Aktuelle Dermatologie 2016; 42(07): 302-303
DOI: 10.1055/s-0042-102624
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ich bin mir sicher, dass ich das Fachgebiet der Dermatologie und Venerologie wieder wählen würde

Fragen an Prof. Dr. med. Harald Gollnick, MagdeburgI am Sure that I would Choose the Specialty of Dermatology and Venereology Again
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 July 2016 (online)

Warum haben Sie das Fach Dermatologie und Venerologie gewählt?

Prof. H. Gollnick: Ich bin durch meinen Vater, der Chef einer Hautklinik war, früh beeinflusst worden. Schon als kleiner Junge konnte ich in der Klinik viele Patienten sehen, Eindrücke mitnehmen und auch Diskussionen in meinem Elternhaus mit anderen Kollegen miterleben. Die endgültige Entscheidung während des Medizinstudiums wurde durch meine Promotion mit elektronenmikroskopischen Arbeiten zur Wundheilung bei Prof. Günter Stüttgen in Berlin weiter gefördert. Ich war mir aber im klinischen Studium endgültig darüber klar geworden, dass die Dermatologie und Venerologie ein großes Organfach und stark interdisziplinär vernetzt ist. Darüber hinaus bietet es einen konservativ medizinischen und einen operativen Teil in der Ausübung des Berufes. Ich habe außerdem festgestellt, dass eine ausgeprägte visuelle Prägung für die Klinik und damit auch in der Mikroskopie und Elektronenmikroskopie die Türen zu diesem Fach mir weiter geöffnet hat.

Sind Sie mit Ihrer Wahl zufrieden und warum?

Prof. H. Gollnick: Ich bin mir sicher, dass ich das Fachgebiet der Dermatologie und Venerologie mit seinen Subspezialitäten der Allergologie, Dermatopathologie, Phlebologie, Dermatoonkologie u. a. m. wieder wählen würde. Unser Fachgebiet bietet jedem viel Platz, um sich sozusagen auszutoben und seinen besonderen Fähigkeiten und Neigungen nachzugehen. Es bietet enorme Möglichkeiten für die Forschung – von der Molekulargenetik über die Immunbiologie bis zur Medizintechnik.

Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben? Was war Ihr außergewöhnlichster Fall?

Prof. H. Gollnick: Im Rückblick ist dies nicht einfach zu beantworten, jedoch habe ich als Oberarzt und später auch als Chef immer meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stimuliert, außergewöhnliche Fälle zu publizieren. Daher ist dieser Kreis besonderer Fälle besonders groß. Über 200 Magdeburger Dermatologen-Nachmittage mit Kasuistiken haben einen großen Thesaurus geschaffen. Wenn ich an meine frühe Assistentenzeit zurückdenke, so war einmal eine Patientin mit Livedo racemosa Typ Ehrman/Neumann/Sneddon sehr beeindruckend. Die Verbindung von Hautveränderungen zur Pathophysiologie des Gesamtorganismus und der Beteiligung der Gefäße des Gehirns und des Neurons hat mich sehr beeindruckt. Wir haben diese Patientin übrigens damals in der Aktuellen Dermatologie publiziert.

Von wem haben Sie besonders viel gelernt?

Prof. H. Gollnick: Ich denke es sind drei Lehrer, die ich nennen möchte: Zum Ersten meinen internistischen Lehrer, Prof. Meyer zum Büschenfelde, damals am Klinikum Westend der FU Berlin, bei dem ich in meiner Medizinal-Assistentenzeit und auch darüber hinaus in einem weiteren Jahr in der Assistenzarztzeit viel in Hinsicht auf die klinische Immunologie und das Denken in großen Krankheitszusammenhängen gelernt habe. Zum Zweiten war es mein Doktorvater, Prof. G. Stüttgen, bei dem ich während meines Studiums die sehr lehrreiche und manchmal lustige bis weit abschweifende Vorlesung und das Praktikum erfahren habe sowie seinen Weitblick und seine herausfordernden Ansichten in vielen Diskussionen, wenn ich mich im Rahmen meiner Promotion in seiner Klinik aufhielt, erleben durfte. Und dann natürlich zum Dritten mein eigentlicher Lehrer in der Dermatologie/Venerologie, Prof. C. E. Orfanos, der, aus der Kölner Schule von Prof. Steigleder kommend, ein enorm tiefes und breites Wissen mitbrachte und mir den akademischen Lehrer täglich vorlebte. Alle drei eben Genannten waren und sind nicht nur außerordentliche Persönlichkeiten, sondern hervorragend strukturierte und präzise denkende und formulierende Lehrer und Forscher. Darüber hinaus denke ich an meinen histologischen Lehrer Prof. Thies und meinen allergologischen Lehrer Prof. Klaschka, die mir sehr viel beigebracht haben.

Was war der beste Rat, den Sie während Ihrer Karriere erhalten haben?

Prof. H. Gollnick: Ich kann mich an keinen speziellen Rat erinnern, aber ich hatte sehr viel Gelegenheit, mit Prof. Orfanos zu reisen, durfte den Weltkongress von 1982 bis 1987 mitvorbereiten und konnte früh als junger Assistent die großen Männer der Dermatologie kennenlernen und an Gesprächen teilnehmen, aus denen ich mir viel gemerkt und mitgenommen habe. Ich konnte viel aus deren Leben erfahren, wie deren Karrieren verlaufen waren und gefördert wurden. Was einen manchmal sehr nachdenklich gemacht hat, ist, wie direkt oder indirekt und z. T. verworren manche Wege zum Hochschullehrer und zur Berühmtheit verliefen.

Sie haben in Ihrer Karriere viel erreicht: Worauf sind Sie besonders stolz?

Prof. H. Gollnick: Ob ich stolz auf etwas Besonderes bin, vermag ich nicht eindeutig zu beantworten. Wichtig ist und war mir, dass man zum Abschluss seiner Laufbahn als Universitätsprofessor und Direktor einer Hautklinik zufrieden zurückblicken kann. Diese Zufriedenheit richtet sich nach der Zufriedenheit der Patienten, der Assistentinnen und Assistenten, die man ausgebildet hat, sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Krankenversorgung, Forschung und Lehre, mit denen man zusammengearbeitet und deren Karriere man gefördert hat. Natürlich ist die Zufriedenheit auch abhängig vom Ergebnis dessen, was man auf seinen Forschungsgebieten erreicht und publiziert hat. Ich habe mich bewusst in der Forschung nicht auf ein besonderes Gebiet fokussiert, sondern meine Interessen relativ breit verfolgt, obwohl mich sicherlich die Retinoide zur Psoriasis, Akne und zur Photobiologie und Onkologie gebracht haben, der Hautkrebs zur Medizintechnik, die Elektronenmikroskopie zur Dermatopathologie sowie MELC (Multi Epitope Ligand Carthography)-Technologie, und die klinische Immunologie zur Allergologie.Schließlich hat es mir stets viel Spaß gemacht und Befriedigung gebracht, als Präsident der DDG, der Section Dermatology & Venereology oder des European Dermatology Forums mit ausgewiesenen Experten und eben auch Freunden zusammengearbeitet zu haben und zu sehen, dass man etwas für unser Fach bewegen konnte. Ich habe viel von den anderen gelernt.

Wo ist momentan die wichtigste Entwicklung in der Dermatologie?

Prof. H. Gollnick: Meiner Ansicht nach sind die enormen Fortschritte in der Dermatoonkologie, besonders beim malignen Melanom, und die Entzündungsforschung bei autoinflammatorischen Erkrankungen, in der modernen Allergologie und ganz besonders in der molekularen Genetik zu sehen. Aus diesem Grunde ist es auch so wichtig, dass die klinischen Schwerpunkte wie dermatologische Onkologie zusammen mit der operativen Dermatologie sowie die Allergologie feste Bestandteile unseres Fachgebietes bleiben und mit aller Energie experimentell, klinisch und in der Lehre vertreten werden.

Wo sehen Sie die Zukunft der Dermatologie und Venerologie?

Prof. H. Gollnick: Unser Fachgebiet ist ein großes Organ- und Querschnittsfach. Wir werden gebraucht bei Erkrankungen, die vom Kleinkindesalter und der vorgeburtlichen Diagnostik bei genetischen Erkrankungen bis hin zur dermatologischen Gerontologie reichen. Wer sich der pädiatrischen Dermatologie oder der Dermatologie im Alter einschließlich der Wundheilung verschreibt oder der operativen Dermatologie oder der Allergologie und Umweltdermatosen, der wird immer von unseren Patienten und den Kollegen der anderen Fächer gebraucht werden. Die Breite unseres Faches ist stets eine große Herausforderung, an der sich aber unser Fachgebiet durch seine exzellente experimentelle Forschung an vorderster Front hervorragend behauptet.

Was raten Sie jungen Kolleginnen und Kollegen?

Prof. H. Gollnick: Ein wesentliches Statement beim ersten Gespräch gegenüber jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die ihre Assistentenlaufbahn an meiner Klinik und auch schon früher, als ich Personalangelegenheiten als Leitender Oberarzt in Berlin regelte, war, dass die Zeit der Weiterbildung keine 8 Stunden Vertragszeit und Anwesenheit in der Klinik bedeutet. Wer während seiner Weiterbildung nicht weit über diese Stunden hinaus in sich selbst investiert und sich nicht alle Möglichkeiten der theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen Tag für Tag eröffnet, der hat nicht für die Zukunft vorgesorgt. In den späteren Jahren, insbesondere bei den Kolleginnen und Kollegen, die in die Praxis gehen, ist dieser Thesaurus, den man sich während der klinischen Weiterbildungszeit mit seinen Lehrern sowie Kolleginnen und Kollegen im Umfeld einer großen akademischen Klinik erwirbt, von unschätzbarem Wert. Leider glauben viele, dass die Dermatologie und Venerologie ein rein ambulantes Fach sei und man deswegen in der ambulanten Weiterbildung sehr viel mehr lernen würde. Dies ist ein fundamentaler Irrtum.

Sie setzten sich stark für die europaweite Harmonisierung der Aus- und Weiterbildung in der Dermatologie ein. 2009 ist zu diesem Thema u. a. eine Arbeit von Ihnen in der „Aktuellen Dermatologie“ erschienen. Was hat sich Ihrer Meinung nach seitdem getan? Was ist der jetzige Stand im Bereich der Dermatologie? Und welche weiteren Schritte wären erstrebenswert?

Prof. H. Gollnick: Seit den beiden Publikationen in dieser Zeitschrift zur europaweiten Harmonisierung der Aus- und Weiterbildung haben wir nur kleine Schritte machen können. Deutschland hat aufgrund seines föderalen Systems Landesärztekammern, welche bspw. die von Kollegen erworbenen europäischen Facharztexamensabschlüsse negativ bewerten bzw. nicht anerkennen. Dies ist in anderen Ländern der EU und in anderen Fächern nicht der Fall. Wir hinken in unserem Fachgebiet leider noch sehr hinterher. In der gewünschten globalen oder auch in der europaweiten Vernetzung ist es essenziell, dass Ärzte aufgrund derselben Inhalte in Fort-, Aus- und Weiterbildung zur Berufsausübung von einem Land in das andere wechseln können. In der Tat ist die Weiterbildung in unserem Fachgebiet in Mitteleuropa (Deutschland, Österreich, Schweiz) am umfangreichsten. Das bedeutet auch, dass andere Länder zum Teil in Teilgebieten nachziehen müssen. Einen europäischen Durchschnitts-Dermatologen und -Venerologen wollen wir nicht. Gegenwärtig läuft in der EU der sog. Process of Recognition of Professions, der insbesondere die Medizin betrifft und zu einer weiteren Harmonisierung der Curricula in der Weiterbildung (glücklicherweise) zwingt. Darüber hinaus war es schon lange unser Bestreben von Seiten des European Dermatology Forums, auch die Ausbildung im Medizinstudium im Fachgebiet Dermatologie und Venerologie zu harmonisieren, da hier zum Teil die Unterrichtsstunden zwischen 18 und 60 Lehrstunden in den verschiedenen Ländern Europas schwanken. Daran arbeiten wir.

Was machen Sie nach Feierabend als Erstes?

Prof. H. Gollnick: Oft hat mir die eine oder andere Kollegin oder die eine oder andere Mitarbeiterin, wenn sie mich aus der Klinik gehen sah, einen „Schönen Feierabend“ gewünscht. Es ist von diesen immer sicherlich sehr lieb und freundlich gemeint gewesen. Jedes Mal habe ich mich jedoch gefragt: „Was denken die nur, was ein Hochschullehrer nach Verlassen seines Arbeitsplatzes macht?“ Ich glaube, die meisten können sich nicht vorstellen, dass wir uns nach einer kurzen Abspannzeit wieder an den Schreibtisch setzen, weiterarbeiten und uns andere Themen vornehmen. Allerdings, wenn ich nach Hause gekommen war, habe ich zunächst einmal in Ruhe eine Tasse Tee getrunken und Zeitung gelesen, dann mich der Familie und dem Hund gewidmet.

Zoom Image