Der Klinikarzt 2007; 36(1): 3
DOI: 10.1055/s-2007-970168
Editorial

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Vom Aufstieg und Fall internistischer Teilgebiete in der Klink

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Publication Date:
31 January 2007 (online)

In den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg war die Innere Medizin eines der sogenannten „Kernfächer” neben der Chirurgie und der Gynäkologie. Mit der Einführung neuer - in der Regel invasiver - Techniken erfolgte eine Spezialisierung und anschließend die Verselbstständigung einzelner Gebiete. Vorreiter der Spezialisierung waren die Kardiologie und die Gastroenterologie, in letzter Zeit kommt hier noch die Onkologie als Fach dazu. Die klassischen Ordinariate für Innere Medizin, wie zum Beispiel das Ordinariat von Prof. Gotthard Schettler in Heidelberg, wurden daher nach der Emeritierung der Lehrstuhlinhaber konsequenterweise nicht neu besetzt.

Mit dem Siegeszug der Endoskopie, ausgehend von der Demlig-Schule in Erlangen, war die Gastroenterologie über eine lange Zeit fast ein Synonym für die Endoskopie. Über viele Jahre wurden daher häufig Kollegen auf Lehrstühle und Chefarztpositionen berufen, die ihren Schwerpunkt im Bereich der Endoskopie legten. Dies hat sich inzwischen radikal geändert: Die Routineendoskopie ist weitgehend in die Praxis abgewandert, wobei hier invasive Maßnahmen wie die endoskopisch retrograde Cholangiopankreatografie (ERCP) mit ihren Folgeeingriffen sowie Polypektomien heute zu den Routineeingriffen zählen. In der Zukunft werden sich in den Kliniken auf diesem Sektor nur hoch spezialisierte Abteilungen profilieren können, die über personelle und apparative Methoden verfügen, deren Anschaffung sich in der Praxis nicht rechnet.

Im Rennen um ihre Repräsentanz in den Kliniken hat die Gastroenterologie eindeutig an Bedeutung eingebüßt. Lagen die Fächer Kardiologie und Gastroenterologie anfangs noch Kopf an Kopf, hat die Kardiologie heute eindeutig die Spitzenstellung eingenommen. Nachdem Erkrankungen des Herz-Kreislaufbereiches zu den häufigsten Todesursachen avanciert sind, ist es nur allzu leicht zu verstehen, warum mehr materielle und personelle Mittel in dieses Fachgebiet fließen als in die Gastroenterologie. Die Patienten mit akuten und teilweise auch chronischen kardiovaskulären Problemen werden in der Regel auch heute noch stationär behandelt. Der stationär zu behandelnde Teil der Patienten mit gastroenterologischen Erkrankungen dagegen wird immer geringer werden.

Einige Krankheitsbilder sind sogar schon fast vollständig verschwunden, wie beispielsweise die akute Hepatitis A und B dank des Erfolgs der Impfung gegen diese Viren. Andere Krankheitsbilder wie die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen befinden sich überwiegend in den Händen gut ausgebildeter und bestens informierter niedergelassener Kollegen. Geblieben sind die Patienten mit Leberzirrhose und Komplikationen (Aszites, Ösophagusvarizen) sowie die zahlenmäßig nicht sehr häufigen Erkrankungen des Pankreas. Noch unbeantwortet ist in vielen Kliniken die Frage, ob die häufigen Neoplasien des Gastrointestinaltrakts in der gastroenterologischen Klinik oder in einem onkologischen Zentrum behandelt werden sollen, wobei die Onkologie zusehends an Boden gewinnt.

Gerade im Vergleich mit der Kardiologie ist die Forschung im Bereich der Gastroenterologie in den letzten Jahrzehnten nur sehr langsam vorangekommen. Die Entdeckung des Helicobacter pylori, sowie die Therapiemöglichkeiten der chronischen Hepatitis B und C waren die letzten Meilensteine, die aber auch schon wieder einige Zeit zurückliegen.

All diese Beispiele machen deutlich, dass auch über lange Zeit bestehende Strukturen heute einem - manchmal schmerzlichen - Wandel unterworfen sind. Doch erst die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Gastroenterologie ihren Platz unter den großen Fächern behalten wird oder in den Rang einer nachgeordneten Funktionsabteilung umgewandelt wird.

Prof. Dr. Achim Weizel

Mannheim

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