Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(7): 311
DOI: 10.1055/s-2002-20147
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

BSE - Eine Ursache für die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit?

BSE - A cause for Creutzfeldt- Jakob disease?
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Publication Date:
14 February 2002 (online)

Seit Auftreten der ersten BSE-Fälle bei einheimischen Rindern im November 2000 stellt sich die Frage, ob wir auch in Deutschland mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit rechnen müssen. Sie wurde bisher nur in Großbritannien (113 Fälle), Frankreich (fünf Fälle) und Irland (ein Fall) beobachtet. Die sporadische Form tritt weltweit mit etwa derselben Häufigkeit von 1:1 Million pro Jahr auf und ist in ihrem Erscheinungsbild in den verschiedenen Ländern vergleichbar. Wie aus dem Artikel von Mollenhauer et al. (Seite 312) hervorgeht, ist der Anstieg der an CJK verstorbenen Patienten pro Jahr durch die besondere Aufmerksamkeit zu erklären, die dieser Krankheit in den letzten Jahren zuteil wurde. In Deutschland sind drei Quellen verfügbar, die eine Abschätzung der Häufigkeit erlauben: 1. Das seit 1993 bestehende freiwillige Meldesystem über die behandelnden Kliniken, 2. die 1994 eingeführte gesetzliche Meldepflicht und 3. die Totenscheinstatistik.

Leider war es wegen der rigiden Datenschutzgesetzgebung in Deutschland bisher nicht möglich, durch Vergleich der drei Erfassungssysteme einen Rückschluss auf die Dunkelziffer mit Hilfe der Capture-Recapture-Methode zu ziehen. Die Zahl der nicht erfassten Fälle ist u.a. davon abhängig, wie gut es gelingt, andere schnell verlaufende Demenzen, wie z.B. eine Untergruppe der Alzheimer-Kranken von der CJK abzugrenzen. Hier leisten neben den klinischen Symptomen die Zusatzuntersuchungen eine wertvolle Hilfe (s. Beitrag Zerr et al., Seite 323). Die Bestimmung sog. Surrogatmarker, vor allem der Nachweis der 14-3-3-Proteine im Liquor, erwies sich den anderen Zusatzuntersuchungen (EEG, Kernspintomogramm) als überlegen. Die von Tumani et al. geschilderte Kasuistik (Seite 318) belegt dies: Eine Patientin, bei der das wichtigste Kriterium für eine CJK, nämlich die rasch fortschreitende Demenz, wegen einer schweren Dysarthrie nicht belegt werden konnte, zeigte nicht die pathognomonischen EEG-Veränderungen, wohl aber die 14-3-3-Proteine im Liquor.

Heppner und Aguzzi beschäftigen sich in ihrem Beitrag (Seite 328) mit der Frage, ob und - wenn ja - über welchen Mechanismus es möglich ist, durch Antikörper gegen das physiologische Prionprotein die Infektion mit pathologischem Prionprotein zu verhindern. In der Zürcher Arbeitsgruppe sind dazu entscheidende Experimente durchgeführt worden, die zwar zusammen mit den Ergebnissen anderer Autoren Hoffnung auf künftige Therapiemöglichkeiten wecken, aber - wie die Autoren selbst betonen - noch weit von der Anwendung beim Menschen entfernt sind. Dies gilt auch für andere experimentelle Versuche, die Replikation von Prionen zu verhindern. Um den therapeutischen Einsatz des Antimalariamittels Quinacrin bzw. des Neuroleptikums Chlorpromazin bei an CJK erkrankten Patienten ist es nach anfänglichem Optimismus wieder still geworden.

Die bisher fehlenden therapeutischen Möglichkeiten lassen es umso wichtiger erscheinen, jede mögliche Übertragung von Mensch zu Mensch (iatrogene Form der CJK) durch konsequente Desinfektionsmethoden und die Aufnahme BSE-haltiger Gewebe durch die Nahrungskette (neue Variante der CJK) zu unterbinden. Allerdings wird durch diese Maßnahmen das Auftreten der häufigsten Form (sporadische CJK) nicht verhindert.

Wie Beekes und Kurth in ihrem Beitrag (Seite 335) darstellen, ist die Vermeidung der iatrogenen Übertragung bei den in Deutschland bisher beobachteten Formen durch verschärfte Desinfektions- und Sterilisationsmaßnahmen medizinischer Produkte und potenziell infizierter Instrumente weitgehend gewährleistet. Unkalkulierbar bleibt derzeit das Risiko der Übertragung der neuen Variante von Mensch zu Mensch. Im Gegensatz zu den sporadischen Formen, bei denen sich nur im Gehirn, Rückenmark und Auge relevante Erregermengen finden, ließ sich bei der neuen Variante auch in peripheren Geweben (z.B. Tonsillen) pathologisches Prionprotein nachweisen. Die Möglichkeit, die neue Variante über Blut und Blutprodukte zu übertragen, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden und hat deshalb die Gesundheitsbehörden zu zahlreichen Neuerungen im Transfusionswesen veranlasst (s. Beitrag Poser et al., Seite 331).

Leider fehlt bisher eine verlässliche Methode, mit der das pathologische Prionprotein zu Lebzeiten in Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden kann. Die jetzt üblichen sogenannten BSE-Tests weisen den Erreger im Gehirn geschlachteter Tiere nach, sind also der autoptischen Sicherung der CJK-Diagnose durch den Neuropathologen vergleichbar. Zudem sind die als Screening verwendeten Schnelltests auf BSE - wie das Beispiel fehlerhafter Tests in Bayern zeigt - unterschiedlich verlässlich.

Alle bis hier erwähnten Artikel gehen davon aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Rinderseuche BSE und dem Auftreten der neuen Variante von CJK besteht. Eine Gegenposition bezieht Scholz (Seite 341), der versucht, mit seinen 25 Thesen den Leser davon zu überzeugen, dass BSE nicht durch ein infektiöses Agens verursacht ist und damit keine Gefahr für den Menschen darstellt. Durch eine Selektion der Literaturzitate erscheint diese Hypothese zunächst recht schlüssig. Im abschließenden Beitrag ergänzt Schulz-Schaeffer (Seite 344) jedoch die Literatur und kommt - in Übereinstimmung mit fast allen Prionforschungsgruppen - zu dem Schluss, dass der formale Beweis des Zusammenhanges zwischen BSE und vCJK zwar noch aussteht, aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse aber sehr wahrscheinlich ist.

Trotz aller Probleme und Ängste, die durch BSE und vCJK aufgekommen sind, darf nicht übersehen werden, dass die Grundlagenforschung in rasantem Tempo Erkenntnisse über neue Prinzipien der Krankheitsentstehung erbracht hat, die nicht nur der sehr seltenen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zugute kommen, sondern möglicherweise für das Verständnis und therapeutische Optionen bei weitaus häufigeren Krankheiten wie der Alzheimer-Demenz entscheidend wichtig sind.

Korrespondenz

Prof. Dr. S. Poser

Prionforschungsgruppe, Neurologische Universitätsklinik

Robert-Koch-Str. 40

37075 Göttingen

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