Das Ziel jeder onkologischen Therapie besteht darin, eine Wachstumshemmung der Krebszellen zu erreichen, bei gleichzeitig minimalem Schaden am gesunden Organismus. Onkologische Behandlungsentscheidungen sind daher immer Abwägungen zwischen erwünschter Wirkung und unerwünschten Nebenwirkungen, die sich häufig am Herzen manifestieren. Ein grundlegendes Verständnis der molekularen Mechanismen kardialer Nebenwirkungen ist von großer Bedeutung, um zukünftig vulnerable Patienten identifizieren zu können und passende protektive Strategien zu entwickeln.
Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über molekulare Angriffsziele onkologischer Therapien und die möglichen toxischen Folgen für das Herz. Der Schwerpunkt liegt auf den häufigen (z. B. anthrazyklinassoziierte Toxizität) oder besonders schwerwiegenden toxischen Wirkungen (z. B. Immun-Checkpoint-Inhibitor-assoziierte Myokarditis). Die beschriebenen molekularen Mechanismen basieren im Wesentlichen auf präklinischen Daten.
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Wo die Zelle verwundbar ist
Die Therapie onkologischer Erkrankungen zielt primär darauf ab, maligne Zellen an ihrer Proliferation zu hindern und/oder selektiv abzutöten. Hieraus ergibt sich, dass im Prinzip alle Mechanismen, die eine Zelle zum Überleben bzw. zur Teilung benötigt, ein theoretischer Angriffspunkt sind (Abb. 1). Auf molekularer Ebene haben sich insbesondere die DNA, der Spindelapparat, die Mitochondrien, das Proteasom, bestimmte Kinasen und tumorspezifische Antigene als pharmakologische Ziele etabliert (Tab. 1).
Tab. 1
Onkologische Therapien und wichtigste molekulare Ziele bzw. Mechanismen, die an der Entwicklung unerwünschter kardiovaskulärer Nebenwirkungen beteiligt sind
Medikament | Molekulare Mechanismen | Molekulares Ziel | Toxische Wirkung am Herzen |
---|---|---|---|
Anthrazykline | Aktivierung von Apoptose; Fe2+-Überladung; Störung von Transkription; DNA-Doppelstrangbrüche; Mitophagie; Inflammation; Autophagie; Energiedepletion | Top2b, BAX, ROS | Apoptose, ROS-Anstieg; kardiale Dysfunktion; Fibrose |
Proteasominhibitoren | Aktivierung von Apoptose | 20S-Untereinheit des Proteasoms | Apoptose, Hypertrophie, Inflammation |
Immun-Checkpoint Inhibitoren | Aktivierung des Immunsystems; gestörter Ca2+-Haushalt, Apoptose? Inflammation | PD1, PD-L1, CTLA‑4 | Myokarditis; Perikarditis |
Tyrosinkinaseinhibitoren | Hemmung der Zellteilung/Proliferation; endotheliale Dysfunktion; Apoptose; gestörter Ca2+-Haushalt; Hemmung der Angiogenese | EGFR, VEGF, PDGF, JAK, RET | Hypertrophie; Kardiomyopathie; Vorhofflimmern; arterielle Hypertonie |
Immunmodulatoren | Antiangiogenese, Hemmung von Proliferation, antiinflammatorisch | Il‑6, Il-12, TNF‑α | Apoptose; Embolien; Arrhythmien |
RAS/RAF/MEK-Inhibitoren | Hemmung der Zellteilung/Proliferation; Apoptose | Proteine des BRAF-Signalwegs | Hypertrophie; Fibrose; gestörte kardiale Entwicklung |
Antikörper | Hemmung der Zellteilung/Proliferation; Apoptose | Oberflächenantigene | Kardiomyopathien |
CAR-T-Zellen | Einleitung einer gezielten Immunantwort; Inflammation | Personalisiertes Antigen | Inflammation |
Zytostatika | Hemmung der Zellteilung/Proliferation; ROS-Generierung; Hemmung von Transkription | DNA-Synthese-Apparat | Kardiomyopathie; Ischämien durch Vasokonstriktion |
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Eine solche molekulare Einordnung onkologischer Therapien ist sinnvoll, da sich beispielsweise eine Hemmung der DNA-Synthese auf unterschiedliche Art und Weise erreichen lässt, z. B. durch Alkylierung, Interkalation, Einbau von Nukleosidanaloga oder die Hemmung der Purinsynthese oder wichtiger Enzyme wie Topoisomerase II oder Nukleotidreduktase. Alle pharmakologischen Eingriffe folgen einer eigenen Kinetik und Dynamik und haben im Prinzip auch eigene Wirkungen auf Herzmuskelzellen, Gefäße oder kardiale Fibroblasten. Aufgrund der geringen Proliferation der kardialen Zellen ist das Herz relativ gut gegen einen toxischen Schaden geschützt.
Alternative Strategien
Neben der unspezifischen Hemmung der Proliferation und des Überlebens von Krebszellen haben sich zunehmend andere mögliche Wirkmechanismen einer Tumortherapie entwickelt. So schaffen sich bestimmte Krebsarten eine günstige Umgebung für ihr Wachstum, z. B. durch Hemmung der lokalen Immunantwort, verstärkte Inflammation oder eine Vermehrung von Gefäßen, die ihrerseits mithilfe gezielter Therapien angegangen werden können (Aktivierung des Immunsystems, Hemmung von Bindegewebszellen und Gefäßwachstum).
Im Umkehrschluss ergeben sich hieraus toxische Wirkungen am Herzen. Außer der Einleitung der Apoptose von Kardiomyozyten kommt es zu Immunphänomenen und Veränderungen der Reizleitung. Phänotypisch führt dies zu einer reversiblen oder irreversiblen Verschlechterung der linksventrikulären Pumpfunktion (z. B. bei bestimmten Tyrosinkinaseinhibitoren oder Anthrazyklinen), Myokarditiden (z. B. durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren) und Arrhythmien (z. B. Vorhofflimmern bei Tyrosinkinaseinhibitoren). Sekundär können aufgrund einer Belastung anderer Organsysteme eine arterielle Hypertonie (z. B. bei Inhibitoren des „vascular endothelial growth factor“, VEGF), eine pulmonalen Hypertonie (z. B. durch Cyclophosphamid) oder kardiale Belastungen im Rahmen von Embolien die Folgen sein.
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Anthrazykline
Die molekulare Wirkung von Anthrazyklinen am Herzen wird v. a. durch direkte Effekte an den Kardiomyozyten erklärt. Drei wesentliche Mechanismen für die toxische Wirkung werden verantwortlich gemacht:
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Bildung von „reactive oxygen species“ (ROS),
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Aktivierung proapoptotischer Signalwege sowie
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alkylierende Wirkung von Anthrazyklinen auf die Topoisomerase IIb (Top2b) und die DNA selbst (Abb. 2).
Neue Daten zeigen, dass auch transkriptionellen Prozessen unter Beteiligung von Mikro-RNA und zirkulärer RNA eine Bedeutung bei der Kardiotoxizität zukommt.
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Die toxische Wirkung der Anthrazykline entfaltet sich in Mitochondrien, im Zytosol und im Zellkern
Entsprechend den 3 wesentlichen Wirkungsweisen entfaltet sich eine toxische Wirkung in 3 Zellkompartimenten, den Mitochondrien, dem Zytosol und dem Zellkern. Doxorubicin kann an Kardiolipin binden, ein membranständiges mitochondriales Protein, und löst auf diesem Weg eine direkte mitochondriale Schädigung aus. Eine Reduktion der Kardiolipinexpression geht folglich mit einer Protektion von Kardiomyozyten einher [1]. Zudem führt Doxorubicin zur Veränderung der Expression mitochondrialer Gene und zur Generierung intramitochondrialer Superoxide, die letztlich durch verstärkte Mitophagie einen Verlust der Organelle bedingen. Eine Veränderung des mitochondrialen Eisentransports und eine Aktivierung des proapoptotischen Regulators p53 sind ebenfalls schädigende Effekte. Dem Tumorsuppressor p53 scheint eine bivalente Bedeutung zuzukommen, einerseits als ein Teil des endogenen Reparaturmechanismus, andererseits als Komponente eines überschießenden schädigenden Prozesses bei dauerhafter Inaktivierung. Eine genetische Deletion von p53 kann daher bei niedrig dosierter Gabe von Doxorubicin zu einer Protektion führen, im langfristigen Verlauf aber zu einer dilatativen Kardiomyopathie [2, 3]. Letztlich wird auch die mitochondriale Redoxreaktion direkt gestört, was mit einer Steigerung von ROS einhergeht. Eine direkte Supplementation von Nikotinamidadenindinukleotid (NAD+) schwächt eine toxische Wirkung ab. Antioxidanzien haben allerdings in Tiermodellen bisher keinen starken kardioprotektiven Effekt gezeigt.
Zytosolische Mechanismen, z. B. ein veränderter Ca2+-Haushalt durch Regulation der Expression und Aktivität der Ca2+-Pumpe („sarcoplasmic/endoplasmic reticulum Ca2+ ATPase“, SERCA2) sowie Dysregulation von Mitochondrien, Autophagie und Fehlregulation von Kinasen/Phosphatasen (z. B. der „Ca2+/calmodulin-dependent protein kinase II“, CaMK2) sind ebenfalls an der zytotoxischen Wirkung beteiligt [4]. Die rein zytosolischen Signalwege sind weniger gut untersucht als die nukleären oder mitochondrialen Mechanismen. Bisher ist zudem unklar, in welcher Beziehung diese wesentlichen 3 molekularen Wirkungsweisen stehen, und ob es klar übergeordnete Mechanismen gibt. Eine Hemmung der ROS-Generierung oder proapoptotischer Proteine oder eine genetische Deletion der Top2b reduziert in präklinischen Modellen aber die kardiotoxische Wirkung [5, 6]. Eine klinische Translation dieser Erkenntnisse ist bisher nicht gelungen. Eine neue antiapoptotische Substanz zur Protektion wurde aber kürzlich mit dem klaren Ziel einer zeitnahen klinischen Translation in einem präklinischen Modell parallel zur onkologischen Therapie erfolgreich getestet [5].
Unabhängig von den intrazellulären Mechanismen scheint die Verwendung von liposomalem Doxorubicin ein Eindringen der Anthrazykline in Kardiomyozyten zu reduzieren und damit eine gewisse Kardioprotektion zu ermöglichen [7]. Die Zellmembran und deren Transportmechanismen stellen daher ein zusätzliches Element in der Toxizität von Anthrazyklinen dar.
Proteasominhibitoren
Neue Proteasominhibitoren, insbesondere Carfilzomib, werden aktuell bei mehreren onkologischen Erkrankungen, insbesondere beim multiplen Myelom, getestet. Im Gegensatz zu den klassischen Inhibitoren (z. B. Bortezomib) hemmt Carfilzomib irreversibel die 20S-Untereinheit des Proteasoms. Diese Inhibition findet auch in Kardiomyozyten statt und ist mutmaßlich an der Entwicklung einer Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion beteiligt [8]. Die klinische Relevanz dieser Toxizität wird aktuell kontrovers diskutiert; prospektive klinische Daten weisen eher auf eine akzeptable toxische Wirkung hin [9]. Bei Ausweitung der Indikationen wird aber eine abschließende Bewertung der Toxizität abzuwarten sein.
Tyrosinkinaseinhibitoren
Die Tyrosinkinaseinhibitoren sind eine große Gruppe von Medikamenten, bei der sich je nach molekularem Ansatz typische kardiovaskuläre Komplikationen ergeben. Neben den primären Zielen der Medikamente haben alle häufig verwendeten Tyrosinkinaseinhibitoren (z. B. Dasatinib) mitunter zahlreiche unspezifische Zielstrukturen („off-targets“, [10]).
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Dies liegt zum großen Teil an der Hemmung der ATP-Bindungsstelle, die bei vielen Kinasen strukturell ähnlich ist und damit die Spezifität der entsprechenden Inhibitoren limitiert. Häufiges Angriffsziel sind die VEGF-Rezeptoren, die mithilfe eines Antikörpers (z. B. Bevacizumab) oder von „small molecules“ (z. B. Sorafenib, Sunitinib und Pazopanib) gehemmt werden, wobei Letztere multiple Kinasen inhibieren. Die Familie der VEGF beinhaltet eine ganze Gruppe von Proteinen (VGEFA, -B, -C, -D, E). Alle Proteine übernehmen eine Funktion bei der Angiogenese durch Kontrolle von Proliferation und Wachstum endothelialer Zellen. Zudem sind VEGF entscheidend für eine regelrechte Herzentwicklung und im adulten Herzen mitverantwortlich für die strukturelle Integrität. Diese wichtige kardiale Funktion wurde bereits frühzeitig im Rahmen genetischer Untersuchungen beschrieben; das onkologische Therapiespektrum wurde erst allmählich erschlossen [11, 12]. Im adulten Herzen ist die Angiogenese auch bei der myokardialen Hypertrophie als kritischer Anpassungsmechanismus notwendig. Eine durch VEGF-Inhibitoren gehemmte Angiogenese dürfte daher bei zusätzlicher kardialer Belastung, z. B. durch arterielle Hypertonie oder vorbestehende Klappenvitien, nachteilig sein.
Häufiges Angriffsziel der Tyrosinkinaseinhibitoren sind die VEGF-Rezeptoren
Außer den Wirkungen am Herzen sind die Effekte auf das Endothel von klinischer Bedeutung, da die Anwendung einer Reihe von Tyrosinkinaseinhibitoren mit der Entwicklung einer arteriellen Hypertonie einhergeht.
Abgesehen von den VEGF-Rezeptoren sind weitere Kinasen etablierte oder potenzielle therapeutische Zielstrukturen in der Onkologie. Hierzu zählen z. B. BCR-ABL1 (Hemmung durch Imatinib und verwandte Substanzen), Bruton-Tyrosinkinase (BTK, Ibrutinib), anaplastische Lymphomkinase (ALK, Crizotinib), „platelet-derived growth factor receptor A“ (PDGFRα/β, Imatinib) und „5´ AMP-activated protein kinase“ (AMPK). Die kardialen Konsequenzen der Inhibition dieser Kinasen sind auf molekularer Ebene nicht abschließend geklärt, verschlechtern aber in Tiermodellen im Fall der AMPK und des PDGFR die Stressantwort in Kardiomyozyten. Die Herzen reagieren also verstärkt vulnerabel. Eine Assoziation zu Vorhofflimmern und anderen kardialen Rhythmusstörungen weist des Weiteren auf eine Regulation kritischer Ionenkanäle in Kardiomyozyten hin. Auch bei dieser Substanzgruppe gibt es Hinweise auf eine verstärkte Schädigung kardialer Mitochondrien und die Generierung von ROS. Klinisch zeigt sich als häufigste Nebenwirkung eine meist transiente Einschränkung der linksventrikulärer Pumpfunktion.
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Therapien mit Antikörpern gegen „human epidermal growth factor receptor-2“
Die alleinige Toxizität von Therapien, die auf Antikörpern gegen „human epidermal growth factor receptor-2“ (HER2) basieren, ist auf der Basis klinischer Daten nicht eindeutig belegt. Die Therapien werden häufig in Kombination mit oder in der Folge von anthrazyklinbasierten Behandlungen angewendet, sodass die alleinige Toxizität z. B. von Trastuzumab unsicher ist [13]. Aus präklinischen Studien ist bekannt, dass HER2 und seine katalytische Aktivität essenziell für die kardiale Entwicklung sind [14, 15]. In Herzmuskelzellen des adulten Organismus führt eine dauerhafte genetische HER2-Deletion zum Bild einer dilatativen Kardiomyopathie mit Reduktion der linksventrikulären Pumpfunktion und ausgedünnten Herzwänden [16]. Unterhalb des Rezeptors löst eine Signalkaskade die Aktivierung von MAP-Kinasen aus und ist in essenzielle Funktionen des Kardiomyozyten, wie beispielsweise Ca2+-Handling und mitochondriale Funktion, involviert.
Eine pharmakologische Therapie mit Antikörpern verändert nicht primär die endogene Aktivität des Signalwegs, sondern bewirkt am ehesten die Herabregulation der Rezeptoren. Die reine HER2-Antikörper-Therapie ist daher wahrscheinlich nicht mit einer anhaltenden Reduktion der linksventrikulären Pumpfunktion verbunden. Im Rahmen von präklinischen Studien besteht allerdings der Verdacht auf dauerhafte strukturelle Veränderungen, die möglicherweise eine erhöhte Vulnerabilität im Rahmen nachfolgender Therapien/Erkrankungen begründen [17].
BRAF- und MEK-Inhibitoren
Die antiproliferative Wirkung dieser Medikamente beruht auf einer Inhibition des „Mitogen-activated-protein“(MAP)-Kinasen-Signalwegs. Mutationen in diesem Signalweg mit der Folge einer unkontrollierten Proliferation sind, z. B. beim malignen Melanom, sehr häufig nachweisbar.
In Kardiomyozyten übernehmen die MAP-Kinasen wichtige biologische Funktionen. An diesem Netzwerk beteiligte Kinasen (z. B. „extracellular signal-regulated kinases [ERK]1/2“, „Mitogen-Activated Protein Kinase Kinase“ [MEK] oder „Proto-Onkogen B-Raf“, [BRAF]) sind an kardiomyozytärer Hypertrophie, myokardialer Entwicklung und Apoptose beteiligt [18‐21]. Eine pharmakologische Inhibition kann bei Patienten zu einer Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion führen, die insbesondere bei Therapiebeginn auftritt.
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Immun-Checkpoint-Inhibitoren
Immun-Checkpoint-Inhibitoren wirken durch eine Inhibition des Rezeptorligandensystems von T‑Zellen [22]. Hierzu gehören „programmed cell death protein 1“ (PD-1), „programmed cell death protein 1 ligand 1“ (PD-L1) und „cytotoxic T‑lymphocyte-associated protein 4“ (CTLA-4) als Zielproteine. Die Unterbrechung des inhibitorischen Signals auf T‑Zellen mithilfe spezifischer Antikörper resultiert in einer Aktivierung und damit in einer inflammatorischen Antwort auf maligne Zellen. Neben dieser gewollten zytotoxischen Reaktion kann diese „künstliche“ T‑Zell-Aktivierung zu einer unerwünschten Immunreaktion am Herzen führen (Abb. 3). Klinisch tritt sie als Perikarditis oder Myokarditis in Erscheinung. Mechanistisch sind eine direkte Invasion aktivierter T‑Zellen ins Myokard sowie eine indirekte Immunreaktion mit der Entwicklung von Autoantikörpern gegen kardiales Troponin I beschrieben [22, 23].
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Eine Myokarditis unter Immun-Checkpoint-Inhibitor-Therapie hat eine hohe Mortalität
Die Erstbeschreibung der globalen genetischen Deletion von PD‑1 im Mausmodell durch Nishimura et al. zeigte den Phänotyp einer Myokarditis [24]. Erst im Verlauf wurde das Potenzial zur Therapie onkologischer Erkrankungen erkannt.
Neben dieser inflammatorischen Reaktion im Myokard führt in präklinischen Modellen der alleinige Anstieg von Antikörpern gegen kardiales Troponin I auch zu einer Beeinträchtigung der kardialen Funktion [25]. Es wäre daher mit einer Einschränkung der kardialen Funktion bei Patienten unter Therapie mit einem Immun-Checkpoint-Inhibitor zu rechnen. Bei Patienten ohne eine Myokarditis oder aktive myokardiale Inflammation unter Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren gibt es hierfür bisher allerdings keine klinische Evidenz. Im Rahmen einer ausgeprägten Myokarditis sind Einzelfallberichte mit einer Reduktion der linksventrikulären Pumpfunktion beschrieben. Diese Patienten sind klinisch besonders schwer betroffen und haben eine deutlich erhöhte Mortalität (>50 %). Auch bei einer CD4-unabhängigen, globalen genetischen Deletion von CTLA‑4 entwickelt sich eine kardiale Inflammation. Basierend auf diesen Daten wird verständlich, dass das Risiko für eine Myokarditis bei Patienten durch eine Kombinationstherapie mit CTLA-4-Antagonisten gemeinsam mit PD-1-/PD-L1-Inhibitoren erhöht ist. Als ein mögliches „Antidot“ einer ungewollten überschießenden Immunreaktion kann ein Antikörper mit CTLA-4-Domäne eingesetzt werden (z. B. Abatacept, [26]). Abatacept findet in der Rheumatologie bereits seit vielen Jahren erfolgreich zur Immunmodulation Verwendung. Es hemmt im Fall einer Immun-Checkpoint-assoziierten Myokarditis die künstlich herbeigeführte Aktivierung von T‑Zellen.
Unklar sind die prädisponierenden Faktoren für Myokarditis und Perikarditis unter Immun-Checkpoint-Inhibitor Therapie. Eine bereits vorbestehende „Schwäche“ im PD‑1, PD-L1- und CTLA-4-System, etwa aufgrund vorbestehender genetischer Mutationen beim Patienten, ist eine Möglichkeit. Bereits vorhandene Antikörper gegen kardiales Troponin werden ebenfalls diskutiert.
Historisch hat sich aus den frühen Mausmodellen (insbesondere PD-1-Knockout-Mäuse) die Idee der dilatativen Kardiomyopathie als Immunerkrankung mit der Entwicklung von Autoantikörpern entwickelt [24, 25]. Dies scheint für einen Teil der Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie zuzutreffen und ist Gegenstand klinischer und präklinischer Forschung.
Mechanismen der Kardiotoxizität bei Bestrahlung
Radiotoxizität am Herzen tritt zum einen akut im Rahmen einer inflammatorischen Antwort, zum anderen als chronischer Schaden auf. Die chronischen Schäden führen zur Zunahme der Atherosklerose und Häufung von Klappenstenosen. Bindegewebsproliferation und endotheliale Dysfunktion sind wahrscheinlich die Ursachen. Mechanistisch sind die Phänomene bisher nur sehr schlecht untersucht, aber noch am ehesten im Rahmen einer primären endothelialen Schädigung zu verstehen. Es gibt zudem Hinweise auf eine Aktivierung profibrotischer Mechanismen (vermehrte Kollagensynthese, Aktivierung kardialer Fibroblasten u. a.), sodass eine direkte Wirkung von Strahlung auf Fibroblasten ebenfalls wahrscheinlich ist [32].
Ausblick
Neben den bestehenden präklinischen genetischen Modellen werden v. a. für die Antikörpertherapien zunehmend humanisierte Mausmodelle entwickelt. Hieraus ergeben sich neue Möglichkeiten hinsichtlich der Untersuchung von Kombinationstherapien bzw. kardialen Vorerkrankungen in Kombination mit onkologischen Therapien. Aktuelle klinische Schwerpunkte sind Register zur systematischen Analyse von Multiomics-Daten im Kontext toxischer Nebenwirkungen sowie die Weiterentwicklung der nuklearmedizinischen Bildgebung zur fokussierten Analyse pathologischer Mechanismen (z. B. kardialer Metabolismus, immunologische Reaktionen oder Aktivität von Fibroblasten).
Patienten erhalten meist Kombinationstherapien oder haben bereits potenziell kardiotoxische Therapieregime erhalten. Die dort auftretenden molekularen Mechanismen, bei z. B. latent vorbestehende Schäden an der DNA oder den Mitochondrien, sind häufig therapielimitierend und auf molekularer Ebene kaum verstanden.
Schlussfolgerungen
Häufig sind potenziell toxische Wirkungen neuer onkologischer Therapien bereits aufgrund präklinischer Modelle zu erwarten. Ein Beispiel ist die Entwicklung der Immun-Checkpoint-Inhibitoren mit dem frühen Nachweis einer Myokarditis im Tiermodell (2001) und der ersten Dokumentation einer Myokarditis beim Menschen unter Therapie (2017) [24, 27].
Ein genaues Verständnis der potenziell toxischen Mechanismen wird zudem die klinische Nachverfolgung und Einschätzung des individuellen Risikos für Patienten beeinflussen, bis es ausreichende klinische Daten gibt [31]. Es ist zudem empfehlenswert die kardiologische Diagnostik in onkologischen Studien frühzeitig auf die zu erwartenden potenziellen toxischen Wirkungen auszurichten, um eine sichere Etablierung neuer Medikamente zu ermöglichen. Für eine Reihe von Therapien in Phase-I-Studien zur Anwendung onkologischer Medikamente wurden bereits kardiale Nebenbefunde in globalen Knockout-Tiere gefunden.
Molekulare Untersuchungen kardiotoxischer Mechanismen werden auch bei „klassischen“ kardialen Pathologien wie beispielsweise der systolischen oder diastolischen Herzinsuffizienz das Verständnis ursächlicher Zusammenhänge ermöglichen.
Fazit für die Praxis
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Eine genaue klinische Beobachtung und Dokumentation kardiotoxischer Ereignisse kann entscheidende Impulse für wissenschaftliche Untersuchungen geben.
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Trotz aktueller Empfehlungen zum Umgang mit Patienten mit hohem Risiko zur Entwicklung einer Kardiotoxizität und zum Einsatz spezifischer onkologischer Therapien gibt es für eine hohe Anzahl von Medikamenten nur geringe klinische Erfahrungen bezüglich der Risikostratifizierung und des Monitoring von Patienten.
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Für viele der aktuellen und in Entwicklung befindlichen onkologischen Therapien gibt es aber präklinische Modelle mit möglichen Hinweisen auf Kardiotoxizität. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die spezifischen molekularen Pathomechanismen zu kennen bzw. weiterzuuntersuchen.
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Zudem ergeben sich aus diesen Mechanismen Hinweise auf den Verlauf von Toxizität und möglichen kardioprotektive Maßnahmen, aus denen auch klinische Fragestellungen für zukünftige kardiologische Studien abgeleitet werden können.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
L.H. Lehmann berät Daiichi Sankyio, Senaca und Servier und erhielt Vortragshonorare von Novartis, Daiichi Sankyio und MSD. S. Fröhling berät Bayer, Illumina, Roche, erhält Forschungsförderung von AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Pfizer, PharmaMar und Roche, sowie Unterstützung von Amgen, Eli Lilly, Illumina, PharmaMar und Roche und erhielt Vortragshonorare von Amgen, Eli Lilly, PharmaMar, sowie Roche.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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