Michael Janousek × Treat-to-Target-Strategien gewinnen auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen an Bedeutung. Die CALM-Studie, aus der im Rahmen des ECCO 2018 neue Daten präsentiert wurden, zeigt, dass eine an Biomarkern orientierte frühzeitige Therapieeskalation zu einem besseren endoskopischen Outcome und zu mehr Patienten in Remission führt. (Mit Video-Interviews) Erste Symptome chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) treten häufig zwischen dem 15. und dem 40. Lebensjahr auf, also in der produktivsten Lebensphase der Betroffenen. Daten aus PopulationsRegistern in Nordfrankreich zeigen sowohl für den Morbus Crohn als auch für die Colitis ulcerosa einen Inzidenz-Peak in der ersten Lebensdekade, bis 19 Jahre1. Die Krankheit führt unter anderem zu chronischen Schmerzen, die wiederum mit Depression und Niedergeschlagenheit assoziiert sind. Über den individuellen Leidensdruck der Patienten hinaus ergeben sich daraus auch schwerwiegende gesellschaftliche Folgen wie soziale Isolation und Arbeitsunfähigkeit. Erfreulicherweise sind CED heute gut behandelbar. Und die aktuellen Therapien zeigen Wirkung über die reine Symptombekämpfung hinaus. Sie verhindern unter anderem langfristigen Schaden an der Darmmukosa, wie Prof. Dr. Remo Panaccione, University of Calgary, Kanada, im Rahmen der ECCO 2018 betont. Realistische Ziele Steroidfreie Remission, Mukosaheilung, tiefe Remission und damit eine Normalisierung der Lebensqualität sind heute realistische Therapieziele geworden. Der Weg dorthin führt über eine zielorientierte Therapie („treat to target“ – T2T), engmaschiges Monitoring des Krankheitsverlaufs und frühe Intervention – und damit letztlich eine individualisierte Behandlung2. Panaccione: „Zu einer Treat-to-Target-Strategie gehört die Definition eines Therapieziels in Absprache mit dem Patienten, das kontinuierliche Monitoring der Krankheitsaktivität sowie die Anpassung der Therapie, wenn das Ziel nicht erreicht wird.“ Dieses Vorgehen zielt langfristig darauf ab, schwere Komplikationen und dauerhaften Schaden zu verhindern, und führt zu bestmöglichem langfristigen Ergebnissen. Alle Komponenten einer T2T-Strategie – Ziel, Therapie und Monitoring – werden individuell auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten3. Während beispielsweise bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen die Krankheitsaktivität mit klinischen Scores erhoben werden kann, gestaltet sich das Monitoring beim Morbus Crohn deutlich schwieriger. Die Endoskopie erlaubt einen direkten Blick auf die entzündete Schleimhaut, ist jedoch invasiv und kostspielig und aus naheliegenden Gründen auch bei den Patienten nicht oder nur wenig beliebt. Biomarker, die als Surrogat-Parameter eine möglichst genaue Abschätzung der Krankheitsaktivität erlauben, werden daher dringend gesucht, so Prof. Dr. Jonas Halfvarson vom schwedischen Örebro Universitätsspital: „Der zunehmende Fokus auf Mukosa-Heilung und tiefe Remission als Therapieziele sollte nicht dazu führen, dass vermehrt endoskopiert wird. Biomarker der Inflammation sind hilfreiche SurrogatMarker. C-reaktives Protein (CRP) und fäkales Calprotectin (FCP) sind die bei CED derzeit am besten evaluierten Biomarker“, und weiter: „Bis vor kurzem bestand die Rolle der Biomarker ausschließlich darin, invasive Abklärung zu triggern. Wenn zum Beispiel das CRP erhöht war, wurde eine Koloskopie oder MRT durchgeführt.“ CRP korreliert, so Halfvarson, beim Morbus Crohn bedingt mit endoskopischer Aktivität, reagiert auf Therapie-Ansprechen und eignet sich bei Patienten, bei denen eine De-Eskalation der Therapie erwogen wird, als Prädiktor für Schübe. „CRP ist hilfreich in der Diagnostik, im Monitoring und für die TherapieAdaption bei CED. Allerdings ist CRP ein allgemeiner Entzündungsparameter und daher nicht unbedingt ein exakter Marker für Entzündung im Darm“, sagt Halfvarson. Spezifische Entzündungen erkennen Im Gegensatz dazu zeigt fäkales Calprotectin spezifisch Entzündungen im Verdauungstrakt an. Halfvarson: „Fäkales Calprotectin ist ein hilfreicher Marker bei Diagnose, Monitoring und Therapieanpassung bei CED. FCP-Spiegel korrelieren mit klinischem Ansprechen und Mukosaheilung und eignen sich als Prädiktor für Schübe und postoperative Rezidive. Der optimale klinische Einsatz der FCP-Messung ist zwar noch Gegenstand von Studien, doch hat FCP angesichts der heute verfügbaren Evidenz bereits einen Stellenwert im Monitoring von CED.“ So weist Halfvarson u. a. auf Studiendaten hin, die eine gute Korrelation von FCP-Spiegeln und klinischem Ansprechen zeigen. Nach Beginn einer Therapie mit 5-ASA (5-Aminosalicylsäure) und Prednisolon ging der FCP-Spiegel von durchschnittlich rund 10.000 mg/L auf unter 50 mg/L zurück. Klinische Remission trat bei rund 150 mg/L ein. Bei 44 von 45 Patienten mit FCP unter 50 mg/L lag komplette Mukosaheilung vor, bei 38 dieser Patienten war keine histologische Aktivität mehr feststellbar4. Allerdings zeigen Calprotectin-Werte eine hohe intraindividuelle Variabilität und korrelieren mit Stuhlkonsistenz und Stuhlfrequenz5. Eine Metaanalyse ver-glich Cut-Off-Werte von 50, 100 und 250 μg/g FCP und fand in Bezug auf die Bestätigung einer aktiven CED – wenig überraschend – mit sinkendem Cut-Off steigende Sensitivität und fallende Spezifität6. Ebenfalls konnte in der ersten Treat-to-Target-Studie (CALM) gezeigt werden, dass bei einer vermehrten Anzahl an Patienten beide endoskopischen Outcomes (Mukosaheilung ohne tiefe Ulzerationen und endoskopisches Ansprechen) erreicht werden konnten, wenn beide Biomarker, CRP und FCP, in Betracht gezogen wurden7 (siehe Abb. 1). In einer prospektiven Studie mit Patienten mit Colitis ulcerosa waren zwei konsekutive FCP-Messungen von mehr 300 mg/kg mit einer Sensitivität von 61,5 Prozent und einer Spezifität von 100 Prozent mit einem innerhalb eines Monats folgenden Schub assoziiert. Bereits drei Mo nate vor einem Schub waren die FCP-Spiegel signifikant erhöht8. Im Gegensatz dazu blieben die FCP-Spiegel bei Patienten mit stabiler Remission anhaltend sehr niedrig. Eine prospektive Studie mit etwas über 100 CED-Patienten zeigte schließlich, dass eine Verdopplung des FCP-Spiegels mit einer Zunahme des Schub-Risikos um 101 Prozent assoziiert ist9. Ergebnisse der CALM-Studie Auf Basis dieser Daten wurde die Studie CALM (Crohn’s disease Algorithm for Adjusting Therapy Based on Objective Monitoring) ins Leben gerufen, die erstmals in einem prospektiven, randomisierten Setting die Frage untersuchen sollte, ob eine Biomarker-gesteuerte T2T-Strategie klinische Vorteile bringt. CALM war eine prospektive, offene, multizentrische und aktiv kontrollierte 48-wöchige Phase-3-Studie. Verglichen wurden eine Therapiesteuerung mittels symptombasiertem, konventionellen Management (KM) und eine T2T-Strategie in einem Kollektiv Immunsuppressiva- und Biologika-naiver Patienten mit mittelschwerem bis schwerem aktiven Morbus Crohn unter Behandlung mit Adalimumab (Humira®). T2T bedeutet im Falle von CALM, dass Therapieentscheidungen anhand eines als Tight Control bezeichneten engmaschigen Monitorings getroffen wurden, das neben der klinischen Beurteilung die Bestimmung von Laborparametern wie FCP und CRP umfasste. Konkret lauteten die Grenzwerte im Tight-Control-Arm: CDAI < 150, CRP < 5 mg/L, FCP < 250 mg/g und kein Prednison- Bedarf. Erhöhungen der genannten Laborparameter führten ebenso wie klinische Symptomatik zu einer frühzeitigen Therapieeskalation. An der Studie nahmen 244 Patienten mit einer mittleren Erkrankungsdauer von einem Jahr teil. Die Patienten wurden 1:1 in die KM- oder T2T-Gruppe randomisiert. Dabei wurden für beide Gruppen klar definierte Therapieziele sowie ein vierstufiges Schema zur Therapieeskalation vorgegeben. Bei jeder Visite wurden die Therapieziele überprüft und bei Nichterreichung die Therapie konsequent nach dem vorgegebenen Schema angepasst (siehe Abb. 2). Abb. 2: CALM – T2T-Gruppe. Schema zur Therapieoptimierung mit Humira® – sowohl Eskalation als auch De-Eskalation. Ärzte Woche × In CALM konnten durch die T2T-Strategie im Vergleich zu einem symptomgeleiteten Vorgehen sowohl bessere endoskopische Outcomes erzielt als auch signifikant mehr Patienten in tiefe Remission gebracht werden. 45,9 Prozent der Patienten erreichten in der T2T-Gruppe den primären Endpunkt, definiert als Mukosaheilung (CDEIS < 4) und Abwesenheit tiefer Ulzera zu Woche 48. In der KM-Gruppe lag der Anteil lediglich bei 30,3 Prozent (p = 0,01). Patienten erreichten mittels T2T nach 48 Wochen darüber hinaus signifikant häufiger eine steroidfreie Remission als Patienten unter KM (59,8 % vs. 39,3 %; p < 0,001). Hinsichtlich der Sicherheit wurden keine Unterschiede zwischen Treat-to-Target und der konventionellen Therapiesteuerung beobachtet10. „Im Zusammenhang mit den Daten aus CALM werden uns gerne drei Fragen gestellt: Waren Biomarker der wesentliche Treiber der Therapieentscheidungen? Entsprechen die Biomarker den endoskopischen Outcomes? Und funktionieren die Biomarker unabhängig von der Lokalisation der Läsionen im Darm?“, sagt dazu Dr. Peter Bossuyt vom Imelda GI Clinical Research Centre in Bonheiden, Belgien. Und beantwortet alle drei Fragen mit Ja. Daten zur Korrelation von Biomarkern und endoskopischem Outcome wurden im Rahmen des ECCO 2018 präsentiert. Sie zeigen, dass sowohl niedrige CRP- als auch niedrige FCP-Werte mit dem Erreichen des primären Endpunkts assoziiert sind, dass diese Assoziation jedoch für FCP bei einem Cut-Off von < 250 μg/g deutlich stärker ist. In derselben Arbeit wurde auch demonstriert, dass der Prädiktionswert der untersuchten Biomarker weitgehend unabhängig von der Lokalisation der Erkrankung ist7 (siehe Abb. 1). Um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern, sei, so Panaccione, die Prävention der Krankheitsprogression von essenzieller Wichtigkeit: „Wir wissen, dass die Lebensqualität von CED-Patienten langfristig reduziert bleibt, wenn sich die Patienten einer Operation wegen ihrer CED unterziehen müssen.“ Klinische Studien sollten sich daher vermehrt an diesem Therapieziel orientieren. Video 1: Treat to Target – CALM Externer Inhalt Klicken Sie auf den Play-Button um diese Inhalte anzuzeigen und Drittanbieter-Cookies zu akzeptieren. (>) Aktualisieren Sie Ihre Cookie-Einstellungen. Fachkurzinformation Humira 40mg: https://bit.ly/2pNhdQR Extraintestinale Manifestationen Auf einen für viele CED-Patienten äußerst belastenden Problemkomplex wies Prof. Dr. Tim Orchard vom Imperial College London im Rahmen des ECCO 2018 hin: „Extraintestinale Manifestationen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen haben potenziell sehr negative Auswirkungen auf unsere Patienten und wir müssen diese Erkrankungen erkennen und ernst nehmen.“ Insgesamt sind extraintestinale Manifestationen (EIM) sehr häufig. Rund ein Drittel der CED-Patienten sind betroffen11,12. Die Liste möglicher EIM ist lang, betroffen können unter anderem Bewegungsapparat, Haut, Augen, Leber oder Lunge sein. Allerdings gibt es, so Orchard, einige EIM, die häufig und klinisch besonders relevant sind – allen voran die ankylosierende Spondylitis. Diese steht über gemeinsame Pathomechanismen in direkter Beziehung zur Entzündung des Darms. Rund 10 bis 20 Prozent aller Crohn-Patienten entwickeln periphere Arthralgien bzw. Arthritis, eine Sacroiliitis tritt bei bis zu 25 Prozent auf und in drei bis fünf Prozent entwickelt sich eine axiale Arthritis12. Generell sprechen CED-Patienten mit EIM auf eine Behandlung mit Anti-TNF-Biologika gut an. Erfahrungen aus der Rheumatologie zeigen, dass besonders bei einer axialen Spondyloarthritis eine Biologika-Therapie auch erforderlich sein kann, da allein mit konventionellen DMARDs (Thiopurine) kein Ansprechen zu erwarten ist. Für Adalimumab zeigen Daten aus Kohortenstudien gute Therapieergebnisse bei Morbus Crohn mit unterschiedlichen EIM. Die Chance auf Remission der EIM war besser, wenn auch der Morbus Crohn gut auf die Therapie ansprach13. Schweizer Kohortendaten zeigen ebenfalls gutes Ansprechen von EIM auf Anti-TNF14. Alles in allem erlauben also sorgfältiges Monitoring (Tight Control) und bei Bedarf ausreichend effektive Therapie des Morbus Crohn heute bei der Mehrzahl der Patienten zufriedenstellende Krankheitskontrolle, sowohl der intestinalen als auch der extraintestinalen Manifestationen der Erkrankung. Video 2: Extraintestinale Manifestationen (EIM) bei CED Externer Inhalt Klicken Sie auf den Play-Button um diese Inhalte anzuzeigen und Drittanbieter-Cookies zu akzeptieren. (>) Aktualisieren Sie Ihre Cookie-Einstellungen. Fachkurzinformation Humira 40mg: https://bit.ly/2pNhdQR Referenzen 1. Chouraki V, et al. Aliment Pharmacol Ther 2011;33:1133–42. 2. Colombel JF, et al. Gastroenterology 2017;152 (2): 351–61 3. Bouguen G, et al. Clin Gastroenterol Hepatol 2015;13:1042–50 4. Røseth AG, et al. Scand J Gastroenterol 2004; 39:1017–20 5. Lasson A, et al. J Crohns Colitis 2015;9:26–32. 6. Lin JF, et al. Inflamm Bowel Dis 2014;20:1407–15. 7. Reinisch W, et al. Presented at ECCO 2018: OP015 8. De Vos M, et al. Inflamm Bowel Dis 2013;19:2111–7. 9. Zhulina Y et al. Aliment Pharmacol Ther. 2016 Sep;44(5):495-504 10. Colombel JF, et al. Lancet 2017; 390: 2779–89 11. Levine J & Burakoff R. Gastroenterol Hepatol (NY) 2011;7:235–41 12. Barrie A, Regueiro M. Inflamm Bowel Dis 2007;13:1424–29; 2 13. Löfberg R, et al. Inflamm Bowel Dis 2012;18:1–9 14. Vavricka S, et al. Inflamm Bowel Dis 2017;23:1174–81 Quelle Satellitensymposium „Keep CALM and use biomarkers in IBD“, veranstaltet von AbbVie im Rahmen des Kongresses der European Crohn´s and Colitis Organisation (ECCO) am 15. Februar 2018 in Wien.