt hingegen die durchschnittlichen Konturen eines normalen, jungen Frauengesichts. Die Unterschiede beim Volumen des perioralen Fettgewebes sind in dieser Bilderreihe gut zu erkennen. Eng verbunden mit dem Volumenverlust im Alter ist damit auch der etwas größere vertikale Abstand zwischen den Referenzpunkten Subnasale und Labiale superior, also ein optisch längeres Philtrum.

Weitere in Abbildung 3 und 4 sichtbare Unterschiede sind die dichteren und längeren Wimpern an der Augenpartie, die ebenfalls als Jugendmerkmal gelten. Gleiches gilt für die größere Steigung der Augenbrauen in Richtung lateral, denn das laterale Absacken der Brauen ist eine typische Folge des Elastizitätsverlustes der Haut im Alter.

Der Haaransatz ist ein weiterer deutlicher Unterschied der Profilgesichter (s. Abb. 4) . Obwohl es sich um Frauen- und nicht um Männergesichter handelt, erkennt man beim Prototyp aus den unattraktiven Profilen deutliche Geheimratsecken und einen etwas höheren Haaransatz als beim attraktiven Prototyp. Der sicherlich auffallendste Unterschied der Profilgesichter sind die unterschiedlich konturierten Kiefer-Hals-Winkel: Beim attraktiveren Profil ist dieser Winkel deutlich kleiner als beim unattraktiven. Der weite Kiefer-Hals-Winkel ist ein typisches Altersmerkmal und vergrößert sich mit dem Spannungsverlust der Haut und dem Absacken des Fett- und Bindegewebes. Beim attraktiven Prototyp wird der vorteilhafte enge Kiefer-Hals-Winkel optisch unterstützt vom schlanken, zierlichen Hals, der ein Merkmal des Kindchenschemas ist.

Zwei sich ergänzende Faktoren


Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Attraktivität und Jugendlichkeit eines Frauengesichts von zwei sich ergänzenden Faktoren abhängen: zum einen vom Fehlen typischer Alterskennzeichen und zum anderen vom Vorhandensein von Gesichtsmerkmalen, die tendenziell in Richtung eines kindlichen Gesichts gehen. Der erste Faktor ist dabei zweifelsohne der bedeutendere Faktor, der den größten Effekt hat. Der zweite Faktor, nämlich die Merkmale des Kindchenschemas, leisten ebenfalls einen Beitrag, den man nicht ignorieren sollte.

Aus dermatologischer Sicht mag man zudem einwenden, dass es für das Ziel kindlicher Gesichtsproportionen – anders als für eine glatte, straffe Haut – kaum Interventionsmöglichkeiten gibt. Dies ist sicher richtig, denn kindliche Gesichtsproportionen sind hauptsächlich von der knöchernen Struktur des Schädels bestimmt und entziehen sich damit größtenteils den Einflussmöglichkeiten des Dermatologen. Dennoch sollte für jeden, der durch medizinische Eingriffe ein ästhetischeres Aussehen schaffen will, ein umfassendes Verständnis von Attraktivität selbstverständlich sein, auch wenn er bestimmte Merkmale nicht beeinflussen kann. Diese Grenzen zu kennen, ist auch im Sinne eines verbesserten Erwartungsmanagements nützlich. So wird beispielsweise eine 50-jährige Frau mit einem schmalen Schädel und einem kräftigen Unterkiefer tendenziell immer älter wirken als eine Frau gleichen Alters mit einem rundlichen Schädel und einem zierlichen Unterkiefer – bei den gleichen ästhetischen Eingriffen.

Teil des Erwartungsmanagements sollte ebenfalls sein, den Patienten klarzumachen, dass alterstypische Merkmale so viel mehr sind als nur viele und tiefe Falten. Selbst wenn man ein bestimmtes Merkmal behandelt – etwa ausgeprägte Nasolabialfalten unterspritzt, die von einer Patientin vielleicht subjektiv als besonders störend empfunden werden – so signalisieren doch zahlreiche andere alterskorrelierte Merkmale nach wie vor das tatsächliche Alter der Patientin.

Ein einzelnes Merkmal kann – sofern es stark von der Norm abweicht – ein Gesicht durchaus unattraktiv wirken lassen oder im Extremfall sogar entstellen. Doch ebenso kann ein Einzelmerkmal auch niemals Schönheit verursachen, noch nicht einmal Jugendlichkeit. Denn die Schönheit eines Gesichts ist ein Wahrnehmungseindruck, der durch sehr viele einzelne Merkmale gleichzeitig entsteht, deren Ausprägungen (zum Beispiel Größe, Form, Farbe) in einem ganz bestimmten Bereich liegen und gleichzeitig auch noch stimmig zueinander passen müssen. Aber gerade das macht die Erforschung und das Schaffen von Schönheit so anspruchsvoll und faszinierend.

Prof. Dr. Martin Gründl ist an der Hochschule Harz, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Wernigerode, Deutschland, tätig.

Der Originalartikel inklusive Literaturangaben ist erschienen in „ ästhetische dermatologie & kosmetologie 5/2021“DOI https://doi.org/10.1007/s12634-021-1549-2 © Springer Verlag

Metadaten
Titel
Jugendliches Aussehen – mehr als glatte Haut
Publikationsdatum
01.11.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 46/2021

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