Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(25/26): 758-760
DOI: 10.1055/s-2001-15095
Aktuelle Diagnostik & Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Aktuelle Therapie des Sneddon-Syndroms[1]

Current therapy of Sneddon’s syndromeJ. Wohlrab, M. Fischer, W. Ch Marsch
  • Universitätsklinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie (Direktor: Prof. Dr. W.Ch.Marsch) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Eine Empfehlung für ein validiertes therapeutischen Vorgehen zur Behandlung von Patienten mit einem Sneddon-Syndrom kann wegen der Seltenheit der Erkrankung und dem Fehlen von nach »Good Clinical Practice (GCP)«-Richtlinien evaluierten pharmakotherapeutischen Studien nicht gegeben werden. Um eine erfolgreiche Therapie zu gewährleisten, ist die Erkennung von Triggerfaktoren und deren konsequente Ausschaltung von wesentlicher Bedeutung.

Außer der markanten Gynäkotropie [16] und eines wahrscheinlichen, bisher noch nicht erhellten genetischen Hintergrundes [8] sind Triggerfaktoren bekannt, die das Sneddon-Syndrom klinisch initiieren und unterhalten. Dies sind gefäßaffizierende Noxen mit dem Ziel Endothelzelle und Thrombozyt, ebenso wie Rauchen und Östrogene [Tab. 1] . Darüber hinaus sollten Erkrankungen, insbesondere Spirochäteninfektionen, mit einer durch Antigenverwandtschaft bedingten Kreuzreaktivität zu Autoantikörpern beachtet werden. Die gezielte Karenz der Triggerfaktoren führt nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung oder Restitution der klinischen Symptome, ist aber unbedingt klinisch zu fordern und dauerhaft zu propagieren. Die klinische Symptomatik konnte in Einzelfällen durch Meidung entscheidend verbessert werden [16].

Grundsätzlich kann nur die Minderung oder das Aufhalten der Progression (Progressionsprophylaxe) als therapeutisches Ziel definiert werden. Der therapeutische Maßstab sollte sich zum einen an der klinischen Symptomatik, zum anderen an den vermuteten pathogenetischen Mechanismen orientieren. Eine Restitutio ad integrum hinsichtlich der Livedo ist aus dermatologischer Sicht auch durch intensive Therapie nicht zu erreichen.

Bisher sind lediglich anekdotische Therapieberichte verfügbar, die im Wesentlichen auf eine Verbesserung der rheologischen Eigenschaften des Blutes bzw. auf eine Hemmung von entzündlichen Phänomenen abzielen. Da als pathogenetischer Hauptfaktor derzeit eine autoimmunologische Ursache am wahrscheinlichsten scheint [8] [16], liegt die Verwendung von antiinflammatorischen und immunsuppressiven bzw. immunmodulierenden Substanzen nahe. So wird über die Anwendung von Kortison alleine oder in Kombination mit weiteren Immunsuppressiva berichtet [9]. Diese anekdotischen Therapieberichte sind hinsichtlich ihrer zielorientierten Wirksamkeit nicht einschätzbar. Wir halten eine immunsuppressive Langzeittherapie für nicht indiziert.

kurzgefasst: Therapieempfehlungen basieren aus Mangel an randomisierten, placebokontrollierten Studien auf Expertenmeinungen. Wichtig ist die therapiebegleitende, konsequente und dauerhafte Meidung der erkannten Triggerfaktoren.

Gemäß den dargestellten pathogenetischen Details empfehlen wir, die Pharmakotherapie auf folgende drei Ebenen zu orientieren:

Tab. 1 Triggerfaktoren des Sneddon-Syndroms. Rauchen hormonelle Kontrazeption (östrogenhaltige Präparate), Schwangerschaft Erkrankungen mit einer durch Antigenverwandtschaft bedingten Kreuzreaktivität (z. B. systemischer Lupus erythematodes (SLE), Syphilis, Borreliose, Periarteriitis nodosa)

Minderung fokaler thrombembolischer Vorgänge

Nach unserer Erfahrung hat sich für die antithrombotische Langzeitbehandlung Ticlopidin bewährt. Andere Autoren favorisieren mikroverkapselte Acetylsalicylsäure (ASS) allein oder in Kombination mit Dipyridamol [2] [5]. Bezüglich der Therapie einer häufigen Imbalance zwischen Plasminogen-Aktivator und Plasminogen-Inhibitor berichten Devos et al. über positive Erfahrungen mit ASS [2]. Eine Heparinisierung gleich welcher Art stellt ebenfalls eine mögliche Therapieoption dar. Einige Autoren berichten über den erfolgreichen Einsatz von Warfarin [3] [7] oder anderen oralen Antikoagulanzien [8].

Hemmung der Proliferation und Migration von subendothelialen Mediamyozyten in Arteriolen

[1]Eine Hemmung der Proliferation von glatten Muskelzellen ist sowohl für Captopril als auch für Prostaglandin E1 beschrieben. Captopril wird als ACE-Hemmer bereits vielfach zur Behandlung der arteriellen Hypertonie eingesetzt. Angiotensin II ist neben seiner Funktion bei der Blutdruckregulation unter anderem auch ein Wachstumsfaktor. Mehrere Studien konnten bereits zeigen, dass sowohl Gefäßendothelzellen als auch glatte Muskelzellen unter der Anwesenheit von Angiotensin II proliferieren [1] [11]. In zahlreichen tierexperimentellen Modellen ist versucht worden, Gefäßendothelzellschäden und deren Reparatur, die z. B. nach einer Ballondilatation auftreten, nachzuvollziehen. Neben Captopril wurden auch verschiedene andere ACE-Hemmer, aber auch Angiotensinrezeptorantagonisten und diverse Antihypertonika (Verapamil, Minoxidil, Hydralazin etc.) eingesetzt. Während es unter den ACE-Hemmern und den Angiotensinrezeptorantagonisten zu einer nachweisbaren Proliferationshemmung kommt, lässt sich dies für die anderen Antihypertonika nicht nachweisen. Der Wirkmechanismus, der diesem Phänomen zugrunde liegt, ist unklar. Es gibt Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass dies auf Effekte im Kallikrein-Kinin-System und im Prostaglandinstoffwechsel zurückzuführen ist. Für Captopril konnte darüber hinaus ein antiproliferativer Effekt gezeigt werden, der vermutlich unabhängig von der ACE-Hemmung zu sehen ist [5] [15]. Nguyen et al. konnten an humanen Lungenfibroblasten in vitro nachweisen, dass trotz exogen zugeführtem Angiotensin II die Fibroblastenproliferation inhibiert wurde [10]. Bei einem Vergleichs-ACE-Hemmer war dies nicht der Fall. Dieser antimitotische Effekt ist nach Ansicht der Autoren auf die Thiolgruppe (SH-Gruppe) zurückzuführen. Inwieweit diese Ergebnisse auf die Verhältnisse in vivo übertragbar sind, ist zur Zeit allerdings noch unklar.

Rheologische Verbesserung der mikrozirkulatorischen Perfusion

Mit Prostaglandin E1 sind in den letzten Jahren vor allem bei der chronisch arteriellen Verschlusskrankheit intensive Erfahrungen gesammelt worden. Die pharmakologischen Eigenschaften dieser körpereigenen Substanz sind sehr vielfältig. Sie umfassen zunächst einen vasodilatatorischen Effekt, der durch eine direkte Wirkung auf die vaskuläre Muskulatur, die Inhibition der vasokonstriktorischen Wirkung von Leukotrien D4 und einen antiadrenergen Effekt zustande kommt. Die Verminderung der Thrombozytenreagibilität hingegen wird durch eine Hemmung der Formänderung (shape change), Sekretion und Aggregation erzielt. Eine zusätzliche Inhibition der Synthese des aggregationsfördernden Thromboxans verstärkt die Wirksamkeit [13]. Die Steigerung der fibrinolytischen Aktivität wird auf eine Stimulation des Plasminogenaktivators zurückgeführt. Prostaglandin E1 verbessert darüber hinaus durch gesteigerte Utilisation von Sauerstoff und Glukose die Zellatmung und verschiebt damit das Gleichgewicht vom anaeroben in den aeroben Bereich. Darüber hinaus sind eine Hemmung der Neutrophilenaktivierung, eine antiatherosklerotische Wirkung, eine Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes und eine Verbesserung der LDL-Rezeptorbindung weitere Wirkspektruminhalte dieser Substanz. Sinzinger konnte eine deutliche Verminderung der proliferativen Aktivität glatter Muskelzellen sowohl in der Intima wie auch der benachbarten Media nachweisen [12].

kurzgefasst: Die Pharmakotherapie sollte sich an den bekannten pathogenetischen Details A. Minderung fokaler thrombembolischer Risiken, B. Hemmung der Proliferation und Migration von subendothelialen Mediamyozyten in Arteriolen und C. rheologische Verbesserung der mikrozirkulatorischen Perfusion orientieren.

Aus den dargelegten, an der formalen Pathogenese orientierten Gründen halten wir derzeit das folgende pharmazeutische Therapiekonzept für rational gut begründet [Tab. 2]. Wir behandeln fünf Patientinnen mit einer Livedo racemosa generalisata und neuropsychiatrischen Defektsymptomen (bisymptomatischer Typ) mit dieser Therapie bereits über 3-5 Jahre. Diese zeigten unter der Therapie keine Zunahme der Livedo, insbesondere aber keine Entwicklung oder Verschlechterung von passageren oder persistierenden neuropsychiatrischen Symptomen. Angesichts der trotz intensiver Therapie ernsten Prognose ermöglicht dieses Therapieschema eine individuelle Gewichtung der einzelnen Medikamente und der therapiefreien Intervalle nahezu optimal. Möglicherweise besitzt das Prostazyklinderivat Iloprost noch günstigere Eigenschaften, insbesondere in Bezug auf das vasodilatatorische und thrombolytische Potenzial.

Tab. 2 Therapieschema bei Sneddon-Syndrom. Prostaglandin E1 60 µg in 250 ml NaCl i. v. 4-wöchiger Therapiezyklus und 4-wöchige Pause (insgesamt 6 Zyklen), dann Pausen um jeweils 2 Wochen verlängern (individuelle Anpassung erforderlich!) Ticlopidin 2 x 250 mg Captopril 1 x 50 mg unter Blutdruck-Kontrolle (ggf. 2 x täglich)

Demgegenüber beobachteten wir eine Patientin mit ausgeprägtem Hautbefall und Apoplexia cerebri, die eine Therapie grundsätzlich ablehnte und ca. ein Jahr nach der Diagnosestellung sowie 3 Jahre nach Krankheitsbeginn an einer erneuten akuten Apoplexia cerebri verstarb. Die Zusammenschau dieser sechs Patienten belegt die Notwendigkeit einer pathogenetisch begründeten Langzeit-Pharmakotherapie. Insgesamt ist aus heutiger Sicht ein therapeutischer Nihilismus unangebracht.

1 Der Beitrag »Aktuelle Diagnostik des Sneddon-Syndroms« ist im vorhergehenden Heft erschienen (Nr. 24)

Literatur

  • 1 Bokemeyer D, Schmitz U, Kramer H J. Angiotensin II-induced growth of vascular smooth muscle cells requires an Src-dependent activation of the epidermal growth factor receptor.  Kidney Int. 2000;  58 549-558
  • 2 Devos J, Bulcke J, Degreef H, Michielsen B. Sneddon’s syndrome: generalized livedo reticularis and cerebrovascular disease. Importance of hemostatic screening.  Dermatology. 1992;  185 296-299
  • 3 Dupont S, Fenelon G, Saiag P, Sirmai J. Warfarin in Sneddon’s syndrome.  Neurology. 1996;  46 1781-1782
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  • 8 Lousa M, Sastre J L, Cancelas J A, Gobernado J M, Pardo A. Study of antiphospholipid antibodies in a patient with Sneddon’s syndrome and her family.  Stroke. 1994;  25 1071-1074
  • 9 Mesa H A, Lang B, Schumacher M, Vaith P, Peter H H. Sneddon’s syndrome and phospholipid antibodies.  Clin Rheumatol. 1993;  12 253-256
  • 10 Nguyen L, Ward W F, Tsao C H, Molteni A. Captopril inhibits proliferation of human lung fibroblasts in culture: a potential antifibrotic mechanism.  Proc Soc Exp Biol Med. 1994;  205 80-84
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  • 12 Sinzinger H. Inhibition of mitotic and proliferative activity of smooth muscle cells by prostaglandin E1. Heidelberg: Springer In: Sinzinger H, Rogatti W ed.: Prostaglandin E1 in atherosclerosis. 1st ed 1986: 39-48
  • 13 Sinzinger H, Virgolini I, Fitscha P. Wirkmechanismen von Prostaglandin E1 bei Atherosklerose. Heidelberg: Springer In: Heidrich H, Böhme H, Rogatti W ed.: Prostaglandin E1-Wirkungen und therapeutische Wirksamkeit. 1st ed 1988: 14-24
  • 14 Sitzer M, Sohngen D, Siebler M. et al . Cerebral microembolism in patients with Sneddon’s syndrome.  Arch Neurol. 1995;  52 271-275
  • 15 Wang D W, Zhao H Y, Yang S L, Deng Z D. Effects of captopril on platelet cytosolic free Ca2+ concentrations and suppression of cell proliferation in culture.  J Tongji Med Univ. 1993;  13 183-185
  • 16 Zelger B, Sepp N, Stockhammer G. et al . Sneddon’s syndrome. A long-term follow-up of 21 patients.  Arch Dermatol. 1994;  130 519-520

Fußnoten

1 Der Beitrag »Aktuelle Diagnostik des Sneddon-Syndroms« ist im vorhergehenden Heft erschienen (Nr. 24)

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