Psychother Psychosom Med Psychol 2003; 53(5): 211-212
DOI: 10.1055/s-2003-38868
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Vom Gutachter zum Kollegiaten - Die Reform des DFG-Begutachtungssystems

From Reviewer to Collegiate - The Reform of the DFG-Review SystemElmar  Brähler1
  • 1Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universität Leipzig
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Publication Date:
23 April 2003 (online)

Die DFG hat das Begutachtungsverfahren rechtzeitig vor den im Herbst 2003 stattfindenden Neuwahlen reformiert. Diese Reform trägt der inzwischen gewachsenen Begutachtungspraxis Rechnung und auch der geänderten Forschungslandschaft, die sich in unseren Fachgebieten in Richtung grundlagenorientierter Neurowissenschaften entwickelt hat. So hilfreich die Reform insgesamt für die Organisationsstruktur der DFG sein kann, so gefährlich können jedoch auch die Auswirkungen auf die Forschungspraxis sein.

Betrachten wir zunächst die vorgenommenen Änderungen. Statt Gutachtern werden in Zukunft Kollegiaten gewählt, an die Stelle der Ausschüsse treten Fachkollegien. In der Vergangenheit war es so, dass durch die sehr stark gewachsene Anzahl der Anträge nicht mehr alle Gutachten von den gewählten Fachgutachtern erstellt wurden, sondern dass sehr oft Sondergutachter herangezogen wurden, die von der DFG teils mit teils ohne Beratung mit den gewählten Gutachtern bestimmt wurden. Hierdurch ist stillschweigend eine Legitimation der DFG-Gutachter durch Kompetenz getreten, die Legitimation durch Wahl wurde abgelöst. Das heißt, dass die bisher gewählten Gutachter in der letzten Zeit selbst fast keine Begutachtungen mehr vorgenommen haben, sondern lediglich die von den Sondergutachtern erstellten Gutachten zu einer zusammenfassenden Bewertung für die Ausschüsse verarbeitet haben. Dennoch soll die Kompetenz der zukünftigen Kollegiaten gestärkt werden in der Hinsicht, dass sie auch mehr in die Begutachtung anderer neuerer Forschungsinstrumente einbezogen werden, wie Forschergruppen, Sonderforschungsbereichen, Graduiertenkollegs, geisteswissenschaftlichen Zentren und DFG-Forschungszentren. Bislang waren für diese Förderungsverfahren die Anteile der gewählten Fachgutachter sehr gering. Den zukünftig gewählten Kollegiaten fällt mehr von den Aufgaben der heutigen Vorsitzenden der Fachausschüsse und deren Stellvertretern zu, damit sollen deren Pflichten auf mehr Schultern verteilt werden, was dringend erforderlich erschien.

Insgesamt trägt die Bezeichnungsänderung vom „Gutachter” zum „Kollegiaten” der Tatsache Rechnung, dass die Gutachter in der Vergangenheit nicht mehr so viel begutachtet, sondern eher beraten haben. Dennoch wird damit auch ein Zuwachs an Zuständigkeit ausgedrückt, der nach der Neuwahl eintreten wird.

Geändert wurde auch die Wahlordnung. So sind in Zukunft auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, deren mündliche Doktorprüfung zum Zeitpunkt der Durchführung der Wahl mehr als ein Jahr zurückliegt, wahlberechtigt, sofern die Betreffenden in einer Mitgliedseinrichtung wissenschaftliche Tätigkeiten ausüben. Unter Umständen kann auch denen, die nicht in einer solchen Einrichtung arbeiten, das Wahlrecht verliehen werden.

Neu ist auch, dass der Interdisziplinarität dadurch Rechnung getragen wird, dass man bei der Wahl sechs Stimmen abgeben kann, die auch auf Kandidaten und Kandidatinnen aus unterschiedlichen Fachkollegien aufgeteilt werden können. Es können einem Kandidaten oder einer Kandidatin bis zu drei Stimmen gegeben werden.

Neu ist bei der bevorstehenden Wahl ferner, dass die Universitäten Vorschläge für das passive Wahlrecht machen konnten. Bislang waren dies hauptsächlich die wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Fakultätentage, denen der Senat dieses Recht verliehen hatte. Künftig prüft der Senat der DFG jedoch alle vorgelegten Wahlvorschläge und stellt die Kandidatenliste auf. Dies bedeutet, dass die Kandidatenliste doch im Wesentlichen die von den Fachgesellschaften genannten Kandidaten und Kandidatinnen berücksichtigen wird.

Für das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass es bei dieser Wahl erstmals vorschlagberechtigt ist für das Fachkollegium Klinische Neurowissenschaften II - Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik. Dort sind neben den bisher wahlberechtigten Fachgesellschaften DGPPN, DGKJP, DGMP, DGPT neuerdings auch folgende Gesellschaften wahlberechtigt: die Neurowissenschaftliche Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für biologische Psychiatrie, die Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie und auch die Deutsche Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin.

So positiv das ansatzweise klingen mag, so ist doch negativ zu vermerken, dass neben den Klinischen Neurowissenschaften II - Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, die drei Fachkollegiaten erhalten, lediglich die Klinischen Neurowissenschaften I - Neurologie, Neurochirurgie und Neuropathologie noch drei Fachkollegiaten erhalten (wenn man die Klinischen Neurowissenschaften III - Augenheilkunde mit zwei Kollegiaten und die Klinischen Neurowissenschaften IV - Hals-Nasen-Ohrenheilkunde mit zwei Kollegiaten außer Betracht lässt). Dagegen erhalten die neu gegründeten theoretischen Bereiche Molekulare Neurowissenschaften und Zelluläre Neurowissenschaften je vier Kollegiaten, die Entwicklungsneurobiologie, die Systemische Neurowissenschaft, die Neuroethologie, Neurogenetik und Neuroimaging je zwei Kollegiaten und die vergleichende Neurobiologie drei Kollegiaten. Dies ist ein großes Ungleichgewicht im Verhältnis von Klinikern zu Theoretikern innerhalb des Fachkollegiums Neurowissenschaft, das in diesem Zuschnitt für diese Wahl neu entwickelt wurde. Hier ist zu befürchten, dass, strukturell auch durch den Verteilungskampf der immer knapper werdenden Mittel bedingt, die klinische Forschung benachteiligt wird. Die gewählten Gutachter unseres bislang existierenden Fachgebietes Psychiatrie, Medizinische Psychologie, Psychotherapie und Psychosomatik haben ihre Befürchtungen und Sorgen hinsichtlich dieser Entwicklung der DFG gegenüber zum Ausdruck gebracht.

Schließlich bleibt an dieser Stelle noch anzumerken, dass die Medizinische Psychologie aus dem Bereich der Neurowissenschaften in die Psychologie verlagert wurde, wo sie mit der Klinischen, Differenziellen und Diagnostischen Psychologie ein gemeinsames Fachgebiet bildet mit ebenfalls zwei zu wählenden Kollegiaten. Die Fächer Sozialmedizin, Medizinische Soziologie und auch die Allgemeinmedizin, Arbeitsmedizin, Ethik in der Medizin, Gesundheitsökonomie und Rehabilitation kommen bei der DFG nicht als eigenständige Bereiche vor.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Psychosoziale Medizin (Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik) nun mit drei von 57 zu wählenden Kollegiaten in der Medizin und den Neurowissenschaften marginalisiert worden ist.

Ob dies der Entwicklung einer Medizin dienlich ist, die den Anforderungen des demografischen und medizintechnischen Wandels gewachsen ist, erlaube ich mir zu bezweifeln.

Prof. Dr. med. Elmar Brähler

Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie · Universität Leipzig

Liebigstraße 21

04103 Leipzig

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