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29.04.2024 | Apotheke

Sturz mit Folgen

verfasst von: Mag. Christopher Waxenegger

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Gezieltes Screening der Medikation im Sinne eines Patient-centered Care verbessert die Lebensqualität und reduziert Arzneimittelinteraktionen. So lässt sich beispielsweise auch ein medikamenteninduziertes Sturzrisiko minimieren.

Frau T. ist eine 75-jährige Patientin mit bekannter Hypertonie, Hyperlipidämie, Typ-2-Diabetes und Dranginkontinenz. Vor einem halben Jahr stürzte sie in der Nacht auf dem Weg zur Toilette. Dabei zog sie sich eine Fraktur des Kreuzbeins sowie des distalen rechten Unterarms zu, mit dem sie den Sturz abfedern wollte. Beides wurde im Krankenhaus konservativ versorgt. Bei der sich anschließenden fachärztlichen Untersuchung ordnete das FRAX®-Tool – ein etabliertes Instrument zur Erhebung des osteoporotischen Frakturrisikos in den folgenden zehn Jahren – Frau T. einer hohen Risikokategorie zu. Hierauf schloss sich eine Knochenmineraldichtemessung an der Lendenwirbelsäule und am proximalen Femur mittels 2-Spek-tren-Röntgen-Absorptiometrie (Dual energy X-ray Absorptiometry; DXA) an. Auf Basis des resultierenden T-Scores von -1,5 wurde leitlinienkonform eine spezifische medikamentöse Therapie mit einem Bisphosphonat empfohlen und eingeleitet. Der von der Patientin mitgebrachte Beutel enthält acht Medikamentenpackungen. Im Gespräch berichtet die Dame von einem neunten Präparat, das sie sich für ihre Muskelschmerzen besorgt hat ( Tab. 1 ).

Auslöser und Screening

Dieses neunte Medikament ist auch der Anlass für ihren Besuch in der Ordination. Die generalisierten Muskelschmerzen, die Frau T. damit behandelt, sind ihr ein Dorn im Auge. Anfühlen würden sie sich wie ein Muskelkater nach einer längeren Wanderung oder nach dem Schwimmen in der Therme – beides Dinge, welche die Patientin schon länger nicht gemacht hat. Vormittags schränkt sie das besonders ein, da sie dann meist noch etwas schläfrig von der Nacht und unsicher auf den Beinen ist. Wirklich helfen würde das Schmerzmittel aber nicht, weshalb sie sich jetzt etwas „Besseres“ beim Hausarzt holen möchte. Angesichts der umfangreichen Medika- tion wird eine Medikationsanalyse nach dem SOAP-Prinzip ( S ubjective- O bjective- A ssessment- P lan) durchgeführt.

Ergebnis der Analyse

  • Als möglicher Auslöser der diffusen Muskelschmerzen kommt die vor einigen Monaten initiierte Atorvastatin-Therapie infrage. Der Zeitpunkt der Erstverordnung stimmt gut mit dem von der Patientin geschilderten Beschwerdebeginn überein. Leberwerte und Kreatinkinase waren zuletzt jedoch unauffällig. Empfehlung : Versuchsweiser Wechsel von Atorva-statin 40mg auf Rosuvastatin 20mg. Erwäge Dosisreduktion und Zugabe von Ezetimib, falls Muskelschmerzen weiter bestehen.
  • Nichtsteroidale antiinflammatorische Arzneistoffe (NSAID) wie Ibuprofen sind im Alter vermehrt mit gastrointestinalen sowie kardiovaskulären Nebenwirkungen assoziiert. Die Therapiedauer sollte so kurz wie möglich sein. Empfehlung: Umstellung von Ibuprofen auf das besser verträgliche Paracetamol.
  • Die abendliche Einnahme von HCT begünstigt Nykturie sowie damit einhergehende Probleme. Ein Viertel aller Stürze im Alter treten beim nächtlichen Toilettengang auf. Empfehlung: Erwäge Wegnahme der HCT-Gabe am Abend und bei unzureichender Blutdrucksenkung Dosissteigerung der morgendlichen Dosis.
  • Solifenacin ist ein anticholinerger Wirkstoff aus der Gruppe der Parasympatholytika. ZNS-gängige Wirkstoffe dieser Klasse werden mit Delir, kognitiven Defiziten und einem erhöhten Sturzrisiko in Verbindung gebracht. Laut Patientin wird die Medikation gut vertragen. Empfehlung: Engmaschige Überwachung auf anticholinerge Nebenwirkungen.
  • Keine Indikation für Pantoprazol ersichtlich. Erstverordnung im Krankenhaus. Eine Langzeittherapie mit Protonenpumpeninhibitoren war in Studien mit dem gehäuften Auftreten osteoporotischer Frakturen assoziiert. Empfehlung: Erwäge Auslassversuch.
  • Regelmäßige Bewegung und körperliches Training sind in jedem Lebensalter wesentlich für den Erfolg der medikamentösen Osteoporose-Therapie. Die mechanischen Stimuli regen Knochenaufbauprozesse an und sind wesentlicher Bestandteil der Sturzprävention. Die Kombination aus gewichtsbelastendem Training und Widerstandstraining verbessert die Knochenmineraldichte. Empfehlung: Frau T. sollte ein medizinisches Training mit Fokus auf Krafttraining und Training zur Sturzprävention erhalten.
  • Optimierung der Kalzium- und Vitamin-D-Zufuhr. Bei Kalzium kann dies durch den Verzehr von u.a. Milchprodukten, kalziumreichem Blattgemüse oder Mineralwasser erfolgen. Nur wenn die Nahrung allein den Bedarf nicht deckt, sollte supplementiert werden. Für Vitamin D ist besonders in den Wintermonaten eine Supplementierung erforderlich. Empfehlung: Die Ernährung von Frau T. deckt den täglichen Calciumbedarf von 1.000mg. Vitamin D wird ergänzt.
  • Viele ältere Menschen erreichen die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlene Proteinzufuhr von 0,8g/kg Körpergewicht nicht. Gute Proteinquellen sind mageres Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Eier, Nüsse, Samen und Hülsenfrüchte. Shakes und Proteinpulver können im Einzelfall sinnvoll sein, speziell bei veganer Ernährung. Empfehlung: Die Ernährung von Frau T. deckt den täglichen Proteinbedarf.

Auswirkungen der Analyse

Von ärztlicher Seite werden einige Tests zur Sturzgefährdung gemacht. Timed up and go (Mobilitätsstörung), Chair Raising (kraftbedingte Gangunsicherheit) und Tandemstand (Gleichgewichtsstörung) fallen bei Frau T. allesamt negativ aus, was die Medikation der Patientin in den Vordergrund rückt. Die diesbezüglich vorgeschlagenen Änderungen werden umgesetzt und ein zeitnaher Folgetermin vereinbart. Bei diesem berichtet die Patientin von deutlich gebesserten Muskelschmerzen. Die verordneten Paracetamol-Tabletten benötigte sie in den letzten Tagen überhaupt nicht mehr. Auch das Schwindelgefühl am Vormittag sei verschwunden, was ihr bei der Gartenarbeit sehr entgegenkommt.

Resümee

Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine verminderte Knochenmasse und gestörte Mikroarchitektur des Knochens charakterisiert ist. Diese erhöhen die Brüchigkeit und damit das Frakturrisiko. Eine Medikationsanalyse kann helfen, das medikamentenbedingte Sturzrisiko zu reduzieren.


Metadaten
Titel
Sturz mit Folgen
Schlagwort
Apotheke
Publikationsdatum
29.04.2024

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