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06.05.2024 | Allgemeinmedizin

Dr. Google, bin ich krank?

verfasst von: Patrizia Steurer

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Ob Kopf-, Bauch oder Brustschmerzen – viele Betroffene suchen im Internet nach Antworten auf Gesundheitsfragen. In Gesundheitsportalen und Selbsthilfeforen stoßen Laien auf eine Flut an Informationen. Ärzte warnen vor falschem Vertrauen in digitale Ratgeber.

Es ist zwei Uhr morgens. Georg liegt hellwach im Bett und wälzt sich von einer Seite auf die andere. Sein Herzschlag dröhnt in seinen Ohren. Seit Tagen spürt er ein Ziehen im linken Arm. Hat sein Herz gerade ausgesetzt? Beim Googeln neulich hat er gelesen, das Herzstolpern und Schmerzen im Arm Vorboten für einen Herzinfarkt sein können. Die Symptome würden passen. Hat er also gerade einen Infarkt? Was soll er tun? Die Gedanken rasen, während er sich fragt, ob Dr. Google eventuell die Antwort weiß.

Weltweit nutzen Millionen Menschen das Internet, um mehr über ihre körperlichen Symptome herauszufinden. Das Spektrum reicht von Suchmaschinen über große Gesundheitsportale bis hin zu spezielle Foren, in denen man mit Laien oder Experten in Kontakt treten kann. Laut Statistik Austria nutzen 64 Prozent der Österreicher das Internet, um sich regelmäßig über Gesundheitsthemen zu informieren. Vom eingewachsenen Fußnagel bis zum Hautausschlag, von der Kinderkrankheit bis zur Arthrose. Dr. Google liefert zahlreiche Diagnosen und Therapien, egal, ob es um ein kleines Zipperlein geht oder eine chronische Krankheit.

Digitale Vor- und Nachteile

Das Internet ist in medizinischen Fragen zur Informationsquelle schlechthin avanciert. Eine Entwicklung, in der Dr. Johanna Zrost, Allgemeinmedizinerin aus Wien, sowohl Vor- als auch Nachteile sieht. Der Vorteil: Recherchen vor dem Arztbesuch können helfen, den Patienten besser zu verstehen und die richtigen Fragen zu stellen. „Manche Krankheiten sind selten, eine Diagnose schwierig, da kann es recht hilfreich sein, wenn Patienten sich mit entsprechenden Informationen vorstellen“, sagt Zrost.

Experten sehen darin eine zunehmende Gesundheitskompetenz, auch „Patienten-Empowerment“ genannt. Der Nachteil der Recherche im Netz: Man verharmlost Beschwerden, geht gar nicht zum Arzt und vertraut den Behandlungsempfehlungen aus dem Internet. Immer wieder kommen auch Patienten mit einer Selbstdiagnose in die Praxis von Johanna Zrost und verlangen gleich ein Rezept – ohne Untersuchung. Andere sind nach dem Arztbesuch verwirrt und haben Probleme, Befunde und ärztliche Anweisungen zu verstehen. Sie wenden sich an das Internet und geraten nicht selten in Panik. „Vieles ist für medizinische Laien nicht verständlich. Umso wichtiger ist es, mit Patienten Befunde zu besprechen und zu erklären, anstatt dem Gelesenen blind zu vertrauen“, so Zrost. Zu ihren Hauptaufgaben zählt mittlerweile, „Symptom-Googler“ zu besänftigen und aufzuklären. „Das kann sehr anstrengend sein“, erzählt Zrost. Laut der Erfahrungen der Ärztin ist ein solches Unterfangen meist zeitintensiv und mit einem erheblichen diagnostischen Mehraufwand verbunden. „Die Information von Dr. Google unterstützt die Arzt-Patienten-Beziehung, Berater sollte aber der Arzt bleiben“, betont Zrost.

Die Google-Krankheit

Es ist grundsätzlich keine schlechte Idee, Symptome zu googeln oder sich über bestimmte Krankheiten zu informieren. Zu einem riesigen Problem wird es aber, wenn man nach der intensiven Suche davon überzeugt ist, an einer schweren Krankheit zu leiden. Diese neuartige Erkrankung nennt man Cyberchondrie – eine auch als Morbus Google bezeichnete digitale Schwester der Hypochondrie.

Cyberchonder sind davon überzeugt, an einer schweren Krankheit zu leiden, obwohl diese nie von einem Arzt bestätigt wurde. Sie verbringen Stunden im Internet und recherchieren wie besessen zu vermeintlichen Symptomen, Diagnosen und Therapien. Der Algorithmus schafft Unsicherheit, innere Unruhe, Nervosität, Panik- oder Angststörungen. Kein Wunder. Das Netz ist engagiert. Die „digitalen Doktoren“ ziehen nicht etwa ein oder zwei Krankheiten in Erwägung. Um Vollständigkeit bemüht, durchwühlen sie vielmehr das gesamte Web und fördern jeweils eine Unzahl von möglichen Diagnosen zutage, die vom harmlosen Wehwehchen bis zum tödlichen Gebrechen reichen.

Eine so kunterbunte Auswahl ist freilich nicht jedermanns Sache. Während sich Unbeirrbare das jeweils Plausibelste herauspicken, sind sensiblere Seelen teilweise so überwältigt, dass sie in einen Teufelskreis aus immer mehr Recherchen und daraufhin noch größerer Angst geraten. Sie halten beispielsweise Bauchschmerzen für die Folge eines bösartigen Tumors, anstatt sie den mittags verspeisten Schweinebraten anzulasten; bei einem Bluterguss an der Wade denken sie sofort an eine potenziell lebensbedrohliche Thrombose und Schmerzen in der Brust sind sowieso immer gleich ein Herzinfarkt.

Manche Menschen gehen mit ihren Befürchtungen gar nicht erst zum Arzt. Sie haben entweder Angst, nicht ernst genommen zu werden, oder fürchten, dass ihre Diagnose bestätigt wird. Andere zeichnen sich durch übermäßig viele Arztbesuche aus und betreiben regelrechtes „Arzthopping“, um ihre Selbstdiagnose bestätigt zu bekommen.

Ursachen der Cyberchondrie

Es lässt sich nicht sagen, ab welcher Rechercheintensität über welchen Zeitraum hinweg und durch welche Informationen eine Cyberchondrie hervorgerufen oder verstärkt werden kann. Durch die Internetsuche erhoffen sich Betroffene Entlastung. Häufig ist das Gegenteil der Fall, wenn die Suche nach Ursachen von Symptomen eher beunruhigt statt beruhigt. Es kann zu einem Teufelskreis aus Rückversicherung und Verunsicherung kommen. Betroffene hoffen auf Entlastung, werden stattdessen verunsichert und beginnen von Neuem zu recherchieren.

Cyberchondrie ist eine Begleiterscheinung einer anderen, meist tiefer liegenden psychologischen Erkrankung wie einer Angst- oder Zwangsstörung. Obwohl die genauen Ursachen noch unklar sind, gibt es Risikofaktoren. Menschen mit Depressionen oder Angstzuständen sind möglicherweise anfälliger. Die Wahrscheinlichkeit, an Cyberchondrie zu leiden, könnte auch größer sein, wenn jemand persönliche Erfahrungen mit einer Krankheit gemacht hat. Zum Beispiel, wenn es einen Todesfall in der Familie gibt – vor allem, wenn er plötzlich eintritt oder wenn jemand, der einem nahe steht, erkrankt.

Es gibt keinen Typ Mensch, der besonders anfällig dafür ist, an Cyberchondrie zu leiden. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren und Persönlichkeitsmerkmalen. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass Menschen mit einer niedrigen Unsicherheitstoleranz eher dazu neigen, ein erhöhtes Risiko für Cyberchondrie zu entwickeln. Dazu zählen zum Beispiel Personen, bei denen Unsicherheit und Unkontrollierbarkeit Unbehagen auslösen. Es sind Menschen, die ein möglichst stabiles Leben haben möchten, Dinge vorhersehen und immer wissen wollen, was als Nächstes passiert. Kontrolle spielt dabei eine sehr große Rolle. Spezielle Therapiemöglichkeiten für Cyberchondrie gibt es noch keine. Dafür ist die Erscheinung zu neuartig. Ob cyberchondrisches Verhalten in einer psychotherapeutischen Behandlung separat oder begleitend mit einer damit zusammenhängenden psychischen Störung behandelt werden sollte, kann nicht pauschal beantwortet werden. Das ist individuell verschieden. Einige Interventionen wie Verhaltenstherapien zielen auf einen besseren Umgang mit Krankheitssorge, Unsicherheit und Unkontrollierbarkeit ab.

Dr. Google in der Praxis

Wie viele Cyberchonder beständig angstvoll in die Tasten klopfen, ist nicht bekannt. Es fehlt an ausreichend Studien, die beleuchten, welche Erfahrungen Mediziner mit internetassoziierten Gesundheitsängsten gemacht haben. Dennoch beschäftigt sich die Forschung in den letzten Jahren zunehmend mit der Frage, warum Menschen das Internet als Diagnose-Tool und Gesundheitsratgeber verwenden. „Die Gründe sind vielfältig“, so Prof. Christiane Eichenberg, die an der Sigmund-Freud-Privatuniversität zu Gesundheitsrecherchen im Netz forscht. „Die Menschen wollen sich selber informieren. Patienten stellen die Expertise des Arztes infrage oder vertrauen ihm nicht. Andere wiederum wünschen sich mehr Information als sie vom Arzt erhalten. Es kann auch sein, dass Patienten Arztbesuche vermeiden und sich via Google selbst behelfen. Gerade hier zeigt sich eine massive Schwachstelle des Internets: Welche Informationen sind richtig? Welchen Webseiten kann man vertrauen? Wann handelt es sich um Fake-Infos?

Eine aktuelle Befragung aus dem Jahr 2023 hat ergeben, das die Hälfte der Hausärzte den Eindruck haben, dass die Informationen, die Patienten aus dem Internet erhalten, teilweise verlässlich sind. 40 Prozent sind der Meinung, dass Informationen aus dem Internet die Patienten negativ beeinflussen. „Diese Meinung vertreten vor allem Ärzte, die selbst keine hohe Internetkompetenz aufweisen“, erklärt Eichenberg. Ein weiteres Problem ist die Qualität der im Internet gefundenen Quellen. Im Netz kursieren sehr viele Falsch- und Fehlinformationen. Es gilt daher, die Informationsquellen immer kritisch zu hinterfragen.

Es ist mittlerweile bekannt, dass sogenannte Diagnosegeneratoren bevorzugt schwere Krankheiten feststellen. Die Folge: Menschen gehen häufiger zum Arzt, was das Gesundheitssystem belastet. Ärztliche Diagnosen sind den „System-Checkern“ im Internet immer vorzuziehen. Das Internet ist in den letzten Jahren zu einer zentralen Stelle für Gesundheitsinformationen avanciert. Dieses Faktum steht außer Frage“, erklärt Christiane Eichenberg. Wichtig ist, dass Ärzte sich offen zeigen. Google ist als Suchmaschine für Patienten von großer Bedeutung. Es gilt, neue Strategien im Umgang mit Patienten zu entwickeln. Es bedarf an Kompetenz seitens der Mediziner, Informationen aus dem Internet in das Arzt-Patienten-Gespräch zu integrieren und in Wissen zu verwandeln.

„Patienten müssen sich trauen, mit dem Arzt darüber zu sprechen, was sie im Internet zu Symptomen und Therapien recherchiert haben“, erklärt Eichenberg. Ärzte sind aufgefordert, das Netz nicht länger nur als Gefahr zu begreifen, sondern auch als Chance. Alles hängt natürlich von der Qualität der Informationen ab. Es ist daher wichtig, Gesundheitsplattformen vonseiten der Medizinerinnen und Mediziner richtig einzuschätzen, auf denen Patienten fachliche Informationen recherchieren. Ärzte sollten aufklären, ihren Patienten Adressen im Internet empfehlen und Tipps für vertrauenswürdige digitale Quellen liefern. Nur gemeinsam kann das Potenzial des Internets ausgeschöpft und ein zufriedenstellendes Verhältnis zwischen Arzt und Patient erreicht werden.

Metadaten
Titel
Dr. Google, bin ich krank?
Publikationsdatum
06.05.2024

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