PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(2): 111
DOI: 10.1055/s-2002-32458
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gefühle und
Psychotherapie

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Publication Date:
25 June 2002 (online)

Das nebenstehende Foto entstand bei der Arbeit dieser Ausgabe von Psychotherapie im Dialog und zeigt, dass die Redaktionsarbeit auch durch eher ungewöhnliche Begegnungen belebt werden kann.

Gibt es noch eine ernst zu nehmende Therapierichtung, die die Bedeutung von Gefühlen im therapeutischen Prozess bezweifelt oder vernachlässigt? Auch wenn diese Frage spätestens nach der Lektüre der Beiträge in diesem Heft glücklicherweise verneint werden muss, gibt es doch recht unterschiedliche Zugänge zu den menschlichen und zwischenmenschlichen Emotionen.

Wir haben das Themenspektrum sehr breit gewählt,

sowohl bei den grundlegenden methodischen Betrachtungen: Systemische Therapie, Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Gesprächspsychotherapie, Kognitive Therapie, Hypnotherapie, Allgemeine Psychotherapie, bei der Art und Einbettung der Gefühle: Trauma, Trauer, Genuss, Vergebung, Übertragung - Gegenübertragung.

Unsere Beiträge sollen sich insbesondere auch an diejenigen Therapeutinnen und Therapeuten wenden, die sich bei den „Anderen” informieren und ihr originäres Standbein mit einem Blick über den Zaun erweitern möchten. Den Dialog zu führen heißt nicht nur, die Konzepte „von oben her” zusammenzuführen, es heißt für uns vor allem, integrativ zu erweitern. Und dazu eignet sich das Thema „Gefühle in der Psychotherapie” in besonderer Weise.

Natürlich soll dieses Themenheft auch versuchen, Fragen zu beantworten - zum Beispiel, ob die Gesprächspsychotherapie bei der Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte stehen geblieben ist, ob die Verhaltenstherapie Emotionen nur über physiologische Reaktionen und Kognitionen operationalisiert, was Übertragung und Gegenübertragung mit Gefühlen zu tun haben oder ob die proklamierte Allgemeine Psychotherapie uns über die Gefühle näher an die Integration führen kann.

Aber wir wollen vor allem sehr praxisnah zu beantworten versuchen, wie sich der aktuelle Diskussionstand in den Therapieschulen über den Umgang mit Emotionen darstellt und was sich die verschiedenen Richtungen gegenseitig mitzuteilen haben. Gelingt wenigstens in einem eigentlich verbindenden Thema der von uns gewünschte Dialog? Ja, mehr als erwartet.

Ängste, depressive Gefühle und Selbstwert-Emotionen sind in der therapeutischen Arbeit durchaus vertraut. Wir möchten aber auch eine Brücke dafür schlagen, uns in der Therapie mehr mit den eher vernachlässigten Gefühlen wie zum Beispiel Trauer, Schuld, Scham, Sehnsucht, Eifersucht, die viel Energie bei der Problembewältigung abziehen können, auseinander zu setzen.

In der Arbeit an dieser Zeitschrift haben wir immer wieder die Wichtigkeit erfahren, dass sich auch Therapeutinnen und Therapeuten intensiver auf die emotionalen Prozesse einlassen und eigene Gefühle, Widerstände und Befürchtungen besser kennen lernen. Es stellt eine Herausforderung für zukünftige Selbsterfahrungskonzepte in der Aus- und Fortbildung dar, sowohl die Gefühle der Patientinnen und Patienten zu reflektieren als auch die beschriebene Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen zu fördern.

Mit einigen Beiträgen schauen wir über den Rand des emotionalen Geschehens in der Therapie hinaus. Die derzeitige Diskussion um Entstehung und Auswirkungen von Gewalt in unserer Gesellschaft hat uns zum Einmischen veranlasst. Ein Beitrag versucht zu ergründen, warum rechtsextreme Jugendliche gewaltbereit sind. Eine kritische Journalistin gibt Hinweise darüber, wie Psychotherapie, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie die Berufsverbände in der Öffentlichkeit wirken. Und ein Grenzgänger und Extremsportler reflektiert unter anderem darüber, welche Rolle Emotionen bei Entscheidungen spielen, die Leben oder Tod bedeuten können.

Soviel zum vorliegenden Thema.

PiD wird, rechnen wir einmal die Vorarbeit mit dazu, in diesem Herbst drei Jahre alt. Diesen Geburtstag wollen die Herausgeber von PiD auf der ersten Psychotherapie-im-Dialog-Fachtagung feiern, dessen spannendes Programm dieser Zeitschrift beiliegt. Wir hoffen, dass es gelingt , den Dialoggedanken in der Psychotherapie dadurch weiter zu fördern. Der erste Anmeldeschwung nach der Veröffentlichung des Programms mit einem Flyer und ganz ausführlich im Internet (www.thieme.de/pid) erfreut uns. Wir wünschen uns, viele von Ihnen in Berlin vom 5. bis 7. September begrüßen zu können . . .

Steffen Fliegel
Annette Kämmerer

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