Psychiatr Prax 2008; 35(3): 151-152
DOI: 10.1055/s-2008-1074816
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Migranten-Treffpunkte nutzen: Das MUIMI-Projekt Karlsruhe

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Publication Date:
10 April 2008 (online)

 

"Innovative Zugangswege", also neue Möglichkeiten, wie Menschen mit Migrationshintergrund die Angebote des deutschen Gesundheitswesens besser kennen und nutzen können, wurden mehrfach angemahnt und diskutiert. Auch die Gesundheitsministerkonferenz der Länder 2007 zählt die Verbesserung der Zugangswege zur psychiatrischen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund zu den "Aspekten von grundsätzlicher Bedeutung" [1]. Neue Zugangswege und Klärung der Zugangsbarrieren [2] sind insbesondere dort wichtig, wo Menschen mit Migrationshintergrund im Versorgungssystem deutlich unterrepräsentiert sind. Dazu gehören die ambulanten und stationären offenen psychiatrischen Einrichtungen sowie die Einrichtungen der Suchthilfe [2]-[4]. Auch die alarmierenden Suizidraten der Spätaussiedler [5] zeigen deutlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund unsere Hilfsangebote oft wenig nutzen.

Dies entsprach auch der Arbeitserfahrung mit z.T. traumatisierten Migranten in einem Karlsruher Migranten-Hilfsverein. Selbst langjährig hier lebende Migranten verfügen über geringe Kompetenzen - "health literacy" [3] - sich selbst im psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich Hilfe zu suchen. Während wir im Büro des Vereins zur Unterstützung traumatisierter Migranten e.V. weiterhin eine individuelle "Lotsenfunktion" für die Behandlung in einem Netz von Psychiatrischer Institutsambulanz und niedergelassenen Ärzten anbieten, wurde seit 2006 mit Migrantenvereinen Kontakt aufgenommen, um an diesen vertrauten Orten MUttersprachlich Information an Migranten zu geben MUIMI - und sie dabei zu ermutigen, Gesundheitshilfen zu kennen und bei Bedarf in Anspruch zu nehmen. Da in Karlsruhe die Migrantenvereine gut etabliert sind, baten wir dort um Unterstützung. Es kam darauf an, dass wir Ort und Zeit eines schon bestehenden, vertrauten Treffpunktes von Migranten für unseren Gesundheitstreff nutzen durften. Im Folgenden soll über dieses Projekt nach 15 Monaten Laufzeit kurz berichtet werden.

Das "Internationale Begegnungszentrum", Karlsruhe, IBZ, gab uns großzügig Adressen von Migrantenvereinen. Mit den Vorsitzenden der Vereine führten wir persönliche Gespräche, bei denen das Projekt vorgestellt wurde: bessere Information im Umgang mit den Angeboten des Gesundheitssystems war das Ziel. Kurze Referate von deutschen Fachärzten mit Diskussion sollten muttersprachlich übersetzt werden und zwar kostenlos für den Migrantenverein. Wir wurden vor mangelndem Interesse gewarnt aber es wurde alle Unterstützung zugesagt. Nur ein Verein zeigte eindeutiges Desinteresse. Nach Vorstellung beim Ausländerbeirat der Stadt Ende 2006 entschlossen wir uns, mit den drei Sprachbereichen Iranisch, Türkisch und Russisch zu beginnen, weil in diesen Sprachen sowohl muttersprachliche Dolmetscher persönlich bekannt waren als auch weil die Vereine selbst uns nicht ablehnend erschienen.

Nach dieser Vorbereitungsphase wurden von Januar 2007 bis Februar 2008 17 MUIMI-Treffen durchgeführt. In der Regel vierteljährlich, in drei Sprachen (iranisch, türkisch und russisch), derzeit bei vier Vereinen und an vier verschiedenen Orten. Dabei waren fünf deutsche FachärztInnen und fünf muttersprachliche Übersetzerinnen beteiligt. Es waren bei diesen Treffen 7-15 Teilnehmer anwesend, durchschnittlich 13,5 Personen, fast nur Frauen, zum Teil mit Kindern und Säuglingen. Bei der russischen Landsmannschaft waren auch einzelne Männer vertreten. Die Treffen dauern üblicherweise 2 Stunden, mindestens eine Stunde ist dabei für das Gespräch vorgesehen. Bei den meisten Gruppen wird Satz für Satz übersetzt. Die Bezahlung der Referenten und der muttersprachlichen Übersetzer erfolgt durch ein Honorar, das der Trägerverein auf Rechnung bezahlt.

Die Themen sind breit gefächert und kommen aus dem psychiatrischen und allgemein-gesundheitlichen Bereich, unter anderem: "Das Haus der Gesundheit" (Verständnis von seelischer Krankheit); "Depressionen und Heimwehreaktionen"; "Alkohol- und Drogenabhängigkeit"; "Ängste"; "Impfen?"; "Großeltern-Eltern-Kinder: Traditionen weitergeben und Neues dazulernen"; "Menopause"; "Schulschwierigkeiten: mache ich etwas falsch?"; "Das Deutsche Gesundheitssystem" und anderes mehr.

Probleme oder Schwierigkeiten im Projekt ergaben sich aus der Zielgruppe selbst, die oft laut war, Spätkommer wurden begrüßt und geküsst, man rauchte, frühstückte, Kinder und Säuglinge wurden versorgt. Für die Referenten gab es keine ungeteilte Aufmerksamkeit. Bei "heißen Eisen" allerdings - besonders bei Fragen der Erziehung und Anpassung im Bereich der Geschlechtsrolle und Sexualität - wurde es still.

Die Themen und Termine für das folgende Treffen werden in der Regel von der Runde vorgeschlagen - es gibt hierzu auch eine Auswahlliste von Themen. Sorgfältig muss vom Referenten bedacht werden, ob das Thema "passt" - z.B. "Impfen?" war schnell übernommen worden, später kamen aber wenige zum Termin, unter anderem weil die Gruppe wenig Interesse am Impfen hatte. Grundsätzlich erreicht MUIMI mit diesem Projekt - und das ist eine wichtige Einschränkung - eher interessierte und mobile Menschen, die in die Vereine und zu den Treffen kommen. Für die Akzeptanz des Projektes sprechen die Teilnehmerzahlen, die ziemlich konstant blieben. Außerdem wurden neue MUIMI-Treffs bei anderen Migrantengruppen von Teilnehmern erbeten, was wir als Zeichen von Akzeptanz werten. Am Ende des ersten Jahres wurden alle Gruppen befragt und sprachen sich für eine Weiterführung der MUIMI-Treffen 2008 aus.

Bei den laufenden neuen Anfragen werden wir perspektivisch die Gruppen als Slow-open-Gruppen auch wieder beenden. Bei den Iranerinnen beispielsweise mit den besten Deutschkenntnissen ist die Gesundheitskompetenz hoch und so werden wir uns zuerst von dieser Gruppe trennen müssen. Deutsch- und Sachkenntnisse (Impfkalender), aber auch eine große Offenheit, über eigene Probleme in der Gruppe zu sprechen (z.B. eigene Ängste, Teilnahme am Schwimmunterricht der Schule, Teilnahme am Landschulaufenthalt eines Kindes) sind dafür Indikatoren.

MIMI, "mit Migranten für Migranten" [6], das Projekt zur "interkulturellen Gesundheitsförderung und Prävention" hat viele Ähnlichkeiten mit unserem Projekt. Psychiatrisch-psychotherapeutische Themen stehen bei MUIMI deutlicher im Vordergrund. Und anders als bei MIMI wurden bei MUIMI erfahrene FachärztInnen und Übersetzer als Referenten gefunden. Ein Vorbereitungskurs wie bei MIMI findet nicht statt, eine Einführung erhalten referierende Fachärzte mit wenig Erfahrung in der Leitung von Gruppen durch beobachtende Teilnahme bei 1-2 MUIMI-Treffen.

Insgesamt hat es sich gelohnt, dorthin zu gehen, wo Migranten sich ohnehin treffen und untereinander so vertraut sind, dass sie auch persönliche Themen besprechen. Dabei wird professionelle Hilfe nur als eine mögliche Hilfe gesehen, neben der kompetenten Unterstützung durch die Gruppenmitglieder untereinander und die Hilfen in der Familie. Die Referenten unterstreichen die antidepressive Wirkung der Treffen im Verein. Gerade im Suchtbereich werden allerdings auch die Grenzen dieser Selbsthilfe deutlich.

Maria Rave-Schwank, Karlsruhe

Email: maria.rave@t-online.de

Literatur

  • 01 Gesundheitsministerkonferenz der Länder (2007). Psychiatrie in Deutschland: Strukturen, Leistungen, Perspektiven. -www.lpk-bw.de/archiv/news2007/pdf/070803_gmk_psychiatrie_bericht_2007.pdf
  • 02 Walter U . Krauth C . Kurtz V . Salman R . ,Machleidt W . Gesundheit und gesundheitliche Versorgung von Migranten unter besonderer Berücksichtigung von Sucht.  Nervenarzt. 2007;  78 1058-1061
  • 03 Walter U . Salman R . Krauth C . ,Machleidt W . Migranten gezielt erreichen: Zugangswege zur Optimierung der Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen.  Psychiat Prax. 2007;  34 349-353
  • 04 Muran O . Zeynek A . Bedeutung und Angebotstruktur von kultureller Kompetenz in der Versorgung am Beispiel der Migrantenambulanz der Rheinischen Kliniken Langenfeld. In: Borde T, David M (Hrsg): Migration und Psychische Gesundheit. Frankfurt: Mabuse, 2007. 
  • 05 Becker H . et al . Mortalität von Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion. DÄ, Jg. 104,23, vom 8.6.2007. 
  • 06 Menkhaus B . Salman R . Hohmann T . MIMI Endbericht zum Mimi-Projekt für die Projektlaufzeit von August 2003 bis Oktober 2004. Ethnomedizinisches Zentrum e.V., Königstr. 6, 30175 Hannover. 
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