PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(2): 194
DOI: 10.1055/s-2002-32457
Resümee
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was Regulation, Beziehung
und Biografie verbindet ...

Steffen  Fliegel , Annette  Kämmerer
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Publication Date:
25 June 2002 (online)

Die Beiträge dieses Heftes verdeutlichen, dass spätestens bei der Beschäftigung mit Gefühlen in der Psychotherapie das Ende einer schulenspezifischen und einseitigen Sichtweise auf psychische Probleme und deren Behandlung eingeläutet worden ist. Es erscheint unzweideutig, dass der Komplexität des emotionalen Geschehens bei PatientInnen und TherapeutInnen nicht mehr mit Fragmentierungen zu begegnen ist, die jeweils nur einen Ausschnitt aus dem vielfältigen psychotherapeutischen Prozess beleuchten und diesen für den wesentlichen ausgeben.

In der therapeutischen Behandlungspraxis wird die integrative Tendenz bereits sehr deutlich, und damit setzt sich fort, was durch die so genannte „kognitive Wende” vorbereitet worden ist: Die verschiedenen therapeutischen Richtungen lassen sich auf einander ähnliche therapeutische Strategien zusammenführen, die um einige zentrale Themen kreisen. Ging es bei der Beschäftigung mit kognitiven Prozessen im weitesten Sinne um die Aspekte Handlungsvorbereitung, Handlungsausführung und Handlungsbewertung, kommen - betrachtet man die Beiträge in diesem Heft genauer - durch das Emotionale die folgenden Themen hinzu: Regulation, Beziehung und Biografie.

Emotionsregulation ist offensichtlich ein wesentliches Anliegen des therapeutischen Geschehens. Emotionale Fehlregulationen im Sinne von Extremisierungen einzelner Gefühle werden therapeutisch beeinflusst. Es geht dabei um die Bewältigung oder auch um das Wiederentdecken verdrängter emotionaler Erfahrungen (Rainer Krause, Wolfgang Jänicke). Deutlich wird, dass es von übergeordneten Plänen, Glaubenssätzen und Bewertungen abhängt, welche Gefühle das Handeln leiten - sei es situationsspezifisch in konkreten Handlungsbezügen oder sei es handlungsübergreifend im Sinne von Reaktionsgewohnheiten. Diese kognitiven Komponenten der Emotionsgenese und Emotionssteuerung sind über verschiedene theoretische Modellvorstellungen erklärbar etwa über Informationsverarbeitungsmodelle oder Plananalysen (Martina Belz-Merk und Franz Caspar, Beate Wilken, Hansjörg Znoj), die ergänzt werden durch (systemische) Kontextvariablen (Wolfgang Jänicke). Eindrücklich wird betont, dass Gefühle intrapsychische Orientierungshilfen sind (Anna Auckenthaler und Mark Helle), das heißt Wegweiser, um kognitive bzw. motivationale Strukturen zu erkennen, die dysfunktionales Verhalten nach sich ziehen und das Ziel von Veränderung sind.

Um dieses Ziel zu erreichen, können verschiedene therapeutische „Transportmittel” genutzt werden, etwa die Hypnose (Hans-Christian Kossak), die zu einer subjektiven Veränderung von Gedächtnis und Zeitgefühl beitragen kann, aber auch die Anleitung zu intensivem Erleben positiver Emotionen, wie sie das Genießen ermöglicht (Rainer Lutz).

Aber welche Strategie auch immer angewandt wird, sie kommt nicht ohne eine therapeutische Beachtung der Beziehung zwischen PatientInnen und TherapeutInnen aus. Es ist beeindruckend, wie klar und eindeutig die Reflexion der therapeutischen Beziehung die Auseinandersetzung zum Thema Gefühle in der Psychotherapie bestimmt: Die Arbeit mit den Gefühlen in der Psychotherapie bedeutet, an der Veränderung von Beziehungsmustern zu arbeiten. Hierbei sind die Gefühle von Therapeutinnen und Therapeuten ein wichtiger Teil des therapeutischen Prozesses - und zwar auch dann, wenn es nicht um so extreme Gefühle geht, wie Trauerbewältigung (Helga Käsler-Heide), interkulturelle Traumatherapie (Angelika Claussen und Hamidiye Ünal), Umgang mit jugendlichen Rechtsextremisten (Rainer Steen) oder Vergebung (Annette Kämmerer und Friedrich Kapp). Aus dem Interview mit Leslie Greenberg wird deutlich, welche vielfältigen Therapiestrategien für eine Erkundung und Veränderung verdrängter, ungewollter oder nie erlebter Gefühle eingesetzt werden können und wie sehr das gemeinsame Merkmal dieser Strategien die Beziehungsgestaltung ist.

Um auf die Gefühle von Patientinnen und Patienten angemessen reagieren zu können, ist es notwendig, die lebensgeschichtliche Einbettung der Gefühle zu verstehen (Leslie Greenberg, Rainer Krause, Wolfgang Jänicke, Martina Belz-Merk und Franz Caspar). Es sind die Lebenserfahrungen, die zu einer Intensivierung bestimmter Gefühle und zur Verkümmerung anderer beitragen, wie auch Reinhold Messner aus einer ganz anderen Perspektive bestätigte. Gefühle haben in der Regel eine lange Lerngeschichte. Sie sind Gewohnheiten, die im Kontakt mit wesentlichen Bezugspersonen erworben worden sind und das Handeln von Menschen bestimmen.

Das Narrative, biografisch Eingebettete von Gefühlen eröffnet somit den Blick auf jene Phänomene, die in der akademischen Psychologie und Psychotherapie eher hinter vorgehaltener Hand und fast ein wenig verschämt diskutiert worden sind, weil sie dem luziden Blick sezierender Modelle, die unter dem weißlichen Licht ihrer Flussdiagramme und Computeranalogien keine Geheimnisse mehr tolerierten, scheinbar nicht standzuhalten vermochten. Aber mit den Gefühlen sind auch die dazugehörigen, ganzheitlichen Begriffe wieder da, wie etwa das Selbst, das Subjektive, die Seele, die mehr ist als nur das säkularisierte „Erleben und Verhalten”, das enzyklopädisch als Definition der Psychologie daherkommt.

Wir meinen, dass dadurch ein Schritt in eine gute und wichtige Richtung getan wird, der die Wissenschaft anspornen sollte, auf jeden Fall aber die Therapeutinnen und Therapeuten aller seriösen Richtungen ein Stück näher zusammenrückt.

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