Zentralbl Chir 2013; 138(05): e27-e34
DOI: 10.1055/s-0033-1350859
Aus dem Fach
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patientensicherheit, Fehlervermeidung und Fehlermanagement – Schlaglichter und wichtige Impulse des Jahreskongresses der Thüringischen Gesellschaft für Chirurgie 2012

Patient Safety, Error Avoidance and Error Management – A Report on Highlights and Impulses of the Annual Congress of the Thuringian Society of Surgeons 2012
F. Rauchfuss
1   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Deutschland
,
L.-D. Schreiber
2   Abteilung für Allgemein- und Visceralchirurgie und Proktologie, Hufeland-Klinikum Bad Langensalza, Deutschland
,
H. Wolff
3   Rapsweg 26, 12683 Berlin, Deutschland
,
G. M. Fleischer
4   Zur Weinleite 4, 08538 Weischlitz, Deutschland
,
J. Zaage
5   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, BG Kliniken Bergmannstrost, Halle/Saale, Deutschland
,
R. Maisel
6   Universitätsklinikum Jena, Deutschland
,
E. Wiens
1   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Deutschland
,
C. Stroh
7   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, SRH-Waldklinikum Gera, Deutschland
,
T. Manger
7   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, SRH-Waldklinikum Gera, Deutschland
,
N. Presselt
8   Klinik für Thorax- und Gefäßchirurgie, Zentralklinik Bad Berka, Deutschland
,
M. Mille
9   Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, HELIOS Klinikum Erfurt, Deutschland
,
A. Stier
9   Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, HELIOS Klinikum Erfurt, Deutschland
,
R. Albrecht
10   Klinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie, HELIOS Klinikum Aue, Deutschland
,
L. Künanz
11   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Katholisches Krankenhaus St. Johann Nepomuk, Erfurt, Deutschland
,
J. Pertschy
11   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Katholisches Krankenhaus St. Johann Nepomuk, Erfurt, Deutschland
,
M. Kantowski
1   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Deutschland
,
H. Karl
12   Fachanwalt für Medizinrecht, Reichartstr. 9, 99094 Erfurt, Deutschland
,
U. Settmacher
1   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Deutschland
,
H. Scheuerlein
1   Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
22 October 2013 (online)

Wo der Mensch tätig wird, werden Fehler begangen. Nur in wenigen Gebieten haben Fehler so gravierende, das Schicksal eines Patienten direkt tangierende Auswirkungen wie in der Medizin und speziell in der Chirurgie. Der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg einer Operation ist mitunter schmal. Leitsätze wie „Chirurgie ist Handwerk, Wissenschaft und Kunst“ (Ernst von Bergmann) oder „Chirurgie ist mehr als Operieren“ legen uns einen Kern nahe: Zentraler Bestandteil chirurgischen Handelns, als intellektuelle Leistung so gesehen häufig wichtiger als die Operation selbst und genuine chirurgische Kunst, ist die Indikationsstellung. Damit beginnt alles und wenn man so will, stellt sie, für sich genommen, bereits einen Sicherheitsaspekt dar.

„Chirurgie ist mehr als Operieren“ bedeutet auch, dass eine moderne und zeitgemäße Chirurgie zusätzliche Kernkompetenzen verlangt. Der Chirurg soll heute nicht nur Meister seines Faches, sondern auch noch Manager sein und ist/wird mehr und mehr gezwungen, sich ökonomischen Prämissen zu unterwerfen.

„Wissenschaft ist der Fels, auf dem wir bauen, Humanität ist der Stern, nach dem wir greifen.“ Dieser alte Satz von K. H. Bauer ist heute aktueller denn je. Was, wenn nicht die Analyse von Fehlern und das daraus gewonnene Wissen, wäre wissenschaftlicher Ausdruck chirurgischer Qualität und letztlich Humanität. Dieser Anspruch ist beileibe nicht neu und seit jeher war die Fehler- und Qualitätsanalyse Dreh- und Angelpunkt verantwortungsbewussten chirurgischen Handelns, nur wird er heute mehr und mehr „verwissenschaftlicht“. Im Zeitalter höherer Qualitätsansprüche seitens Patienten und Gesellschaft, einer zunehmenden Leistungsverdichtung, eines größeren Konkurrenzdrucks und einer leitliniengerechten, evidenzbasierten Medizin ist der Spagat zwischen dem Erfordernis der Qualitätskontrolle einerseits und ihrer tatsächlichen Erbringung andererseits, möglichst noch mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung, immer schwerer zu schaffen. Gleichzeitig brauchen wir die „heilsame Entheroisierung“ der Chirurgie: Eine chirurgische Abteilung muss natürlich leistungs-, verantwortungs- und entscheidungsorientiert organisiert sein, gleichwohl müssen aber Kooperation, Vertrauen und Wertschätzung der Mitarbeiter in die Führung der Abteilung integriert werden [1].

Es gibt irritierende, ja provokative Zahlen zum Thema Patientensicherheit: Mindestens 1 von 3846 Patienten erleidet während eines Krankenhausaufenthalts ein invalidisierendes oder gar tödliches Schadensereignis. Mit allen heute verfügbaren Methoden zur Verhinderung eines sog. chirurgischen „Never Events“ (z. B. belassener Fremdkörper, Operation der falschen Seite) erreichen wir bisher eine der Automobilindustrie vergleichbare Fehlerquote: 1 Defekt pro 4081 bis 31 250 installierte Teile. Die Luftfahrt bewegt sich diesbezüglich in dramatisch anderen Sphären: 1 Unfall pro 243 309 Starts. Würde man die Schätzung von Todesfällen durch medizinische Fehler auf die Luftfahrt projizieren, entspräche das dem regelmäßigen Absturz eines Jumbojets alle 2 Tage [2].

Angesichts solcher Zahlen liegt es vor dem Hintergrund der oben genannten Eckpfeiler, die sich auf den ureigenen chirurgischen Auftrag der Qualitätssicherung, welche die Patientensicherheit, Fehlervermeidung und -analyse mit einschließt, reduzieren lassen, auf der Hand, sich auch auf wissenschaftlicher Basis und aus verschiedenen Perspektiven mit diesem Thema zu befassen. Zur umfassenden Betrachtung des Themas „Patientensicherheit“ ist der Schulterschluss zwischen den verschiedenen medizinischen Disziplinen, der Pflege und Krankenhausverwaltung erforderlich und sie beinhaltet auch die juristische Sicht (Definition von Behandlungsfehlern, Haftungsrecht, gutachterliche Implikationen). Die spannendsten Fragen aus chirurgisch-praktischer und -wissenschaftlicher Sicht betreffen dabei das „Fehlermanagement“: Wie gehen wir mit Fehlern um? Wie lässt sich ohne Gesichtsverlust und Schuldzuweisungen Transparenz schaffen? Wie lernen wir aus Fehlern und Beinahefehlern? Lässt sich durch diesen Prozess die Behandlungsqualität verbessern? Im Optimalfall entwickelt sich dann eine Sicherheitskultur, von der in erster Linie der Patient, auf der anderen Seite aber auch unser chirurgisches Denken und Handeln insgesamt profitieren sollten. Wichtige Ansätze zur Fehlervermeidung sind dabei aus den Bereichen der Luftfahrt, Automobilindustrie und Kernenergie hervorgegangen [2] und vieles deutet darauf hin, dass das dort angesammelte Know-how in Teilen auch auf die Medizin übertragen werden kann und sollte. Der Jahreskongress der TGC 2012 hat sich diesem Themenkomplex – Patientensicherheit, Fehler- und Komplikationsvermeidung und -management – mit dem Versuch gestellt, aus verschiedenen Perspektiven Antworten oder zumindest Impulse zu geben, von denen eine Reihe schlaglichtartig im Rahmen dieses Beitrags näher betrachtet werden soll.

 
  • Literatur

  • 1 Siegmund-Schultze N. Interview mit Prof. Dr. med. Hartwig Bauer, dem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie: Heilsame Entheroisierung. Dtsch Ärzteblatt 2010; 107: A248-A253
  • 2 Mennigen R, von Eiff W, Senninger N. Fehler in der Chirurgie – Konzepte zu Prävention, Analyse und Risikomanagement. Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date 2011; 5: 403
  • 3 Billroth T. Briefe von Theodor Billroth. 9. Aufl. Hannover: Hahnsche Buchhandlung; 1922
  • 4 Kern E. Theodor Billroth (1829 – 1894): Biographie anhand von Selbstzeugnissen. München, Wien, Baltimore: Urban & Schwarzenberg; 1994
  • 5 Nagel M, Schober KL, Weiß G. Theodor Billroth, Chirurg und Musiker. Regensburg: ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg; 1994
  • 6 Stroh C, Birk D, Flade-Kuthe R et al. [Quality assurance in bariatric surgery in Germany–results of the German multicentre trial 2005 and 2006]. Zentralbl Chir 2008; 133: 473-478
  • 7 Stroh C, Weiner R, Horbach T et al. [New data on quality assurance in bariatric surgery in Germany]. Zentralbl Chir 2012; 138: 180-188
  • 8 Hoffmann J, Shokouh-Amiri MH, Damm P et al. A prospective, controlled study of prophylactic drainage after colonic anastomoses. Dis Colon Rectum 1987; 30: 449-452
  • 9 Niedergethmann M, Bludau F, Dusch N et al. [Significance of drains in surgery]. Chirurg 2011; 82: 1079-1084
  • 10 Gurusamy KS, Samraj K. Routine abdominal drainage for uncomplicated open cholecystectomy. Cochrane Database Syst Rev 2007; (02) CD006003
  • 11 Gurusamy KS, Samraj K, Davidson BR. Routine abdominal drainage for uncomplicated liver resection. Cochrane Database Syst Rev 2007; (03) CD006232
  • 12 Gurusamy KS, Samraj K, Mullerat P et al. Routine abdominal drainage for uncomplicated laparoscopic cholecystectomy. Cochrane Database Syst Rev 2007; (04) CD006004
  • 13 Jesus EC, Karliczek A, Matos D et al. Prophylactic anastomotic drainage for colorectal surgery. Cochrane Database Syst Rev 2004; (04) CD002100
  • 14 Wang Z, Chen J, Su K et al. Abdominal drainage versus no drainage post gastrectomy for gastric cancer. Cochrane Database Syst Rev 2011; (08) CD008788
  • 15 Reid-Lombardo KM, Farnell MB, Crippa S et al. Pancreatic anastomotic leakage after pancreaticoduodenectomy in 1,507 patients: a report from the Pancreatic Anastomotic Leak Study Group. J Gastrointest Surg 2007; 11: 1451-1458 discussion 1459
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  • 20 Riss S, Stift A, Kienbacher C et al. Recurrent abscess after primary successful endo-sponge treatment of anastomotic leakage following rectal surgery. World J Gastroenterol 2010; 16: 4570-4574