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03.05.2024

Puppen, Häute und Freuds Couch

verfasst von: Katja Uccusic-Indra

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Die neue Ausstellung im Sigmund-Freud-Museum befasst sich mit dem „Unheimlichen“ in der Kunst.

In seiner 1919 erschienenen Abhandlung „Das Unheimliche“ verwies der Psychoanalytiker einmal mehr auf die Fähigkeit der Künste, dem psychischen Erleben Ausdruck zu verleihen. In Zusammenarbeit mit der Direktorin der Kunsthalle Tübingen, Nicole Fritz, präsentiert Monika Pessler, Chefin des Sigmund-Freud-Museums, eine spannende Schau, die sowohl Konzeptkunst, Fotografie, Objekte und Videos beinhaltet. Dabei treten die Werke in einen Dialog mit dem Ausstellungsort, dem das Unheimliche seit der Vertreibung der Familie Freud 1938 und der anschließenden Internierung jüdischer Wienerinnen und Wiener in der Berggasse 19 durch das NS-Regime zwangsläufig eingeschrieben ist.

Einer großformatigen Fotografie des Amerikaners Gregory Crewdson, die eine Familie im Esszimmer zeigt, wird ein kleines Schwarzweißfoto, das Anna Freud als Kind beim Tisch im Esszimmer der Familie, gegenübergestellt. Selbstbewusst und aufrecht sitzend blickt die jüngste Tochter des Psychoanalytikers in die Kamera. Die Blümchentapete ist auf beiden Bildern fast gleich, sie vermittelt gutbürgerliche Häuslichkeit. Auf Crewdsons Foto wird die Idylle durch die nackte, derangierte, durch die Tür eintretende Mutter gebrochen. Die Frau wirkt verwirrt und scheint von der Gartenarbeit zu kommen, steht sie doch auf zertretenen Blumen, die es in den Raum geweht hat. Während Vater und Sohn einander angespannt gegenübersitzen, blickt die Tochter in der Mitte teilnahmslos vor sich hin.

Mysteriös und düster

Crewdson, geboren 1962 in Brooklyn, ist der Sohn eines Psychoanalytikers und versuchte schon als Kind heimlich lauschend, die Geheimnisse der Patienten seines Vaters zu ergründen. Substanzielle psychische Zustände, die das Leben formen, spielen in seinen Fotos eine zentrale Rolle. Als Location dienen zumeist urbane Vorstädte in den USA, in denen er mysteriöse, oft beängstigende Szenen erschafft. Den Bildern des Amerikaners geht eine monatelange Planung voraus; er arbeitet ähnlich wie ein Regisseur unter Mitwirkung von bis zu Hunderten Personen für Casting, Technik und Kostüme. Von der Ästhetik erinnern seine Arbeiten an Edward Hopper, wobei er selbst sagt, dass er auch von David Lynch beeinflusst ist. Wer mehr von dem zu den bekanntesten Fotografen der Welt zählenden Crewdson sehen will: ab Ende Mai zeigt die Wiener Albertina eine Retrospektive.

Von der leider viel zu früh verstorbenen österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen (1949-2003) sind gleich zwei Arbeiten zu sehen: Ein Polaroid, auf dem ihr eigenes rotes Sofa zu sehen ist, über dem Zeichnungen und Fotos, unter anderem ein Selbstporträt, hängen. Rechts sieht man eine Zimmerpalme und eine Lampe, links Steckdosen. Darunter hat die Künstlerin mit rotem Stift „Freuds Couch“ geschrieben. Jürgenssen zeigt ein düsteres Abbild des eigenen Diwans, ordnet ihn dem Freud’schen Kosmos zu und verknüpft damit die Intimität des Eigenheims und des psychoanalytischen Settings. Die Ähnlichkeit der Wandgestaltung über dem Möbelstück verdeutlicht diese Übereinstimmung. Wie die Künstlerin umgab sich auch Freud mit ausgewählten Kunstwerken und Erinnerungsstücken. Jürgenssen verwendete für viele Arbeiten die in den 70er-Jahren auf den Markt gekommene Sofortbildkamera. Diese für ihre Zeit revolutionäre Technik gab ihr neue Freiheiten, da die Bilder nicht zum Entwickeln ins Fotolabor gebracht werden mussten und sie so zu Hause auf sie zurückgreifen konnte, um mit intimen Gefühlsmomenten zu experimentieren.

„Relikteschuh“ aus dem Jahr 1976 nennt sich ihr zweites ausgestelltes Werk: ein tierisches Zahnskelett, das auf einem vergilbten Lederstück liegt, auf dem ein blutiger Fußabdruck zu sehen ist, verbunden mit einer Art Kordel aus Wachs, die an eine Nabelschnur erinnert. Federn und tierische Haare zieren das aktionistisch anmutende Objekt, das auf einem weißen Seidenpolster liegt. Die Arbeit thematisiert die Objektifizierung der Frau auf einen Fetisch, auf einen Schuh und dem ihm zugedachten Fuß bis hin zur kompletten Auslöschung des weiblichen Subjekts. Jürgenssen befasste sich häufig mit Schuhen – und Füßen – und deren Gebrauch als Fetisch: Ironische Zeichnungen, etwa Schuhe, die wie Vögel oder Säulen aussehen, und Skulpturen wie eine überdimensionale dunkelrote Sandale, die in einen Sessel-Absatz mündet, sowie ein Stöckelschuh, dessen Stoffspitze zu zerfließen scheint, gehören zu ihrem Hauptwerk. Freud meinte, dass der Zwang zum Fetischismus selten als „Leidenssymptom“ empfunden werde. Er bezieht sich auf männliche Patienten: „Die meisten loben sogar die Erleichterungen, die er ihrem Liebesleben bietet.“

Von der Schweizer Künstlerin Heidi Bucher (1926-1993) sind drei Arbeiten und ein Foto präsentiert. Auf der linken Seite von Freuds ehemaligem Esszimmer hängt in der Mitte ein Objekt, auf dem ein Davidstern zu sehen ist. Dieses ist auf der weißen Stellwand von zwei weiteren flankiert: Links ist eine Ofentür aus dem Elternhaus von Buchers Familie in Winterthur, rechts ist ein Sessel aus dem Herrenzimmer von dort zu sehen. Was zunächst wie ein Gemälde aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Haut. Bucher überzog Möbel, Objekte, Fenster, Türen und sogar Wände mit einer perlmuttbesetzten Latexschicht. Ab Mitte der 1970er-Jahre ging sie mit ihren „Raum-Häutungen“ dem Verhältnis zwischen dem Körper und seinem architektonischen Umfeld nach. In der Schau ist ein Foto aus dem Jahr 1978 zu sehen, das Bucher beim Häutungsprozess im Herrenzimmer ihres Elternhauses zeigt. Die Künstlerin wuchs in einer bürgerlichen Familie auf, der Vater verdiente als Bauingenieur das Geld, die Mutter kümmerte sich um Kinder und Haushalt. Das Herrenzimmer ihres Vaters repräsentierte das Reich des Mannes. In dem mit dunklen Möbeln und Wandvertäfelungen ausgestatteten Raum fanden illustre Herrenrunden statt. Nach dem Tod ihrer Eltern beschloss sie, sich die Prägung ihres Elternhauses in einer Performance anzueignen. Sie reinigte mit ihrem Team Böden, Wände und verbliebene Möbel und legte einen Gazestoff aus, um flüssiges Latex darauf zu gießen. Dann versah sie diese Haut mit Perlmuttpigmenten. Sie gab dem Haus und dem Herrenzimmer ein neues selbstbestimmtes Sinnbild weiblicher Repräsentation. Ihr Werk zählt zu den bedeutendsten Positionierungen an der Schnittstelle zwischen Raum- und Körperkunst.

Unheimlich und bedrohlich

Mit ihrem Körper arbeitete auch die amerikanische Fotografin Francesca Woodman (1958-1981). Im Freud Museum ist eine schwarzweiße Akt-Fotografie zu sehen, die ihren eigenen nackten Torso im Freien vor einer hölzernen Wand neben einer Pflanze zeigt. Als verstörendes Element kommen Wäscheklammern hinzu, die sie an empfindlichen Stellen wie Brüsten und Bauch angebracht hat. Damit verwandelt sie den makellosen Frauenkörper in ein unheimliches Szenario der Bedrohung und erhebt Anklage gegen die patriarchale Gewalt.

Von Cindy Sherman, Jahrgang 1954, die zu den bedeutendsten und teuersten Künstlerinnen der Gegenwart zählt, ist eine großformatige Fotografie, die eine malträtierte Puppe zeigt, ausgestellt. Sie entstammt einer Serie, die die Amerikanerin für das Modehaus „Comme des Garcons“ entwarf. Eine blonde Schaufensterpuppe sitzt mit verschmiertem Make-up vor einem goldenen Stoff mit floralen Elementen auf einem weinroten Polster. Ihre Brust ist aufgebrochen, das schräg eingebettete Gesicht einer Frau mit geschlossenen Augen offenbart sich im Inneren. Der Schoß ist mit einem schwarzen Tuch bedeckt, eine seltsame Leerstelle tut sich auf. Dass das weibliche Geschlechtsteil unheimliche Empfindungen auslösen kann, verwundert Freud, da es doch der Eingang zu jenem Ort sei, an dem „jeder einmal und zuerst geweilt hat“.

Die Österreicherin Stephanie Pflaum, geboren 1971, hat extra für den Schauraum Berggasse 19 das Kunstwerk „Haut“ kreiert. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine Schleppe in Rosatönen aus edlen Stoffen und Perlen zu handeln. Schaut man genauer hin, entdeckt man Haare, Plastik-Organe oder schimmernde Embryonen. Freuds Diktum, es sei der „verhüllte Charakter“ des Unheimlichen, der Grauen in uns auslöst, findet in Pflaums Arbeit eine Bestätigung.

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Metadaten
Titel
Puppen, Häute und Freuds Couch
Publikationsdatum
03.05.2024

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