Psychiatr Prax 2008; 35(2): 102-103
DOI: 10.1055/s-2008-1064886
Serie · Szene · Media Screen
Szene
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Filmtipp - Život heißt Leben

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Publication Date:
17 March 2008 (online)

 

Ein Film von Norbert Göller und Manuela Richter-Werling, D 2006, 70 min

"Život heißt Leben" zeigt klar: Eine psychische Krankheit ist kein Grund, die Hoffnung aufzugeben. Gleich wie die Diagnose lautet, Gesundung ist möglich! Fünf Menschen haben den Filmemachern erzählt, wie sie es geschafft haben, ihre schweren Krisen zu überwinden und zu einem guten, erfüllten Leben zurückzufinden.

"Život heißt Leben" ist der Abschluss eines sechsjährigen Projektes zwischen dem Leipziger Verein "Irrsinnig Menschlich" und der Patientenorganisationen Integra der psychiatrischen Klinik in Michalovce, einer kleinen Stadt im Osten der Slowakei. Dort haben beide Partner die erste internationale Medienwerkstatt für Menschen mit psychischer Erkrankung aufgebaut. Diese ganz neue Arbeit ermutigte Milan, Martinka, Lubomir, Lenka und Imrich, sich zu öffnen und sehr persönliche Einblicke in ihr Leben zu geben: Hoffnung, Liebe, Verlust, Wiedererkrankung, Rückschläge und vor allem Mut, sich dem eigenen Leben zu stellen und es so anzunehmen wie es ist.

Im Interview mit Norbert Göller, einem der beiden Filmemacher, treffen aktuelle Themen der Psychiatrie und Perspektiven eines Regisseurs aufeinander.

Im Mittelpunkt des Films stehen fünf Menschen aus einer kleinen Stadt im Osten der Slowakei. Warum diese fünf Menschen und warum die Slowakei?

Norbert Göller: "Die fünf Menschen haben sich während der Dreharbeiten herauskristallisiert. Sie waren bereit mitzumachen und jeder einzelne von ihnen belegt einen gewissen Aspekt von Problemen, von Charakter, von Lösungsvarianten. Und Michalovce haben wir gewählt, weil da die Medienwerkstatt entstanden ist und weil man in der Ferne oft die eigenen Dinge schärfer sieht als zu Hause."

Sich selber sehen, sich wahrnehmen, sich mit anderen Augen sehen, Veränderung sehen. Haben Sie gemerkt, dass sich die Protagonisten im Laufe der Dreharbeiten veränderten?

Norbert Göller: "Das ist ja Absicht. Der Kunstgriff besteht darin, alles durcheinander zu schmeißen und neu zusammen zu stellen. Die Protagonisten entwickeln sich. Und das ist das tolle an Dokumentarfilmen, dass man Entwicklung zeigen kann, dass man mit den Protagonisten wachsen und sich auch freuen kann, wenn sie selber Dinge geschafft haben. Im Aussehen verändern sie sich natürlich auch."

Ein aktuell in der psychiatrischen Versorgung diskutiertes Thema ist das Konzept Recovery. Stark vereinfacht und zusammengefasst steht dieses Konzept für die Hoffnung und die Fähigkeit mit der psychischen Erkrankung umzugehen und für sich aktiv Konzepte zu entwickeln, um wieder zu gesunden und ein erfülltes, sinnvolles Leben zu führen. Ist Ihr Film ein praktisches Beispiel für dieses Konzept?

Norbert Göller: "Ich denke schon. Das Filmen, der Umgang mit der Kamera, das Wechseln des Blickfeldes, aber auch die Teilnahme am Schulprojekt ,Verrückt? Na und! als ,Experten in eigener Sache, so beginnt ja der Film, ist eine Möglichkeit für diese fünf Menschen, aktiv am Leben teilzunehmen, etwas Sinnvolles zu tun, mit den Mitteln des Lebens ihr eigenes Leben lebenswert zu machen. In unserem Film steht nicht die Krankheit im Mittelpunkt. Wir haben etwas ganz anderes ins Auge gefasst und betrachtet: die individuelle Person mit ihren zwischenmenschlichen Beziehungen und nicht die Krankheit. Wenn man die Krankheit thematisieren würde, dann würde sofort eine Kluft entstehen zwischen den Protagonisten und dem Zuschauer. Die Beziehungen spielen eine Rolle und auch das Beziehungsnetz, wie sie sich untereinander unterstützen und helfen und was ihnen Mut macht und was sie stärkt. Ich denke, dass sie ihre Geschichte erzählen, dass ist das Wichtige an dem Film."

Mut machen, Mut kennt keine Grenzen. Ist das die Botschaft Ihres Films?

Norbert Göller: "Ja, und auch Lust bekommen auf Leben. Leben ist lebensgefährlich. Leben hat viel mit Grenzsituationen zu tun und wir haben uns auch in Grenzsituationen bewegt. Der Film hat auch eine interaktive Komponente. Wir haben uns selbst eingebracht, teilweise erscheinen wir auch im Bild. Was bewusst ist. Wir haben nicht den Abstand gesucht, sondern uns mit ihnen auf eine Ebene gestellt. Man kann dem Menschen eine Diagnose stellen, aber das macht eben den Menschen nicht aus. Wichtigstes Stilmittel des Films ist, dass sie selbst zu Wort kommen. Wir haben auf Kommentartext verzichtet und die Tafeln verwendet, die die Geschehnisse und Zeitsprünge zusammenfassen und bündeln."

Hatten Sie ein Filmkonzept im Gepäck auf Ihrer Reise nach Michalovce?

Norbert Göller: "Ganz viel Material wurde ohne Konzept gedreht und ist situativ entstanden. Wir haben nur gesammelt, uns praktisch wie Sammler bewegt. Immer wenn etwas passiert ist, wurde gedreht. Danach haben wir das Konzept gemacht und das schwierige war, sich abzugrenzen von den beiden anderen Filmen, aber dennoch einen Bezug dazu herzustellen. Im Prinzip ist es der dritte Film einer Trilogie. Dazu gehören ,Der Boss ist der Patient', ,Schatten des Lichtes' und eben ,Život heißt Leben'. Der dritte Film fast ganz persönlich diese fünf Menschen ins Auge."

Gibt es eine Lieblingsszene? "Eine zeitlang fand ich die Dialoge, die Interviewsituation zwischen Lenka und Martinka, gut. Inzwischen sind es eher die symbolischen Ebenen, die ganz gut aufgegangen sind. Da ist z.B. die Bootsfahrt, die symbolisch für das Narrenschiff steht, für das Boot das trägt, die Arche Noah. Und an das Steuer treten die Leute selbst und lenken ihr Leben und ihr Schicksal. Das hat auch mit Recovery zu tun, mit Selbstbestimmung, damit, das Ruder selber in die Hand zu nehmen, aktiv die Energie zum Gesundwerden einzusetzen. Auch die Naturszenen finde ich sehr schön, weil sie das Innere wiedergeben, z.B. wenn es regnet, oder wenn Eiseskälte herrscht.

Wie ist die Resonanz auf Ihren Film?

Norbert Göller: "Wir bekommen oft E-mails von Menschen, die den Film gesehen haben. Erst kürzlich hat uns eine Frau der Beratungs- und Koordinierungsstelle für Frauen und Mädchen mit Behinderung in Magdeburg nach einer Vorführung des Films geschrieben, dass der Film gut ankam und es ,mucksmäuschenstill war. Die Menschen sind oft erstaunt, wie offen die Experten sind, wenn man sie ernst nimmt und mitgestalten lässt. Viele meinen auch, dass der Film für alle Gruppen im Trialog sehr wertvoll ist und Mut macht, sich nicht zu verstecken, sondern selbst etwas zu tun. Die Resonanz auf unseren Film ist gut. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass der Film Authentizität hat. Jemand sagte mal: ,In dem Film sieht man Menschen, die man mit Sicherheit nie ansprechen würde, weil sie so unscheinbar sind. Zum Schluss habe ich sie richtig liebgewonnen."

Sind noch weitere Projekte geplant?

Norbert Göller: "Das ist jetzt abgeschlossen. Es war ein Experiment, das Wesentliche im Leben im Unscheinbaren zu finden, dort wo man es eigentlich nicht vermutet."

Gibt es etwas, was Ihnen sehr am Herzen liegt, was Ihre Zuschauer wissen sollten?

Norbert Göller: "Es gibt mittlerweile viele Filme in denen Leute die mal durchgeknallt sind im Mittelpunkt stehen. ,Verrückte erleben einen großen Boom, großes Interesse und es besteht Bedarf seitens der Öffentlichkeit. Petr Nawka, damals Psychiater in Michalovce, erwähnte einmal Demut im Umgang mit psychisch kranken Menschen. Die Leute sind so was von einfach und stehen auf der untersten Stufe der sozialen Leiter, manche werden nur durch die Familie getragen. Wenn man sich vollkommen auf sie einlässt, nicht nur einfach für den Augenblick, dann kann man mit jedem reden, wenn man die Beziehung ein Stückchen aushält, dann kann man sehr viel nachspüren. Eine Botschaft die mir am Herzen liegt ist, das Leben schätzen zu lernen und Mut zu machen."

Der Film "ivot heißt Leben" kann gegen eine Schutzgebühr bei Irrsinnig Menschlich e.V. bestellt werden.

Email: info@irrsinnig-menschlich.de

www.irrsinnig-menschlich.de

Sandra Dietrich, Leipzig

Email: Sandra.Dietrich@medizin.uni-leipzig.de

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