Z Geburtshilfe Neonatol 2016; 220(02): 47
DOI: 10.1055/s-0042-104714
Journal Club
Geburtshilfe
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Depression in der Schwangerschaft – Erhöhtes Autismus-Risiko bei Einnahme von Antidepressiva

Further Information

Publication History

Publication Date:
25 April 2016 (online)

Hintergrund: Der Anteil der US-amerikanischen und kanadischen Frauen, die aufgrund einer depressiven Störung während der Schwangerschaft Antidepressiva (AD) einnehmen, steigt. Ob die Kinder dieser Mütter langfristig ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen des autistischen Formenkreises haben, wird kontrovers diskutiert. Eine kanadische Arbeitsgruppe ist dieser Frage anhand einer Register-basierten Kohortenstudie nachgegangen.

Methoden: Boukhris und Kollegen haben die prospektiv erhobenen Daten der „Québec Pregnancy / Children Cohort“ ausgewertet. Im Rahmen dieser noch andauernden Kohortenstudie wird das maternale und kindliche Outcome aller im Zeitraum zwischen 1998 und 2009 in der Provinz Québec / Kanada eingetretenen Schwangerschaften untersucht. Alle reifen Neugeborenen (Einlinge, Gestationsalter ≥ 37 SSW) wurden in die Analyse einbezogen. Informationen zum soziodemographischen Hintergrund, zu chronischen physischen bzw. psychiatrischen maternalen Erkrankungen, zur antidepressiven Medikation, zu neonatalen Parametern sowie zur kindlichen Entwicklung wurden mit Hilfe administrativer und klinischer Register gewonnen. Unter Berücksichtigung maternaler und neonataler Einflussvariablen wurde untersucht, ob eine pränatale Exposition gegenüber verschiedenen AD-Gruppen (Selektive Serotonin Reuptake-Inhibitoren / SSRI, trizyklische AD, Monoaminoxidase-Inhibitoren, Serotonin-Noradrenalin Reuptake-Inhibitoren, andere AD) mit einem erhöhten Risiko für einen kindlichen Autismus assoziiert ist.

Ergebnisse: Es konnten 904 035,50 Personenjahre von 145 456 Kindern ausgewertet werden. Das mediane Follow-up der Kinder betrug 7 Jahre. In 1054 Fällen (0,72 %) wurde eine kindliche Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert. Jungen waren hiervon 4-mal häufiger betroffen als Mädchen. 4724 Kinder (3,2 %) waren intrauterin gegenüber AD exponiert gewesen, darunter 4200 (88,9 %) im ersten und 2532 (53,6 %) im zweiten und / oder dritten Trimenon. 40 Kinder (1,0 %) mit Exposition im ersten und 31 (1,2 %) mit Exposition im zweiten und / oder dritten Trimenon entwickelten eine autistische Störung.

Nach Adjustierung bezüglich potenzieller Einflussfaktoren wurde die AD-Einnahme im zweiten und / oder dritten Trimenon als signifikanter Risikofaktor für eine Autismus-Erkrankung identifiziert (aHR 1,87; 95 %-CI 1,15–3,04). Dieser Zusammenhang war auch in der Subgruppe der Kinder mit depressiven Müttern nachweisbar (n = 29; aHR 1,75; 95 %-CI 1,03–2,97). Insbesondere bei SSRI-Einnahme sowie bei einer AD-Kombinationsbehandlung im zweiten und / oder dritten Trimenon ließ sich ein erhöhtes Autismus-Risiko bei den exponierten Kindern nachweisen (n = 22; aHR 2,17; 95 %-CI 1,20–3,93 bzw. n = 5; aHR 4,39; 95 %-CI 1,44–13,32). Eine AD-Medikation im ersten Trimenon oder im Jahr vor der Konzeption sowie die Medikation mit AD anderer Klassen waren hingegen nicht mit einem erhöhten Risiko assoziiert.

Fazit

Die Ätiologie von Erkrankungen des autistischen Formenkreises ist weitgehend unklar. Es werden sowohl genetische als auch umgebungsbedingte Einflussfaktoren diskutiert. Boukhris et al. konnten nachweisen, dass auch bei Berücksichtigung des Einflusses einer maternalen Depression bei einer AD-Einnahme im zweiten und / oder dritten Trimenon – insbesondere bei einer Medikation mit SSRI oder bei gleichzeitiger Anwendung mehrerer AD – mit einem um 87 % erhöhten Risiko für eine Autismus-Erkrankung des Kindes gerechnet werden muss.

Dr. Judith Lorenz, Künzell