PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(2): 199-200
DOI: 10.1055/s-2002-32453
Interview
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychotherapie,
Psychotherapeuten und
Psychotherapeutenverbände in der Außensicht

Heike  Zafar, Steffen  Fliegel
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Publication Date:
25 June 2002 (online)

PiD: Frau Zafar, Sie sind freie Journalistin und arbeiten vor allem für den Westdeutschen Rundfunk. Sie haben sich in Ihrer beruflichen Tätigkeit damit beschäftigt, was unseriöse von seriösen Psychotherapeuten unterscheidet[1]. Wie beurteilen Sie aus Ihrer Perspektive eigentlich die Gefühle der „Normalbevölkerung” gegenüber Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten?

H. Zafar: Grundsätzlich ist die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in den letzten zehn Jahren stark gestiegen. Die akademisch vorgebildete Bevölkerung hatte sicherlich früher bereits einen intensiveren, auch inneren, Zugang zu Psychotherapie. Aber mittlerweile ist diese Akzeptanz nicht mehr so stark an die Vorbildung der Menschen gebunden. Es ist längst üblich, bei psychischen Problemen, die die Menschen alleine nicht in den Griff bekommen können, einen Psychotherapeuten einzuschalten. Vor zehn Jahren, als ich angefangen habe, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war in der Volksseele Psychotherapie entweder etwas für Verrückte oder eben für gebildete Menschen, die als eher abgedreht galten. Aber für „Otto Normalverbraucher” war Psychotherapie von der Einstellung her eigentlich nicht ansprechend.

PiD: Heißt das auch, dass die Schwelle gesunken ist, eine Psychotherapie aufzusuchen, wenn es einem schlecht geht?

H. Zafar: Aus meiner Erfahrung: ja. Mich rufen viele Leute an und fragen auf der Suche nach Psychotherapie, wen man da aufsuchen kann.

PiD: Können eigentlich Hilfe suchende Patienten und Patientinnen zwischen einem ärztlichen und einem psychologischen Psychotherapeuten unterscheiden?

H. Zafar: Ich glaube nicht. Aber das ist wohl für Hilfe suchende Patienten auch kein entscheidendes Kriterium. Diese Unterscheidung ist in der Öffentlichkeit nicht so präsent.

PiD: Wie suchen denn Patientinnen und Patienten ihren Psychotherapeuten oder ihre Psychotherapeutin, wenn ein dringender Behandlungswunsch besteht?

H. Zafar:  Ich glaube, dass die ganz große Mehrheit das über einen Arzt macht, ihn nach einer Empfehlung fragt. Und ansonsten läuft das wohl weitgehend über Mundpropaganda. Die Anzeigen in den Gelben Seiten haben meiner Meinung nach nicht so eine große Bedeutung.

PiD: Wenn ein Mensch z. B. unter Schlafstörungen leidet, unter Stimmungsschwankungen oder unter Ängsten, glauben Sie, dass es diesem Menschen lieber wäre, seine Symptome wären körperlich anstatt psychisch verursacht, dass der Hausarzt eher helfen könnte als der Psychotherapeut?

H. Zafar:  Ja. Viele Menschen haben immer noch die Einschätzung, wenn ich zum Arzt gehe, dann gibt es eine Behandlung mit messbarem Ergebnis, das nach einer bestimmten und abschätzbaren Heilungsdauer zu einer Heilung führt. Bei der Psychotherapie kann man nur schwer von messbaren Heilungserfolgen sprechen. Wenn ich wegen Schlafstörungen zum Psychotherapeuten komme, muss man sich eventuell auf eine ganz lange Therapie einstellen.

PiD: Was unterscheidet von der Außensicht her seriöse von unseriösen Psychotherapeuten?

H. Zafar:  Bis zum Psychotherapeutengesetz 1999 gab es ja überhaupt kein Kriterium, an dem man seriöse von unseriöser Therapie rein rechtlich unterscheiden konnte. Dieses Psychotherapeutengesetz schützt ja zumindest den Titel Psychotherapeut/Psychotherapeutin. Das ist für die Verbraucher erst mal eine Richtlinie, an der sie sich orientieren können. Ansonsten sind Kriterien, die seriöse von unseriösen Therapeuten unterscheiden, in der Öffentlichkeit eigentlich nicht bekannt. Die Auswahl eines Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin ist oft ganz beliebig. Es geht danach, wer wird empfohlen, was für einen Ruf hat jemand in der Stadt. Es geht leider nicht darum, mit welchem Leiden hilft mir welcher Therapeut und welche Therapie am besten. Auch können die meisten Menschen sehr schwer unterscheiden, ob eine Psychoanalyse besser hilft als eine Verhaltenstherapie oder umgekehrt.

PiD: Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden?

H. Zafar: Es wäre sehr hilfreich für Verbraucher oder für Menschen, die Psychotherapie suchen, wenn es Kriterien gäbe, an denen sie sich orientieren könnten. Also wenn es eine Instanz gäbe, die raten könnte, welche Therapie für welches seelische Problem vielleicht die geeignete wäre.

PiD: Sie waren in der Vergangenheit sehr mit dem Thema beschäftigt, wie Psychotherapie missbraucht werden kann, zum Beispiel für sektenähnliche Belange. Wie könnte aus Ihrer Sicht heraus ein Patient erkennen, dass er in der quasi-psychotherapeutischen Behandlung benutzt wird?

H. Zafar: Ich denke, dass es sehr schwierig ist, überhaupt so eine Grenze zu erkennen. Wo fängt überhaupt Missbrauch an? Was ist Grenzüberschreitung, was ist seriöse Therapie? Wie trennt man da die Spreu vom Weizen, wie können Patienten Kurpfuscher und Scharlatane erkennen? Es gibt vielleicht so ein paar äußere Richtlinien: Wie wird eine Therapie vereinbart? Gibt es verbindliche Vereinbarungen über Therapiezeiten, über wöchentliche Termine? Gibt es Wochenendtermine? Gibt es Dinge, die mit dem Alltagsleben nicht zu vereinbaren sind? Findet die Behandlung in den Praxisräumen statt oder womöglich in den Privaträumen des Therapeuten? Auch verbindliche Vereinbarungen über Kosten und Zahlungsweise sind zu treffen. Muss der Patient gegebenenfalls privat zahlen oder werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen? Weiß der Patient, dass Zuzahlungen nicht statthaft sind? Gibt es Extra-Leistungen, die der Therapeut noch in Rechnung stellen will. Und was ich bei meinen früheren Recherchen herausgefunden habe: Lässt sich der Therapeut oder die Therapeutin die Arbeit in Gegenleistungen auszahlen, z. B. durch die Übernahme von Hausarbeiten oder Gartenarbeiten, Kinderhüten, Autowäsche oder Steuerberatungen? All das ist vorgekommen.

PiD: Haben Sie auch weitere Kriterien für die Arbeitsweise von Therapeutinnen und Therapeuten?

H. Zafar: Man sollte vorsichtig sein, wenn der Therapeut so ein mystisches Brimborium um seine Arbeit macht und nicht in der Lage ist, mit klaren verständlichen Worten zu erklären, um was für eine Therapie es sich handelt. Er sollte meiner Meinung nach klare Informationen dazu geben, was er für eine Ausbildung gemacht hat, um was für eine Therapieform es sich handelt, wie er sich selbst die Therapie und den Verlauf vorstellt. Er muss auf jeden Fall seine eigenen persönlichen Probleme, Wünsche und Bedürfnisse in den Hintergrund stellen. Zu warnen ist immer vor einer - wie auch immer gearteten - privaten Beziehung zu den Patientinnen und Patienten. Also sobald ein Patient das Gefühl hat, dass ein Therapeut seine eigenen Bedürfnisse auch mit in die Therapie einbringt und private Wünsche äußert, sollten die Patienten zumindest aufmerksam werden. Unter gar keinen Umständen darf eine sexuelle Beziehung zu Patienten bestehen, und Patienten sollten dies auch wissen. Patienten sollten des Weiteren keine Verbote akzeptieren, über ihre Therapien zu sprechen. Wenn Patienten in so eine Art Geheimnis eingebunden und damit auch von ihrem bisherigen sozialen Umfeld abgeschottet werden, führt dies letztlich zu einer Abhängigkeit von dem Therapeuten. Mit diesem Prinzip arbeiten ja auch Sekten.

PiD: Das heißt ja auch, dass Patienten recht gut informiert sein sollten, auch darüber, dass sie Rechte haben.

H. Zafar: Ich glaube, dass es für Patienten auf jeden Fall hilfreich wäre, wenn sie so eine Art Merkblatt an die Hand bekommen könnten, in denen ihnen erklärt wird, um welche Therapieform es sich handelt, was sie zu erwarten haben in der Therapie, was ihre Rechte sind. Darin sollte auch festgehalten sein, dass sie auch ihre Kritik und ihr Unbehagen an der Therapie äußern können, dass sie ein Recht haben auf Wertschätzung seitens des Therapeuten, dass sie auch in ihren Grenzen respektiert werden und dass sie das Recht haben „nein” zu sagen.

PiD: Bei den psychotherapeutischen Ansätzen gibt es ja eine große Bandbreite von Angeboten. Glauben Sie, dass Öffentlichkeitsarbeit in der letzten Zeit die Bevölkerung kritischer gemacht hat?

H. Zafar: Die Presseberichterstattung über Psychotherapie hat dazu geführt, dass die Menschen insgesamt mit sehr viel gesünderer Skepsis an Angebote herangehen. Sie springen nicht mehr unbesehen auf jeden Zug auf.

PiD: Welche emotionalen Auswirkungen haben denn die vielfältigen Talk-Shows, die sich ja auch mit psychischen Problemen und Alltagskonflikten der Menschen befassen, die aber vor allem auf eine nach Quoten ausgerichtete Form abzielen?

H. Zafar:  Das hat wohl zwei Seiten. Es ist natürlich grundsätzlich begrüßenswert, wenn die Menschen über ihre Gefühle reden. Die andere Seite ist eben, dass diese Talk-Shows dazu führen, dass vieles in den Schmutz gezogen, lächerlich gemacht wird, dass die Menschen bloßgestellt werden, was letztendlich auch zu einer Banalisierung von schwerwiegenden Problemen führt.

PiD: Was können die Psychotherapeuten-Verbände in der Zukunft tun, um die Schwelle für Psychotherapie noch zu senken, Menschen noch mehr Angst zu nehmen, bei der Bewältigung ihrer psychischen Erkrankungen auch kompetente psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen und auch einen Schutz für den Missbrauch dieser Hilfe anzubieten?

H. Zafar: Hier kann ich wiederum die Merkblätter einfordern, in denen Patienten informiert werden, was Psychotherapie bedeutet, welche Richtungen es für welche Probleme gibt, wie ein guter Psychotherapeut, eine gute Psychotherapeutin zu finden ist, was die Krankenkasse finanziert usw. Vielleicht könnten solche Merkblätter auch in Arztpraxen ausliegen. Leider beschränken sich die Verbände viel zu stark darauf, Berufsverband der Psychotherapeuten zu sein, und haben deswegen viel zu wenig Blick für die Belange der Patienten. Ich kenne Patienten, die sich an Berufsverbände mit Missbrauchsfällen gewandt hatten. Sie fanden erstens kein Gehör und hatten zweitens nicht das Gefühl, dass ihnen dort in irgendeiner Weise geholfen wird. Also der Eindruck ist da eher, dass die Berufsverbände versuchen, das Image der Psychotherapeuten zu schützen, und sich vor missbrauchende und schlechte Psychotherapeuten stellen, statt die Patienten zu schützen. Es wäre nicht schlecht, wenn die Verbände einerseits die Aufgabe übernehmen würden, die Patienten auf dem Weg in eine Psychotherapie zu beraten, andererseits aber auch eine Anlaufstelle sein könnten für Patientinnen und Patienten, die Probleme haben in ihrer Psychotherapie.

PiD: Frau Zafar, vielen Dank für das Gespräch und die wichtigen Anregungen.

1 Heike Zafar (2000). Du kannst nicht fließen, wenn dein Geld nicht fließt. Macht und Missbrauch in der Psychotherapie. Rowohlt Taschenbuch.

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