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Ärzte Woche

08.08.2023 | Gesundheitspolitik

Ungeimpft, na und?

verfasst von: Michael Krassnitzer

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Die Einstellung zum Impfen ist ambivalent. Ist FSME hierzulande fast Pflicht, wird auf Herpes zoster und auf andere Impfungen schlicht vergessen. Experten raten dazu, alle Hürden aus dem Weg zu räumen.

Bei einzelnen Impfungen wie jener gegen FSME belegt man Spitzenplätze, während man bei einigen anderen wichtigen Impfungen zu den EU-Schlusslichtern zählt. Im Rahmen einer Veranstaltung des Austrian Health Forum (AHF-NetUp: „Erwachsenenimpfung in Österreich – Wen kümmert‘s?“, 29. Juni 2023) diskutierte eine Runde hochrangiger Experten aus Wissenschaft und Politik, wie das möglich ist – und was sich daraus lernen lässt.

„Mit dem Kinder-Impfprogramm, das gut läuft, wird ein wichtiger Grundstein in der Kindheit gelegt. Wichtig ist aber auch, dass dieser Impfschutz im Erwachsenenalter fortgesetzt wird“, sagte Dr. Ursula Karnthaler, Landessanitätsdirektorin Wien. Sie brachte auch eine Idee für leichteren Zugang zum Impfen von Erwachsenen ein: „Man könnte das Thema Impfen standardisiert bei den Vorsorgeuntersuchungen ansprechen.“ Denn viele Menschen würden einfach nicht ans Impfen denken, obwohl sie bei entsprechender Aufklärung eine wichtige Impfung durchaus durchführen oder auffrischen lassen würden. Allerdings dürfe diese Aufgabe nicht nur bei den Ärzten liegen, meinte Karnthaler: „Das ist nichts, was die Gesundheitsberufe alleine leisten müssen.“ Wichtige Reformen allerdings seien bereits auf dem Weg, betonte Dr. Maria Paulke-Korinek, Abteilungsleiterin für das Impfwesen im Gesundheitsministerium: „Auf unseren E-Impfpass können wir stolz sein. Und auch das Influenza-Impfprogramm ab Herbst dieses Jahres ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.“ Ein häufig angesprochenes Thema in der Diskussionsrunde war die Weigerung der Sozialversicherung, die Kosten für bestimmte empfohlene Impfungen, etwa gegen Herpes zoster, zu übernehmen.

Zugang zu Impfungen so einfach wie möglich halten

„Die verhaltensökonomische Perspektive wird beim Thema Impfen oft vernachlässigt. Anhand einiger verhaltensökonomischer Theorien lässt sich erklären, warum sich Menschen nicht impfen lassen, obwohl dies eigentlich aus rationalen Gründen die richtige Entscheidung sein sollte.

- Gegenwartpräferenzen: Die Menschen neigen dazu, Tätigkeiten aufzuschieben oder zu unterlassen, bei denen die Kosten in der Gegenwart anfallen, der Nutzen sich aber erst in der Zukunft realisiert.

- Unterlassungseffekt: Negative Auswirkungen, die sich aus aktivem Handeln ergeben, werden als viel schwerwiegender empfunden als negative Auswirkungen von unterlassenem Handeln.

- Wahrscheinlichkeitsvernachlässigung: Menschen fällt es schwer, sehr kleine Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. So wird das Risiko der Erkrankung unterschätzt, aber die Risiken der Impfung überschätzt.

- Verfügbarkeitsheuristik: Wenn Menschen sich etwas gut vorstellen können, dann nehmen sie dies als wahrscheinlicher wahr. Aufgrund des Erfolgs von Impfprogrammen jedoch sind die Auswirkungen schlimmer Infektionserkrankungen gar nicht mehr beobachtbar.

All das sind Dinge, die man bei der Gestaltung von Impfkampagnen berücksichtigen muss. Ein Beispiel für die Anwendung von Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie ist die Teilnahme an betrieblichen Grippeimpfaktionen. In einer Studie wurden zwei Varianten miteinander verglichen: Zum einen das klassische Opt-in, bei dem die Mitarbeiter eine E-Mail bekommen mit der Einladung, einen Termin zu vereinbaren. Zum anderen eine Opt-out-Variante, bei der man eine E-Mail erhält, in der ein Impftermin zugeteilt wird, der storniert oder verschoben werden kann. Beim Opt-out ließen sich 45 Prozent der Belegschaft impfen, beim Opt-in waren es nur 33 Prozent. Wichtig ist – das zieht sich durch die gesamte Literatur –, dass der Zugang zu Impfungen so niederschwellig, so unkompliziert und so einfach wie möglich sein sollte. Wenn eine Impfung empfohlen ist, aber man für sie zahlen muss, ist das eine Hürde. Selbst wenn die Impfung kostenlos ist, gilt es Barrieren abzubauen: Das geht von der Terminvereinbarung über die Zeitpunkte, an denen Termine vereinbart werden können, bis zu den Formularen, die ausgefüllt werden. Je einfacher alles ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich impfen lassen.“

Dr. Florian Spitzer, Verhaltensökonom am Institut für Höhere Studien (IHS)

Ein ungewöhnliches Prinzip für eine Impfung

„Impfungen sind ein wichtiger Bestandteil einer Healthy Aging Strategie. Infektionen zu verhindern trägt dazu bei, dass die ältere Bevölkerung möglichst lang gesund, fit und selbstständig ist. Ein Mensch, der 80 Jahre alt wird, hat ungefähr eine 50-zu-50-Chance, im Laufe seines Lebens Herpes zoster zu entwickeln. Mit zunehmendem Alter steigt nicht nur die Häufigkeit dieser Infektion, sondern es kommt auch häufiger zu schweren Verläufen und Komplikationen: massive neurologische Schmerzen, zum Teil über Monate oder noch länger, kaum therapierbar, die gerade bei älteren Patienten oft den Unterschied zwischen unabhängigem Leben und Pflegebedürftigkeit ausmachen.

Die Impfung gegen Herpes zoster beruht auf einem ganz anderen Konzept als die allermeisten anderen Impfungen. Wenn ein Kind in Kontakt mit dem Varicella-zoster-Virus kommt, dann ist die Primärinfektion das klinische Bild der Windpocken. Das Besondere aber ist, dass die Immunantwort diese Viren nicht vollständig eliminieren kann. Varicella-zoster-Viren etablieren eine lebenslange Latenz in den Nervenzellen der sensorischen Ganglien und versuchen immer wieder, sich zu reaktivieren. Diese Reaktivierungen werden normalerweise von unserem Immunsystem kontrolliert. Im Laufe des Lebens aber wird die Immunantwort schwächer, und irgendwann kann man die nächste Reaktivierung nicht kontrollieren und es kommt zu dem klinischen Bild vom Herpes zoster. Die Herpes-zoster-Impfung bei Erwachsenen verstärkt die schon bestehende Immunantwort, sodass eine symptomatische Reaktivierung verhindert wird. Das ist für eine Impfung ein ganz ungewöhnliches Prinzip.

Bei älteren ungeimpften Patienten besteht nicht nur das Risiko der akuten Infektion, sondern es gibt zusätzliche Risiken wie ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder für einen Schlaganfall. Das kann zu einem deutlichen Verlust von Lebensqualität bis zum Verlust der Selbstständigkeit führen und eine Pflegebedürftigkeit nach sich ziehen. Eine Kostenübernahme durch die Sozialversicherung würde den Stellenwert dieser wichtigen Impfung betonen. Denn es sind ja nicht nur die hohen Kosten, die Menschen davon abhalten, sich gegen Herpes zoster impfen zu lassen. Es geht auch um die Symbolwirkung und die öffentliche Wahrnehmung. Das Signal lautet nämlich: Wenn die Kosten nicht einmal von der Krankenkasse übernommen werden, dann kann diese Impfung nicht so wichtig sein. Das ist ein Problem.“

Prof. Dr. Birgit Weinberger, Forschungsinstitut Biomedizinische Alternsforschung, Universität Innsbruck

Die ÖKG beteiligt sich auch am Kinderimpfprogramm

„Nicht nur die Medien fragen die Sozialversicherung immer wieder, warum wir bestimmte Impfungen nicht bezahlen. Sogar eine ehemalige Nachbarin hat mich kürzlich angerufen und gefragt, warum wir nicht die Kosten für die Impfung gegen Herpes zoster übernehmen. Warum ist das so? Das liegt an den rechtsverbindlichen Vorgaben der Sozialversicherungen. Demnach hat eine Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig, aber nicht mehr als notwendig zu sein. Bereits die Abgabe von Arzneimitteln an und für sich ist beschränkt: Es gibt eine Liste nicht-erstattungsfähiger Arzneimittel. Auf dieser Liste befinden sich Arzneimittel zur Prophylaxe. Wenn nämlich keine Krankheit im Sinne des ASVG vorliegt, ist auch keine Krankenbehandlung notwendig.

Impfungen sind im Wesentlichen Aufgabe des Bundes bzw. in der Durchführung Aufgabe der Länder. Weil Impfungen nicht als Krankenbehandlung gelten, fallen sie nicht in den Aufgabenbereich der Sozialversicherung. Ausnahmen bestehen nur zur ,Erhaltung der Volksgesundheit‘ im Auftrag des Bundes. Dazu zählen die Influenza-Impfung – wenn und solange laut Weltgesundheitsorganisation WHO eine ,Influenza-Pandemie‘ besteht – sowie die FSME-Impfung. Bei bestimmten Krankheiten kann die ÖGK Impfungen als freiwillige Leistungen ermöglichen, zum Beispiel die regionalen Grippeimpfaktionen der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) auf Bundesländerebene, die ab der Grippesaison 2023/2024 vom neuen ,Öffentlichen Impfprogramm Influenza‘ ersetzt werden. Die ÖGK beteiligt sich auch finanziell am Nationalen Kinderimpfprogramm, das Kindern bis zum vollendeten 15. Lebensjahr eine Reihe kostenloser Impfungen ermöglicht (Masern-Mumps-Röteln, Rotavirus, Sechsfach-Impfung bzw. Vierfach-Impfung, Hepatitis B, HPV, Influenza, Pneumokokken, Meningokokken). In bestimmten Situationen übernimmt die ÖGK schon längst die Kosten, zum Beispiel bei diversen Impfungen und Auffrischungen im Rahmen von onkologischen und immunsuppressiven Therapien. Diverse Impfungen gelten unter bestimmten Umständen als vorgezogene Krankenbehandlung: Herpes-zoster-Impfung (bei Dialyse, Immundefekten, Organtransplantationen), HPV-Impfung (bei HPV-assoziierten Karzinomen), Meningokokken/Pneumokokken-Impfung (bei rheumatischen Erkrankungen), Hepatitis A- und/oder B-Impfung (bei chronischen Lebererkrankungen, Dialyse), Diphterie/Tetanus/Pertussis-Impfung (nach Stammzelltransplantation).“

Dr. Andreas Krauter, Leiter Fachbereich Medizinischer Dienst der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK)

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Metadaten
Titel
Ungeimpft, na und?
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
08.08.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 28-33/2023

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