PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(2): 188-193
DOI: 10.1055/s-2002-32455
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Über-Lebenden -
Annäherungen an die
Gewaltbereitschaft
jugendlicher Neonazis

Rainer  Steen
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Publication Date:
25 June 2002 (online)

Abstract

Gewaltbereitschaft bei jugendlichen Rechtsextremisten wird anhand von Gesprächssequenzen aus qualitativen Interviews interpretiert. Selbstdeutungen junger Aktivisten verweisen auf soziologische, sozialisatorische und psychologische Erklärungsansätze. Im moralischen Rigorismus militanter Neonazis wird Gewalt zur „zweiten Natur” und Leben zum Überleben. Die Deutungsmuster werden verglichen mit Erkenntnissen zum Selbst- und Menschenbild des historischen Faschismus. Gewaltbereitschaft verweist auf ein Defizit an Beziehungsfähigkeit und Beziehungsangeboten. So wird Vertrauens-Bildung zu einer bedeutenden gesellschaftlichen Aufgabe.

Literatur

  • 1 Bette K-H. X-treme: Soziologische Betrachtungen zum modernen Abenteuer- und Risikosport. Vortragsmanuskript (unveröff.) Berlin; 2001
  • 2 Canetti E lias. Masse und Macht. Erster Band. Hanser 31979
  • 3 Eisenberg G. Amok - Kinder der Kälte. Über die Wurzeln von Hass und Gewalt. Reinbek; Rowohlt 2000
  • 4 Eisenberg G, Gronemeyer R. Jugend und Gewalt. Der neue Generationenkonflikt oder Der Zerfall der zivilen Gesellschaft. Reinbek; Rowohlt 1993
  • 5 Hennig E. et al .Forschungsprojekt „Neonazistische Militanz und Rechtsextremismus unter Jugendlichen”. Universität Frankfurt. Unveröffentlichter Forschungsbericht 1981
  • 6 Hennig E. Neonazistische Militanz und Rechtsextremismus unter Jugendlichen.  In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 1982;  B32/82 23-37
  • 7 Hennig E. Wert habe ich nur als Kämpfer. Rechtsextremistische Militanz und neonazistischer Terror. In: Steinweg, R. (Hrsg.) Faszination der Gewalt. Politische Strategie und Alltagserfahrung. Frankfurt; Suhrkamp 1983: 89-122
  • 8 Kühnen M. Die zweite Revolution. Glaube und Kampf. Geschrieben in der Untersuchungshaft, zit. nach dem Urteil des Landgerichts Flensburg vom 30. 4. 1982. Unveröff. MS 1979
  • 9 Rotermundt R. Verkehrte Utopien. Nationalsozialismus - Neonazismus - Neue Barbarei. Frankfurt a. M.; Neue Kritik 1980
  • 10 Theweleit K. Männerphantasien,. Frankfurt a. M.; Roter Stern, 2 Bde 1979/1980
  • 11 Wippermann C. Die kulturellen Quellen und Motive rechtsradikaler Gewalt. Aktuelle Ergebnisse des sozialwissenschaftlichen Instituts Sinus Soziovision. Jugend & Gesellschaft 1/2001 2001

1 Hennig, E, et al. (1981) Forschungsprojekt „Neonazistische Militanz und Rechtsextremismus unter Jugendlichen”, Universität Frankfurt. Unveröffentlichter Forschungsbericht; vgl. Hennig (1982). Alle nicht gekennzeichneten Gesprächspassagen zitiert nach dem unveröffentlichten Abschlussbericht.

2 Vgl. Wippermann, C. (2001), 4-7. Grundlage der Darstellung sind nach Angaben des Instituts jährlich durchgeführte repräsentative Umfragen.

3 Die Namen der Gesprächspartner, Orts- und Gruppenangaben sind (wenn nicht ausdrücklich erwähnt) geändert.

4 Michael Kühnen zum Vorbild des neonazistischen Kämpfers: „SA-Kämpfer sind politische Soldaten: politisch, weil ihr Kampf ausschließlich der Zukunft unseres Volkes dient; Soldaten, weil sie eingebunden sind in Gehorsam, Disziplin und in die Notwendigkeiten und Gefahren des Kampfes” (zit. bei Hennig 1983. An anderer Stelle betont Kühnen das „unheimliche Aufeinander-Angewiesensein” in der Kameradschaft . . .)

5 Eisenberg (2000, S. 153) hat aus einem ähnlichen Blickwinkel jugendliche Eigentumsdelikte als „devianten Konformismus” bezeichnet: „abweichendes Verhalten zur Erreichung konformistischer Ziele”.

6 Kühnen, M. (unveröff. Manuskript 1979), zit. nach dem Urteil des Landgerichts Flensburg vom 30. 4. 1982; vgl. Hennig, E. (1983).

7 Hier darf nicht unerwähnt bleiben, dass die von rechtsextremen Jugendlichen geltend gemachten Legitimationsmuster sich als einzelne gar nicht trennscharf von denen anderer Jugendlicher abgrenzen lassen: Beispielsweise stellte die „Eidgenössische Kommission für Jugendfragen” in einem Gutachten zu den Schweizer Jugendunruhen 1980 bei den beteiligten Jugendlichen eine Deutung von Gewalt als Gegengewalt fest, wie sie durchweg auch von rechtsextremen Jugendlichen vorgetragen wird: „Sie fühlen sich als Geschlagene, die nun zurückschlagen” (zit. nach Frankfurter Rundschau, Nr. 36 vom 12. 2. 1981). Auch die Bedeutung der eigenen körperlichen Kräfte (und deren Präsenz) wird bei den Schweizer wie bei rechtsextremen Jugendlichen hervorgehoben.

8 Hier profitiert der Gedankengang vor allem durch die Arbeiten von Theweleit (1979/80), Canetti (1960/79³) sowie Eisenberg u. Gronemeyer (1993) und Eisenberg (2000).

Adresse des Autors:

Dipl.-Päd. Rainer Steen

Referat Gesundheitsförderung/Praxisbüro Gesunde SchuleRhein-Neckar-Kreis Gesundheitsamt

Kurfürstenanlage 38-40

69115 Heidelberg

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