Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags

  • kennen Sie die Arten von Stammzellen und ihrer Gewinnung,

  • haben Sie einen Überblick über die klinischen Anwendungsgebiete in der Orthopädie,

  • sind Sie über die regulatorischen Aspekte der regenerativen Medizin informiert,

  • haben Sie einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und potenzielle Anwendungsgebiete von Stammzellen in der Orthopädie.

Einleitung

Die regenerative Medizin gewinnt im Bereich der Orthopädie zunehmend an Bedeutung. Die Hauptzielgruppe sind häufig junge Patienten, die aufgrund posttraumatischer oder überlastungsbedingter Zustände einer vorzeitigen Degeneration des Bewegungsapparates ausgesetzt sind. Hier sind v. a. jene Gewebe, die ein geringes Eigenheilungspotenzial aufweisen, von Interesse. Beispielsweise führen unbehandelte fokale Knorpelschäden unweigerlich zur Entstehung von Osteoarthrose, die wiederum eine Volkskrankheit mit erheblichen sozioökonomischen Auswirkungen darstellt. Auch chronische Tendinosen oder Knochenheilungsstörungen haben langfristige Auswirkungen mit Funktionsverlust des Bewegungsapparates. Somit sind die Zielsetzungen der regenerativen Medizin die Wiederherstellung der Funktion und auch Prävention von Sekundärfolgen.

Der Ansatz der Regeneration mit funktionellen Stammzellen gilt als vielversprechend.

Die Herausforderung bei dieser Art der Applikation an die Zelle ist

  • Zugang zu ausreichender Zellzahl,

  • Erhaltung der gewünschten Differenzierungsrichtung,

  • Bildung von funktionellem Reparaturgewebe.

Zellquellen

Bei Stammzellen müssen Unterschiede zwischen mehreren Zelltypen gemacht werden, die sich in ihrer Verfügbarkeit, Differenzierungsfähigkeit und Relevanz für die klinische Anwendung unterscheiden.

Embryonale Stammzellen

Embryonale Stammzellen (ESCs) wurden von James Thomson 1988 entdeckt und bieten aufgrund ihrer Pluripotenz die Möglichkeit, Reparatur von jeder Art Gewebe zu realisieren. Diese klassische Stammzelle wird aus der Blastozyste von nicht transferierten Embryos gewonnen und besitzt uneingeschränkte Proliferationsfähigkeit mit limitierenden Faktoren hinsichtlich Verfügbarkeit sowie in der Kontrolle der Proliferation [1] als auch der Stabilität des Differenzierungsprogramms [2]. Das onkogene Potenzial mit der Bildung von Teratomen in vivo zeigt die Schwierigkeit, ESCs in der Gewebeentwicklung für therapeutische Anwendungen entsprechend zu kontrollieren. Aufgrund der beschriebenen Herausforderungen im Differenzierungsprogramm gibt es bis dato nur wenige präklinische Studien, die mit diesen Zellen durchgeführt wurden [3]. Im Jahr 2006 schafften es Takahashi und Yamanaka [3], jene Pluripotenz sowohl in murinen als auch in humanen Stammzellen zu induzieren. Diese induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS) sollen weniger teratogen wirken, reagieren aber vereinzelt bei induzierten Programmänderungen mit eingeschränktem Differenzierungspotenzial [4].

Adulte Stammzellen

Reife bzw. adulte Stammzellen weisen multipotentes Differenzierungsverhalten auf und finden bereits bei zahlreichen zellbasierten Therapien Anwendung. Adulte Stammzellen gelten auch ethisch als weniger bedenklich, besitzen die Fähigkeit, sich in das Umgebungsprogramm zu integrieren, und werden von Immunzellen toleriert [5]. Diese Eigenschaften machen auch diese Zellen zu idealen Kandidaten in der Geweberegeneration. Endogene Stammzellen sind ubiquitär vorhanden, dienen als Reparaturreservoir und bespielen – in der frühen Degeneration/Erstantwort auf Verletzung – die Möglichkeit, durch Differenzierung ein endogenes Reparaturprogramm abzurufen [6].

In der orthopädischen Chirurgie werden adulte Stammzellen bereits in der muskuloskeletalen Regeneration von Knorpel, Knochen, Sehnen, Bändern sowie Meniskus verwendet [7]. Die bevorzugte Zellart ist hier die mesenchymale Stammzelle (MSC) oder auch mesenchymale Stromazelle, die zu den adulten Stammzellen zählt und über ein trilineares Differenzierungspotenzial in die osteogene, adipogene, chondrogene (Abb. 1b) Richtung verfügt [8]. Des Weiteren besitzt diese Stammzelle auch die Möglichkeit, in neuronale, epitheliale sowie endotheliale Zellen zu differenzieren.

Abb. 1
figure 1

a Chondrogene Differenzierung von humanen Progenitorzellen ex vivo. Immunfluoreszenzfärbung von Kollagen II (Coll II, pink, s. auch Pfeil pink) und Nuclei in Hoechst 33258 (blau, s. auch Pfeil blau) im konfokalen Lasermikroskop (LSM). Maßstab entspricht 10 µm. b Auswachsen von humanen Stammzellen (Pfeil) aus humanem osteochondralem Plug, gewonnen aus einem Hüftkopfresektat bei Implantation einer Hüfttotalendoprothese c Schnitt durch ein 3‑D-Aggregat von humanen Vorläuferzellen aus der Wachstumsfuge. Zentrale Zellkondensation entwickelt zonale Organisation einer neu gebildeten kartilaginären extrazellulärer Matrix. Der gelbe Pfeil kennzeichnet die hohe zentrale Zelldichte innerhalb des 3‑D-Konstrukts im Vergleich zur Peripherie (weißer Pfeil). Das Fluoreszenzbild wurde auch im LSM aufgenommen. Maßstab entspricht 1000 µm. ECM extrazelluläre Matrix

MSCs aus dem Knochenmark sind mittels Aspiration leicht zugänglich, und laut einer aktuellen Studie wurde die höchste Anzahl an gewonnenen Stammzellen zur Applikation aus dem Beckenknochen entnommen [9]. Eine ausreichende applizierte Zellmenge unterstützt Mechanismen wie Zell-Zell-Interaktionen, was eine wichtige Rolle in der funktionellen MSC-basierten Regeneration spielt. Insbesondere die chondrogene Differenzierung (Abb. 1a) benötigt eine optimale Zelldichte, um Regeneration von Knorpeldefekten bestmöglich zu unterstützen. Synoviale MSCs gelten als Kandidaten für chondrogenes Differenzierungspotenzial [6].

MSCs als auch MSC-artige Vorläuferzellen können neben dem Knochenmark auch aus Synovialgewebe, Synovialflüssigkeit, Meniskus, Bändern und Sehnen, Fettgewebe und auch aus dem Oberflächenlayer des Knorpels gewonnen werden. Je nach Ursprung zeigen die Zellen Präferenz in unterschiedliche Differenzierungsrichtungen sowie Variabilität in der Expression an MSC-spezifischen Oberflächenmarkern CD105, CD90, CD73, CD45, CD38, CD14, CD79 und HLA-dr [10].

In der klinischen Anwendung im orthopädischen Bereich haben Knochenmarkstammzellen und Fettstammzellen die größte Bedeutung. Sie unterscheiden sich in erster Line durch die enthaltenen Zellfraktionen . Durch Zentrifugation von Knochenmarkaspirat wird das Konzentrat BMAC („bone marrow aspirate concentrate“) aus dem „buffy coat“ (Grenzschicht zwischen roten Blutkörperchen und Blutplasma) gewonnen. Hier sind die mononukleären Zellen, die zu einem geringen Prozentsatz auch MSCs beinhalten, vorhanden. Fettaspirat wird enzymatisch verdaut und dann zentrifugiert. Reife Adipozyten und Fett werden separiert. Die untere Schicht entspricht der „stromal vascular fraction“ (SVF), die eine geringe Anzahl von MSCs enthält [11].

Migration und Differenzierung

Die große Herausforderung derzeit gilt dem Entschlüsseln der Funktion von Faktoren wie MCP-1 [12] CXCR-4 [13], VCAM-1 [14] oder MMP-2, welche die Migration von MSCs [15] oder auch die Programme der zu transferierenden Stammzellen beeinflussen. Die Aufbereitung der Stammzellen ex vivo kann per se bereits auf die Programmierbarkeit einwirken [16]. Forscher haben festgestellt, dass der Versuch der Manipulation von Faktoren für Homing und Migration mit Mechanismen wie Inflammation oder Hypoxie [17] in einigen Studien nicht exklusiv programmierbar erscheint und Nebeneffekte wie Apoptose oder Zellalterung wiederum die Differenzierung verändern. Die Aktivität und Differenzierung von MSCs im Zielgewebe steht in direkter Interaktion mit Faktoren der extrazellulären Matrix (ECM) als auch mit endogenen Stimuli, die modulatorisch auf die Umgebung einwirken [10]. MSCs sind in der Lage, verschiedenste Chemokine, Zytokine sowie Wachstumsfaktoren wie VEGF, EGF, IGF, SDF-1 auch selbst zu sezernieren und somit auch direkt promigratorisch und proinflammatorisch zu wirken und entsprechende Signalwege zu modulieren, die für den Heilungsprozess eine Rolle spielen [18]. Biologisch spannend erweist sich die lokale Interaktion von Stammzellen mit den Umgebungsbedingungen und die damit verknüpfte Programmänderung [10]. Die Rolle der Stammzelle kann dadurch nicht nur auf die Differenzierung reduziert werden, sondern muss im Zusammenspiel mit Wachstumsfaktoren, Inflammation, und Mechanismen wie Chemotaxis sowie MSC-ECM-Interaktion gesehen werden.

Dieser komplexe Prozess bedarf weiterer biologischer Entschlüsselung, um sowohl das biologische Verhalten von MSCs als auch die endogenen Reparaturkomponenten besser kennenzulernen und deren Programm gezielt auszurichten, und unterstützt den Ruf nach standardisierten Protokollen, um die Studien und deren Outcome vergleichbar zu machen.

Klinische Anwendung von Stammzellen

Knochendefekte

Die Rekonstruktion von langstreckigen Knochendefekten nach Trauma oder Tumorresektionen stellt eine große Herausforderung dar. Häufig sind junge Patienten betroffen, bei denen der Anspruch auf eine dauerhafte Funktion besonders hoch ist. Prinzipiell kann auch die Technik nach Masquelet als Stammzelltherapie bezeichnet werden. Durch das Einbringen von Zementspacern in den Defekt wird die Bildung einer biologischen Membran induziert. Die Membranen beherbergen MSCs und sezernieren Wachstumsfaktoren. Diese biologischen Kammern führen nach Entfernung des Zementspacers und Auffüllen mit autologer Spongiosa zu einem Knochenregenerat [19]. Die Anwendung von Stammzellen aus Beckenkammaspirat oder Fettgewebe in diesem Gebiet beschränkt sich auf Fallserien. Mesenchymale Stammzellen wurden in Kombination mit verschiedenen Trägermaterialien angewendet. Quarto et al. [20] verwendeten Hydroxylapatit in Form des Defektes und beluden dieses mit MSCs, die ex vivo expandiert wurden. Das Follow-up betrug 6 bis 7 Jahre und zeigte eine Einheilung der Implantate. Letztlich zeigt diese Studie jedoch nur die Sicherheit der angewendeten Methode, da keine Kontrollgruppe als Vergleich vorhanden war. Dufrane et al. [21] berichteten von 6 Patienten, bei denen autologe Stammzellen aus dem Fettgewebe gewonnen, expandiert und mit demineralisierter Knochenmatrix in einem osteogenen Medium inkubiert wurden. Diese Scaffold-freie „3D bone-like structure“ wurde in die Defekte eingebracht. Auch diese Studie ist eine Proof-of-concept-Studie , die Sicherheit und Effizienz der Methode über einen Untersuchungszeitraum von 4 Jahren darstellt, aber keinen Vergleich zu einer Kontrollgruppe beinhaltet. Einen Hinweis auf einen positiven Effekt von Knochenmarkstammzellen liefert eine Studie von Hernigou et al. [22], bei der Allograft mit oder ohne MSCs in periazetabuläre Defekte bei Revisionsoperationen von fehlgeschlagenen zementierten Pfannen eingebracht wurden. Bei der Gruppe mit MSC-Augmentation zeigten sich ein besseres radiologisches Einheilen des Grafts, eine geringere Allograftresorption, eine geringere Rate an mechanischen Versagern und weniger Revisionen.

Pseudoarthrosen

Aus In-vitro- und In-vivo-Experimenten ist bekannt, dass MSCs Angiogenese über parakrine Faktoren induzieren und damit Knochenheilung fördern. Dabei spielt auch die mechanische Stimulation eine Rolle [23]. Die Injektion von Knochenmarkaspirat aus dem Beckenkamm ist eine einfache Form der lokalen Applikation von Stammzellen. In der Literatur finden sich Fallserien, die gute Ausheilungsraten von Pseudoarthrosen zeigen [24, 25]. Hernigou et al. [26] stellten fest, dass die Anzahl der applizierten Progenitorzellen einen entscheidenden Einfluss auf die Ausheilung von Pseudoarthrosen hat und die Konzentration von Knochenmarkaspirat („bone marrow aspirate concentrate“ [BMAC]) die Effektivität erhöht. BMAC wurde auch in Kombination mit „plateled rich plasma“, Wachstumsfaktoren (BMP-2, BMP-7), Allograft oder Matrices in unterschiedlichen Lokalisationen angewendet [27, 28, 29]. In allen Serien hatte BMAC einen positiven Effekt, wobei randomisierte Studien fehlen.

Osteonekrose

Hüftkopfosteonekrosen betreffen vorwiegend junge Menschen und können bereits frühzeitig einen totalen Hüftgelenkersatz notwendig machen. Die Möglichkeiten der Hüftkopferhaltung sind limitiert. Die Entlastung der Nekrosezone mit „core decompression“ und Defektfüllung [30] oder Rotationsosteotomien des Schenkelhalses haben wenig Aussicht auf langfristige Erfolge und sind mit Komplikationen behaftet [31]. Im Jahr 2002 publizierten Hernigou und Beaujean die Anwendung von konzentriertem Knochenmarkaspirat additiv zur „core decompression“. Diese Methode zeigte auch gute längerfristige Erfolge, wobei die Behandlung von Hüftkopfnekrosen im Frühstadium vor Kollaps (Stadium I, II) deutlich bessere Ergebnisse zeigte als im Stadium III und IV. Hier lag die Konversionsrate zur Hüft-TEP (Totalendoprothese) knapp über 50 %. Ein hoher Gehalt an Progenitorzellen im BMAC führte zu einem besseren Ergebnis [32, 33]. Zur therapeutischen Anwendung von BMAC bei der Hüftkopfnekrose gibt es zahlreiche Fallserien und einige kontrollierte Studien, die überwiegend positive Effekte in der Behandlung von Frühstadien der Hüftkopfnekrose im Sinne von Besserung der klinischen Symptome und Verhinderung des Hüftkopfkollapses zeigten [11]. Andererseits zeigte eine Studie von Lim et al. [34] geringe Behandlungserfolge ohne signifikanten Unterschied bei einem Vergleich von BMAC-Therapie und Dekompression mit Knochengraft. Rezent wurden auch ex vivo expandierte Knochenmarkstammzellen angewendet. Hierzu existiert eine Level I prospektiv randomisierte Studie an 100 Patienten. Alle Patienten wurden mit einer „core decompression“ (Entfernung eines Knochenzylinders und Kürettage der Nekrose) behandelt. Die Therapiegruppe wurde 3 Wochen später mit 2‑mal 106 expandierten BMSCs, die durch einen Bohrkanal in das Nekroseareal eingespritzt wurden, behandelt. Die Kontrollgruppe erhielt keine weitere Maßnahme. Es wurden nur Frühstadien der Hüftkopfnekrose in die Studie eingeschlossen. Dabei zeigten die Patienten, die mit BMSCs behandelt wurden, signifikant bessere klinische Ergebnisse und eine geringere Progression der Nekrosen [35].

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Anwendung von Stammzellen in der Therapie der Hüftkopfnekrose im Vergleich zu anderen Indikationen relativ gut untersucht ist. Es bleibt jedoch schwierig, die einzelnen Publikationen zu vergleichen, da die Details der Therapie differieren. Die häufigste Technik ist die Augmentation von autologem Bonegraft mit BMAC im Zusammenhang mit der „core decompression“, es wurden jedoch auch andere Trägermaterialien (Fibrinkleber, Tricalciumphosphat, Platelet Rich Plasma) verwendet. Frühe Hüftkopfnekrosestadien ohne Kollaps scheinen mehr zu profitieren [11].

Knorpelregeneration, Osteoarthrose

Knorpel besitzt ein nur ein sehr geringes Heilungspotenzial. Die chirurgische Reparatur von Knorpeldefekten ist eine Domäne der regenerativen Medizin. Die traditionelle Methode der Mikrofrakturierung , bei der der subchondrale Knochen mit Ahlen eröffnet wird, ist de facto eine Stammzelltherapie. Die Einblutung aus dem subchondralen Knochen führt zur Bildung eines Blutgerinnsels („super clot“), das MSCs und Wachstumsfaktoren enthält und eine Geweberegeneration induziert [36]. Allerdings ist hinlänglich bekannt, dass kein hyaliner Knorpel, sondern minderwertiger Faserknorpel entsteht und durch die Frakturierung der subchondralen Knochenlamelle intraläsionale Osteophyten und Niveauunterschiede des Defektgrundes entstehen können [37]. Die Mikrofrakturierung, die weiterhin als Goldstandard gilt, mit der sich alle neu eingeführten Methoden vergleichen müssen, wird nur für Defekte bis zu einer Größe von 2,5 cm2 empfohlen [38]. Die autologe Knorpelzelltransplantation und ihre Weiterentwicklung als MACT („matrix associated autologous chondrocyte transplantation“) haben sich als erfolgreiche Methode für größere Defekte etabliert und weisen stabile Langzeitergebnisse auf. Allerdings handelt es sich um eine zweizeitige Methode (Knorpelzellbiopsie, Zellzüchtung, Implantation), die technisch aufwendig ist [39, 40, 41]. MSCs werden entweder als Injektionstherapie angewendet oder als lokale Reparaturmaßnahme mit einem Trägermaterial in einen umschriebenen Knorpeldefekt implantiert. Bei der Injektionstherapie wird in erster Linie die Osteoarthrose adressiert. Es wird angenommen, dass die Modulation der inflammatorischen Komponente über Sekretion von Zytokinen und Wachstumsfaktoren den Hauptwirkmechanismus darstellt. Bei der lokalen Anwendung im Knorpeldefekt stehen die reparativen Vorgänge im Vordergrund. Die Möglichkeit, MSCs chirurgisch zur Knorpelregeneration einzusetzen und damit einen einzeitigen Eingriff zu ermöglichen, hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen [42]. Wie bereits in der Einleitung beschrieben, haben diese Zellen das Potenzial, entlang unterschiedlicher Zelllinien zu differenzieren, wesentlich ist jedoch auch ihre Fähigkeit, Gewebereparatur und -regeneration über die Sekretion von bioaktiven Molekülen zu induzieren. Caplan et al. [43] bezeichnen die MSCs rezent auch als „pericytes“, da sie von perivaskulären Zellen abstammen [44]. Filardo et al. [42] publizierten 2015 eine systematische Reviewarbeit, in der 60 Studien selektiert wurden, die das Thema Stammzelltherapie von Knorpeldefekten und Frühstadien der Osteoarthrose behandeln. MSCs wurden entweder als Injektionstherapie oder im Rahmen von chirurgischen Eingriffen appliziert. Es wurden unterschiedliche Zellquellen verwendet. Die häufigste Zellart waren Knochenmarkstammzellen. Diese wurden entweder ex vivo kultiviert oder in Form eines Konzentrats verwendet. Die kultivierten Zellen wurden überwiegend bei Injektionsbehandlungen angewendet, wohingegen das Zellkonzentrat bei der chirurgischen Therapie in Form einer „onestep procedure“ häufiger zum Einsatz kam. Fettgewebsstammzellen stellen eine andere Möglichkeit dar, mit einer einzeitigen Operation bzw. Zellgewinnung und Injektion in einem Schritt auszukommen. Sie werden über enzymatische Gewebeverdauung und Isolation der sog. stromal-vaskulären Fraktion (SVF), die Fettgewebsstammzellen enthält, gewonnen. Sie haben ein geringeres chondrogenes Potenzial als Knochenmarkstammzellen, allerdings sind sie aufgrund der einfachen Verfügbarkeit attraktiv für die klinische Anwendung. Stammzellen aus anderen Quellen wie peripherem Blut oder Synovia, die einer Vermehrung in der Zellkultur bedürfen, wurden nur in wenigen Fallserien untersucht.

Zusammenfassend besteht eine große Heterogenität in der Art der Zellverabreichung (intraartikuläre Injektion vs. offener chirurgische oder arthroskopische Applikation in den Defekt), Verwendung von unterschiedlichen Trägermaterialien (Kollagenmatrices, Hyaluronmatrices, Hydroxylapatit, Fibrinkleber) und Kostimulatoren (PRP). Als Outcomeparameter wurden radiologische und arthroskopische Untersuchungen verwendet, des Weiteren subjektive Scores [45]. Während die klinischen Resultate als auch die makroskopischen und Magnetresonanztomographie (MRT)-Ergebnisse einen durchweg positiven Trend zeigten, gab es bei histologischen Auswertungen kontroversielle Ergebnisse [42]. Auch wenn die Evidenzlage sehr gering ist, kann festgestellt werden, dass bisher keine Studie von negativen Nebenwirkungen der Anwendung von MSCs in Gelenken berichtete [42, 45]. In dem rezenten und sehr umfassenden systematischen Review von Goldberg et al. [45] wurden nicht nur klinische Studien, sondern auch In-vitro- und Tierstudien eingeschlossen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es keine Zusammenhänge zwischen den präklinischen und klinischen Daten gibt und kaum eine Arbeitsgruppe eine Methode systematisch von In-vitro- über Tierstudie bis in die humane Anwendung untersuchte. Viel eher entwickelt sich ein Nebeneinander von synergistischer Evidenz, die durch die Patientennachfrage, das Interesse der Mediziner und regulatorische Gegebenheiten bestimmt wird. Daher müssen sowohl translationale Forschung als auch prospektive randomisierte kontrollierte Studien gefordert werden, um Klarheit über die beste Zellquelle, Art der Verabreichung und Indikationsstellung zu gewinnen.

Fallbeispiel Knorpelersatz mit Knochenmarkzellkonzentrat auf einem Trägermaterial

Das Knochenmarkzellkonzentrat wird über Zentrifugation gewonnen. Es erfolgt die Aspiration von Blut aus dem Beckenkamm. Dieses wird direkt im Operationssaal zentrifugiert. Das Konzentrat wird auf das Trägermaterial, das entsprechend dem Defekt zugeschnitten wurde, aufgebracht. Es kann für chondrale Defekte als auch osteochondrale Defekte mit gleichzeitiger Spongiosaunterfütterung aus dem Beckenkamm verwendet werden und optional mit Fibrinkleber an den Rändern fixiert werden (Abb. 2). Es ist auch die arthroskopische Anwendung möglich. In den Abb. 3 und 4 ist ein Fallbeispiel einer 15-jährigen Patientin dargestellt, die bei einem Grad-IV-Knorpeldefekt des lateralen Femurkondyls mit der beschriebenen Methode erfolgreich behandelt wurde.

Es ist aus bisher publizierten Serien von matrixassoziierter Stammzelltransplantation bei osteochondralen Talusläsionen in Form von Knochenmarkkonzentrat bekannt, dass nach 24 bis 48 Monaten eine signifikante Verschlechterung eintrat. Trotzdem zeigte sich im Endergebnis eine Verbesserung im Vergleich zum präoperativen Ausgangsbefund [46]. Andere Studien, die zum Teil Patienten mit Sprunggelenkarthrose inkludierten, zeigten ebenfalls eine Verschlechterung der Ergebnisse nach 24 bis 72 Monaten, wobei auch hier eine Gesamtbesserung der klinischen und radiologischen Ergebnisse zum Ausgangsbefund berichtet wurde. Ein höherer Arthrosegrad, ein hoher Body-Mass-Index (BMI) und Begleiteingriffe waren prognostisch ungünstig [47, 48]. Ein Vergleich mit offener und arthroskopischer matrixassistierter Chondrozytentransplantation (MACT) des Talus zeigte keine Unterschiede im Vergleich zur einzeitigen matrixassoziierten Stammzelltransplantation und sogar eine bessere Gewebequalität in der MRT für letztere Methode [49]. Für Knorpeldefekte im Kniegelenk liegen ebenfalls publizierte Fallserien vor, bei denen Knochenmarkkonzentrat mit einer hyaluronsäurebasierten Matrix oder Kollagenscaffold verwendet wurde und sich gute klinische und radiologische Ergebnisse – auch im Vergleich zur MACT – zeigten [47, 50, 51]. Die besten Ergebnisse wurden bei Patienten <45 Jahre mit fokalen Läsionen erzielt [50].

Abb. 2
figure 2

Operationsablauf eines Knorpelersatzverfahrens mit Knochenmarkzellkonzentrat und Trägermaterial. a Mit einer Jamshidi-Nadel werden 30 ml Blut aus dem Beckenkamm aspiriert. b Danach erfolgt die Zentrifugation. c Der Überstand wird abgesaugt und verworfen, d der „buffy coat“ wird resuspendiert, und e das so erhaltene Knochenmarkzellkonzentrat wird auf die Matrix aufgebracht. f Die Matrix wird in den zuvor präparierten Knorpeldefekt eingebracht und optional mit Fibrinkleber an den Rändern fixiert

Abb. 3
figure 3

15-jährige Patientin mit einem Knorpeldefekt Grad IV des lateralen Femurkondyls, die eine Knorpelreparatur mit Knochenmarkzellkonzentrat und Trägermaterial erhielt. Simultan erfolgte eine Korrektur mit distaler Femurosteotomie wegen valgischer Beinachse. a Magnetresonanztomographie (MRT) präoperativ. b MRT 6 Monate postoperativ zeigt eine vollständige Defektfüllung und gute Integration der Matrix. c MRT 15 Monate postoperativ, T2-Mapping. Der ehemalige Defekt ist vollständig gefüllt, und die Struktur des Reparaturgewebes entspricht nahezu dem unauffälligen angrenzenden Knorpel. Die Defektzone, die mit der Matrix und Knochenmarkzellkonzentrat ersetzt wurde, befindet sich zwischen den roten Pfeilen. MOCART-Score 90 von 100 [52]

Abb. 4
figure 4

24-jährige Patientin mit einem osteochondralen Talusdefekt, der mit Beckenkammunterfütterung, Knochenmarkzellkonzentrat und Trägermaterial versorgt wurde. a Magnetresonanztomographie (MRT) präoperativ. b MRT 18 Monate postoperativ zeigt eine ausreichend gute Defektfüllung und Integration, MOCART-Score 50 von 85

Eine mögliche Alternative zur Zentrifugation von Knochenmarkaspirat stellt eine spezielle Aspirationstechnik mit einer eigens entwickelten Nadel dar, die im Vergleich zu Knochenmarkzellkonzentraten eine höhere Anzahl an MSCs bzw. Colony Forming Unitss erzielen soll. Die Nadel hat seitliche Perforationen und wird während des Aspirationsvorgangs mehrfach zurückgezogen, um aus immer neuen Arealen aus dem Knochenmark zu aspirieren und die Aspiration von peripherem Blut zu vermeiden. Eine weitere Prozessierung des Aspirats entfällt. Die Anwendung kann direkt erfolgen und ist für alle genannten Indikationen denkbar. Grundlagenwissenschaftliche Daten sind derzeit jedoch nur als Abstract verfügbar, und klinische Studien fehlen, weshalb die Methode noch nicht empfohlen werden kann.

Sehnen

Die Anwendung von MSCs im Sehnenbereich ist noch wenig untersucht, die meisten Daten stammen aus dem tierexperimentellen Bereich, wo Injektionsbehandlungen und verschiedene matrixassoziierte Therapien untersucht wurden. Durch das schlechte Regenerationspotenzial v. a. am Sehnen-Knochen-Übergang sind Erkrankungen wie Rotatorenmanschettenrupturen oder die Epikondylitis des Ellbogens theoretisch ideale Indikationen. Im Bereich der Rotatorenmanschette publizierten Hernigou et al. [53] die bisher größte Fallserie mit 45 Patienten und einer Nachuntersuchungsdauer von 10 Jahren. Die Augmentation der Rotatorenmanschettennaht mit Knochenmarkzellkonzentrat während der Arthroskopie zeigte 87 % Heilungsrate im Vergleich zur Kontrollgruppe mit nur 44 %. Im Bereich der Ellbogens wurde in einer kleinen Fallserie die Injektion von allogenen Fettstammzellen erfolgreich angewendet, wobei hier keine Kontrollgruppe vorlag [54]. Auch für die Patellasehnentendinose ist die Injektion von konzentrierten Knochenmarkstammzellen beschrieben, wobei hier nur 8 Patienten mit gutem klinischem Outcome, aber ohne Kontrollen und radiologische Daten beschrieben wurden [55]. Die Datenlage für die humane Anwendung ist derzeit noch sehr schwach, kontrollierte randomisierte Studien existieren nicht.

Regulatorische Aspekte

Europaweit ist die EMA (European Medicines Agency, http://www.ema.europa.eu/) für die Einstufung von Therapien, die auf Genen, Zellen oder Geweben basieren, als mögliches ATMP („advanced therapy and medicinal product“) zuständig. Die Kriterien sind in Artikel 17 der Regulation (EC) No 1394/2007 festgelegt. In Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (www.pei.de) Ansprechpartner. Die Anwendung von Stammzellen ist in Deutschland im Arzneimittelgesetz (AMG) § 4b Abs. 3 geregelt. ATMPs bedürfen eines aufwendigen Zulassungsverfahrens , das zentralisiert über die EMA erfolgt. Ein wesentliches Kriterium für die Einordnung als Nicht-ATMP ist das Ausbleiben einer substanziellen Bearbeitung der Zellen. Die genauen Definitionen sind in einem Leitfaden des PEI nachzulesen. In Österreich ist die AGES Medizinmarktaufsicht des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen (www.basg.gv.at) zuständig. Ein Leitfaden dient der Erläuterung der Anforderungen an Produkte für Neuartige Therapien (Advanced) gemäß § 7 Abs. 6a Arzneimittelgesetz (AMG). Eine Besonderheit ist die Hospital-Exemption-Regelung (gültig nur für Krankenanstalten), die Arzneimittel für neuartige Therapien, die in einem Krankenhaus nicht routinemäßig nach spezifischen Qualitätsnormen hergestellt und in einem Krankenhaus in demselben Mitgliedstaat unter der ausschließlichen fachlichen Verantwortung eines Arztes auf individuelle ärztliche Verschreibung eines eigens für einen einzelnen Patienten angefertigten Arzneimittels verwendet werden, vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausnimmt. Rezent wurde die Anwendung von Knochenmarkzellkonzentrat in Kombination mit als Medizinprodukt zugelassenen Trägermaterialien als Medizinprodukt eingestuft gemäß Medizinproduktegesetz (MPG) § 40(5). In der Schweiz ist das Schweizerische Heilmittelinstitut (https://www.swissmedic.ch) zuständig.

Ausblick: potenzielle Anwendungsgebiete – alternative Zellquellen

Regeneration der Wachstumsfuge

Eine weitere Herausforderung stellt die Regeneration der Wachstumsfuge dar, die aufgrund ihrer besonderen Struktur und dem damit verbundenen Differenzierungsprogramm oft nach Frakturen zu Komplikationen wie Stellungsdeformitäten oder Beinlängendifferenzen führen kann und chirurgische Intervention erfordert. MSC-basierte Strategien zu Reparatur wurden bereits in Klein- [56, 57, 58] und Großtiermodellen [5, 59, 60] untersucht. Mechanismen wie die Phasen der Wachtumsfugenreparatur konnten bereits im Mausmodell identifiziert werden [61], wobei TNF (Tumor-Nekrose-Faktor)-α als Schlüsselprotein der proinflammatorischen Phase der Chemotaxis in der fibrinogenen Phase vorausgeht. Faktoren wie RUNX2, Osteocalcin und Bone Morphogenetic Proteins begleiten den Prozess des finalen Umbaus im Wachstumsfugenknorpel. MSCs, die direkt aus der murinen Epiphyse isoliert werden konnten, zeigten klare Vorteile im Differenzierungspotenzial [7] gegenüber MSCs aus dem Knochenmark [62, 63] sowie antiinflammatorische und immunsuppressive Wirkung. Nichtsdestotrotz gibt es bis dato kein Modell, in dem die knorpelige Phase der Wachstumsfuge über längere Zeit zonal organisiert und funktionell erhalten werden konnte [64].

Die Suche nach der geeigneten Zellart, die zonal organisiertes Reparaturgewebe formt, brachte Wachstumsfugenforscher dazu, ihr Augenmerk auf endogene MSCs zu richten und diese näher zu untersuchen. Im Mausmodell konnte in einem Scaffold-basierten Modell durch epiphyseale Stammzellen ein Vorteil in der Knochendichte erzielt werden, während im Kontrolltier unorganisiertes Reparaturgewebe gefunden wurde [7]. Unsere eigene Forschungsgruppe im Bereich Stammzellen/Wachstumsfuge konnte das Differenzierungspotenzial von endogenen Vorläuferzellen der humanen Wachstumsfuge zeigen und ein Modell entwickeln, in dem eine zonale Organisation der Kollagenstruktur ex vivo gezeigt werden konnte (nicht publizierte Daten, Abb. 1c).

Allogene Zellen – Stammzellbanken

Aktuelle Schwerpunkte in der anwendungsorientierten Forschung sind einerseits die Optimierung der applizierten Zellzahl als auch die Auswahl der am besten geeigneten Zellart. Um die ausreichende Verfügbarkeit von Zellen für stammzellbasierte Therapieoptionen zu gewährleisten, steht die zukünftige Planung von Stammzellbanken mit standardisierten Prozessen unter Gewährleistung von Sicherheitsaspekten im Vordergrund, sowie die Verwendung dieser Zellen nach einheitlichen Protokollen zu definieren. Allogene Stammzellen stellen dabei eine interessante Option dar, um Zugänglichkeit und Kosten zu harmonisieren [45]. Bislang veröffentlichte Ergebnisse, wo allogene Stammzellen im Vergleich zu autologen MSCs in der Geweberegeneration im Tiermodell getestet wurden, zeigten bislang keine eindeutigen qualitativen Benefits in der Bildung von hyalinem kartilaginärem Reparaturgewebe hinsichtlich Differenzierung und Architektur [65]. In Korea werden seit 2009 erste humane Studien mit einer Kombination aus allogenen Nabelschnur-MSCs und Sodium Hyaluronat in der Knorpelregeneration verwendet – Ergebnisse sind zurzeit noch ausständig.

Fazit für die Praxis

  • MSCs sind derzeit die einzig verfügbaren Zellquellen für die klinische Anwendung im muskuloskeletalen Bereich.

  • MSCs können in ausreichender Zahl durch Aspiration aus dem Knochenmark oder aus dem Fettgewebe gewonnen werden.

  • Was die Zellzahl betrifft, scheinen höhere Konzentrationen mehr Effekt zu haben.

  • Die optimale Art der Applikation ist noch nicht ausreichend geklärt. Es werden entweder Trägermaterialien verwendet, oder es erfolgt die direkte Injektion.

  • Relevante klinische Erfahrungen liegen für die Behandlung von Knochendefekten, Pseudoarthrosen, Osteonekrosen, Knorpeldefekten bzw. Osteoarthrose und Sehnenpathologien vor.

  • Die Evidenzlage ist gering. Bei den meisten Studien handelt es sich um Fallserien, einige davon mit Kontrollgruppen, die die positiven Effekte der Stammzelltherapie unterstützen.

  • Die Therapie mit MSCs kann aufgrund der Datenlage als sicher bezeichnet werden, es wurden keine negativen Nebenwirkungen beobachtet.

  • Die Stammzelltherapie unterliegt speziellen Regulationen, die von der EMA vorgegeben sind.