Psychiatr Prax 2011; 38(3): 153
DOI: 10.1055/s-0031-1276676
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Asyl und Psychiatrie

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Publication Date:
06 April 2011 (online)

 

Dieser schmale Tagungsband widmet sich einem ungeliebten Thema: Psychiater, eben befreit von der Gleichsetzung stationärer Einrichtungen mit "Asylen" oder "Totaler Institution", finden sich bei psychiatrisch behandlungsbedürftigen Asylbewerbern erneut in einem hoch aufgeladenen Spannungsfeld zwischen staatlicher Regulierung und Ausgrenzung versus ethisch-medizinischer Verantwortung. Der Begriff des "Asyls" entbehrt dabei bezogen auf psychiatrische Einrichtungen nicht einer gewissen Doppelbödigkeit, wie der historische Überblick zu Beginn zeigt; letztlich zieht sich diese Frage durch das ganze Buch, wie sich u.a. im Beitrag aus Sicht der Ausländerbehörde findet, der ein "Flüchten" in stationäre (psychiatrische) Einrichtungen problematisiert, andererseits auch konstruktive rechtliche Hinweise gibt.

Der Leser lernt, sich in Patienten mit Traumadiagnose, aber ohne Behandlungschance hineinzuversetzen, in die Konfrontation mit dem komplexen Asylrecht, und er erfährt die subjektive Bedeutung von Abschiebedrohungen. Empirische Erkenntnisse, wie die Nachuntersuchung von Dünnwald, sind eingestreut und stellen die Rückkehrpolitik in Frage. Sehr lesenswert ist das Kapitel über Begutachtung (Haenel) und die zitierte Literatur zu Fehlerquellen (auf Seiten traumatisierter Asylsuchender und der Gutachter). Der Überblick über statistische Daten und rechtliche Voraussetzungen hätte gerne etwas mehr an Literatur umfassen können. Beide Kapitel sollen dabei nicht die Fortbildungen der Ärztekammern ersetzen. – Wertvoll ist der Band nicht zuletzt durch die holländische Studie zum Gesundheitsstatus von Asylbewerbern (Laban et al.), die belegen konnte, dass länger im Aufnahmeland aufhältige Asylbewerber eine Hochrisikogruppe für psychiatrische Störungen darstellen, während sie bei eben erst angekommenen dem der Allgemeinbevölkerung ähnelt. Im Vergleich mit einem Aufnahmeland mit anderer Asylpolitik ist es v.a. die Länge des Asylverfahrens, die ein großes Risiko für gesundheitliche Probleme konstituiert. Koch kann aufzeigen, dass dann auch die subjektive Belastung steigt, die sich auch in persönlichen Reaktionen und Resonanzen in einer Balintgruppe spiegelt.

Vermisst werden in dem wertvollen Band allerdings Finanzierungsfragen. Sehr oft werden ambulante Leistungen an Asylbewerbern nicht abgegolten, wird auch seitens der Niedergelassenen viel unentgeltliche humanitäre Hilfe geleistet, oder es wird an Behandlungszentren auf Spendenbasis weiter verwiesen.

Dennoch greift der Band mutig ein längst überfälliges Thema auf und sollte von jedem, der Asylbewerber behandelt zur Bestimmung des eigenen therapeutischen Standortes und Wahrnehmung der begrenzten Freiheitsgrade genau rezipiert werden.

Renate Schepker, Weissenau
Email: renate.schepker@zfp-zentrum.de

Koch E, Müller MJ (Hrsg). Asyl und Psychiatrie. Freiburg: Lambertus; 2009, 130 Seiten, € 17,50. ISBN-10:3784119492

  • 1 Koch E, Müller M J (Hrsg). Asyl und Psychiatrie. Freiburg: Lambertus; 2009. 130 Seiten, € 17,50. ISBN: 10:3784119492
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