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Ärzte Woche

08.02.2023 | Tekal

Vom Glück des Findens. Oder: die radioaktive Kapsel im Heuhaufen

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist , Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist, Markus Hechenberger

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Vor Kurzem ist bei einem Lkw-Transport in Westaustralien eine acht Millimeter große radioaktive Kapsel vom Laster gefallen. Soweit nicht ungewöhnlich, auch mir fallen gelegentlich solche Dinger aus der Tasche. Bemerkenswert hingegen der Umstand, dass überhaupt jemand nachgezählt und erkannt hat, dass diese eine Kapsel fehlt.

Ich bemerke, dass ich den Autoschlüssel zuhause vergessen habe, oft erst, wenn ich den Wagen am Ziel einparke. Am bemerkenswertesten ist jedoch, dass dieser, nicht einmal münzgroße, strahlende Teil aus Cäsium tatsächlich, inmitten der Wüste, gefunden wurde. Doch jede Suche beginnt bekanntlich im Kopf, und die Frage „Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?“ konnte das Gebiet auf eine 1.400 Kilometer lange Strecke eingrenzen.

Der Fund ist mir unbegreiflich, da ich stundenlang meine Brille suchen kann, die ich am Kopf habe. Zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass meine Brille nicht radioaktiv ist. Ich würde die Person, die das Teil in der westaustralischen Wüste aus dem Sand gefischt hat, einladen, eine Liste abzuarbeiten von Dingen, die ich in den vergangenen Jahren verloren habe. Das beginnt bei bis zu Dutzenden Socken in der Waschmaschine. Sollten die seit Jahren da drin sein, so findet man sie vermutlich, ganz ohne Geigerzähler, am Geruch.

Finden wir etwas, so löst das Glücksgefühle aus, da wir dabei Dopamin produzieren. Obwohl ich glaube, dass die Australier statt einem Freudentanz den schuldigen LKW-Fahrer zu einer Milliardenstrafe verdonnern. Man verwechselt Glück mit Genugtuung.

So befreiend das Finden, so zermürbend kann der Weg dorthin sein. Es ist wie die verkrampfte Suche nach diesem einen vierblättrigen Kleeblatt auf der Wiese, bei der man die Schönheit der Wiese vergisst. Zumal das vierte Blatt am Klee im Prinzip ein genetischer Fehler, im Sinne des ICD-11-Kataloges ist. Darüber hinaus kann man heute vierblättrigen Klee in großen Mengen kaufen. Man könnte vielleicht meinen, Gärtner, die zum Jahreswechsel vierblättrige Kleeblätter anbieten, hätten bemerkenswert viel Glück auf der Suche in der freien Natur gehabt. Das entspricht jedoch nicht einem modernen Geschäftsmodell, wo die Bank, die den Kredit für das Glashaus bereitstellt, wohl kaum eine „voraussichtliche Glückssträhne im vierten Quartal“ als Sicherheit akzeptiert.

Die Blumenhändler helfen daher ein wenig nach und verkaufen statt heimischem Weißklee eine Sauerkleeart aus Mexiko. Die Symbolik zählt und wer hier allzu viel hinterfragt, beraubt sich selbst eines magischen Augenblicks.

Sollten Sie auf der freien Wiese auf ein vierblättriges Kleeblatt stoßen, können Sie sich tatsächlich glücklich schätzen. Es sei denn, Sie vergleichen sich mit jenem Japaner, der es 2009 mit einem Kleeblatt aus 56 Blättern ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat. Es gibt also Gott sei Dank immer genug Gelegenheit, sich nicht zu glücklich fühlen zu müssen. Halten wir die Latte tief und freuen wir uns über drei Blätter, die nicht radioaktiv strahlen.

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Metadaten
Titel
Vom Glück des Findens. Oder: die radioaktive Kapsel im Heuhaufen
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
08.02.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 06/2023

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