Rehabilitation (Stuttg) 2006; 45(3): 184-185
DOI: 10.1055/s-2006-932615
Bericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Perspektiven der Sozialmedizinischen Begutachtung von Rehabilitationsbedarf - Expertentagung vom 16. - 17.2.2006 in Würzburg

Perspectives on Sociomedical Evaluation of Rehabilitation Need - Expert Conference Febr. 16 - 17, 2006 in WürzburgH.  Vogel1 , A.  Holderied2 , K.  Meng1
  • 1Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften, Universität Würzburg
  • 2Deutsche Rentenversicherung Unterfranken, Würzburg
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Publication History

Publication Date:
01 June 2006 (online)

Ansprüche auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden bei der gesetzlichen Rentenversicherung auf Antrag des Versicherten geprüft. Versicherungsrechtliche Voraussetzungen werden von der Verwaltung und persönliche (medizinische) Voraussetzungen vom medizinischen Sachverständigen - in der Regel in einer Begutachtung nach Aktenlage - geklärt. Dabei bestehen Unterschiede im Prüfverfahren zwischen den Rentenversicherungsträgern. Die Rentenversicherung geht von einem Bedarfskonzept aus, welches eine Gesundheitsstörung mit einer erheblichen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit und eine Möglichkeit, diese günstig zu beeinflussen, als zwei notwendige Bedingungen für einen Rehabilitationsbedarf sieht (§ 10 Abs. 1 SGB VI).

Am 16. und 17. Februar 2006 fand in Würzburg ein Experten-Workshop zum Thema „Sozialmedizinische Begutachtung von Rehabilitationsbedarf” unter Beteiligung von RehabilitationswissenschaftlerInnen und VertreterInnen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) statt. Ziel war es, eine Bewertung des aktuellen Forschungsstandes zu erarbeiten, Weiterentwicklungspotenziale für die praktische Begutachtung sowie weiteren Forschungs- und Entwicklungsbedarf aufzuzeigen. Die Diskussion wurde durch Kurzbeiträge aus aktuellen Forschungsprojekten mit Bezug zur sozialmedizinischen Begutachtung und aus einer Projektgruppe zur Qualitätssicherung der Begutachtung angeregt. Einleitend wurden die Ergebnisse der SOMEKO (Kommission zur Weiterentwicklung der Sozialmedizin in der gesetzlichen Rentenversicherung) und ihre Empfehlungen für die Weiterentwicklung der sozialmedizinischen Begutachtung dargestellt (Wolfgang Cibis, DRV Bund). Von der Würzburger Arbeitsgruppe (Karin Meng et al.) wurden Ergebnisse zur Reliabilität der sozialmedizinischen Urteilsbildung und der Umsetzung der in der Literatur definierten Bedarfskriterien vorgestellt. Potenziale zur Unterstützung des praktischen Begutachtungsprozesses könnten in einem computergestützten Expertensystem zur Bewertung von Reha-Anträgen (Projekt CEBRA; Nikolaus Gerdes, Bad Säckingen) oder in Selbsteinschätzbogen zur Integration der Patientenperspektive (Lübecker Arbeitsgruppe; Oskar Mittag et al.) liegen. Des Weiteren wurde der Stellenwert von Erschöpfung im Zusammenhang mit Rehabilitationsbedürftigkeit erörtert (Axel Kobelt, DRV Braunschweig-Hannover). Lothar Schmidt-Atzert (Universität Marburg) referierte in einem grundlegenden Beitrag über methodische Aspekte der diagnostischen Urteilsbildung und Begutachtung sowie eine mögliche Anwendung dieser Grundlagen auf sozialmedizinische Begutachtungs- und Entscheidungsprozesse. Eine detaillierte Arbeitshilfe stellt die anschließend vorgestellte „Indikatorenliste zur sozialmedizinischen Bewertung der Reintegrationsprognose und der Rehabilitationsbedürftigkeit bei Rentenantragstellern mit psychischen Störungen” (IREPRO; Erika Gebauer/Bettina Hesse, DRV Westfalen) dar. Über den Stand der Arbeit der Projektgruppe „Qualitätssicherung Sozialmedizinische Begutachtung” wurde abschließend von Reinhard Legner (DRV Niederbayern-Oberpfalz) berichtet.

Die Beiträge wurden unter den unterschiedlichen Blickwinkeln der TeilnehmerInnen teilweise kontrovers diskutiert. Aufgezeigt wurde die Notwendigkeit zur stärkeren Nutzung objektivierender und strukturierender Bausteine in der Begutachtung. Konsens bestand aber auch dahingehend, dass die umfangreiche klinische, sozialmedizinische Expertise und die notwendige individualisierte Entscheidungsfindung nicht ersetzt werden können. Der Diskussionsprozess zeigte sich für die Wissenschaftler wie auch für die Sozialmediziner als außerordentlich anregend, sodass beide Gruppen von der gegenseitigen Expertise profitieren konnten. Neben einer weiteren gemeinsamen Suche nach notwendigen und möglichen Verbesserungen in der Entscheidungsfindung wurde auch festgehalten, dass ein weiterer regelmäßiger interdisziplinärer Austausch angestrebt werden sollte. - Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist vorgesehen.

Dr. Heiner Vogel

Institut für Psychotherapie und Med. Psychologie der Universität Würzburg · Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften

Klinikstraße 3

97070 Würzburg

Email: h.vogel@mail.uni-wuerzburg.de

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