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Open AccessOriginalarbeit

GRAN-ONCO: „German Research Agenda for Nursing Oncology“

Entwicklung einer Forschungsagenda der onkologischen Pflege in Deutschland

Published Online:https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000911

Abstract

Zusammenfassung.Hintergrund: Die Etablierung von Forschungsprioritäten und Bündelung in einer Agenda dient dazu, die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes zu systematisieren. In Deutschland liegt zum aktuellen Zeitpunkt keine Forschungsagenda für die onkologische Pflege vor. Zielstellung: Entwicklung einer Forschungsagenda der onkologischen Pflege im Rahmen eines diskursiven Prozesses unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven der an der Versorgung beteiligten Personengruppen. Methode: Mittels eines Mixed-Methods-Designs wurden Forschungsthemen mithilfe einer systematischen Literaturrecherche identifiziert und anhand einer Online-Befragung sowie einer qualitativen Erhebung im Rahmen von Expertengruppen durch Pflegefachpersonen der onkologischen Pflegepraxis und -forschung priorisiert und ergänzt. Ergebnisse: Die Synthese der Literatur umfasst 29 Veröffentlichungen mit 55 Themen. Auf Grundlage des Survey wurden hieraus 23 Themen als prioritär identifiziert. Aus den Survey-Rückmeldungen (n = 174) und dem Feedback der Expert_innen (n = 15) können folgende Themenbereiche für die Agenda formuliert werden: Krankheits- und therapiebedingte Auswirkungen und die damit einhergehenden Bedürfnisse, Veränderungen, Kommunikation/Information/Beratung und Edukation sowie Fragen nach Lebensqualität und Versorgung am Lebensende. Schlussfolgerung: Erstmals liegt für Deutschland eine Forschungsagenda für die onkologische Pflege vor. Sie ist ein wichtiger Schritt der Professionalisierung und bietet damit eine Orientierung für die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Pflege in der Onkologie.

GRAN-ONCO: “German Research Agenda for Nursing Oncology” – Development of a nursing research agenda of oncology nursing in Germany

Abstract.Background: The establishment of research priorities and bundling in an agenda is an instrument to systematize the multitude of nursing research topics. In contrast to other countries, there is currently no oncological nursing research agenda in Germany. Aim: Development of a research agenda for oncological nursing as part of a discursive process, taking into account different perspectives of the groups of people involved in oncological nursing. Method: Within the framework of a mixed methods design, oncological research topics were identified on the basis of a systematic literature review and prioritized and completed by nurses in oncological nursing practice and research through a survey using a standardized online questionnaire as well as qualitative expert groups. Results: The synthesis of the literature included 29 publications from which 55 topics were extracted. Based on the results of the survey, 23 topics were identified as priorities. According to the result of the survey and the feedback of the experts (n = 15), special attention should be paid to the following topics in the future: disease and therapy-related effects and the associated needs and changes. At the same time, communication, information, counseling, and education as well as the question of quality of life and care at the end of life due to the disease should be prioritized for nursing research. Conclusion: For the first time, a research agenda for oncological nursing is available for Germany. It is an important step in professionalization and thus offers orientation for the scientific further development of oncological nursing.

Was ist zu dieser Thematik schon bekannt?

Im Gegensatz zu Deutschland haben international viele Länder Forschungsagenden für die onkologische Pflege abgestimmt.

Welchen Erkenntniszugewinn leistet die Studie?

Es liegt erstmalig für Deutschland eine spezifische Forschungsagenda für die Pflege von Menschen mit onkologischen Erkrankungen vor.

Einleitung

Im Rahmen der Versorgung von Menschen mit hämato-onkologischen Erkrankungen hat die Pflege eine besondere Rolle und eigenständige Aufgabe (Lancet, 2015).

Trotz der hohen Relevanz für die Sicherung einer qualitativ hochwertigen Versorgung, ist der Beitrag der deutschsprachigen onkologischen Pflegeforschung im internationalen Vergleich kaum wahrnehmbar, so dass der Aufbau von Forschungskapazitäten im Bereich onkologischer Pflegeforschung in Deutschland noch vielfältige Entwicklungsbedarfe aufweist, um international aufzuschließen (Charalambous et al., 2018; Jahn & Landenberger, 2013). Ein Schwerpunkt onkologischer Pflegeforschung ist aktuell im Bereich der Förderung von Selbstpflege- und Selbstmanagementkompetenzen von Erkrankten zu verorten. Das beinhaltet die Umsetzung pflegerischer Interventionen, die Erkrankte anleiten, sich aktiv an der Reduktion von Symptombelastung zu beteiligen (Jahn & Landenberger, 2013).

Während die klinische Forschung Therapieansätze und neue Behandlungsoptionen entwickelt und evaluiert, kommt einer onkologischen Pflegeforschung die Aufgabe zu, sich auf die Untersuchung von Versorgungsbedarfen sowie die Evaluation der Auswirkungen pflegerischer Interventionen und damit einhergehender Veränderungen zu fokussieren (Doorenbos et al., 2008). Daher stellt sich die Frage, wie hämato-onkologische Versorgung aus der Perspektive der Pflegeprofession auszugestalten ist, um Betroffene in ganz individuellen Pflegesituationen im Leben mit einer onkologischen Erkrankung in immer komplexer werdenden Lebenswelten und unterschiedlichen Versorgungsettings wirksam zu unterstützen. Dazu bedarf es, unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems, der eigenen kritischen Auseinandersetzung der Pflegeforschung mit möglichen Forschungsschwerpunkten. Durch die Benennung von Forschungsprioritäten kann die onkologische Pflegeforschung nicht nur strukturiert werden (Dichter, 2016; Nyanchoka et al., 2019), sondern auch positiv auf die Ausgestaltung und Durchführung von Forschung wirken (Odone et al., 2016). Die Entwicklung einer Forschungsagenda für Deutschland entspricht den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zur strategischen Entwicklung der Pflege, die der Entwicklung von regionalspezifischen Forschungsagenden eine Schlüsselrolle zuschreibt (World Health Organization, 2016). Der sich aus einer spezifischen Forschungsagenda ergebende Mehrwert liegt in einer Fokussierung der Forschungsfragen und systematischeren Bearbeitung und Koordination von Forschungsvorhaben (Hopia & Heikkila, 2020). Mit GRAN-ONCO wird die Lücke zu anderen deutschsprachigen Ländern, wie beispielsweise Österreich und der Schweiz geschlossen, die bereits seit Jahren eine Pflegeforschungsagenda für die onkologische Pflege haben (Raphaelis et al., 2017; Shaha et al., 2008). Zudem schließt die deutsche Pflegeforschung damit auch an Entwicklungen in Nordamerika und UK an (Cadorin et al., 2020).

Zielsetzung und Fragestellung

Ziel von GRAN-ONCO ist die Entwicklung einer onkologischen Pflegeforschungsagenda für Deutschland, in Orientierung an bereits bestehenden Forschungsagenden (Cadorin et al., 2020). Im Zentrum der Entwicklung standen folgende Forschungsfragen:

  • Welche Pflegeforschungsthemen werden in Agenden für die hämatologisch-onkologische Pflege international beschrieben?
  • Wie bewerten Pflegefachpersonen die aus der Literatur abgeleiteten Forschungsthemen?
  • Welche Forschungsthemen sehen Pflegewissenschaftler_innen und Pflegepraktiker_innen im direkten Diskurs für Deutschland als relevant?

Methode

Im Rahmen von GRAN-ONCO wurde eine Pflegeforschungsagenda im Zuge eines dreistufigen Entwicklungsprozesses im Mixed-Methods-Design (Shorten & Smith, 2017) bestehend aus einer systematischen Literaturrecherche (1), einer Querschnittsbefragung in Form eines Surveys (2) und mit Durchführung von Expertengruppen (3) unter Begleitung eines Beirates entwickelt.

Literaturrecherche

Die systematische Recherche (Tab. 1) nach internationalen Veröffentlichungen erfolgte unter Verwendung vorher festgelegter Ausschlusskriterien (siehe Tabelle E2 im Elektronischen Supplement ESM1) in der medizinischen Datenbank Medical Literature Analysis and Retrieval System Online (MEDLINE) via „PubMed“ und in der pflegespezifischen Datenbank Cumulative Index to Nursing & Allied Health Literature (CINAHL). Ergänzend wurde eine Handsuche in Fachzeitschriften sowie anhängender Referenzlisten der bereits eingeschlossenen Pflegeforschungsagenden durchgeführt.

Tabelle 1 Suchanfragen

Zwei Personen (MRH und MZ) sichteten die recherchierten Veröffentlichungen hinsichtlich Titel und um diese auf die Einschlussfähigkeit zu überprüfen (1. Schritt). Relevante Veröffentlichungen wurden im Volltext gelesen und erneut bezüglich der Ein- und Ausschlusskriterien überprüft (2. Schritt). Der Selektionsprozess wurde durch die Online-Anwendung Rayyan (Hirt & Nordhausen, 2019) in einem verblindeten Vorgehen umgesetzt. Die Auswahl und Bewertung des Entwicklungsprozesses eingeschlossener Agenden nahmen die Autor_innen (MRH und MZ) ebenfalls unabhängig voneinander vor (3. Schritt). Eine rückwärtige Überprüfung, der aus den Referenzlisten identifizierten Titel, hat mit denen im ersten Schritt exkludierten Titel stattgefunden, so dass Doppelungen ausgeschlossen werden konnten. Die Ergebnisse wurden mit einer dritten Person in einem diskursiven Konsensverfahren bestätigt oder verworfen (PJ). Die Berichterstattung der Literaturrecherche erfolgt in Anlehnung an das Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses (PRISMA)-Statement (Moher et al., 2009).

Eingeschlossen wurden internationale Veröffentlichungen, die Forschungsthemen der hämato-onkologischen Pflegeforschung zusammenfassen und priorisieren. Eine zeitliche und sprachliche Limitierung wurde nicht vorgenommen. Im Falle einer Aktualisierung wurde nur die neuste Version eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden alle Veröffentlichungen, die keine Auflistung von Pflegeforschungsthemen in einer priorisierenden Agenda formulierten.

Die Synthese der identifizierten Veröffentlichungen erfolgte in einem diskursiven Prozess. Bei der Extraktion der Inhalte der Literaturrecherche wurde sich an den bereits publizierten Agenden orientiert (Raphaelis et al., 2017; Shaha et al., 2008; Von Ah et al., 2019). Die Datenextraktion gliederte sich in zwei Schritte: Im ersten Schritt wurden aus allen identifizierten Veröffentlichungen einheitliche Charakteristika (Autor_innen, Jahr, Länderkürzel, Titel, Ziel, Perspektive, Design und Entwicklungsprozess) herausgearbeitet und hinsichtlich des Entwicklungsprozesses nach der Systematik von Ross et al. (2004) in fünf Stufen bewertet. Im zweiten Schritt wurden die in den Veröffentlichungen beschriebenen Forschungsprioritäten extrahiert.

Das Kategoriensystem wurde analog zu bereits vorliegenden deutschsprachigen Forschungsagenden (Raphaelis et al., 2017; Shaha et al., 2008) und in Anlehnung an die Kategorien von Burnette et al. (2003) entwickelt und fungierte strukturgebend für die anschließende Befragung.

Querschnittsbefragung

Auf Grundlage der Literaturrecherche erfolgte im Juni und Juli 2021 eine nationale Querschnittsbefragung. Dabei wurden Gesundheits- und Pflegefachpersonen aus der hämato-onkologischen Pflege über E-Mail-Verteiler der nachfolgenden Verbände und Fachgesellschaften zur Teilnahme an der Online-Befragung aufgerufen:

  • Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (Konferenz Onkologischer Kranken- und Kinderkrankenpflege)
  • Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (Onkologische und Palliativpflege)
  • Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V. (Onkologische Pflegeforschung)
  • Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (Arbeitskreis Pflege)
  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (Sektion Pflege)
  • Verband der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands e.V. (Netzwerk Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung)

Die Teilnahme erfolgte freiwillig. Bei der Stichprobe handelte es sich um eine gezielte, aber willkürlich gewählte Stichprobe (purposive sampling) (Polit & Beck, 2020). Eine Rücklaufquote von 10–12% ist als realistisch angenommen worden (Berger et al., 2005; Doorenbos et al., 2008; LoBiondo-Wood et al., 2014). Aufgrund der geschätzten Anzahl an Mitgliedern von ca. 3500 Pflegefachpersonen war davon auszugehen, dass sich etwa 350 bis 400 Personen an dem Survey beteiligen.

Die Herleitung der Fragen erfolgte auf Basis der systematischen Literaturrecherche durch zwei Personen (MRH und MZ) und wurde im Redaktionsprozess gemeinsam mit PJ finalisiert und anschließend mit Hilfe des webbasierten Befragungstools LimeSurvey umgesetzt. Hierzu wurden vorab eine Extraktionsmatrix angefertigt, darauf aufbauend eine Mindmap erstellt und mehrere Redaktionssitzungen durchgeführt. Der Fragebogen umfasste drei Abschnitte. Zunächst erfolgte eine Projektbeschreibung mit vier Eingangsfragen. Im zweiten Abschnitt wurden Teilnehmer_innen nach einer Bewertung der nach Wissensgebieten aufgeteilten Forschungsprioritäten hinsichtlich ihrer Relevanz auf einer Vier-Punkt-Likert-Skala von nicht-relevant (0) über bedingt relevant (1) und relevant (2) bis höchst-relevant (3) gefragt. Im dritten Abschnitt sind sozio-demografischen Merkmale erfasst worden. Ein Pretest des Fragenbogens erfolgte intern mit Kolleg_innen der Arbeitsgruppe.

Die im Survey erhobenen Daten wurden deskriptiv unter Zuhilfenahme von IBM SPSS Version 27 und Microsoft® Excel® 2016 ausgewertet. Die Deskription der Charakteristika der Teilnehmenden sowie die Rückmeldung zu den Forschungsprioritäten erfolgte je nach Verteilung der Variablen durch Mittelwerte und Standardabweichungen bzw. Mediane und Quartile sowie die Häufigkeit der Relevanzeinschätzung ≥ 2. Die Festlegung des Cut-Off-Wertes von ≥ 2,6 wurde anschließend durch die Autorengruppe als relevant definiert und diente der Fokussierung der weiteren Entwicklung der Agenda. Um die Priorisierung abzuleiten, wurde zur genaueren Charakterisierung der Ergebnisse der Forschungsthemen zusätzlich die Ausweisung des Modus (x̄ M) und der Schiefe (γ m) berechnet. Die Berichterstattung der Ergebnisse folgte den Vorschlägen der CHERRIES-Checkliste (The Checklist for Reporting Results of Internet E-Surveys) (Eysenbach, 2004).

Expertengruppen

Im Entwicklungsschritt fanden zwei Expertengruppen (EG) statt, die in einem digitalen Format für 90–120 Minuten angesetzt waren. Die Rekrutierung der Teilnehmenden erfolgte über den initialen Survey und fand auf freiwilliger Basis nach vorheriger Einwilligung statt. Bei der Zusammensetzung der Gesprächsrunden wurde sowohl hinsichtlich des Geschlechts, des fachspezifischen Hintergrunds als auch der Qualifikation darauf geachtet, dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Pflegepraxis, -pädagogik und -forschung vorlag. Zudem wurde nach potenziellen Interessenskonflikten der Teilnehmenden gefragt.

Die Gespräche waren durch die Leitfrage „Wie bewerten Sie die vorformulierten Forschungsthemen hinsichtlich Vollständigkeit und Verständlichkeit für Forschung und Praxis?“ geprägt. Dabei stand das Ziel im Vordergrund, den vorformulierten Vorschlag der Agenda zu diskutieren, etwaige Unklarheiten zu beseitigen und sprachliche sowie inhaltliche Ergänzungen in der Agenda vorzunehmen. Insbesondere die nähere inhaltliche Erörterung der Themen und damit die Erhöhung der Verständlichkeit durch die Teilnehmenden der Expertengruppen war beabsichtigt. Beide EG wurden durch einen Moderator (PJ) geleitet und durch MRH und MZ dokumentiert. Die Ergebnissicherung fand offen und parallel zur Diskussion auf einem webbasierten Whiteboard statt und wurde mit den Teilnehmenden der EG validiert.

Beirat

Prozessbegleitend wurde ein Beirat, bestehend aus insgesamt drei fachlichen Vertreter_innen der Perspektiven der Patient_innen, Ärzt_innen und der Pflegefachpersonen einberufen. Der Beirat übte seine Funktion als beratende Instanz an zwei wesentlichen Entwicklungsschritten aus: nach dem Survey zur Vorbereitung der Expertengruppen und nach Erstellung einer ersten Agenda-Fassung vor der abschließenden redaktionellen Bearbeitung und Veröffentlichung. Der Beirat hatte eine rein beratende Funktion.

Ergebnisse

Literaturrecherche

Im Rahmen der Datenbankrecherche wurden 2413, durch eine Handsuche in den Referenzlisten vier weitere Veröffentlichungen identifiziert. Nach Entfernung der Duplikate (n = 61) wurden 2356 Veröffentlichungen anhand von Titeln und Zusammenfassungen gescreent. Aus dem weiteren Selektionsprozess ergaben sich 64 Veröffentlichungen für die Volltextsichtung, von welchen wiederum 35 nicht eingeschlossen wurden. In die finale Synthese flossen somit 29 Veröffentlichungen (Abb. 1), welche im ESM1 als ausführliche Literaturübersicht zu finden sind.

Abbildung 1 Such- und Auswahlprozess der Literaturrecherche.

Aus den 29 Veröffentlichungen (Tab. 2) konnten den neun übergeordneten Themenbereichen insgesamt 55 einzelne Forschungsthemen zugeordnet werden (siehe Abbildung E1 im ESM1). Die Themenbereiche sind nachfolgend zusammengefasst:

Tabelle 2 Charakteristik der Veröffentlichungen
  • Symptomkontrolle/-belastung und -management,
  • Umgang und Versorgung von betroffenen Menschen mit onkologischen Erkrankungen sowie deren An-/Zugehörigen,
  • psycho-soziale Fragen und Interventionen,
  • Edukation (Betroffene sowie An-/Zugehörige und Familien),
  • Screening und Assessment,
  • Unterstützungsbedarfe für Pflegende.

Die Synthese wurde durch das unterschiedliche Abstraktionsniveau der Agenden erschwert. Diese reicht von einzelnen Begriffen (Literatur Tabelle 2. 15; 17; 18; 21; 25) über zusammenfassende Aussagen (Literatur Tabelle 2. 1; 2; 3; 4; 5; 7; 8; 9; 10; 11; 12; 13; 22; 27; 28; 29) bis hin zu konkreten Forschungsfragen (Literatur Tabelle 2. 6; 14; 16; 19; 20; 23; 24; 26). Von den eingeschlossenen Veröffentlichungen haben sich neun spezifisch der pädiatrischen Onkologie gewidmet (Literatur Tabelle 2. 9; 11; 16; 20; 22; 23; 27; 28, 12).

Querschnittsbefragung

Im Erhebungszeitraum vom 14.07.–24.09.2021 wurde das Online-Survey von 321 Personen aufgerufen. Aufgrund fehlender Antworten (nicht auswertbar, keine Frage beantwortet; n = 143/44,6%) sowie der Beantwortung der Kontrollfrage (n = 4/1,2%), sind insgesamt 174 (54,2%) vollständige Datensätze berücksichtig worden. Vollständig bedeutet, dass die Teilnehmenden nur max. 10% der Fragen nicht beantwortet haben. Wenn nicht anders beschrieben (n*), dann beziehen sich die weiteren Ergebnisse stets auf die zuvor angegebene Stichprobenanzahl, das gleiche gilt für die prozentualen Angaben. Bei der Betrachtung der Altersverteilung der Stichprobe (n* = 173) zeigt sich, dass die Teilnehmenden im Durchschnitt 43 ± 10,8 (min–max.: 21–72) Jahre alt waren. Es haben sich mit 84,4% (n = 146) überwiegend Frauen an der Befragung beteiligt (n* = 173). Die meisten Teilnehmenden (23,9%; n = 39; n* = 163) blicken auf eine Berufserfahrung zurück, die länger als 25 Jahre ist.

Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (58,6%; n = 99; n* = 169) haben ihren Tätigkeitsschwerpunkt (Tab. 3) in der akutstationären Versorgung angegeben, überwiegend im Fachbereich der Hämatologie (23,6%; n = 38; n* = 161).

Tabelle 3 ätigkeitsschwerpunkt (n* = 169)

Keines der 55 abgefragten Themen wurde von den Befragten als irrelevant eingeschätzt und die Relevanz insgesamt als eher hoch angegeben, jedoch unterschied sich die Ausprägung der Relevanz sowohl innerhalb der Wissensgebiete als auch bei den einzelnen Forschungsthemen. Die höchste Relevanz wurde den Forschungsthemen „Symptommanagement“, „Informations-, „Beratungs- und Edukationsbedarfe“ und „Implementierung“ zugesprochen. Alle Bewertungen mit durchschnittlich ≥ 2,6 wurden im weiteren Entwicklungsprozess als relevante Forschungsthemen im ersten Agenda-Entwurf für die Gespräche mit den Expert_innen berücksichtigt (Tab. 4). Forschungsthemen, deren Bewertung unter 2,6 lag, konnten in der weiteren Bearbeitung nicht berücksichtigt werden und sind in Tabelle E2 im ESM1 nochmals aufgeführt.

Tabelle 4 Forschungsprioritäten

Expertengruppen

Es konnten 15 examinierte Pflegefachpersonen (PFP) rekrutiert werden. Die Teilnehmenden waren im Median 49 Jahre alt und überwiegend weiblich (Alter in Jahren: x = 47/n = 15 [min.–max.: 27–64], davon zehn weiblich und fünf männlich). Alle waren in Deutschland tätig (n = 9/60,0% hatten eine Berufserfahrung von ≥ 16 Jahren) und kamen aus den Bereichen der Pflegepraxis, -forschung, -bildung oder -management sowie unterschiedlichen Settings (z.B. Akutkrankenhaus, Pflegeschule). Die PFP hatten unterschiedliche Qualifikationen: Hochschulabschlüsse (Bachelor, Master, Doktor) und diverse Zusatzqualifikationen (z.B. Praxisanleitung, Fachweiterbildung, Weiterbildung). Zudem waren unterschiedliche Fachbereiche repräsentiert: Hämatologie, Gynäkologie, Urologie, Knochenmarkstransplantation oder Palliative Care und pädiatrische Onkologie.

Es lässt sich festhalten, dass keines der vorab formulierten Forschungsthemen von den Expert_innen als unverständlich wahrgenommen wurde. Es wurden durch die zwei Gruppen jedoch zahlreiche inhaltliche und sprachliche Hinweise gegeben. Insbesondere die Untermauerung der einzelnen Forschungsthemen mit konkreten Beispielen wurde mehrfach gewünscht und eingearbeitet und diente damit der Vervollständigung und Ergänzung hinsichtlich der Verständlichkeit der jeweiligen Themen. Zudem erfolgte ein Zusammenschluss von einzelnen Themen unter einem übergeordneten Wissensgebiet, sowie eine Veränderung der ursprünglichen Themenbereiche von neun auf insgesamt acht, unter denen sich insgesamt 20 einzelne Forschungsthemen subsumiert haben (Tab. 5). Die Anpassung und Verknüpfung zur Verbesserung der Verständlichkeit von Themen erfolgte im Konsens. Zudem wurde der Wunsch nach einer übergeordneten Einleitung der Forschungsagenda mit Fokus auf Forschungsbeteiligung der Gesellschaft geäußert. Hierbei spielte für die Vertreter_innen der Berufsgruppe auch die altersunabhängige Betrachtung der zu beforschenden Population eine Rolle, die in der weiteren redaktionellen Bearbeitung berücksichtigt worden ist. Vielfältig diskutiert worden sind die Themen „Edukation, Beratung und Information“, „Symptommanagement, Toxizität und Nebenwirkungen“ wie auch die besonderen Aspekte der Versorgungssituation von Betroffenen im palliativen Setting, junge Erwachsene und hochaltrige Menschen und das Leben als Cancer Survivor nach der Behandlung. Dabei standen sowohl die zielgruppenspezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen im Fokus der Gruppendiskussionen als auch die Weiterentwicklung der Pflegenden in ihrer Rolle und Funktion im Versorgungsprozess. Die Akademisierung und der Einbezug von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis wurden ebenfalls diskutiert, dabei war besonders die Implementierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zentrales Thema. Insgesamt haben die Expertengruppen die Vielfältigkeit und Komplexität der Versorgung von betroffenen Menschen und vor allem die Bedeutung der Pflegenden als relevante Versorgungsgröße in der Onkologie hervorgehoben.

Tabelle 5 Forschungsprioritäten nach der Diskussion mit Expertengruppen

Diskussion

Mit dieser Arbeit wurde die erste Forschungsagenda für die onkologische Pflegeforschung in Deutschland in Abstimmung zwischen Vertreter_innen aus Pflegepraxis und -forschung entwickelt.

Aus der systematischen Aufbereitung vorhandener Forschungsprioritäten der onkologischen Pflegeforschung wurden aus 29 Veröffentlichungen (Tab. 2) 55 Forschungsthemen extrahiert (Cadorin et al., 2020; Charalambous et al., 2018). Diese Übersicht über den internationalen wissenschaftlichen Diskurs zeigt die Vielfalt an onkologischen Forschungsthemen und ermöglicht die Erstellung einer einheitlichen und international anschlussfähigen Agenda (Cadorin et al., 2020). Da es sich bei der Recherche der Forschungsthemen um eine retrospektive Analyse der letzten Jahrzehnte handelt, ist die Auflistung an Forschungsthemen umfangreicher als in den zuvor skizzierten Forschungsagenden (Tab. 2). Aufgrund der Methodik angeglichenen Herangehensweise der österreichischen und schweizerischen Forschungsagenda sind die Schnittmengen mit diesen am größten (Raphaelis et al., 2017; Shaha et al., 2008). Im Vergleich mit anderen Agenden finden sich insbesondere in der Formulierung der Themen die größten Unterschiede (Cadorin et al., 2020).

Die Formulierung und Zuordnung von Forschungsthemen war daher auch Gegenstand der Expertengespräche. Analog zu den Ergebnissen von Shaha et al. (2008) und Raphaelis et al. (2017) wurden nur wenige Veröffentlichungen identifiziert, die durch ihre niedrige Bewertung nach Ross et al. (2004) in Bezug auf die Art und Weise der Festlegung von Forschungsprioritäten aufgefallen sind, sodass davon auszugehen ist, dass die in der Literatur identifizierten Ergebnisse auch einen Pflegeforschungsbedarf für Deutschland abbilden und damit keine länderspezifischen Forschungsthemen darstellen. Diese Annahme wird belegt durch die hohe Zustimmung im Survey (Tab. 4 und ESM1). Ein wesentlicher Unterschied zwischen den drei deutschsprachigen Agenden liegt in der Betrachtung von Interventionen. Diese sind in der Taxonomie für die deutsche Forschungsagenda im Gegensatz zu den beiden anderen Agenden (Raphaelis et al., 2017; Shaha et al., 2008) nicht separat ausgewiesen worden, da im Rahmen des Redaktionsprozesses festgestellt worden ist, dass Interventionsstudien grundsätzlich priorisiert werden sollten und die Expertengruppen dies auch für die wissenschaftliche Etablierung der onkologischen Pflegeforschung für besonders relevant halten. Durch Wirksamkeitsnachweise kann der Beitrag der onkologischen Pflege in der Versorgung sichtbar gemacht werden. In dem Bereich der klinischen Studien zur Evaluation von Pflegeinterventionen besteht demnach ein besonderer Entwicklungs- und Handlungsbedarf (Cadorin et al., 2020; Charalambous et al., 2018).

Limitationen

Bei der Einordnung der Ergebnisse müssen einige Limitationen benannt werden. Es ist grundsätzlich nicht auszuschließen, dass trotz des systematischen Ansatzes der Literaturrecherche relevante Veröffentlichungen übersehen worden sind. Die Teilnehmenden des Surveys wurden initial über die Verteiler der involvierten Verbände rekrutiert. Die verantwortlichen Personen des Projekts hatten damit nur indirekt Einfluss auf die Rekrutierung der Teilnehmenden. Trotz Erinnerungsschreiben via E-Mail war die Stichprobe mit insgesamt 321 Aufrufen und 174 vollständig ausgefüllten Fragebögen niedriger, als erwartet. Die geringe Rücklaufquote des Surveys im Vergleich zu anderen Studien (Berger et al., 2005; Doorenbos et al., 2008; LoBiondo-Wood et al., 2014) kann zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben (Sampling Bias). Zusätzlich war der Fragebogen trotz Pretest mit insgesamt 141 Fragen vielfältig und lang. Dies könnte durchaus dazu geführt haben, dass eine Vielzahl an Teilnehmenden sich dazu entschloss, die Erhebung nicht abzuschließen. Dieser Umstand konnte durch die Expertengruppen zum Teil ausgeglichen werden, in denen die unterschiedlichen Perspektiven noch differenzierter erfasst werden konnten. Die Abstimmung erfolgte unter den Aspekten der Verständlichkeit und Vollständigkeit. Es handelte sich dabei nicht um ein Konsensusverfahren. Die Auflistung der Forschungsthemen erfolgte in keiner Rangfolge. Im weiteren Umgang mit der entwickelten Agenda könnte sich ein solches Konsensusverfahren anschließen, bei dem weitere Gruppen wie bspw. Patientenvertretungen einzubinden sind und eine Priorisierung vorgenommen werden kann. Im bisherigen Prozess wurde diesem Aspekt durch den Beirat Rechnung getragen. Eine Zirkulation der Agenda durch Fachveröffentlichungen sollte diesem Prozess jedoch vorausgehen.

Schlussfolgerung

Zum ersten Mal wurde für die onkologische Pflege in Deutschland eine Forschungsagenda formuliert. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf spezifische Themen mit besonderem Forschungsbedarf und -möglichkeiten. Sie dient als Standortbestimmung durch Forschungsperspektiven der onkologischen Pflege in Deutschland als ein wachsendes Forschungsfeld und bietet damit auch eine Orientierung für gezielte Ausschreibungen von Forschungsförderung. Sie ist damit ein wichtiger Baustein für die Etablierung einer wissenschaftlichen onkologischen Pflege in Deutschland.

Wir danken den Pflegefachpersonen für die Teilnahme an dem Survey und den Expert_innengruppen: Gundula Blättermann, Axel Doll, Lea Ecke, Helmut Erckmann, Rigo Fangemann, Carola Freidank, Janet Goetzie, Dr. Lee F. Koch, Andreas Kocks, Dr. Lynn Leppla, Katrin Liebing, Ute Stutz, Claudia Treichel, Jana Weßels, Sabine Zumbrink. Im Weiteren danken wir unserem Beirat, bestehend aus Fr. Kerstin Paradies, Hr. Jan Geißler und Hr. Prof. Dr. Thomas Seufferlein, für die fortlaufende Diskussion der Entwicklungsstände der Agenda und den Autor_innen der österreichischen Forschungsagenda für das Bereitstellen der Fragebögen.

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie?

Die umfassende Synthese und die Reduktion der Themen sowie die Aushandlung der Forschungsthemen zwischen Wissenschaft und Praxis.

Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft?

Eine gemeinsame Agenda der deutschsprachigen Länder Deutschland, Österreich und Schweiz.

Was empfehlen Sie zum Weiterlesen/Vertiefen?

Die Agenda der onkologisch Pflegenden der ONS (Von Ah et al., 2019).

Literatur