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06.03.2024 | Praxis und Beruf

Lichtblicke im Dauerfeuer

verfasst von: Mit Dr. Klaus Michael Fröhlich hat Dr. Katharina Edtstadler gesprochen

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Klinisch tätige Personen sind verpflichtet, anderen zu helfen. Doch wann ist es an der Zeit, sich selbst Hilfe zu holen? Andauernde Konflikte oder konkrete Anlassfälle können jeden an die Grenzen der Belastbarkeit bringen – auch die, die immer für andere sorgen.

Ärzte Woche: Eines Ihrer Bücher heißt „Dauerfeuer“. Welche Herausforderungen sind es, die den Arztberuf so grundlegend von anderen Tätigkeiten unterscheiden, ihn so dauerhaft herausfordernd machen?

Klaus Michael Fröhlich: Das Buch und der Titel sind entstanden, nachdem ich 13 Jahre in der Intensivmedizin verbracht hatte. Dabei handelt es sich um einen besonderen Bereich der Medizin, wo es um die Betreuung schwerstkranker Menschen und auch deren Familien geht. In der Intensivmedizin steht man vor der Situation, dass man niemanden mehr woanders hin verlegen kann. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie Menschen sterben. Oft reihen sich diese Ereignisse so schnell aneinander, dass man keine Luft mehr bekommt, dass man sich nicht mehr erholen kann – zumindest ging es mir damals so. Es ist eine Art Pausenlosigkeit. Diese Pausenlosigkeit spiegelt sich auch im Buchtitel wider. Das Buch zu schreiben war eine Art zeitversetzte Aufarbeitung – Jahre, nachdem ich vom AKH weggegangen bin.  Und ich bin jetzt sehr dankbar dafür. Ich bin erst im Nachhinein draufgekommen, dass dieses Nacherzählen für mich therapeutische Wirkungen hatte. Das Schreiben hat mir geholfen, stattgefundene Ereignisse „fertig zu leben“. Die Intensivmedizin ist aber nicht nur von Katastrophen erfüllt. Es gibt auch viele schöne und wichtige Ergebnisse, wo man jemand retten kann. Aber man ist eben auch ständig mit unaufschiebbaren, schwierigen Situationen konfrontiert. Zu meiner Zeit war es nicht üblich, Supervision zu haben, sondern es war dem Zufall überlassen, ob gerade jemand da war, mit dem man reden konnte. Würde ich heute eine Intensivstation leiten, würde ich viel mehr darauf achten, dass z.B. die Dienstübergabe auch dazu genutzt wird, den Blick kurz auf sich selbst als behandelnde Person zu richten. Das erfordert auch gar nicht viel Zeit. Es wäre wichtig, dies auch schon bei Studierenden und jungen Ärztinnen und Ärzten zu implementieren.

Ärzte Woche: Sie haben von 1995 bis 2003 eine der Intensivstationen an der Universitätsklinik des AKH Wien geleitet. Was hätten Sie damals noch gerne am System und am Miteinander geändert?

Klaus Michael Fröhlich: Rückblickend habe ich damals schon ein Ohr gehabt für den Menschen und die menschliche Seele - egal ob für Patient:innen, Familienangehörige oder meine Kolleginnen und Kollegen. Aber mittlerweile sind 20 Jahre vergangen und das, was ich heute implementieren würde, ist, bei den Visiten nicht nur die medizinischen Fakten zu übergeben, sondern im besten Fall sollte auch das soziale Umfeld des Patienten miteinbezogen werden.  Und der Blick auf sich selbst: Wie geht es mir, wenn ich diesen Patienten betreue und kennenlerne? Wie ist der Tag heute für mich gelaufen? Wie ist meine Ausgangsverfassung am Beginn des Dienstes? Das ist eine sogenannte „Power position“ des Tages, die in manchen Bereichen wie z.B. in Hospizen oder auf Palliativstationen schon so gelebt wird. Der Tag beginnt nicht mit dem ersten Patienten oder der ersten Patientin bei der Übergabe, sondern mit dem eigenen Zustand – woher komme ich gerade; wovon ist Herz und Hirn eigentlich voll bei mir als Betreuerin und Betreuer? Das gilt sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für die Pflege und Therapeuten. Genau das habe ich damals leider nicht bewusst gefördert, denn ich war sehr beschäftigt mit meinen eigenen Dingen als junger Chef einer Intensivstation. Bis heute ist dieser Blick nach Innen noch nicht implementiert im Klinikalltag – aber das Bewusstsein dafür steigt.

Ärzte Woche: Empathie ist ein Schlagwort, das vor allem in Bezug auf das Verhältnis zwischen Ärzt:innen und Patient:innen immer wieder eingebracht wird. Warum ist auch die Empathie zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter:innen so wichtig?

Klaus Michael Fröhlich: Die Struktur einer Organisation ist so aufgebaut wie ein Blutkreislauf. Es gibt Hauptschlagadern und feine Gefäße, die dann bis zu den ausführenden Organen gehen. Wenn da irgendwo die Kommunikation verstopft, mangelhaft oder sogar schädlich ist, dann spüren das alle, die darunter stehen in dieser Physiologie oder Pathophysiologie des Zusammenspiels. Ich habe einmal einen Lehrgang in Mediation und Konfliktmanagement an der Universität Klagenfurt gemacht, wo wir viel über Organisationen gelernt haben und nehme die Themen „Grundkonflikte“ und „Hierarchien in Organisationen“ auch hinein in meine Ausbildungsarbeit mit Studierenden. Sie müssen wissen, was der Struktur immanent ist, womit man rechnen muss, wenn man einmal selbst Chefin oder Chef wird – also vor allem auch die schwierigen Seiten einer Führungsposition verstehen. Und der Frage nachgehen: Was ist pathologisch? Was ist ein Grundkonflikt dieser Position? Das kann z.B. sein, dass eine Chefin Entscheidungen treffen muss, mit der nie alle zufrieden sind. Das ist mit der Führungsrolle verbunden und dann kann man aber so oder so Chefin oder Chef sein, man kann von oben herab agieren oder man kann ein Miteinander anbieten, das möglichst Augenhöhe funktioniert. Diese Kommunikationsebene ist so wichtig wie die Durchblutung eines menschlichen Körpers… von einer Hierarchieebene zur nächsten. Das zeigt sich vor allem im professionellen Zusammenspiel, wenn es um lebensbedrohliche Situationen geht, denn da ist jede Form von Machtausübung hinderlich. Das Zusammenspiel wird da im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig. Da ist dann völlig egal, ob ich der Chef bin oder ein kleineres Rädchen, denn das symphonische Miteinander funktioniert nur mit Kommunikation auf Augenhöhe.

Ärzte Woche: Sie arbeiten jetzt seit 15 Jahren als Supervisor und Coach in der Medizin. Mit welchen Anliegen kommen Menschen zu Ihnen?

Klaus Michael Fröhlich: Ich bin selbst nicht mehr klinisch tätig, sondern arbeite ausschließlich mit klinisch tätigen Menschen aller Altersstufen. Nicht nur mit Ärztinnen und Ärzten, sondern auch Personen aus der Pflege und anderen Bereichen. Manche kommen zum berufsbegleitenden Coaching und manche kommen aus einem Anlassfall – diese Anlassfälle sind in zwei große Themen aufzuteilen. Das erste Hauptthema ist das strukturelle Umfeld. Probleme mit Vorgesetzten, Druck von Kolleginnen und Kollegen, ungelöste Konflikte in der Organisation, das ist für viele ein belastenderer Faktor als die direkte Arbeit mit Patientinnen, wo es um Leben und Tod geht. Oder es geht um gefährliche Eingriffe, die aber notwendig sind. Die Themen Sterben und Tod sind sicher auch Anlassfälle, mit denen Menschen zum Coaching kommen, aber meistens sind es strukturelle Probleme.

Vor Kurzem kam ein junger Kollege zu mir: „Herr Fröhlich, ich habe zum ersten Mal einen toten Patienten vor mir gehabt und habe den Tod feststellen müssen, die offiziellen Formulare ausfüllen und die Angehörigen betreuen – was Ärzte eben tun müssen.“ Diese Situation haben wir uns dann gemeinsam angeschaut. Genau das war sehr wichtig für ihn. So ein Ersterlebnis kann aber auch viel später auftreten.
Ich hatte einen Kollegen, der viele Jahre einer der besten bei invasiven Eingriffen war. Nach 20 Jahren hochqualifizierter Berufsausübung ist ihm eine erste Komplikation passiert:  Eine schwere Blutung, die lebensgefährliche Ausmaße angenommen hat. Der Patient musste auf die Intensivstation, er hatte weite, lichtstarre Pupillen, was ein Anzeichen für einen Hirnschaden sein kann. Er war völlig verzweifelt. Konfrontiert zu sein mit der ersten Komplikation im Berufsleben – das ist auch oft ein Anlass, selbst, wenn man schon sehr erfahren ist. In diesem Fall ist es gut ausgegangen. Der Patient konnte gerettet werden, ohne Hirnschaden, aber der Schreck war dennoch sehr groß. Andere Vorfälle können z.B. Vorwürfe von Familienangehörigen rund um die Betreuung eines Patienten sein, da gibt es eine längere Liste. Aber die teilt sich in zwei große Hauptgruppen, nämlich die direkte Patientenarbeit und das Leiden an der Organisation.

Ärzte Woche: Was kann man tun, wenn es nicht möglich ist, die Arbeit „in der Arbeit“ zu lassen? Wann sollte man als Mediziner / Medizinerin externe Hilfe in Erwägung ziehen?

Klaus Michael Fröhlich: Aus heutiger Sicht würde ich zweistufig vorgehen. Die erste Stufe wäre: Bitte sprecht im Team möglichst regelmäßig miteinander, auch am Ende des Tages: Was ist heute gut gelaufen und was möchte ich lieber nicht mit nach Hause nehmen? Also eine Kurzintervision mit einem Fachkollegen für maximal 5 Minuten vor dem Heimgehen. Das regelmäßig zu machen, wäre die erste Maßnahme.
Bei der zweiten Stufe erinnere ich mich an meine eigene Zeit, als ich am Höhepunkt meiner klinischen Karriere in ein Erschöpfungssyndrom gerutscht bin, ohne es zu bemerken. Deswegen weiß ich, dass man oft erst durch Außenerlebnisse bemerkt, wie es einem wirklich geht. Wenn der vierjährige Sohn zu mir sagt „Papa, du bist immer so böse“, weil ich ihn grundlos angefahren habe, weil ich so müde war. Dann geht einem das durch Mark und Bein. Oder wenn deine Ehefrau dir sagt, dass der Vorsatz für ihr nächstes Lebensjahr ist, sich von dir nicht mehr die Laune verderben zu lassen. Das sind große Alarmzeichen. In solchen Fällen würde ich jeden bitten, sich nicht schuldig zu fühlen, aber klar ist dann auch, dass externe Hilfe indiziert ist und dann ist das auch schon ein Spätstadium. Frühere Symptome wären z.B., wenn man merkt, dass man fahrig und gereizt ist, wenn man Konflikte eher vermeidet und Probleme wegschieben will. Wenn man über diese Anzeichen Bescheid weiß, dann nimmt man sie auch besser wahr. Deshalb lege ich auch bei meinen Studierenden den Schwerpunkt auf Salutogenese, und ich unterrichte auch die Frühsymptome von einem Burnout Syndrom. Der Rückzug ist auch so ein Symptom, wenn man sich zurückzieht und von nichts mehr hören will. Wenn man auch im privaten Leben keine Lust mehr hat auf soziale Kontakte. Diese Warnzeichen möchte ich der ganzen Gesellschaft nahelegen: Sollten Sie bei einem anderen Menschen, der Ihnen am Herzen liegt, diese Symptome erkennen, gehen Sie auf ihn zu und sprechen Sie über die wahrgenommenen Veränderungen. Lassen Sie sich auch nicht entmutigen, wenn Sie eine Abfuhr kriegen... Zu mir haben auch Leute gesagt, du Fröhlich, geh brausen mit deinem Psychogramm. Aber meistens bleibt doch etwas hängen und Menschen, die einen zunächst zurückweisen, suchen sich später doch Hilfe. Deswegen möchte ich alle Menschen ermutigen, immer wieder Beziehungsangebote zu machen, ohne ins Helfersyndrom zu gleiten – diese Art der Aufmerksamkeit würde ich am liebsten gesellschaftsweit unterrichten, nicht nur in der Medizin.

Ärzte Woche: Welche Kompetenzen müssten im Zuge des Medizinstudiums (anders) trainiert/vermittelt werden, um angehende Mediziner:innen besser auf die beruflichen Anforderungen vorzubereiten?

Klaus Michael Fröhlich: Ich darf seit 15 Jahren ein freies Wahlfach an der MedUni Wien unterrichten, das nennt sich „Selbst sein im klinischen Leben“. Pro Semester nehmen etwa 20 bis 30 Studierende teil, d.h. dass ich seit 2006 knapp 1000 Studierende unterrichten durfte. Einige von ihnen sind mittlerweile in führenden Positionen oder als Oberärztinnen und -ärzte tätig oder haben ein Primariat inne und sie erinnern sich laut eigener Aussage an die Erfahrungen, die sie in diesem Seminarblock gemacht haben. Das Interesse an dem Wahlfach ist beständig bis steigend. Vor 15 Jahren gab es überhaupt keine Angebote in diese Richtung und jetzt hat die MedUni Wien regelmäßige Supervisionsangebote für Studierende. „Self Care“ für Medizinstudierende heißt das im Moment. Es geht darum, diese Achtsamkeit für sich selbst zu trainieren: Wie nehme ich Gefühle überhaupt wahr? Nicht nur jene in schwierigen Situationen wie Trauer, Angst und Wut, sondern auch die positiven – Lebenslust, Freude, Glück. Denn auch das sind wesentliche Gefühlsräume, die man kultivieren muss. Ich bereite auch gerade ein Manuskript vor, in dem ich diesen Bewusstseinswandel in der Medizin, der sich langsam abzeichnet, auf Basis meiner Erfahrungen festhalte. Das wäre dann das Pendant zum Dauerfeuer – wo beginnen die Lichtblicke, wo beginnt das Lebensfeuer und wie kann man sie fördern?

Ärzte Woche: Ein Unterkapitel in Ihrem Buch „Dauerfeuer“ heißt „Bedside-Teaching“. Bereits William Osler war ein großer Befürworter des Unterrichts am Krankenbett. Wie wichtig ist der frühe Kontakt zu Patienten während des Medizinstudiums?

Klaus Michael Fröhlich: Mein erster Impuls ist, zu sagen: je früher, desto besser. Und je früher der Kontakt mit Patientinnen und Patienten stattfindet, desto besser gehört er begleitet. Man muss die jungen Menschen mitnehmen, sie vorbereiten und Ihnen dann auch zeigen, wie man mit Patienten spricht. Ich würde sie auch möglichst früh zur Mitarbeit einladen, z.B. beim Blutdruckmessen, und sie im Anschluss fragen, wie es ihnen im Kontakt ergangen ist. Man darf sie keinesfalls allein lassen. Erfahrungsgemäß ist das auch etwas, was die jungen Menschen beflügelt. Dagegen ist das Alleingelassenwerden ein Trauma, das sich bei vielen durch die ganze Ausbildung zieht. Einer der schwersten Fehler, die man machen kann, ist, junge Kolleginnen und Kollegen allein zu lassen mit Dingen, die sie noch nicht kennen. Oft ist es auch so, dass sogar reifere Medizinstudierende in Lehrspitälern nicht einmal mit Namen angesprochen werden. Gott sei Dank gibt es auch Ausnahmen, die ich immer gerne „Biotope“ nenne, weil dort gewissermaßen der Ort des Lebens ist: Dort wird man begrüßt, begleitet und auf Augenhöhe eingebunden. Schon am Beginn des sollte es im besten Fall Menschen geben, also Ärztinnen und Ärzte oder Pflegerinnen und Pfleger, die sich gerne um Unerfahrene kümmern. Das braucht auch nicht so viel Zeit… Man kann in einer Minute so viel gut machen und in einer Minute so viel verhauen. Aufmerksamkeit braucht nicht viel Zeit, entscheidend ist die Qualität.

Ärzte Woche: Sie haben Ihre Erfahrungen als Mediziner in mehreren Büchern schriftstellerisch ausgedrückt. Was hat Sie motiviert, Leser:innen ohne euphemistischen Filter an der ärztlichen Perspektive am Krankenhausalltag teilhaben zu lassen, sie hinter die professionellen Kulissen blicken zu lassen?

Klaus Michael Fröhlich: Ich habe schon sehr früh bemerkt, dass mir das Schreiben liegt. Und dann gab einmal ein Gespräch mit einem früheren Verlagsleiter – beim Heurigen im Alten AKH – da habe ich ihm von ein paar Schlüsselerlebnissen als Intensivmediziner erzählt. Einmal musste ich von einer Minute auf die andere ein vierjähriges Mädchen betreuen, dessen Mama wegen einer Hirnblutung bei uns auf der Station gelegen ist. Sie war hirntot, wurde für die Organspende vorbereitet und ich musste für dieses Mädchen Hilfe besorgen. Das wäre so ein klassischer Fall für eine anschließende Supervision gewesen. Der Verlagsleiter war damals ganz berührt und hat gemeint, ich sollte diese Erlebnisse aufschreiben. Es hat dann über 2 Jahre gedauert bis mein erstes Buch „Die Schärfe des Augenblicks“ erschienen ist – währenddessen war ich auch noch als Intensivmediziner tätig. Ich habe dann auch gespürt, dass mir das Schreiben guttut. Es hat sich dann herausgestellt, dass es auch anderen guttut, wenn sie solche Erfahrungsberichte lesen, denn ich habe viele Rückmeldungen bekommen. Es ist rückversichernd, zu sehen, dass auch ein Professor für Innere Medizin solche Gefühle haben kann, dass ich nicht abnormal bin, sondern dass auch wenn der Herr Professor das fühlt, bin ich auch nicht abnormal mit meinen Reaktionen. Einer hat gesagt: „Sie beschreiben das, was wir erleben.“ Das Buch Dauerfeuer habe ich während eines zweijährigen unbezahlten Urlaubs geschrieben. Eine Auszeit, die ich mir genommen habe, weil ich so erschöpft war und einen zervikalen Diskusprolaps hatte und mich nicht mehr rühren konnte. Ich wollte dort hinschauen, wo in der Medizin Mangel herrscht – so, als würde man der Herzphysiologie die Diastole wegnehmen.

Ärzte Woche: Sie haben es schon angedeutet und auch im Vorwort zu Dauerfeuer steht, das Buch zu lesen heißt, das Erlebte „nachzuerleben“ und „nachzufühlen“. Galt das auch für Sie selbst während des Schreibprozesses? Hat sich nach mehreren Publikationen eine Routine eingestellt?

Klaus Michael Fröhlich: Ich denke das ist gleichgeblieben. Ich lese heute noch manchmal in meinem Unterricht eine Erzählung aus einem meiner vier Bücher vor und spüre dann, dass ich wieder in dieser Energie bin, die ich auch damals erlebt habe. Diese Authentizität ist das Geheimnis, warum die Geschichten auch andere Menschen erreichen. Dagegen erreicht das ganze „Plastikfutter“, das künstlich geplappert oder geschrieben wird niemanden. Deshalb lese ich manchmal was vor aus dem eigenen Erleben. Ich erzähle seit vielen Jahren regelmäßig – und natürlich anonym – Begebenheiten aus Supervisionen, wo sich etwas gelöst hat. Wo sich Angst aufgelöst hat, wo die Gesichter am Ende wieder gut durchblutet waren. Auch diese Erzählungen wird es bald in Buchform geben.

Ärzte Woche: Wie waren die Reaktionen auf Ihre Bücher?

Klaus Michael Fröhlich: Von den positiven Reaktionen habe ich schon berichtet und das war auch der Großteil, aber natürlich gab es auch negatives Feedback (in der Gaußschen Verteilung aber eher am Rande). Einmal wurde ich paradoxerweise anonym angezeigt von einem Arzt oder einer Ärztin, weil ich einmal in einem Interview gesagt habe, dass ich auch geldgierige Ärzte kennen würde. Diese Person hat das pauschal genommen und es geschafft, mir bei der Ärztekammer ein Disziplinarverfahren anzuhängen. Ich musste mich dann vor fünf Juristen – keinem einzigen Arzt ­– dafür verantworten und das war für mich wirklich eine schlimme Erfahrung. Aber ein paar Tage später wurden 300 Exemplare von meinem Buch „Dauerfeuer“ gekauft, um sie in derselben Ärztekammer, einen Stock höher, an die Ärzteschaft zu verteilen. So war die Spannweite:  Einerseits angeklagt, andererseits Vorbildfunktion. Außerdem gab es einige wenige negative Reaktionen seitens meiner Intensivmediziner-Kollegenschaft, aber die meisten waren erleichtert und fühlten sich ermutigt. Im „Dauerfeuer“ gibt es sicher einige kritische Äußerungen und ich beschreibe, wie sich Führungskräfte maligne verhalten können. Aber überwiegend waren die Reaktionen wertschätzend und ich habe heute noch einen ganzen Ordner voll mit Briefen und Dankesschreiben. Dabei geht es ja auch nicht nur um meine Person, sondern darum, dass ich die Dinge erzähle.

Ärzte Woche: Das Buch ist „Den Verstummten“ gewidmet. Wen meinen Sie damit und was möchten Sie diesen Menschen mit auf den Weg geben?

Klaus Michael Fröhlich: Mit „den Verstummten“ meine ich in erster Linie die, die so erschöpft sind, dass sie sich vollkommen zurückziehen; die, die sich nicht mehr äußern und gar nicht daran denken, etwas zu verändern oder sich Hilfe zu holen. Menschen, die aus Kraftlosigkeit verstummen. Die anderen Verstummten sind die, die resigniert haben, was das System betrifft, die ihre Jahre bis zur Pension nur mehr abarbeiten. Leider sind viele Kolleginnen und Kollegen atrophiert in ihrer Fähigkeit, sich zu äußern oder sich zu verändern – z.B. wegzugehen aus einer bestimmten Klinik. Das Dauerfeuer ist jenen gewidmet, die – vielleicht nur vorübergehend – keine Stimmen mehr haben oder sie nicht nutzen.

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Metadaten
Titel
Lichtblicke im Dauerfeuer
Schlagwörter
Praxis und Beruf
Studium
Publikationsdatum
06.03.2024

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