PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(2): 161-170
DOI: 10.1055/s-2002-32452
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Konzepte von Übertragung
und Gegenübertragung in
verschiedenen Therapieschulen

Auszüge aus einer Podiumsdiskussion
auf der Fachtagung in Bad Gleichenberg (Österreich)
vom 21. bis 25. Oktober 2001[1]
Ulf  Lukan
  • Graz
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Publication History

Publication Date:
25 June 2002 (online)

Fachleute für die Therapieschulen:

August Ruhs, Wien:
Psychoanalyse

Gert-W. Speierer, Regensburg:
Klientenzentrierte Gesprächs-
psychotherapie

Norbert Neuretter, Hornstein:
Psychodrama

Christine Butschek, Wien:
Verhaltenstherapie

Renate Winterauer, Wien:
Systemische Therapie

Nancy Amendt-Lyon, Wien:
Integrative Gestalttherapie

Reinhard Skolek, St. Pölten:
Analytische Psychologie nach C.G. Jung

U. Lukan: Etwa 20 Jahre ist es her, dass Eysenck, einer der Väter der Verhaltenstherapie, in Graz einen vielbeachteten Vortrag gehalten hat, wo er die Diskussion zum Thema Übertragung beendet hat mit den markigen Worten: „Meine Patienten haben so etwas nicht.” Ich war damals Verhaltenstherapeut, geglaubt habe ich ihm das aber nie. In meinem weiteren Entwicklungsschritt in der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie habe ich dann gelernt, dass inkongruente Beziehungsmuster und verzerrte Wahrnehmungen von Patienten über den Therapeuten durch Konfrontation und durch Entgegenhalten der realen Beziehung unterlaufen und abgebaut werden können. In meiner späteren tiefenpsychologischen Ausbildung in Individualpsychologie habe ich dann erfahren, dass es oft nichts hilft zu sagen: „Aber ich bin nicht Ihr Vater”, sondern dass so unbefriedigte, nicht der Realität zugewandte Regungen einen ganz wichtigen Teil in der Therapie und im Therapieprozess darstellen können.
Das Phänomen, dass sich frühere Beziehungsmuster vom Patienten in der Therapie, in der Beziehung zum Therapeuten wieder abbilden, und zwar oft sehr akzentuiert abbilden, haben eigentlich alle Schulen in irgendeiner Weise in ihrem theoretischen Rahmen beschrieben, auch die weiterentwickelte Verhaltenstherapie. In der heutigen Diskussion, an der sieben Vertreter verschiedener Therapieschulen beteiligt sind, werden wir versuchen eben dem nachzugehen, wie weit dort Divergenzen und Konvergenzen bestehen und ob vielleicht ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. Vielleicht gibt es auch überhaupt nicht so große Unterschiede, sodass möglicherweise die Psychoanalyse diesen von ihr so früh und klar formulierten Theorieteil in alle Schulen exportiert. Das Eröffnungsstatement der Experten soll kurz umreißen, wie das zu diskutierende Phänomen in der jeweiligen Schule gesehen wird, welche Rolle es in der Therapie spielt und wie das Menschenbild verstanden werden soll, das diese Schule vertritt, aber auch, wie viel Akzeptanz der Begriff der Übertragung in der jeweiligen Schule erfährt.

A. Ruhs: Ich muss natürlich auf den Großvater verweisen, der der eigentliche Hausherr des Begriffes ist. Obwohl der Begriff Übertragung, soweit ich weiß, auch in der Psychologie vorkommt - einerseits als Übertragung von Sinneseindrücken von einem Sinnesgebiet auf ein anderes oder auch im Sinne von Lernerfahrungen, wenn eine Erfahrung in positivem oder negativem Sinne auf eine nächste Erfahrung einwirkt -, so ist dies ja nicht der Begriff, mit dem wir uns hier beschäftigen. Wir befassen uns mit Übertragung, wie sie in der Psychoanalyse zu Hause ist, wobei sie auch das Verfahren in dem Sinn definiert, dass, wie bereits litaneienhaft gesagt wird, die Psychoanalyse die Form der Therapie ist, bei welcher mit Übertragung und Widerstand analytisch umgegangen wird. Aus dem Wörterbuch von Laplanche-Pontalis genommen, lautet die Definition des Übertragungsbegriffs folgendermaßen: „Die Übertragung bezeichnet in der Psychoanalyse den Vorgang, wodurch die unbewussten Wünsche an bestimmten Objekten im Rahmen eines bestimmten Beziehungstypus, der sich mit diesen Objekten ergeben hat, aktualisiert werden.” Dies ist, so heißt es weiter, im höchsten Maß im Rahmen der analytischen Beziehung der Fall. Es handelt sich dabei um die Wiederholung infantiler Vorbilder, die mit einem besonderen Gefühl von Aktualität erlebt werden.
Nun, das ist bereits ein relativ fortgeschrittener Definitionsvorgang, denn erstmals von Freud formuliert war der Übertragungsbegriff ein intrapsychisches Phänomen. Er taucht zum ersten Mal in der Traumdeutung auf, wo Freud davon spricht, dass das Unbewusste sensu stricto als solches gar nicht bewusstseinsfähig wäre, wenn es nicht die Möglichkeit einer Verschiebung von unbewusstem Material auf vorbewusste Gedankenassoziationen gäbe, was er Übertragungsgedanken nennt. Im Weiteren führt er dann aus, dass sich diese Übertragung auf die Beziehung zum Arzt ausdehnen lässt, weil in der (damals noch kathartische Methode genannten) Therapie die unbewusste Erinnerung nur als solche, ohne Nebenumstände, auftaucht. Erst durch die Anwesenheit eines realen Objekts - hier des Behandlers, des Arztes - können diese Nebenumstände, die sich mit dem unbewussten Wunsch in der infantilen Szene aktualisieren, sichtbar und erlebbar werden. Hier spricht Freud von einer so genannten falschen Verknüpfung der Übertragung.
Die weitere Erkenntnis Freuds war es dann, dass der Begriff der Übertragung nicht allgemein zu definieren sei, sondern dass er sich auf etwas ganz Spezifisches reduzieren lassen sollte, nämlich auf die reaktualisierte Übertragung auf Elternimagines. Das heißt, dass im Rahmen der analytischen Kur letztlich etwas nicht auf irgendwelche Personen übertragen wird, sondern dass es wirklich um die ersten Bezugspersonen und damit um die Eltern geht. Im Rahmen der Herausarbeitung des Ödipuskomplexes spricht Freud dann auch von einer positiven und negativen Übertragung, ganz im Sinne der positiven und negativen Ödipuskomplexität, wobei er als positive Übertragung Liebesgefühle und als negative Übertragung feindselige Gefühle dem Analytiker gegenüber bezeichnet, ganz entsprechend den beiden Gefühlsqualitäten im Rahmen der ödipalen Konfiguration.
Schließlich aber wird im Laufe der weiteren Theoriebildung der Psychoanalyse aus der Übertragung ein die ganze Behandlung strukturierender Prozess, was sich mit dem Namen Übertragungsneurose deckt. Die Psychoanalyse besteht dann in nichts anderem als in der Umwandlung der Symptomneurose in eine Übertragungsneurose, das heißt im Grunde genommen erfolgt eine Umkehrung der Symptombildung. Von einer Versagung bzw. einer vermiedenen Beziehung, die zur Ausbildung des Symptoms Anlass gibt, wird der Weg wieder rückgängig gemacht, wobei der Analytiker als Ersatzobjekt bei diesem Vorgang wirkt. Wichtig ist noch darauf hinzuweisen, dass es viele Schulen darauf angelegt haben, sich im Laufe dieser Übertragungsneurose auf die Aktualität der Beziehungsformation zu konzentrieren (hic-et-nunc-Deutungen) und die genetische Rückbindung eher als Bestätigung ihrer Hypothesen über die unbewussten gegenwärtigen Beziehungen zu betrachten.

G.-W. Speierer: Ja, und jetzt muss ich erst einmal tief durchatmen, weil das, was ich eben über die Übertragung gehört habe, mir doch etwas theoretisch erschien. Deshalb ist vielleicht das, was ich anzubieten habe, ein bisschen ein Kontrastprogramm. Wir in der Gesprächspsychotherapie versuchen ja vielleicht weniger, erst einen theoretischen Überbau zu machen, um dann nach diesem theoretischen Überbau die therapeutische Beziehung zu gestalten, sondern was die Gesprächstherapie beachtet, ist eigentlich eher aus der genauen Beobachtung der Interaktion ...... [Ruhs: Da bin ich vielleicht falsch verstanden worden. Speierer: Das nehme ich an.]. In dem Fall stellt sie die Frage, was läuft gefühlsmäßig zwischen Therapeutin oder Therapeut und Klientin oder Klient ab, um danach Überlegungen anzustellen, wie das alles theoretisch konzeptualisiert werden könnte. Deshalb ist die Definition, die wir in der Gesprächspsychotherapie gebrauchen, wenn wir von Übertragung reden, mehr pragmatisch, mehr phänomenologisch. Ich beziehe mich da auf Rogers, der in dem klassischen Buch „Client Centered Therapy” ein Kapitel dieser Übertragung gewidmet hat, und da ist die Definition so: „Übertragungen sind gefühlsmäßige Einstellungen von Klient oder Klientin gegenüber Therapeut/Therapeutin. Diese Gefühle stammen aus einer anderen Beziehung und sind Projektionen. Die damit verbundenen positiven oder negativen Gedanken, Gefühle, Wünsche stehen nicht im Zusammenhang mit dem Therapeutenverhalten.” Das wäre also die Definition, die wir in der Gesprächstherapie für Übertragung akzeptieren würden.
Dieses vorausgesetzt, kommen wir dann zu dem Schluss, dass wir sagen: Die lang andauernde, emotionalisierte, abhängige Übertragungsbeziehung in Therapien, die so genannte Übertragungsneurose, hat in der Therapietheorie der Gesprächstherapie keinen besonderen Stellenwert. Zwar kommen Übertragungsphänomene auch in der Praxis der Gesprächspsychotherapie vor, aber wenn überhaupt, dann sind sie eher gering ausgeprägt und dauern nur kurz an. Und, was wir annehmen, ist, dass die Gefühle zwischen Therapeut und Klient und umgekehrt auch immer im Zusammenhang mit dem therapeutischen Beziehungsangebot stehen. Das heißt, wir übernehmen die Verantwortung für die Gefühle, die die Klienten oder die Klientinnen uns entgegenbringen. Und ich denke, das ist vielleicht ein ganz wichtiger Unterschied.
Wenn man sich überlegt, wie die Übertragung, wie das Konzept der Übertragung eigentlich entstanden ist, eigentlich aus den frühen Therapien, in denen Klientinnen sich in die Therapeuten verliebt haben und die Therapeuten dadurch eigentlich höchst irritiert waren und sich überhaupt nicht vorstellen wollten oder überhaupt nicht verstehen konnten, was sie selber dazu beigetragen hätten. Und dann ist das Konzept der Übertragung entstanden, in dem der Therapeut die Verantwortung für die Gefühle der Klientin nicht mehr zu übernehmen braucht. Und dann kann er diese nämlich interpretieren. Und das ist, denke ich, auch ein wichtiger Unterschied zwischen Gesprächspsychotherapie und Psychoanalyse. Die Klienten brauchen korrigierende Erfahrungen, aber sie brauchen keine Erklärungen. Also sie brauchen keine Interpretationen. Deshalb ist der Weg „Übertragung, Interpretation, Widerstandsanalyse” nicht der Weg der Gesprächspsychotherapie.
Die therapeutische Beziehung, die der Gesprächstherapeut anbietet, steht im Gegensatz zu einer abstinenten Beziehung, wie es sie in der klassischen Psychoanalyse war, in der ja die Übertragungsneurose oder die Übertragungsliebe dann tatsächlich aufgetreten ist. Die Beziehung in der Gesprächspsychotherapie ist gekennzeichnet durch das offene Zugegensein des Therapeuten oder der Therapeutin als Person, durch die unbedingte Wertschätzung, durch die Empathie, und zwar in der Weise, dass sich der Klient eben verstanden fühlt. Dadurch wird die Entstehung von Übertragung minimalisiert. Und wenn so etwas wie Übertragung passiert, das kann man an Beispielen, die auch transkribiert worden sind, kann man das schön zeigen, dann dauert es nur sehr kurz, bis der Klient erkennt, dass seine Gefühle in ihm selber sind und welchen Anteil der Therapeut an diesen Gefühlen hat und umgekehrt, dass der Therapeut oder die Therapeutin dem Klienten sehr schnell korrigierend das eigene Erleben dem Übertragungsgefühl entgegensetzen kann. Ich denke, der entscheidende Unterschied ist also die Präsenz im Gegensatz zur Abstinenz.

N. Neuretter:            Wir im Psychodrama kennen den Begriff der Übertragung nur sehr beschränkt, und zwar nicht als Instrument in der Therapie, also im Setting Klient und Therapeut, sondern er wird manchmal von Kollegen, die auch einen Teil ihrer Ausbildung in der Psychoanalyse gemacht haben, in die Literatur hineingebracht. Im Psychodrama ist es so, dass der Prozess sich teilt, in die Rolle des Klienten, in die Rolle des Therapeuten und in das Thema. Also, was immer als Thema auch angeboten wird, wird in diesem Dreiecksprozess abgehandelt. Unter anderem kann in diesem Dreiecksprozess auch das Phänomen der Erwartungen an den Therapeuten behandelt werden.
Im Psychodrama ist die Arbeit mit Einzelnen aus der Gruppentherapie entstanden, also wir haben die Mittel der Gruppentherapie auf die Einzeltherapie also eben abgewandelt. Das wichtigste Instrument dabei ist der Rollentausch. Das heißt, dass der Klient zum Beispiel in einer traumatischen Szene mit den Personen, die damals seiner Meinung nach beteiligt waren, einen Tausch machen kann. Es ist auch möglich, dass der Therapeut faktisch seinen Platz verlässt, die dritte Position einnimmt und der Klient im Rollentausch den Platz des Therapeuten einnimmt und die Erwartungen und Empfindungen ganzheitlich nachleben kann, die unter Umständen der Therapeut bei seinen Äußerungen, bei seinen Wünschen haben kann. Der Klient kann sie dann, wieder zurück an seinem Platz, nacharbeiten, also nachempfinden, welche Erwartungen an den Therapeuten er gehabt hat und woher diese Erwartungen kommen. Das wäre dann das nächste Thema, das man wieder in diesem Dreiecksprozess bearbeiten kann.
Es ist also eine andere Form dieses Begriffes und wir arbeiten nicht sehr viel mit diesem Begriff. Durch eben das beschriebene Dreiecksverhältnis in der Prozessbetrachtung ist es möglich, auf die Wünsche des Klienten sehr genau einzugehen und noch genauer zu orten, woher diese Wünsche kommen oder in welchen Szenarien oder Ursprungsszenarien diese Wünsche oder diese Gefühle (auch die Negativgefühle) entstanden sind.

C. Butschek:            Die Verhaltenstherapie, wie von Lukan mit einem Zitat von Eysenck charakterisiert, gibt es heute nicht mehr. Aber ich kann mich erinnern, in den Siebzigerjahren kam aus England ein Kollege namens Marx und hat uns erklärt: Ja, eigentlich brauchen wir keine Therapeuten. Wir nehmen das Tonband, und das spricht zum Patienten. Merkwürdigerweise aber brauchten die Patienten uns Therapeuten doch. Gut, das waren die siebziger Jahre. Inzwischen haben wir uns von Eysenck und vielen anderen Vätern der Verhaltenstherapie emanzipiert und die Verhaltenstherapie hat sich weiterentwickelt.
Die therapeutische Beziehung ist ein zentrales Thema bei uns geworden. Übertragung und Gegenübertragung werden zum Teil als Fremdworte gebraucht oder verhaltenstherapeutisch definiert, z. B. Übertragung und Gegenübertragung sind Grundmuster, Schemata der Beziehungsgestaltung, die erworben werden im Laufe der Kindheit und Jugend durch Lernprozesse, durch Erfahrungen, sie bestehen weiter und generalisieren. Das heißt, sie werden auf andere Personen, Situationen und eben auch Beziehungssituationen „übertragen”. Auf die therapeutische Beziehung insbesondere, weil es in der therapeutischen Arbeit um hochkomplizierte Prozesse geht, um Ängste, Gefühle etc., und auf diese Weise alte Beziehungsmuster leicht ausgelöst werden.
Die Verhaltenstherapie hat sich zunehmend mehr mit Persönlichkeitsstörungen beschäftigt. Und wenn wir die Definition, dass eine Persönlichkeitsstörung eine Beziehungsstörung ist, übernehmen, wie wir es tun, dann müssen wir uns mit Übertragung und Gegenübertragung beschäftigen. Außerdem hat die Weiterentwicklung in der Verhaltenstherapie nach der kognitiven Wende in den Achtzigerjahren ganz deutlich zur intensiven Beschäftigung mit Emotionen und unbewussten Prozessen geführt.
Das heißt, wir haben einen anderen Weg genommen - einen Umweg gemacht - und kommen jetzt zur wissenschaftlichen Behandlung von Dingen, die bei Freud Thema waren. Die Definition von Ruhs unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was die Verhaltenstherapie jetzt dazu sagt. Auch wir nehmen das Auftauchen alter Beziehungsmuster zum Anlass, um es in der Therapie zu thematisieren und einen Einstieg zu finden, alte Traumata zu behandeln oder eben das Muster aufzuzeigen und zu verändern.

R. Winterauer:            Zur systemischen Therapie: Der Begriff der Übertragung kommt im Systemischen sehr wenig vor. Da die Übertragungsthematik als Thema in der systemischen Therapie keinen Schwerpunkt bildet, wird auch der Begriff kaum verwendet. Helm Stierlin hat formuliert, dass so etwas wie Übertragungsphänomene stattfinden. Da die systemische Therapie sich vor allem auf das System Familie konzentriert, ist der Fokus im Zusammenhang mit Übertragung verschoben. Das heißt, fokussiert werden Übertragungsmuster und Mechanismen vorrangig innerhalb der Familie. Erkennbar sind die Übertragungsmechanismen durchaus im Rahmen von Übertragungsphänomenen gegenüber dem/der Therapeuten/in, also in der Beziehung zwischen dem Familiensystem und Therapeuten und Therapeutinnen im Team. Das heißt, die Übertragungsphänomene in der systemischen Therapie sind noch einmal komplexer, weil die Zahl der Personen sich erhöht und auch mit Subsystemen gearbeitet wird.
Ich möchte noch die innerfamiliären Übertragungsmechanismen beleuchten. Auch hier findet in der systemischen Therapie eine leichte Verschiebung des Fokus statt. Während in der Psychoanalyse die Übertragungsmechanismen vom Kind auf die Eltern im Mittelpunkt stehen und in der therapeutischen oder analytischen Situation als Übertragungsneurose erkennbar werden, fokussieren wir unter systemischer Perspektive vorrangig innerfamiliäre Übertragungsphänomene und hier wiederum vor allem von Elternseite. So ist die von Stierlin definierte „Delegation” durchaus als Übertragungs- bzw. Gegenübertragungsphänomen intrafamiliärer Prozesse zu sehen. Delegation bedeutet, dass Eltern Aufträge an ihre Kinder erteilen, die ausgeführt werden müssen, während die Kinder über Loyalität gebunden bleiben - man könnte jetzt auch sagen, narzisstische Wünsche der Eltern, die an den Kindern befriedigt werden. Phänomene der Übertragung und Gegenübertragung sind im Systemischen also durchaus vorhanden, Vokabular und Blickwinkel unterscheiden sich deutlich vom Psychoanalytischen.

N. Amendt-Lyon:   In der Gestalttherapie gehen wir sehr wohl von einem Übertragungsbegriff aus. Die Gestalttherapie ist von zwei Psychoanalytikern begründet worden, Fritz und Laura Perls, die unzufrieden waren mit der Triebtheorie. Sie haben die Gestalttherapie unter dem starken Einfluss der Gestaltpsychologie weitergeführt, indem sie eine Revision der Triebtheorie angestrebt haben. Ein Teil dieser Revision der Psychoanalyse, der psychoanalytischen Triebtheorie, war, dass sie die Übertragungsneurose, nicht gefördert haben. Sie haben gefunden, dass Übertragung verzerrte Wahrnehmung ist, die es möglichst rasch aufzulösen gilt, und haben gemeint, eine Übertragungsneurose zu kultivieren, sei nicht zielführend. Wenn gegenwärtige Beziehungen durch Erfahrungen aus früheren Beziehungen verzerrt werden, dann haben wir es mit Übertragung zu tun.
Diese Wiederholung von bedeutsamen frühen Beziehungsmustern in aktuellen zwischenmenschlichen Beziehungen offenbart eine dysfunktionale Wahrnehmung, die in der Gestalttherapie als neurotische Selbstregulierung bezeichnet wird. Fritz Perls hat reale gegenwärtige Kontakte von Psychotherapeuten verlangt und lehnte die Übertragungsneurose als Methode ab. Stattdessen forderte er die Klärung von verzerrter Wahrnehmung. Unter anderem verlangte er die persönliche Weiterentwicklung und Entwicklung des Psychotherapeuten. Er sah den Psychotherapeuten als existenziellen Partner an und forderte, seine Aussagen sollten volle Authentizität besitzen. Der Therapeut sollte nicht nur ein Spiegel seines Patienten sein.
Wir sehen auch, dass die Übertragung gemeinsam mit der Gegenübertragung ein gegenseitiger Prozess ist. Also geht unser Menschenbild von der Annahme aus, dass der Mensch Teil eines Umweltfeldes ist und koexistiert, mit der Gegenwart, mit der Zukunft in Form von Erwartungen, Hoffnungen und Plänen sowie mit der Vergangenheit in Form von Gewohnheiten und Erinnerungen. Wir beziehen die Vergangenheit im Hier-und-Jetzt-Prozess mit ein, wir machen die Vergangenheit oder die Zukunft gegenwärtig. Dies wird nicht nur reflektiert in einzelnen Sätzen, die wir von früheren Beziehungen kennen, sondern auch in Regeln und Normen und in unfassbaren Dingen wie unbewussten Wertvorstellungen, Annahmen und subtilen Mustern, die wir in uns tragen. Dies wird nicht nur in Bezug auf Einzelpersonen angewandt, sondern auch in Bezug auf Paare, auf Untergruppen, auf Familien, auf andere Volksgruppen, andere Schichten, andere Kulturen, und die Beziehungs- und Verhaltensmuster eines jeweiligen Patienten tragen zu seinem Übertragungsmuster in der therapeutischen Interaktion bei. Wir haben es mit emotionalen Zuständen und zwischenmenschlichen Interaktionsformen zu tun, die dann auf die gegenwärtige Beziehung projiziert werden.
In gestalttherapeutischen Termini handelt es sich um fixierte rigide Beziehungsmuster, die nicht der aktuellen Situation entsprechen. Das heißt, die Person benutzt nicht das volle Spektrum seiner Wahrnehmungsmöglichkeiten, sondern ist eingeschränkt, ist beeinträchtigt, sieht die Welt wie durch eine Schablone und handelt dementsprechend, anstatt ihre vollen Möglichkeiten auszuschöpfen. Unser Hauptarbeitsinstrument ist dabei nicht die korrigierende emotionale Erfahrung, sondern wir versuchen bestimmte fixierte Muster bewusst zu machen, und wenn es angemessen ist, sie anzusprechen und zum Thema zu machen. Wir wollen einen Dialog mit dem Patienten, und auch wir arbeiten nicht mit Bedürfnisbefriedigung. Es geht auch nicht darum, meine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Es geht darum, die Bedürfnisse beim Patienten vielleicht hochkommen zu lassen und zu schauen, wo und wie sie im realen Lebenskontext des Patienten befriedigt werden können.
Ich habe den Eindruck, die Diskussion ist nicht sehr zielführend, mir fehlt auch ein bisschen mehr von den interpersonellen Gestalten, von den Aspekten der Gegenübertragung. Was tun wir dazu, damit Übertragungsphänomene oder diese Beziehungsmuster überhaupt in Gang kommen? Dieser Aspekt ist bisher vielleicht etwas zu kurz gekommen. Wir bieten ganz handfeste Haken, wo die Patienten die Sachen aufhängen. Allein meine Erscheinung, mein Alter, mein Geschlecht, die Einrichtung meiner Praxis, die Atmosphäre, die es in meiner Praxis gibt, Bilder an der Wand, also Materialien, die zur Verfügung stehen, das alles sind Sachen, auf die der Patient reagiert. Es ist nicht nur das, was er mir entgegenbringt, sondern auch das, was ihm begegnet.

R. Skolek:            In der Analytischen Psychologie spielen Übertragung und Gegenübertragung eine wesentliche Rolle, aber nicht eine so hervorragende wie in der Psychoanalyse. Grundsätzlich ist wichtig, dass die Patienten im Laufe der Übertragungsbearbeitung erkennen, wo sie verzerrte Wahrnehmungen besitzen, wo sie Erwartungen, Wünsche aus der Vergangenheit, wo sie unbewusstes Material auf den Therapeuten, auf den Analytiker übertragen. Man darf nicht vergessen, dass Jung zuerst Psychoanalytiker war und sein Leben lang auch psychoanalytisch gearbeitet hat, wobei sich seine Präferenzen natürlich verlagert haben, sonst wäre es ja nicht zur Trennung von Freud gekommen.
Jung hat in dem Artikel „Die Beziehung des Ich zum Unbewussten” eine Patientin beschrieben, bei der die Vaterübertragung, wie sie in der Psychoanalyse verstanden wurde, als Erklärung für den Prozess nicht ausgereicht hat. Jung entdeckte, dass die Patientin auf ihn göttliche Attribute übertragen hatte und kam so zum Begriff der archetypischen Übertragung. Da wird Material, das nicht aus dem persönlichen Leben der Patientin stammt, das nicht mit dem realen Vater und der Beziehung zu dem realen Vater zu tun hat, übertragen. Jung entdeckte, wie wichtig solche Übertragungen für die Therapie sind. Ich unterscheide zwischen einer Übertragung, die altes Material und Vergangenes zum Gegenstand hat, und einer Übertragung, die Zukünftiges, die Entwicklung des Patienten Betreffendes beinhalten kann. Der Patient überträgt auf den Therapeuten, was er selbst für seine Entwicklung benötigt.
Außerdem hat Jung einen mittelalterlichen alchemistischen Text bearbeitet, der Artikel heißt „Die Psychologie der Übertragung”, in dem er das ganze Geflecht von Möglichkeiten, wie zwei Menschen aufeinander reagieren können, darstellt. Man kann bewusst Objektives vom Gegenüber wahrnehmen oder kann Unbewusstes wahrnehmen, und zwar nicht nur der Therapeut vom Patienten, sondern auch der Patient vom Therapeuten. Es gibt die Beziehung des Patienten und des Therapeuten jeweils zum eigenen Unbewussten, und dann noch die Beziehung des Unbewussten des Patienten zum Unbewussten des Therapeuten. Sie haben Bereiche, in denen sie beide unbewusst sind, dies sind meistens sehr interessante Bereiche. Diese Vielfalt von Möglichkeiten der Verflechtung von Übertragung und Gegenübertragung wird in dem Artikel anhand von mittelalterlichen Texten beschrieben. Wir können uns oft sehr fortschrittlich vorkommen, wenn wir glauben, etwas Neues entdeckt zu haben, was aber manchmal schon die Menschen vor uns gewusst, aber natürlich in einer anderen uns schwer verständlichen Sprache beschrieben haben.
In dem Artikel stellt Jung auch die Wichtigkeit der Gegenübertragung für die Therapie dar. In der analytischen Psychologie liegt der Patient in der Regel nicht auf der Couch, sondern das klassische Setting ist face zu face, einander gegenübersitzend. Jung hat die Auffassung, dass beide, der Patient und der Therapeut, aus dem analytischen Prozess verändert hervorgehen. Er meint auch, dass jeder Analytiker nicht nur seine Methode hat, sondern noch vielmehr seine Methode ist. Die Persönlichkeit des Therapeuten und nicht die vorgegebene Art, z. B. mit Übertragungen umzugehen, sei das Heilsame. Das bedeutet auch, dass der Therapeut sich deutlich einbringt, allein schon dadurch, dass er dem Patienten gegenübersitzt. Der Patient kann am Therapeuten dadurch viel eher objektiv wahrnehmen, wie er wirklich ist, die Übertragungen können dadurch eingeschränkt werden. Der Nachteil hiervon ist, dass man sie unter Umständen gar nicht mehr merkt oder zu wenig merkt, obwohl sie immer da sind.
Wichtig scheint mir darauf hinzuweisen, dass wir die Übertragungsvorgänge, wie sie in der Therapie passieren, grundsätzlich als Vorgänge verstehen, die auch außerhalb der Therapie immer und überall zwischen Menschen vorkommen. Die Erwartung, vom anderen geheilt zu werden, kommt zum Beispiel auch häufig in Liebesbeziehungen vor. Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass es innerhalb der analytischen Psychologie verschiedenste Strömungen gibt, die sich unter anderem durch den jeweiligen Stellenwert der Übertragungsanalyse in der Therapie voneinander unterscheiden.

U. Lukan:            Das Publikum ist jetzt eingeladen, Fragen an die Experten zu stellen. Bitte!

Publikum:            Ich war sehr positiv davon beeindruckt, wie doch in allen der hier vertretenen Psychotherapieformen, vielleicht mit Ausnahme der Gesprächspsychotherapie, dieses Übertragungskonzept mit etwas verschiedenen Worten und mit anderer technischer Verwendung eine zunehmende Rolle zu spielen scheint. Es war sicher fast prophetisch von Freud, dass er die Verliebtheit von Patientinnen in ihn eben als Übertragung erkannt hat und definieren konnte. Was er nicht kannte und worauf ich jetzt hinweisen möchte, worüber er sehr erschrocken war und dieser Schrecken hat fast 30 Jahre gedauert, das war, dass die in der Therapie im Therapeuten geweckten Gegenübertragungsgefühle auch ein wichtiges Instrument der Therapie sein können. Ich wollte darauf hinweisen, dass es eigentlich ein Verdienst vor allem von Psychoanalytikerinnen war, allen voran Paula Heimann, die das therapeutisch Kostbare an der Gegenübertragung hervorgehoben und betont zu haben.

Publikum:            Ich komme aus der Verhaltenstherapie und fühle mich hier eher als Zaungast. Die Übertragung gibt es in der Verhaltenstherapie als solche nicht, aber es gibt eine therapeutische Beziehung. Diese ist genauso wichtig wie das Methodeninventar, das in der Verhaltenstherapie angewendet wird. Die therapeutische Beziehung hat einen Zweck: Sie wird aufgebaut, um dem Patienten zu helfen, um die Ziele, die er mir anträgt, erreichen zu können, wobei ich ihn unterstütze. Dafür brauche ich eine gute Beziehung, sie wird aufgebaut und sie wird wieder abgebaut. Es kann auch einmal sein, dass ich das, was hier mit Übertragung gemeint ist, in der Verhaltenstherapie nutze, also die Beziehung, die der Patient zu mir als Therapeut hat. Dies kann auch methodisch eingesetzt werden, es ist aber keine Hauptmethode. Ich halte es nicht für notwendig, dass wir alle das gleiche Ziel erreichen, wie es hier proklamiert wurde. Ich lerne gerne von der Psychoanalyse, aber ich nutze das Übertragungsphänomen nur dann, wenn ich es kann, und als Verhaltenstherapeut kann ich es nicht so gut, wie es Analytiker können. Wirklich gelernt haben wir dieses Methodeninventar nicht. Ich würde mich freuen, wenn wir da noch mehr Anregung bekommen könnten, wenn wir uns mehr zusammensetzten, mehr zusammenrückten, aber im Moment ist es noch nicht so. Aber es ist eine Veränderung im Gange.

U. Lukan:            Ich möchte den Stand der Diskussion kurz gerafft zusammenfassen: Die Psychoanalyse hat konsequent für die Übertragungsanalyse plädiert. Die Gesprächspsychotherapie, gedanklich vielleicht am weitesten von der Psychoanalyse distanziert, betont die korrigierende emotionale Erfahrung, also die echte und wertschätzende Beziehung und meint, dass dadurch Übertragungsphänomene nicht so lange dauern. Bei der humanistischen Methode der integrativen Gestalttherapie scheint doch eine Nähe zur Psychoanalyse zu bestehen. In der analytischen Psychologie nach Jung hat die Übertragung nicht so große Bedeutung, wie sie in der Psychoanalyse üblich ist. Sie betont auch, dass dies vielleicht ein Vorfeld zu einem spannenderen Phänomen ist, nämlich dem, dass auch Archetypen übertragen werden. Die Verhaltenstherapie hat das Konzept der Übertragung gut in die moderne Verhaltenstherapie integriert. Man könnte sagen, dass quasi in diesem Punkt Freud als Prophet akzeptiert wird. Etwas mehr Abstand haben die Systemische Therapie und das Psychodrama. Beide meinen, dass die Übertragung eine Rolle spielt, zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit den Eltern, durch die flexible Rollengestaltung wird aber die Einbahnstraße der Übertragung aufgelöst. Nun soll durch die Expertinnen und Experten ein Stück konkrete Arbeit dargestellt werden, das wie die Wiederholung eines alten Beziehungsmusters ausschaut und zeigt, wie dann konkret damit umgegangen wurde, ein Stück aus - sozusagen - der Werkstatt.

R. Skolek:            Ich möchte von einer Patientin berichten, in deren Therapie es sehr viel um Minderwertigkeit ging. Sie war die Tochter eines berühmten Vaters, der sich, was sie und ihre Leistungen betrifft, nicht sehr aufmunternd verhalten hatte. Sie war außerdem durch einen Unfall in der Kindheit etwas beeinträchtigt. In einem Traum stand sie einer männlichen, älteren Figur gegenüber, die ihr sagte: ‘Du kannst gar nichts und aus dir wird gar nichts werden.’
Als Jungianer freue ich mich, wenn ich einen Traum höre. Für uns ist die Arbeit mit dem Traum und der Umgang mit den Figuren im Traum wesentlich. Wir sitzen „face to face”, und die Patientin kann wahrnehmen, wie ich auf den Traum reagiere. Sie sieht also z. B., ob ich bestürzt bin, ob ich mit ihr mitfühle oder eine ablehnende Haltung einnehme. Für mich als Therapeut geht es auch darum zu spüren, wo ich emotional stehe, mit welcher Figur im Traum ich mich am ehesten identifiziere: mit der leidenden Patientin oder mit dem, der sie abwertet, oder befinde ich mich in einer anderen Position? Üblicherweise frage ich nach Assoziationen, und die Patientin erzählte in diesem Fall, wie sie als Kind abgewertet wurde.
Wichtig ist mir auch der Realitätsbezug des Traums. Also fragte ich: ‘Können Sie eine Beziehung herstellen zwischen dem Traum und dem, was in Ihrem Leben aktuell passiert?’ Sie antwortete darauf, sie sei zu einem Interview im Radio eingeladen worden und traue sich nicht, aber irgendwie reize sie diese Aufgabe doch. Anlässlich der Anfrage für dieses Interview konstellierte sich ihr Minderwertigkeitskomplex.
Therapeutisches Ziel war der verbesserte Umgang mit diesem Komplex. Ich fragte sie, ob sie dem entmutigenden und entwertenden Mann im Traum nichts entgegensetzen könne: ‘Gibt es bei Ihnen denn keinen Widerstand, nehmen Sie das einfach schicksalhaft hin und sagen zu sich selbst: Ja, ich bin wirklich nichts wert?’ Wir sprachen darüber, dass sie sich selbst genauso behandelt wie der Mann im Traum. Wir schlossen eine Imagination an, mit dem Auftrag, sie möge mit dem Mann reden und versuchen, Argumente gegen dessen Vorwürfe zu finden. Sie habe doch z. B. ein Studium erfolgreich abgeschlossen. Dies wäre eine typische Vorgangsweise, die direkte Arbeit am Symbol bzw. am Komplex.
Nun zur Übertragung: Die Patientin sagte in der letzten Stunde beim Weggehen noch in der Tür: ‘Ich komme in einer Woche wieder und werde Sie wieder belästigen.’ In der Analytischen Psychologie gibt es kein Kochrezept, mit so einer Situation umzugehen. Auf die Ankündigung der Patientin: ‘Nächste Woche komme ich wieder und werde Sie wieder belästigen’ könnte ich auf verschiedene Art und Weise antworten. Ich könnte z. B. sagen: ‘Dann bin ich also der Böse, dem Sie lästig sind’. Oder ich könnte ausweichend antworten: ‘Sie haben jetzt etwas ganz Wichtiges gesagt, wir nehmen uns nächste Stunde viel Zeit dafür, das zu besprechen.’ Ich könnte aber auch übereilt sagen: ‘Um Gottes Willen, wie kommen Sie denn darauf? Ich freue mich auf jede Stunde mit Ihnen.’ Tatsächlich sagte ich: ‘Wie kommen Sie darauf, haben Sie den Eindruck, dass es so ist?’
Jede Antwort muss reflektiert werden, aus welcher Gegenübertragung heraus und mit welchem persönlichen Anliegen sie erfolgt ist. Therapeutisch wichtig ist primär nicht, was ich sage, sondern was ich tatsächlich fühle und denke, was ich wirklich bin.

N. Amendt-Lyon:   Ich möchte von einem jungen Medizinstudenten berichten, den ich vor einigen Jahren für einige Jahre in Behandlung hatte. Er ist das jüngste von drei Kindern, hat zwei wesentlich ältere Brüder, die beruflich ziemlich gescheitert sind. Seine Eltern sind beide Ärzte und haben in ihn sehr große Hoffnungen gesetzt. Auslöser für den Beginn der Therapie war eine stark manische Phase, also Ausbruch eines manisch-depressiven Verlaufs. Als er zu mir kam, er war ungefähr 20 Jahre alt, hat er mich gleich gebeten, ihn zu duzen, und er wollte mich siezen. Da war klar, er möchte eine gewisse Asymmetrie mit mir aufrechterhalten.
Er hat relativ früh etwas für mich sehr Witziges getan. Er ist ca. zehn Minuten vor Beginn seiner Stunde gekommen und hat unten geläutet, ich wohne im obersten Stock eines Altbaus. Ich habe die Tür für ihn geöffnet und bin in einen anderen Raum gegangen. Er ist auf die Toilette verschwunden. Ich bin dann von diesem anderen Raum mit hörbaren Schritten in die Praxis gegangen und wollte auf ihn warten. Er rief aus der Toilette zu mir: ‘Ich komm schon!’ Ich habe darauf nicht geantwortet. Das Ganze hat mich an kleine Kinder erinnert, die beginnen, allein auf die Toilette zu gehen und der Mama zu rufen. Ich habe auf ihn gewartet, er ist gekommen und hat gesagt: ‘Sie haben mich eh gehört.’ Ich erwiderte: ‘Ja, ich hab’ dich gehört.’ ‘Und?’ ‘Ich hab’ auf dich gewartet, ich hab’ das Licht gesehen und das ist in Ordnung. Ich warte hier.’ ‘Aha. Ja, eigentlich brauche ich das gar nicht zu sagen’ hat er dann gesagt.
Es sind immer wieder solche Episoden passiert. Er wollte mir immer imponieren. Er hat immer gemeint, er müsse etwas Großes leisten, wie seine Mutter es von ihm erwartet. Er hat bemerkt, dass ich sehr viele Materialien zum Malen und Zeichnen in der Praxis habe. Er malt selbst und hat angefangen mir Bilder mitzubringen und wollte immer mein Urteil hören: ‘Sind sie nicht toll?’ ‘Wir sind nicht hier, damit ich deine Bilder beurteile. Wenn du hier etwas malen möchtest, können wir das angehen, aber es geht nicht darum, dass ich hier Preise austeile oder Noten verteile.’
Es ging in der Therapie ständig um Klärungen, bei denen ganz offensichtlich war, dass er etwas von mir wollte, was eigentlich an eine andere Stelle hingehörte, oder dass er versuchte, in der Auseinandersetzung mit mir von seiner Mutter loszukommen. Es ist im Laufe der drei Jahre gelungen, dass er von zu Hause ausgezogen ist, wovon er gemeint hatte, seine Eltern würden es ihm nie erlauben und er müsste unter der Brücke schlafen und sie würden ihn enterben und verstoßen. Er war sehr angenehm überrascht, als seine Eltern ihm das Geld für eine eigene Wohnung gaben und er ausziehen und sich langsam von seinen Eltern lösen konnte.

R. Winterauer:            Eine klassische Situation in der systemischen Therapie ist die, dass eine Familie mit dem so genannten Indexpatienten in das Institut oder die Praxis kommt. Der Indexpatient - ein männlicher Jugendlicher - war insofern auffällig, als er in der Schule stark nachgelassen hatte, die Eltern mit ihm nicht mehr zurechtkamen und eine sehr starke Rivalität zum jüngeren Bruder deutlich wurde. Soweit die Beschreibung der Schwierigkeiten durch die Eltern im Erstgespräch.
In diesem konkreten Fall waren wir drei TherapeutInnen und haben mit Einwegscheibe gearbeitet. Das heißt, ich war mit der Familie, drei Personen, in einem Raum und habe gearbeitet, während zwei KollegInnen als Außensystem den Prozess hinter einer Einwegscheibe beobachtet haben. Die Familie war mit dieser Arbeitsweise einverstanden, die KollegInnen wurden ihr auch vorgestellt. Nach ungefähr 20 Minuten gab es eine Unterbrechung der Sitzung mit der Familie und ein kurzes Gespräch zwischen mir und den KollegInnen in einem kleinen Raum nebenan, das von der Familie nicht zu hören war. Beobachtungen und Eindrücke wurden mitgeteilt und mögliche Interventionsformen besprochen. Derartige Besprechungen dauern üblicherweise ein paar Minuten und die Familie wird in Interventionsform informiert.
Die Rückmeldungen in diesem Gespräch mit dem TherapeutInnenteam beziehen sich vor allem auf Übertragungsmechanismen, die in Erscheinung treten, sowie auf mögliche Gegenübertragungen seitens der Therapeutin. Ein Bereich, der im Systemischen eine große Rolle spielt, nämlich die Neutralität, ist in der Teamsituation von nicht so großer Bedeutung. Die Arbeit mit BeobachterInnen macht es möglich, sich als TherapeutIn mehr „in das System hineinzubegeben”, sich kurzfristig zu einem Teil dieses Familiensystems zu machen.
Bei der Einzelarbeit würde ich - auf der Grundlage systemischen Denkens - durchaus viele Ähnlichkeiten mit der von anderen Richtungen beschriebenen Arbeitsweise sehen, je nach Lebens- und Ausbildungsweg der/s TherapeutIn. Erwähnen möchte ich noch das Verfahren der Aufstellungsarbeit, in der sehr stark mit Übertragungsmechanismen und Identifikationen oder projektiver Identifikation gearbeitet wird. Die ganze Aufstellungsarbeit „lebt davon”, jene Mechanismen räumlich sichtbar und spürbar zu machen und sie dann mehr oder weniger auch wieder aufzulösen.

C. Butschek:            Zu mir kam über die verhaltenstherapeutische Ambulanz des AKH eine 21-jährige Medizinstudentin mit dem Anliegen, ihre sozialen Ängste und ihre Prüfungsängste abzubauen. Ihre familiäre Situation schilderte sie folgendermaßen: Sie lebte sehr isoliert, zusammen mit ihrer Zwillingsschwester. Der Vater tauchte manchmal auf. Die Mutter hatte die Familie verlassen, weil sie den Streit der Zwillingsschwestern nicht mehr ertragen konnte, und kümmerte sich auch nicht mehr um den Haushalt. Es gab nur gelegentliche Telefonkontakte und Treffen. Der Vater fragte, wenn er nach Hause kam, nur nach dem Studienfortschritt der Töchter. Die Zwillingsschwester ging mit der Patientin schon in der Mittelschule in dieselbe Klasse. Vornehmliche Themen zu Hause waren Leistung, Latein und Griechisch zu übersetzen sowie anders als die Schulkolleginnen und etwas Besonderes zu sein. Die Zwillingsschwester studierte nun mit der Patientin gemeinsam Medizin, sie ging mit ihr gemeinsam laufen, alles passierte gemeinsam, isoliert von anderen Menschen. Die Patientin hatte, indem sie zu mir kam, jetzt einen Schritt hinaus getan und sich Hilfe geholt. Die Zwillingsschwester wertete sie permanent dafür ab.
Die Diagnostik bezüglich ihrer Schemata ergab Folgendes: Misstrauen als bedeutendstes Schema, alles ist feindselig, hoher Leistungsanspruch, hohe Forderungen an sich selber und ein sehr negatives Selbstbild. Ihr Therapieziel war es, die sozialen Ängste in den Griff zu bekommen, weil ihr diese beim Medizinstudium große Schwierigkeiten machten. Man hätte jetzt sagen können: ‘Okay, es gibt Verhaltensdefizite, Ängste im sozialen Bereich und einen Wunsch der Patientin, das gehen wir an.’ Allerdings, da gab es noch die Beziehungsproblematik in der Familie und den Beziehungsstil.
Ich war von vornherein sehr aufmerksam und vorsichtig bezüglich der therapeutischen Beziehung und neugierig darauf, wie die Patientin mich sah. Es war anzunehmen, dass sie ihre Beziehungserfahrungen mit der Mutter, auch aufgrund meines Alters und Geschlechts, auf mich überträgt. Es kam auch so: Sie sagte mir, was für eine schreckliche Belastung sie für mich darstellen müsse. Ich habe versucht, diese Situation zu klären, ihr das Wesen einer therapeutischen Beziehung zu erläutern und ihr Beziehungsmuster, seine Entstehung und Generalisierung mit ihr gemeinsam zu analysieren. In den weiteren Stunden erfolgte jeweils eine ganz genaue Nachbesprechung dessen, was sie von mir gehört bzw. was sie verstanden hat, wie sie es interpretiert und wie sie sich dabei gefühlt hat. Danach gab ich ihr Feedback darüber, wie ich sie in der Therapiestunde erlebt hatte.
Der Schwerpunkt lag also in der Beziehungsarbeit, bei der Veränderung ihres Beziehungsmusters, klassische verhaltenstherapeutische Techniken bezüglich ihrer sozialen Ängste wurden nur sehr vorsichtig und sparsam angewendet. Aufbau von Selbstvertrauen, Relativierung ihrer Grundüberzeugungen standen im Vordergrund. Die verhaltenstherapeutische Position ist keine der Abstinenz, sondern eine der Unterstützung.

N. Neuretter:            Ich möchte eine Klientin beschreiben, ca. fünfzig Jahre alt, die mit depressiven Zustandsbildern zu mir kam. Sie war fast arbeitsunfähig, in psychiatrischer, medikamentöser Therapie und lebte sehr zurückgezogen. Sie hatte wenig Außenkontakte und war immer sehr erschöpft von ihrer Arbeit. Sie hatte schon mehrere Therapieabbrüche hinter sich. Insgesamt war sie sechs Jahre lang bei mir, und ich möchte jetzt eine Sequenz beschreiben, die im mittleren Teil der Therapie lag, um die Methodik des Psychodramas, die Dreieckssituation, also Klient, Therapeut und das Thema, zu verdeutlichen.
In einer Sitzung bemerkte die Klientin, dass sie Schwierigkeiten mit dem Kochen hat, dass sie irgendwie die Kochinstrumente nicht nehmen kann. Das war ein eigenartiges Thema und meine Fantasien sind woanders hingegangen. Ich habe versucht, dass sie die Positionen von diesen Kochgeräten, die ihr so Schwierigkeiten machen, einnimmt, und was sich herausgestellt hat, war, dass es um eine ganz spezielle Form eines Kochlöffels ging. Dies war die erste Szene, die wir angespielt haben.
Über diese Szene sind wir dann in die nächste Szene hineingegangen. Sie lebte als kleines Mädchen mit ihrer Mutter alleine, und die Mutter hatte sehr viele Männerbekanntschaften. Immer dann, wenn ein Mann zu Besuch kam und die Mutter das Mädchen zum Bett brachte, hat sie ihr auf die Bettdecke den Kochlöffel gelegt. Das Mädchen hat dann ganz genau gewusst, was dann mit diesem Ding und mit ihr passiert, wenn es stört. Es hat mehrere Sitzungen gedauert, bis wir zu dieser Szene gekommen sind und bis wir versucht haben, in der Nacharbeitung dieser Szene, die vollkommen isolierte Atmosphäre dieses kleinen Mädchens herauszuarbeiten, das sehr einsam und zurückgezogen leben musste, mit ihrer Mutter.
Die einzige Ressource dieses kleinen Mädchens war, dass sie Geschichten erfunden hat, innere Bilder. Sie hat sehr viel gemalt, um aus ihrem Käfig, aus ihrer inneren, engen Bühne hinauszukommen. Diesen Zugang, ihre Kreativität, haben wir dann weiterentwickelt, als Chance, um aus dieser Enge herauszukommen. Diese Erweiterung ihres dysfunktionalen Tagesablaufs war dann schrittweise möglich.

G.-W. Speierer:            Ja, was ich zeigen möchte, ist, dass wenn sich der Therapeut oder die Therapeutin empathisch verstehend verhält, Übertragung die Tendenz hat, sich aufzulösen und anstelle eines übertragenen Gefühls ein Stück Realität Platz greift. Ich verwende dazu die Vorstellung einer Klientin, die in der gesprächspsychotherapeutischen Literatur als besonders schwerer Fall von Übertragung, vielleicht der schwerste, den ich überhaupt gefunden habe, dargestellt worden ist. Die Veröffentlichung des Transkripts, aus dem ich einige Sätze zitiere, stand erstmals in dem klassischen Buch von Rogers (1951). Wenn Sie dieses Buch „Client-Centered Therapy” kennen, da sind eine ganze Reihe von Transkripten mit Übertragungen in der Gesprächstherapie. Dort können sie es noch nachlesen, denn sie hören es ja jetzt nur kurz.
Es geht also um eine Klientin, die ca. 35 Jahre alt ist. Das Problem der Klientin ist, dass sie zweifelt, ob sie in ihrer Vergangenheit von ihrem Vater sexuell missbraucht worden ist. Ich glaube, das ist auch charakteristisch, dass bestimmte Klienten eher gefährdet sind zu übertragen. Sie zweifelt, ob sie in ihrer Vergangenheit von ihrem Vater sexuell missbraucht worden ist. Sie hat Schuldgefühle, als ob das real ist, aber sie ist sich nicht sicher, ob es real ist. Also klinisch stellt sich die Frage, ob da vielleicht auch etwas Schizophrenes mit im Spiel ist. Sie ist also eine Klientin, die man eher zu den schwerer Gestörten zählt, und die ein Problem hat, zwischen Realität und Vorstellung zu unterscheiden.
Die zitierten Sätze sind aus der neunten Sitzung, und die Klientin sagt: ‘Heute morgen habe ich meinen Mantel draußen hingehängt, anstelle hier in Ihrem Zimmer. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Sie mag, und ich habe befürchtet, dass ich mich umdrehen würde, um Sie zu küssen, wenn Sie mir in den Mantel geholfen hätten.’ Darauf der Therapeut: ‘Sie dachten, diese Gefühle der Zuneigung könnten Sie veranlassen, mich zu küssen, wenn Sie sich nicht vor sich selber schützen würden.’ Darauf die Klientin: ‘Nun, ein weiterer Grund, weshalb ich meinen Mantel draußen hin gehängt habe, ist der, dass ich abhängig sein möchte, aber ich möchte Ihnen zeigen, dass ich nicht abhängig sein muss.’ Darauf der Therapeut: ‘Sie möchten beides sein und beweisen, dass Sie das nicht sein müssen.’ Dann noch einen Satz aus dem Ende dieses Gespräches: Klientin: ‘Ich habe noch nie jemandem gesagt, er sei die wundervollste Person, die mir je begegnet ist, aber ich habe es zu Ihnen gesagt, und es ist nicht nur sexuell, es ist mehr als das.’ Darauf der Therapeut: ‘Sie fühlen sich wirklich sehr zu mir hingezogen.’
Jetzt noch eine kurze Passage aus dem nächsten Gespräch: Die Klientin sagt: ‘Ich denke, vom Gefühl her würde ich wirklich gern mit Ihnen schlafen, aber ich handle nicht entsprechend. Das Einzige was ich möchte, ist eine sexuelle Beziehung mit Ihnen. Ich traue mich nicht, Sie zu fragen, weil ich fürchte, Sie könnten mir ausweichen.’ Der Therapeut: ‘Sie spüren diese schrecklichen Spannungen und Sie hätten so gerne eine Beziehung mit mir.’ Die Klientin: ‘Können wir nicht etwas dagegen tun? Diese Anspannung ist schrecklich. Werden Sie diese Spannungen lösen? Können Sie mir eine endgültige Antwort geben? Ich glaube, das würde uns beiden helfen.’ Darauf der Therapeut: ‘Die Antwort würde Nein sein. Ich kann Ihr Gefühl der Verzweiflung verstehen, aber ich bin nicht bereit, das zu tun, mit Ihnen zu schlafen.’ Dann gibt es eine Pause, und die Klientin sagt mit einem Seufzer der Erleichterung: ‘Ich glaube, das hilft mir. Nur wenn ich erregt bin, bin ich so. Sie sind stark und das macht mich stark.’
Soweit das Zitat - ein Beispiel von Übertragung und was das eingehende Verständnis bewirkt.

A. Ruhs:            Die Transformation des Übertragungsphänomens in einen narrativen Diskurs nimmt sehr häufig anekdotischen Charakter an und trifft dann nicht das, was in der klinischen Arbeit wirklich Übertragung bedeutet: Was will der andere mir sagen und welche Beziehung stellt er damit zu mir her. Wenn ich zu jemandem sage: ‘Mach das Fenster auf!’, dann sage ich ihm einerseits, dass es hier heiß ist oder dass es hier stinkt, aber ich stelle gleichzeitig eine Machtbeziehung zu ihm her, indem ich über ihn verfüge und ihn dazu zwinge, etwas für mich zu tun. Daraus hat sich eine vorwiegende Betonung der Hier-und-Jetzt-Aspekte der Psychoanalyse ergeben. Nur Hier-und-Jetzt-Deutungen, so sagt man, können Veränderungen bewirken. Diese Form der Arbeit an der Übertragung - was immer der Patient sagt, sagt er auch mir als Anwesendem und definiert damit eine bestimmte Beziehung zu mir - ist etwas, das die Psychoanalyse von Anfang an begleitet und das sich nicht punktuell auf einige Abschnitte reduzieren lässt. Das gilt nicht nur für das klassische Setting der Psychoanalyse auf der Couch, sondern auch für die analytische Psychotherapie im Gegenübersitzen, aber auch für die anderen Anwendungen der klinischen Psychoanalyse, etwa im analytischen Psychodrama oder in der Gruppenpsychoanalyse.
Zur Illustration: Ein etwa 40-jähriger Mann strebte eine Analyse an, ein gebildeter Intellektueller, der bereit war, über viele Dinge, die ihn vor allem in seinem Privat- und Sexualleben störten, offen und freimütig zu berichten, aber immer mit der Neigung, die Gefühle von seinen Erzählungen abzuspalten. Indem seine Symptome als Fragezeichen fungierten, erwies er sich als analysefähig, denn es interessierte ihn die Bedeutung all dieser Dinge, die ihm immer wieder passierten oder die er immer wieder tat, wobei er, ganz im Sinne einer spezifischeren Übertragungsdefinition, dem Analytiker ein diesbezügliches Wissen unterstellte, auf ihn ein Wissen über sein Unbewusstes übertrug.
Die Beschäftigung mit diesem Übertragungsaspekt (erst im Verlauf der Kur erlebt der Patient, dass er selbst über dieses unbewusste Wissen verfügt) steht schon am Beginn des Erstinterviews und ist für die Indikation für eine Psychoanalyse mitentscheidend. Die Frage nach der darüber hinausgehenden unbewussten Beziehungsform zum Analytiker ist ein weiterer Teil der Diagnostik und lässt auf die Art einer künftigen basalen Übertragungsmanifestation schließen. In dieser Hinsicht erwies sich der besagte Patient als zwangsneurotischer Charakter. Die Grundlage der ihm noch unbewussten Beziehung, die er zu mir herstellte, sollte sich nicht nur in der ersten Stunde, sondern schon in der ersten Sekunde zeigen. Er begann die erste Sitzung mit „Naja”, und da sich dies wiederholte und jede Stunde mit „Naja” begonnen wurde, ließ sich schließen, dass es hier um eine vorherrschend ambivalente Beziehung ging, um eine Scheingefügigkeit. Man war darauf gefasst, dass hier jemand „Ja” sagt und „Nein” tut.
Tatsächlich stellte sich dies auch in den folgenden Monaten immer wieder her, ein pünktliches Erscheinen, ein braves Verhalten, aber auch das, was man anales Vernebeln nennt sowie eine völlige Reduzierung des Analytikers auf etwas Abwesendes, auf ein Nichts. Man könnte fast sagen: keine Übertragung, aber in Wirklichkeit ist es eine Übertragung der Nichtübertragung, und das heißt, den anderen zu negieren, zu vernichten. So ergab sich schließlich die Intervention: ‘Sie müssen mich vollständig zerstören und können mir nichts geben, denn wenn ich Ihnen etwas geben würde, was Sie verstehen, hätten Sie Angst, sich ganz hinzugeben und damit zu verschwinden und selbst zu einem Nichts zu werden.’
So ungefähr, soweit ich mich erinnern kann, war meine Intervention, was offenbar dazu führte, dass er mir nach dem Ende dieser Analysestunde in der Toilette tatsächlich ein Nichts, einen Dreck hinterlassen hat, einen stinkenden Haufen als eine Art von Geschenk, was in der Folge Anlass gegeben hat, sich mit dem Nichts und mit dem Hintergrund dieses Nichts zu beschäftigen, auf das er sich reduzierte, auf das er aber auch den anderen reduzierte, bis es schließlich zu einem Geständnis seinerseits über gewisse perverse Praktiken in einschlägigen Häusern gab, wo er sich selbst auf ein Nichts, auf ein Stück Scheiße im wahrsten Sinne des Wortes stets reduzierte, um für die Lust des anderen zu arbeiten und um in der Identifizierung mit dem anderen zu einem vollständigen Genießen jenseits der symbolischen Kastration zu kommen.

U. Lukan:            Danke. Welche Anmerkungen kommen aus dem Plenum?

Publikum:            Ich denke, dass es im Psychoanalytischen oder auch im sonstigen therapeutischen Setting sehr schwierig auszumachen ist, wo Übertragung beginnt und wo sie aufhört. Das kann sicher auch ein missbräuchliches Instrumentarium sein, wenn möglicherweise das therapeutische Ziel schon erreicht ist, die Symptome beseitigt sind und der Analysand die Idee hat, die Analyse zu beenden, und der Analytiker dann damit kontert, dass dies nur Widerstand sei, vor allem bei einem Analysanden, der kein analytisches theoretisches Wissen hat. Ich stelle mir das schwierig vor, und ich kann mir auch vorstellen, dass Therapeuten dann dazu tendieren könnten oder dazu verführt werden, das immer als Widerstand zu erfahren.

Publikum: Aus meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen weiß ich, dass es hier nicht möglich ist, in der Abstinenz zu bleiben, ohne ausschließlich zu frustrieren und zu wiederholen. Es ist ganz wichtig als Mensch und als Person, Begegnung zu ermöglichen, weil es oft so ist, dass die Kinder und Jugendlichen sehr verwahrlost sind und keine adäquaten Begegnungen im eigentlichen Sinne erlebt haben. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es dann darum, im Sinne der Echtheit der Erfahrung auch als Mensch zur Verfügung zu stehen.

Publikum: Mir ist deutlich geworden, dass die Therapieschulen das Übertragungsphänomen sehr unterschiedlich handhaben. Es gibt einige, da ist Therapie Arbeit mit Übertragung. Es gibt andere, da ist die Übertragungsarbeit eine Hauptmethode, und dann gibt es Therapierichtungen, da ist die Arbeit mit Übertragung eine kleine Methode, neben vielen anderen, die dann genutzt wird, wenn sie gebraucht wird, damit der Patient sein Ziel erreichen kann. Ich frage mich, über welche Patienten wir eigentlich reden. Ich habe mir bei den Fallvignetten schwer gestörte Patienten vorgestellt, die mit Depressionen in der psychiatrischen Klinik leben, oder Sexualstraftäter in der forensischen Abteilung und so weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich schwerpunktmäßig mit diesen Personen mit Übertragungsphänomenen arbeiten soll. Der Sexualstraftäter überträgt auf mich höchstens, dass ich ein Teil der staatlichen Gewalt bin, er identifiziert sich nicht mit irgendeiner Vaterfigur mit mir. Bei dem Menschen, der schwer in der Krise steckt, muss ich eventuell zunächst schauen, ob er noch etwas im Kühlschrank hat, damit er die nächsten Tage überleben kann. Da versuche ich nicht, mit irgendwelchen Übertragungen zu arbeiten. Ich möchte die Arbeit mit Übertragungen nicht abwerten, aber ich möchte feststellen, dass dieses Übertragungsphänomen ein ganz kleiner Baustein in der Therapie ist.

U. Lukan:            Danke. Ich sage nur kurz abschließend, dass sich gezeigt hat, wie spannend, wie notwendig und wie schwierig der interdisziplinäre Diskurs über solche Phänomene, die doch alle kennen, auch ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

1 Dies ist eine stark gekürzte und überarbeitete Version der zweimal 90 Minuten dauernden Podiumsdiskussion

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