Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(51/52): 2712-2714
DOI: 10.1055/s-0032-1327363
Weihnachtsheft
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Tod des Dirigenten – kardiovaskuläre Todesfälle auf Orchesterpodium und Opernbühne

Death of the conductor – cardiovascular deaths on orchestra podium and opera stage
M. Paul
1   Universität Maastricht, Niederlande
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Publication Date:
11 December 2012 (online)

Todesfälle auf dem Dirigentenpodium

Wir schreiben den 19.  Februar 2012. Der Schauplatz ist Leeuwarden in der niederländischen Provinz Friesland. Das Friesische Jugendsymphonieorchester feiert an diesem Tag sein 35-jähriges Bestehen. Als Überraschung für das Publikum tritt Geraard van de Weert, der Gründer und Ehrendirigent des Orchesters auf das Podium und dirigiert die Lieblingszugabe des Orchesters, die Moulinet Polka von Josef Strauss. Plötzlich läuft er, noch dirigierend, zum Seitenrand der Bühne und bricht zusammen: das Konzert wird abgebrochen und trotz Reanimationsbemühungen anwesender Ärzte stirbt der Dirigent wenig später im Krankenhaus an Herzversagen.

Prominentes Beispiel: Giuseppe Sinopoli

Ein Einzelfall? Zumindest erinnert das Geschehen in der niederländischen Provinz an einen ganz ähnliches Ereignis, auf einer viel eminenteren Bühne, nämlich der der Deutschen Oper Berlin. Hier starb Giuseppe Sinopoli im Jahre 2001 kurz nach Beginn des dritten Akts während des sogenannten Nil-Duetts der Oper Aida von Giuseppe Verdi ebenfalls an einen Myokardinfarkt. Das tragische Ereignis ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Sinopoli hatte im Jahre 1981 just mit dem Dirigat derselben Oper debütiert und die Aufführung, während der er zusammenbrach, markierte seine emotionale Rückkehr an ein Opernhaus, das er 11 Jahre zuvor im Streit verlassen hatte. Darüber hinaus hatte er diese Vorstellung dem Gedenken des zuvor verstorbenen Intendanten der deutschen Oper, Götz Friedrich gewidmet.

Zwei Fälle, die zum Nachdenken über die kardiovaskulären Risiken auf Opernbühne und auf dem Orchesterpodium anregen. Auf der einen Seite sind diese Todesfälle von Dramatik und Öffentlichkeit gekennzeichnet, die unmittelbar zu großer Publizität führt, vor allem wenn es sich um den Tod eines Stars handelt, wie im letztgenannten Falle. Auf der anderen Seite ist es bemerkenswert, dass die beiden genannten tödlichen Ereignisse in jeweils besonders emotionaler Situation auftraten. Das gibt Anlass zu Spekulationen und soll Grundlage einer weiteren Betrachtung sein.


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Tristan und Isolde: Ein Unglückswerk?

Eine Analyse bringt schnell weitere vergleichbare Fälle zu Tage, mit vielen Gemeinsamkeiten zu den oben beschriebenen Fällen.

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Abb. 1 Fotografie von Felix Mottl, April 1904 (Quelle: Badische LandesBibliothek; urn:nbn:de:bsz:31-20424).

So starb Felix Mottl (Abb.  [ 1 ]) im Jahre 1911 im Alter von 55 Jahren an den Folgen eines Myokardinfarkts, wenige Tage nachdem er beim Dirigat seiner hundertsten Vorstellung der Oper Tristan und Isolde im Münchner Nationaltheater während des zweiten Akts zusammengebrochen war.

57 Jahre später wiederholte sich das Geschehen auf demselben Podium. Der 60-jährige Dirigent Joseph Keilberth (Abb.  [ 2 ]) kollabierte und starb im Jahre 1968, ebenfalls in München, und das nicht nur beim Dirigat derselben Oper, sondern dem Vernehmen an etwa gleicher Stelle der Partitur. Wenn man noch den plötzlichen Tod des ersten Tristan, Ludwig Schnorr von Carolsfeld (übrigens ein Vorfahr des Hypertonieforschers Thomas Unger) im Alter von nur 29 Jahren kurz nach der Premiere der Oper in Bayreuth (der allerdings nicht einer kardiovaskulären Komplikation, sondern wahrscheinlich einer Infektionskrankheit erlag), könnte man dieser Oper fast schon den Status eines „Unglückswerkes“ wie Shakespeares Macbeth, zuordnen, dessen Name in der angelsächsischen Theatertradition aus Aberglauben nicht genannt und nur als „the scottish play“ umschrieben werden darf (Abb.  [ 3 ]).

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Abb. 2 Joseph Keilberth 1945 (Quelle: Deutsche Fotothek, Wikimedia Commons; Foto von Abraham Pisarek).
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Abb. 3 Ludwig und Alwine Schnorr von Carolsfeld 1865 als Tristan und Isolde der Münchner Uraufführung (Quelle: Wikimedia Commons; Foto von Joseph Albert).

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Weitere prominente Beispiele

Weitere Dirigenten, die während der Ausübung ihres Berufs an kardialen Ereignissen starben sind Dimitri Mitropolos, Giuseppe Patane, Marcello Viotti und Arvid Janssons. Der Sohn des letzteren, Maris Janssons (der heutige Chefdirigent des Concertgebouw Orchesters in Amsterdam) entging dem plötzlichen Herztod nur knapp als er im Jahre 1996 während des Dirigats des Oper La Bohème in Oslo infolge eines akuten Myokardinfarkts zusammenbrach, aber reanimiert werden konnte.


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  • Literatur

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