Psychiatr Prax 2011; 38(3): 150-152
DOI: 10.1055/s-0031-1276674
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Patientensicherheit: Kollegiale Audits als Alternative zur Einführung eines Critical Incidents Reporting System

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Publication Date:
06 April 2011 (online)

 

Hintergrund

Patientensicherheit, definiert als "Ausbleiben unerwünschter Ereignisse", ist ein großes Thema in Krankenhäusern. Bei etwa 10% der Patienten kommt es zu solch unerwünschten Ereignissen, die Hälfte wird auf vermeidbare Fehler zurückgeführt; Studien mit direkter Beobachtung finden sogar noch höhere Raten [1]. Die unerwünschten Ereignisse betreffen hauptsächlich nosokomiale Infektionen, Medikamentennebenwirkungen und Folgen der falschen Anwendung von medizinischen Geräten. Medikamentenfehler hinsichtlich Indikationsstellung, Dosierung und Verteilung sollen in bis zu 50% der Medikamentenverordnungen vorkommen, 3–10% aller Krakenhausaufnahmen werden auf Medikamentenfehler zurückgeführt, die Mortalität aufgrund von Medikamentennebenwirkungen wird zwischen 0,04 und 0,95% aller Patienten geschätzt [1]. Entsprechende Hochrechnungen von jährlich 5-stelligen Todeszahlen durch falsche Medikamentenverordnungen werden immer wieder durch die Presse gereicht. Besonders in den USA wurde dies in den 90er-Jahren als Krise des Gesundheitssystems wahrgenommen, das umfangreiche Qualitätssicherungsmaßnahmen auf den Plan rief.

Als wesentliches Instrument zur Verbesserung der Patientensicherheit wird inzwischen ein Critical Incidents Reporting-System (CIRS) angesehen, welches eine anonyme Meldung von tatsächlichen oder v.a. auch "Beinahe-Fehlern" durch Beteiligte aller Berufsgruppen eines Krankenhauses ermöglicht und dadurch typische Schwachstellen zu identifizieren helfen soll. Dabei kann es sich sowohl um individuelle Fehler als auch um organisatorische Mängel handeln. Die Idee des CIRS stammte ursprünglich aus der Flugsicherheit in amerikanischen Militäroperationen des 2. Weltkriegs. Im Laufe der folgenden Jahre wurde daraus ein weiteres, auch psychologisch untermauertes Konzept, die "Critical Incidents Technique" [2]. Im Gesundheitswesen erlangte CIRS erst in den letzten 20 Jahren im Rahmen der genannten Qualitätsdiskussionen Bedeutung, zunächst auch vorwiegend in operativen Fächern und in der Anästhesie [3]-[5].

Verschiedene renommierte Kliniken in Deutschland und in der Schweiz berichten auf ihren Internetseiten über die Einführung eines CIRS, z.B. die Charité. Das US-Amerikanische Institute of Medicine rief 2000 zu einer nationalen Anstrengung auf, um die Gesundheitsversorgung sicherer zu machen. CIRS wurden seitdem vielfach eingeführt, die erreichten Verbesserungen werden als geringer als erwartet, aber doch substanziell eingeschätzt [6]. Eine Evidenz für die Reduzierung unerwünschter Ereignisse auf vielen Ebenen konnte gefunden werden.

Über CIRS in psychiatrischen Einrichtungen gibt es bisher nur wenig Literatur. Falsche Bestrahlungsdosen, irrtümlich abgeschnittene Extremitäten und Transfusionen der falschen Blutgruppe kommen hier nicht vor [7]. Trotzdem dürften unerwünschte Ereignisse durch Diagnosefehler, Therapiefehler, Verstöße gegen medizinische Standards und durch organisatorische Mängel erfahrungsgemäß auch hier eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Besonders in der Schweiz scheint die Einführung von CIRS mit der Zielsetzung einer Verbesserung der Patientensicherheit und einer positiven Fehlerkultur derzeit vorangetrieben zu werden. In den psychiatrischen Universitätskliniken Basel, Bern und Zürich wurde ein CIRS mit einer gemeinsamen Datenbank und Benchmarks eingeführt [8].

Auch im eigenen Klinikverbund der Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie (SWZ) haben wir das Thema Patientensicherheit und die Frage der Einführung eines CIRS eingehend diskutiert. Dagegen sprachen jedoch in den Überlegungen schließlich der hohe Aufwand für Einrichtung, Pflege und Schulung eines weiteren Dokumentationssystems sowie die Tatsache, dass die typischen Risiken und die geeigneten Vorsichtsmaßnahmen im Grunde bereits bekannt sind und das Ziel eher in der systematischen Anwendung der letzteren in der Breite bestehen müsste. Nach längeren Diskussionen einigten wir uns daher alternativ auf die Einführung eines kollegialen Audit-Systems, für das ein umfassender Katalog von prüfbaren Risiko- bzw. Sicherheitsindikatoren erarbeitet werden sollte.

Literatur

  • 1 Schrappe N. Patientensicherheit und Risikomanagement.  Münch med Wschr. 2005;  15 478-485
  • 2 Flanagan J. The Critical Incident Technique.  Psychol Bull. 1954;  51 327-358
  • 3 Mahajan R P. Critical Incident reporting and learning.  Br (J) Anaesth. 2010;  105 69-75
  • 4 Wingenfeld C, Abbara-Czardybon M, et al. Patient safety in orthopedics: Implementation and first experience with CIRS and team time-out.  Z Orthop Unfall. 2009;  (Epub ahead of print)
  • 5 Frietsch T, Weiler-Lorentz A, Schipplick M, et al. Die interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie – Startschuss für ein deutsches Hämovigilanz-System.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2009;  44 626-628
  • 6 Leape L L, Berwick D N. Five years after to err is human: What have we learned?.  JAMA. 2005;  293 2384-2390
  • 7 Wright M, Parker G. Incident monitoring in Psychiatry.  J. Qual Clin Pract. 1998;  18 249-261
  • 8 Miserez B, Romano I, Cassidy C. CIRS – Verbund der Psychiatrischen Universitätskliniken Basel, Bern und Zürich. Poster, 2007 http://www.patientensicherheit.ch/posters/4%20Miserez-CIRS%20BS%20BE%20ZH.pdf letzter Aufruf 13.7.2010
  • 9 Steinert T, Goebel R, Rieger W. A nurse-physician co-leadership model in psychiatric hospitals: Results of a survey among leading staff members in three sites.  Int J Ment Health Nurs. 2006;  15 251-257
  • 10 Hoffmann M, Rieger W. Vorgaben und Realität der PsychPV – Ergebnisse einer Multimomentstudie auf einer allgemeinpsychiatrischen Aufnahmestation.  Nervenarzt. 2009;  DOI: 10.1007/s00115-009-2872-4 (epub ahead of print)
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